Bundestag debattiert über Kampfdrohnen
Eine bewaffnete Drohne vom Typ Reaper bei der Landung in Kandahar, Afghanistan (Foto: Crown Copyright/MoD UK/Fg Off Owen Cheverton via Flickr unter CC-BY-NC-Lizenz)
Die deutsche Debatte über bewaffnete unbemannte Luftfahrzeuge, im Allgemeinen Sprachgebrauch Kampfdrohnen, für die Bundeswehr wird am (heutigen) Donnerstag auch offiziell im Deutschen Bundestag geführt: Ab ca. 11.50 Uhr wird sich das Parlament in einer Aktuellen Stunde, beantragt von der Linkspartei, mit diesem Thema befassen.
Die Debatte lässt sich über den – nicht immer funktionierenden – Livestream des Bundestages ansehen. Ich werde mir den Luxus leisten, sie später im Bundestagsprotokoll nachzulesen.
Nachtrag: Die Debatte laut Bundestagsprotokoll, so weit es bis zum Donnerstagabend vorlag, unter anderem einschließlich der Rede des Verteidigungsministers (einige Redebeiträge von Abgeordneten liegen noch nicht ausgeschrieben vor):
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Ausrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen
Andrej Hunko (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letztes Jahr habe ich in meinem Wahlkreis in Aachen die Familie von Samir H. besucht. Der deutsche Staatsangehörige und Aachener Bürger war am 9. März 2012 von einer US-Drohne in Pakistan getötet worden. Der Mutter versprach ich, mich um die Aufklärung zu bemühen. Ich habe mehrere Anfragen an die Bundesregierung gestellt, aber es gab keine akzeptable Aufklärung. Das ist völlig inakzeptabel.
Der Fall zeigt dreierlei: Erstens. Die Schwellen zum Einsatz von Kampfdrohnen sind derart gesunken, dass oftmals andere Mittel gar nicht mehr ins Auge gefasst werden. Zweitens. Parlamentarische Kontrolle ist hier kaum möglich. Wie etwa deutsche Geheimdienste dem Drohnenpiloten geholfen haben, den Aufenthaltsort von Samir H. in Pakistan zu ermitteln, hält das Bundesinnenministerium unter Verschluss. Drittens. Die Beschaffung und der Einsatz von Kampfdrohnen sind längst zur globalen Realität geworden. Zu den Grundpfeilern der deutschen Außenpolitik sollte allerdings die Abrüstung gehören.
Samir H. ist einer von inzwischen 3 000 bis 4 500 Menschen, die seit 2011 durch den Einsatz von Kampfdrohnen in Pakistan, im Jemen und in Somalia ums Leben gekommen sind, davon etwa 200 Kinder. Das sind die Zahlen einer Studie der britischen Sektion der IPPNW, der renommierten internationalen Ärzteorganisation. In dieser Studie wird auch intensiv auf die psychologischen Folgen des Drohneneinsatzes eingegangen: Das dauerhafte Gefühl, durch Drohnen überwacht und gegebenenfalls auch beschossen werden zu können, hält die überwachte Bevölkerung in einem dauerhaften Zustand der Angst, einem Gefühl, zu keinem Zeitpunkt mehr sicher sein zu können. – Auch das muss diskutiert werden, wenn wir über eine Drohnenstrategie reden.
Ich möchte darauf hinweisen, dass in der durch unsere Kleine Anfrage angestoßenen Debatte ein wichtiges Detail verloren gegangen ist: Die Bundesregierung sagt nicht nur, dass sie Kampfdrohnen für die Bundeswehr anschaffen will. Vielmehr sollen auch sogenannte militärische Aufklärungsdrohnen so bestückt werden, dass später Kampfdrohnen daraus gemacht werden können. – Das lehnen wir als Linke entschieden ab.
Ich halte allerdings auch eine Nutzung rein militärischer Spionagedrohnen für problematisch. Anfang der Woche führte das Verteidigungsministerium der USA eine Kamera mit einer Auflösung von 1,8 Gigapixeln vor, die aus 6 000 Meter Höhe beeindruckend scharfe Aufnahmen zum Beispiel eines Parkplatzes liefern kann. Solche Systeme können im Rahmen von Amtshilfe jederzeit auch im Innern eingesetzt werden.
Die neuen, riesigen „Euro Hawk“-Drohnen der Bundeswehr etwa auch zur Grenzsicherung oder bei Großeinsätzen zu nutzen, wird ausgerechnet vom Drohnenausrüster EADS empfohlen. Ein anderer führender Drohnenhersteller hat mir kürzlich erklärt, dass seine Drohnen die mexikanisch-amerikanische Grenze überwachen. – Wir möchten nicht, dass künftig auch die europäischen Grenzen mit Drohnen überwacht werden, vielleicht zunächst unbewaffnet und dann in einem zweiten Schritt bewaffnet. Wir möchten auch nicht, dass Großereignisse wie der Gipfel in Heiligendamm künftig von Drohnen überwacht werden.
Die Drohnenstrategie der Bundesregierung ist für die europäische Rüstungsindustrie ein Milliardengeschäft. Dies wird von der EU-Kommission ausdrücklich betont, wenn sie dafür wirbt, große Drohnen ab 2016 in den allgemeinen zivilen Luftraum zu integrieren. Im einem Dokument der EU-Kommission vom September 2012 ist ausschließlich von der Notwendigkeit einer Konkurrenzfähigkeit der europäischen Drohnenindustrie die Rede, die den Anschluss an Israel und an die USA halten müsse. Am Ende der Einleitung heißt es: Es ist „imperativ“ für Europa, „jetzt zu handeln“, sprich: drohnenmäßig aufzurüsten. – Auch das lehnen wir deutlich ab.
Kampfdrohnen sind Killerwaffen. Darüber ethisch zu diskutieren, wie man es jetzt aus der SPD hört, macht keinen Sinn. Die Entwicklung und Beschaffung von Kampfdrohnen wird selbst innerhalb des Militärs kritisiert. Ich fordere die Bundesregierung deshalb mit allem Nachdruck auf, sich international für die Ächtung von Kampfdrohnen einzusetzen.
Aber auch die Polizeien des Bundes und der Länder, denen ihre gegenwärtigen fliegenden Kameras zu klein sind, untersuchen auf mehreren Ebenen den Einsatz größerer Drohnen mit hochauflösenden Kameras. Auch das ist hochproblematisch. Größte Zurückhaltung muss deshalb nicht nur bei der Beschaffung militärischer, sondern auch polizeilicher Drohnen walten.
Ich komme zum Ende. Killerdrohnen sind international zu ächten. Sie senken die Hemmschwelle zur Entgrenzung des Krieges und zum Töten per Knopfdruck. Ich fordere die Bundesregierung zudem auf, sich für eine internationale Konvention zu einer streng zivilen Nutzung von Drohnen, etwa im Umweltschutz oder bei der Katastrophenhilfe, einzusetzen. Maßstab hierfür muss der mögliche gesellschaftliche Nutzen und nicht die Interessen der Drohnenindustrie sein.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Fraktion der Linken dankbar für die Aufsetzung dieses Themas; das gibt uns Gelegenheit, im Deutschen Bundestag über das Thema Drohnen zu diskutieren. Ich habe die Diskussion ja letzten Sommer selber eröffnet.
Ich will versuchen, in der knappen Zeit in sieben Punkten Gründe vorzutragen, die für die Anschaffung von Drohnen sprechen, und mich mit den Gegenargumenten auseinandersetzen.
Zum ersten Punkt. Drohnen bieten technologisch in einer Weise eine kontinuierliche Aufklärung mit einer langen Stehzeit – viel länger, als jeder Pilot wach bleiben kann – und Übertragungsergebnisse, die in Echtzeit, also live, übertragen werden können, wie sie kein Flugzeug leisten kann. Deswegen sind sie technologisch sinnvoll. Sie sind auch nicht so teuer wie Flugzeuge; denn ganz wesentliche Ausgaben für Flugzeuge haben damit zu tun, den Piloten zu schützen, zu Recht; das entfällt bei Drohnen.
Zweitens. Die Zukunft der Luftfahrt insgesamt wird ganz wesentlich in den nächsten 20, 30, 40 Jahren von dem Thema „unbemannte Luftfahrzeuge jeder Art“ geprägt sein. Das gilt jedenfalls unterhalb der Ebene der Satelliten, das gilt für das Thema Klimabeobachtung, das gilt für das Thema Verkehrsbeobachtung, das gilt für das Thema Logistik, das gilt für das Thema Luftfracht. Deswegen haben wir auch komplizierte Zulassungsthemen, die wir nur im europäischen Verbund erörtern dürfen. Bei dieser Zukunftstechnologie muss Deutschland dabei sein. Wir können nicht sagen, wir bleiben bei der Postkutsche, während alle anderen die Eisenbahn entwickeln. Das geht nicht.
Drittens. Die Einführung von Drohnen ist auch taktisch und sicherheitspolitisch sinnvoll. Ich kann dazu viele Beispiele nennen, ich nenne hier nur mal eines. Nehmen wir an, wir schicken eine Patrouille in eine gefährliche Gefechtssituation, oder nehmen wir an, wir haben einen KSK-Einsatz zur Verhaftung von Terroristen oder zur Rettung von Geiseln. Kein anderes Mittel ist so gut geeignet wie eine Drohne, diese Patrouille zu begleiten, aus der Luft zu beobachten, was passiert, und dann, wenn unsere eigenen Soldaten in Gefahr geraten, auch zu kämpfen und den Gegner zu bekämpfen und nicht erst Close Air Support anzufordern, der 10, 15 Minuten später kommt, gar nicht die Präzision hat und das Leben unserer Soldaten gefährdet. Das wollen wir nicht.
Nun zu den kritischen Gegenargumenten:
Viertens. Es wird gesagt, Drohnen seien völkerrechtlich problematisch, und das Grundgesetz lasse solche Waffen nicht zu. Ich will dazu sagen: Drohnen und der Einsatz von Drohnen unterscheiden sich zunächst einmal rechtlich in überhaupt keiner Weise von anderen fliegenden Plattformen oder vergleichbaren Waffensystemen.
– Ich komme auf diesen Punkt. – Ob Sie einen Torpedo aus einem U-Boot abschießen, ob Sie eine Lenkrakete vom Boden abfeuern, ob Sie eine Rakete von einem Flugzeug auf den Boden abfeuern oder ob Sie eine Drohne mit Bewaffnung einsetzen und auslösen, es sind immer die gleichen Regeln, auch die gleichen rechtlichen Regeln.
Das heißt für Deutschland: Grundlage für jeden militärischen Einsatz einer Drohne, insbesondere wenn sie bewaffnet ist, ist immer unser Grundgesetz, das heißt die verfassungsrechtliche Grundlage zum Einsatz von militärischer Gewalt überhaupt, also Art. 87 a und Art. 24 mit Beschluss der Regierung und Parlamentszustimmung.
Ich weiß, dass andere Staaten anders handeln. Ich sage Ihnen aber: Sie können nicht von der Einsatzart und der Einsatzmethode anderer Staaten auf das Einsatzmittel selbst schließen. Für uns gilt unser Recht und unser Grundgesetz, und das würde auch gelten bei dem Einsatz von Drohnen.
Fünftens. Es wird gesagt, mit Drohnen entsteht eine Art Computerkrieg, es entsteht eine emotionale Distanz zum Kampfgeschehen. Das ist durchaus ein gewichtiges Argument, weil es in der Debatte in der Tat schon den einen oder anderen gibt, der sagt: „Wir haben klinisch reine Kriege. Das machen wir mit dem Skalpell, das ist alles sauber.“ Ich teile diese Auffassung nicht. Es gibt keinen sauberen Krieg; es ist immer bitterernst. Insbesondere der Einsatz von Waffen ist keine Operation medizinischer Art. Es ist das Schwerste, was es zu entscheiden gibt, egal welche Waffe eingesetzt wird.
Gemeint ist hier aber, dass dadurch, dass jemand an einem Monitor sitzt, eine neue Qualität entsteht. Meine Damen und Herren, das ist überhaupt nicht der Fall. Auch heute schon wird nahezu bei jeder indirekten Waffe auf einen Monitor geguckt. Der U-Boot-Schütze, der einen Torpedo abschießt, guckt auf einen Monitor. Wer eine Rakete abschießt, eine Cruisemissile, eine Interkontinentalrakete, eine Patriot-Rakete, guckt natürlich auf einen Monitor. Ich sage Ihnen, dass – ich habe das natürlich auch selbst gesehen – der Blick eines Drohnenpiloten auf einen Monitor sogar viel konkreter ist als die Zielerfassung durch einen Cockpitpiloten in einem Flugzeug. Von daher hat jede Distanzwaffe, jede indirekte Waffe eine technische Überbrückungsmöglichkeit für denjenigen, der sie auslöst. In der Ausbildung muss man natürlich durch viele Dinge dafür sorgen, dass keine emotionale Distanz entsteht, aber mit Drohnen hat das nichts zu tun.
Sechstens. Sie haben auch gesagt, die Hemmschwelle von Gewalt würde bei Drohnen herabgesetzt. Das ist auch ein gewichtiges Argument, das ich oft höre. Ich habe das in einem Interview schon einmal gesagt: Egal ob man ein Flugzeug oder eine Drohne hat: Immer entscheidet ein Mensch über den Einsatz dieser Waffen. Immer! – Das ist aber, glaube ich, nicht das Hauptgegenargument. Ihr Argument, hier würde die Hemmschwelle von Gewalt gesenkt, zu Ende gedacht, hieße doch im Umkehrschluss – ich bitte Sie wirklich einmal, das klug zu überlegen -, dass nur der, der das Leben eigener Soldaten besonders intensiv aufs Spiel setzt, sorgsam mit militärischer Gewalt umgeht. Ich sage Ihnen: Das ist zynisch und unerhört. Ich finde dieses Argument unerhört.
Es ist seit jeher die Aufgabe militärischer und politischer Führung, die eigenen Soldaten zu schützen und nicht dadurch in Gefahr zu bringen, dass man sie sozusagen der Tötung durch andere aussetzt.
– Ich respektiere, dass Sie keinen Einsatz wollen, aber zu sagen, dass dadurch, dass wir ein unbewaffnetes Flugzeug gegenüber einem bewaffneten Flugzeug haben, die Hemmschwelle gesenkt würde, heißt umgekehrt, dass Sie lieber das Leben eines Piloten gefährden und auf den Einsatz dieser Waffe verzichten wollen. Das finde ich auch ethisch nicht in Ordnung, und das entspricht auch nicht meiner Fürsorgepflicht gegenüber meinen Soldaten.
Siebtens und letztens. Es wird gesagt – das ist auch ein gewichtiges Argument -, mit Drohnen werde gezielt getötet. Ich sage Ihnen jetzt einmal eines: Jeder Polizist und jeder Soldat lernt in seiner Grundausbildung, gezielt zu treffen. Der Sinn des Zielens ist, dass man das trifft, was man treffen will, und nicht das, was man nicht treffen will. Wir Deutschen wissen, was Flächenbombardements sind. Wer Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung vermeiden will, wer nicht will, dass wir Unbeteiligte gefährden, der muss Waffensysteme entwickeln und einsetzen, die nicht flächig, sondern gezielt wirken. Ich halte das ethisch eher für einen Fortschritt als für einen Nachteil.
Aus dem Punkt, hier werde gezielt getroffen, einen ethischen oder rechtlichen Vorwurf zu machen, halte ich angesichts der Kriege und der Folgen – auch für die Zivilbevölkerung -, die wir erlebt haben, geradezu für ganz falsch.
Ja, wir verlangen von unseren Soldaten, dass sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gezielt wirken und nicht einfach durch die Gegend ballern, und die Drohne wirkt gezielt.
Sie haben gesagt, es gebe Opfer von Drohneneinsätzen.
– Auch unschuldige Opfer von Drohneneinsätzen. – Das ist wahr, aber auch das hat nichts mit dem Einsatz der Drohne zu tun. Es gibt Millionen von unschuldigen Opfern von Kriegen. Dass man vorbeizielen und etwas anderes treffen kann, ist klar, aber das hat nichts damit zu tun, dass wir uns bemühen, in modernen Kriegen gezielt und nicht ungezielt Wirkung zu erzielen und zu treffen. Aus der Vermeidung von Flächenwirkung einen ethischen Vorwurf zu machen, halte ich für absurd.
Meine Damen und Herren, aus Zeitgründen will ich jetzt gar nicht auf eine Übergangslösung oder eine deutsch-französische Lösung eingehen. Ich glaube, das können wir an anderer Stelle und in den Ausschüssen noch einmal diskutieren.
Ich will zusammenfassend sagen: Ich halte den Einsatz von Drohnen unter Einhaltung unserer bestehenden rechtlichen Regelungen für ethisch in Ordnung, und ich halte die Beschaffung von Drohnen auch für die Bundeswehr für sicherheitspolitisch, bündnispolitisch und technologisch sinnvoll.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Rolf Mützenich.
Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass wir in einer Aktuellen Stunde von Ihnen, Herr Minister, hören, dass Sie der Fraktion Die Linke dankbar dafür sind, dass Sie endlich einmal hier im Deutschen Bundestag über dieses Thema reden können. Das fällt auf Sie zurück.
Wir hätten es begrüßt, Sie hätten in den letzten Monaten eine Regierungserklärung angekündigt und auch abgegeben,
anstatt als Antwort auf die Frage 25 in der Kleinen Anfrage die Öffentlichkeit und den Deutschen Bundestag darüber zu informieren, dass Sie bereit sind, der Bundeswehr Kampfdrohnen zur Verfügung zu stellen und letztlich auch ihren Einsatz zu gewährleisten. Ich halte das für eine grundsätzliche Debatte, die mehr als nur eine Aktuelle Stunde im Bundestag erfordert hätte. Es fällt auf Sie zurück, dass Sie im letzten Sommer gesagt haben: „Ich führe diese Debatte“, aber sich dieser Debatte bisher entzogen haben.
Interessant war natürlich auch, dass Sie am Anfang sieben Punkte aufgezählt haben, wovon sich aber vier Punkte auf Drohnen zur Aufklärung bezogen haben. In der Tat muss man natürlich über die Frage der Aufklärung diskutieren. Aber was zurzeit in Deutschland die Öffentlichkeit beschäftigt, ist die Frage: Ist es völkerrechtlich, ist es ethisch, ist es rüstungskontrollpolitisch, ist es sicherheitspolitisch verantwortbar, in dieser Situation und nach den wenigen Jahren der Erfahrung anderer Bündnispartner Kampfdrohnen anzuschaffen, ohne eine sicherheitspolitische und völkerrechtliche Diskussion zu führen? Dieser Diskussion werden Sie sich auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht entziehen können.
Sie haben wissentlich, glaube ich, die kritischen Positionen hierzu in dieser Aktuellen Stunde hier im Deutschen Bundestag nicht aufgegriffen. Dabei geht es insbesondere darum, dass die Rüstungstechnologie der Drohnen mittlerweile so weit entwickelt ist, dass wir leider von einer Verselbstständigung dieses Systems ausgehen müssen, weil die Informationen – das wissen Sie doch sogar besser als wir hier im Deutschen Bundestag – so vielfältig und so immens sind, dass Entwickler und teilweise auch Militärs zu der Überzeugung kommen: Das können einzelne Soldatinnen und Soldaten gar nicht mehr verarbeiten. Bestimmte Bewegungsabläufe deuten darauf hin, dass Maschinen den Soldaten die Empfehlung geben, einzugreifen.
Über diese wirklich grundsätzlichen Erwägungen müssen wir diskutieren und uns fragen, ob dies ethisch überhaupt angemessen ist. Das fragen Sie auch die Kirchen. Ich bin der festen Überzeugung: Die gesamte Bundesregierung muss sich an dieser Frage beteiligen.
Ein anderer Aspekt. Die völkerrechtlichen Fragen sind nicht so einfach zu beantworten, wie Sie das hier getan haben. Es gibt unterschiedliche Auffassungen zum humanitären Völkerrecht, zur Genfer Konvention und auch zu anderen Dingen. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland sagen, vor welcher Konsequenz wir stehen. Die Völkerrechtler kommen zum Beispiel zu der Auffassung, dass die Kommandozentralen, von denen aus möglicherweise Kampfdrohnen eingesetzt werden, in einem Konflikt legitime Ziele sein werden. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, das den Bundesbürgern zu sagen und auf diese Frage eine ehrliche Antwort zu geben. Ich finde, darüber gehen Sie leichtfertig hinweg.
Das, was Sie noch nicht angesprochen haben, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Drohnen können eben nur, selbst wenn sie von einer Person gelenkt werden, Ja oder Nein sagen; sie können nicht abwägen. Insbesondere die Frage der Informationsbeschaffung, die Sie eben ganz bewusst übergangen haben, ist eine schwere ethische, aber letztlich auch sicherheitspolitische Herausforderung.
Ein weiterer Aspekt, von dem ich mir wünsche, dass ihn die Bundesregierung im Zusammenhang mit der internationalen Debatte aufgreifen sollte: Deutschland hat bei Rüstungskontrolle und Abrüstung immer ein Gesicht gehabt und dies in die internationale Diskussion eingebracht. Warum wäre es von Deutschland so abwegig, wenn es so viele Kritikpunkte und so viel Zurückhaltung gibt, mit Partnern darüber zu diskutieren und zu sagen: Wir wollen keine unbemannten Flugobjekte bewaffnen; denn das ist möglicherweise eine Grauzone.
Das wäre doch eine wichtige rüstungskontrollpolitische Debatte, die hier im Deutschen Bundestag von der Bundesregierung geführt werden könnte. Ich finde, diesen Dingen entziehen Sie sich ganz einfach dadurch, dass Sie sagen: Das Ganze ist nur ein Instrument. – Es ist eben nicht nur ein Instrument, sondern es wirft vielfältige Fragen auf, die unterschiedliche Themenbereiche in dieser Bundesregierung betreffen.
Zum Schluss. Ich habe Ihnen am Anfang gesagt, Sie hätten eine Regierungserklärung zu diesem Thema abgeben können. Wissen Sie, wen ich aus dem Bundeskabinett vermisse, der Verantwortung für Sicherheitspolitik, Völkerrecht, Rüstungskontrolle und, wie er selbst behauptet, ethische Fragen hat? Den Außenminister. Er könnte bei der Beantwortung der hier in Rede stehenden Fragen auch fachverantwortlich eine entscheidende Rolle spielen. Ich mache ihm nicht zum Vorwurf, dass er heute nicht da ist, wohl aber, dass er sich in den letzten Monaten dieser Diskussion entzogen hat. Das lassen wir ihm nicht durchgehen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Elke Hoff.
Elke Hoff (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Wortbeiträge, die wir bisher gehört haben – ich gehe davon aus, dass wir nachher aus den Fraktionen durchaus unterschiedliche Wortbeiträge hören werden -, zeigen, wie wichtig es ist, dass wir hier im Plenum darüber diskutieren, und dass wir erst am Anfang dieser Debatte stehen. Ich möchte auf den Anlass verweisen, warum wir heute überhaupt über dieses Thema diskutieren. Die Bundesregierung steht vor den Entscheidung, ob sie die Verträge für die geleasten Systeme, die Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron, die in Afghanistan hervorragende, wichtige Arbeit für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten geleistet haben, verlängern, diese Systeme ersetzen oder kaufen soll und ob diese Drohnen bewaffnet werden sollen oder nicht.
Für mich war es im Vorfeld dieser Debatte wichtig – wir haben uns in der Öffentlichkeit schon an der einen oder anderen Stelle dazu geäußert -, eine klare sicherheitspolitische Begründung des Kaufes und des Einsatzes von bewaffneten unbemannten Flugkörpern zu geben. Warum? Weil die Diskussion aufgrund des Einsatzes solcher Flugkörper durch verbündete Nationen vorbelastet ist. Das sieht man an den teilweise abenteuerlichen Argumenten, die wir seitens der Linksfraktion gehört haben. Sie haben alles vollkommen vermischt. Sie haben alles in einen Topf geworfen – unsere Einsätze und die Einsätze der Amerikaner, insbesondere die der CIA -, umgerührt und dann gefragt, warum die Bundesregierung keine Erklärung dafür abgibt, dass unsere Verbündeten schlimmerweise nicht nur denjenigen, den sie treffen wollten, sondern auch dessen Familie gleich mit umgebracht haben. Das alles ist ein Wust, der in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken muss, dass wir trotz völlig unklarer Bedingungen und ohne befriedigende Erklärung auf dieses Waffensystem setzen.
– Einen Moment, langsam! Ich bin noch nicht fertig.
Vor diesem Hintergrund, Herr Minister, ist es wichtig, zu sagen, was die Bundeswehr mit diesem Waffensystem tun soll und was nicht.
Ich glaube, dass wir an dieser Stelle klare Äußerungen treffen können. Herr Minister, Sie haben deutlich gemacht – ich fand Ihre Rede sehr klar strukturiert -, dass eine Bewaffnung von unbemannten Flugkörpern in erster Linie dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten Rechnung tragen soll. Häufig wird in der Debatte verschwiegen, dass unsere amerikanischen Freunde bereits heutzutage mit unbewaffneten Flugkörpern ihre Soldaten schützen. Es geht also nicht nur um gezieltes Töten im Kampf gegen den Terrorismus. Es gibt sehr viele Situationen – das kann man nachvollziehen -, in denen solche Systeme zum Schutz von Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. Wenn wir das wollen, sollten wir das auch sagen. Das haben Sie heute auch getan, Herr Minister. Ich habe Ihrer Rede keine anderen Szenarien für die Bundeswehr entnehmen können. Sie hätten sicherlich auch andere darlegen können, wenn Sie gewollt hätten.
Kollege Mützenich, natürlich ist es wichtig, die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen festzulegen. Ich habe mich immer dafür ausgesprochen, dass auf internationaler Ebene ein Rahmenwerk für den Einsatz unbemannter Flugkörper in kriegerischen Auseinandersetzungen erarbeitet wird. Warum? Weil es wichtig ist, klare Regeln zur Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu finden. Nur so können wir verhindern, dass wir nolens volens – ich hasse dieses Wort – „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen. Wir müssen ganz klar definieren, welches die Rahmenbedingungen sind, unter denen wir international operieren können. Wenn wir in diese Technologie einsteigen, werden wir als Exportnation mit der Beantwortung entsprechender Fragen konfrontiert sein, spätestens dann, wenn es um den Export von Drohnentechnologie zum Zwecke militärischer Einsätze geht. Wir alle sind gut beraten, sehr sorgsam, sehr verantwortungsvoll und sehr klar mit diesem Thema umzugehen.
Sie, sehr geehrter Herr Minister, haben ein Stichwort geliefert, zu dem die Bundesregierung eine klare Haltung entwickeln muss, die sie dann auch auf europäischer Ebene umsetzen muss. Wenn wir in die Entwicklung dieser Technologie einsteigen, müssen wir natürlich die Regeln in Europa so gestalten, dass wir diese Technologie hier zur Anwendung bringen können. Noch ist der europäische Luftraum in toto für den Einsatz von unbemannten Flugkörpern gesperrt. Europa ist, glaube ich, gut beraten, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu klären, bevor man in diese Technologie einsteigt; ansonsten sprechen wir uns zwar für eine Technologie aus, können sie aber in Europa im Prinzip nicht zur Anwendung bringen. Ich denke auch an die zivile Nutzung, beispielsweise die Überwachung kritischer Infrastruktur wie Pipelines, die Aufdeckung von Umweltschäden usw. usf.
Wir haben in diesem Bereich also noch eine Menge zu tun. Ich möchte deshalb an dieser Stelle festhalten: Wir möchten gerne eine umfassende, klare, sicherheitspolitische Begründung haben. Dann kann man auch den Weg für die Entwicklung einer notwendigen Technologie freimachen, der sich – da sind wir alle einer Meinung – Deutschland nicht verschließen kann.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Agnes Brugger das Wort.
Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist entschlossen: Sie will so bald wie möglich waffenfähige Drohnen für die Bundeswehr. Für den Verteidigungsminister scheint es zwingend zu sein, bei jeder militärtechnologischen Entwicklung mithalten zu müssen, um bloß nicht den Anschluss zu verpassen.
Aber es ist keine Zwangsläufigkeit, dass Deutschland bei der Entwicklung und beim Einsatz von jedem neuen Waffensystem dabei sein muss.
Herr Minister, Sie wollten hier den Eindruck erwecken, Sie arbeiteten abgeklärt und präzise die ganzen Argumente derjenigen ab, die große Vorbehalte haben, was Drohnen angeht. Ich finde, Sie haben ein ganz entscheidendes Argument offensichtlich nicht verstanden, nämlich dass der Einsatz bewaffneter Drohnen massive Auswirkungen auf die Kriegsführung hat. Die Hemmschwelle zur Anwendung militärischer Gewalt kann dadurch drastisch sinken, und die berechtigte Zurückhaltung bei den politischen Entscheidungen über Militäreinsätze wird beeinträchtigt. Davor können Sie nicht einfach die Augen verschließen, auch wenn Sie selbst beteuern, dieser Dynamik der Gewalt widerstehen zu wollen; denn politisches und militärisches Handeln wird nicht nur von Absichten und Interessen, sondern auch von den zur Verfügung stehenden Fähigkeiten bestimmt. Daher ist immer größte Skepsis geboten, wenn es um Aufrüstung geht, und – ja – auch und gerade Skepsis gegenüber sich selbst.
Wie schnell so ein Meinungsumschwung vonstatten geht, sieht man sehr gut in den USA. Als Israel im Jahr 2000 während der zweiten Intifada zum ersten Mal durch den Einsatz bewaffneter Drohnen Personen gezielt tötete, hat das die damalige US-Regierung als illegitim verurteilt. Heute dagegen sind gezielte Tötungen durch Drohnenangriffe das Mittel der Wahl für den Friedensnobelpreisträger Obama – im Antiterrorkampf in Pakistan, im Jemen und in Somalia. Die Zahl dieser völkerrechtswidrigen Angriffe, die auch viele zivile Opfer fordern, ist während seiner Präsidentschaft massiv nach oben geschnellt.
Schnell ist so die kritische Haltung der amerikanischen Politik und der amerikanischen Gesellschaft verraucht. Sehr schnell ist man der Versuchung erlegen, seine Gegner lieber bequem, einfach und anonym auszuschalten – Völkerrecht hin oder her.
Die entscheidende Frage lautet doch: Wofür braucht denn die Bundeswehr, die bereits über Aufklärungsdrohnen verfügt, angeblich so dringend bewaffnete Systeme?
In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage liefert Schwarz-Gelb darauf eine haarsträubende Antwort. „Zur Abschreckung“, heißt es da ganz allgemein und offiziell. Diese Begründung aus der rhetorischen Mottenkiste des Kalten Krieges ist doch wirklich abstrus.
– Das erkläre ich Ihnen gerne. – In Wirklichkeit schrecken Drohnenangriffe nicht ab, sondern tragen im Gegenteil massiv zur Eskalation und Radikalisierung in Konflikten bei.
Es gibt Studien renommierter Universitäten, die zeigen, dass durch die von den USA in Afghanistan und Pakistan durchgeführten Drohnenangriffe der Extremismus befeuert und die Rekrutierung neuer Kämpfer stark befördert wird.
– Dann lesen Sie einmal die Studien!
Ein weiterer Grund, der für die Beschaffung bewaffneter Drohnen aufgeführt wird, ist der Schutz der Bundeswehrangehörigen durch Luft-Boden-Unterstützung. Ich möchte, Herr Minister, an dieser Stelle eines klarstellen: Als Abgeordnete haben wir eine besondere Verantwortung für den größtmöglichen Schutz der Soldatinnen und Soldaten, die wir als Parlament in den Einsatz schicken.
Ich finde es unredlich, dass Sie uns das in Abrede stellen.
Ich bin aber überhaupt nicht davon überzeugt, dass die Beschaffung bewaffneter Drohnen diesem Zweck dient.
Auf unsere Frage, wie oft deutsche Truppen im Auslandseinsatz Unterstützung durch bewaffnete Drohnen von Verbündeten erhielten, nannte die Bundesregierung genau zwei Fälle in Afghanistan. In beiden Fällen wäre auch der Einsatz der bemannten Luftunterstützung möglich gewesen. Da waren auch keine Leben von deutschen Soldaten gefährdet. Bevor die Koalition Gelder für teure militärische Fähigkeiten freigibt, sollten, nein, müssen Sie zuerst die Frage beantworten, an welchen Einsätzen sich die Bundeswehr in Zukunft beteiligen soll. Darauf hat und gibt diese Bundesregierung keine Antwort.
Dabei ist es mit Blick auf die gravierenden und uns allen bekannten Auswirkungen auf die Kriegsführung umso wichtiger, eine grundlegende gesellschaftliche und friedenspolitische Debatte über den Einsatz dieser automatischen Waffensysteme zu führen, und zwar vor und nicht nach der Entscheidung über die Beschaffung bewaffneter Drohnen.
Genau diese Debatte haben wir Grüne in einem eigenen Antrag eingefordert. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben das abgelehnt, und das unter höchst widersprüchlichen Aussagen und ohne eine wirkliche Begründung.
Heute in der Afghanistan-Debatte habe ich aufgehorcht, als Abgeordnete der CDU/CSU, genauso wie Frau Hoff gerade, dann doch wieder eine Diskussion in Bezug auf die Drohnen gefordert haben. Meine Damen und Herren der Koalition, ich nehme Sie jetzt einmal beim Wort.
Wenn Sie das ernst meinen, dann dürfen Sie jetzt die Beschaffung eines zu Recht hochumstrittenen Waffensystems, das zahlreiche ethische, völkerrechtliche und rüstungskontrollpolitische Fragen aufwirft, nicht einfach abnicken. Dann müssen Sie auch vom Kurs dieser schwarz-gelben Regierung Abstand nehmen, die sich offensichtlich schon entschieden hat; denn sie blendet die Risiken und Gefahren dieses neuen Waffensystems aus und hechelt dieser technologischen Entwicklung kopflos hinterher.
Diese verantwortungslose Politik machen jedenfalls wir Grüne nicht mit und erteilen daher Ihren Plänen, waffenfähige Drohnen zu beschaffen, eine klare Absage.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt hat das Wort der Kollege Bernd Siebert von der CDU/CSU-Fraktion.
Bernd Siebert (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einmal mehr wollen die Linken sinnvollen technologischen Fortschritt ausbremsen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Versuche zum Scheitern verurteilt sind. Es werden unnötig Ängste geschürt, und losgelöst von Fakten wird Stimmung gemacht. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Gegenteil von verantwortungsvoller Politik.
Ich plädiere für einen anderen Weg: Lassen Sie uns die Rahmenbedingungen mitgestalten, die zum Einsatz von bewaffneten Drohnen dazugehören! Lassen Sie uns Deutungshoheit über dieses wichtige Thema gewinnen! Denn nur wer sich konstruktiv beteiligt, nimmt Einfluss auf die Entwicklung. Deswegen ist der Ansatz der Kritiker, laut „Nein!“ zu rufen und den Kopf in den Sand zu stecken, nichts anderes als kontraproduktiv.
Es muss darüber diskutiert werden, welche Rahmenbedingungen wir uns selbst bei dieser Technologie auferlegen. Daher bin ich Verteidigungsminister de Maizière auch außerordentlich dankbar, dass er heute hier das Wort ergriffen und diese Position am Anfang dieser Diskussion deutlich gemacht hat.
Im Namen meiner Fraktion lade ich Sie alle dazu ein, diese Diskussion gemeinsam zu führen. Ich bin mir sicher: Dann finden wir auch eine Lösung.
Am 30. Juli 2012 hat unser Kollege Rainer Arnold erklärt – ich darf zitieren -:
Das ist ein Waffensystem, dem die Zukunft gehört… Auf längere Sicht wird an der Anschaffung von bewaffneten Drohnen kein Weg vorbeigehen.
Recht hat er.
Bevor wir allerdings über die Zukunft sprechen, lohnt ein Blick auf die Gegenwart. Dabei offenbart sich Erstaunliches; denn weder das Thema Drohnen ist neu, noch ist das Nachdenken über die Bewaffnungsoptionen neu. Drohnen sind seit vielen Jahren in der Bundeswehr eingeführt, kleine und inzwischen auch große; es gibt sie übrigens auch bei der Polizei.
Auch eine mögliche Bewaffnung hat Verteidigungsminister de Maizière bereits vor Monaten angesprochen. Schon zu Zeiten der Großen Koalition haben wir über diese Fragen diskutiert. Die neuerliche Empörungswelle, die Sie jetzt anstoßen wollen, ist daher arg konstruiert und hängt sicherlich mit einem Datum im Laufe dieses Jahres zusammen.
Derzeit wird die israelische Aufklärungsdrohne Heron 1 durch die Bundeswehr eingesetzt.
Sie leistet in Afghanistan wertvolle Dienste und wird dies auch bis zum Abschluss der ISAF-Mission Ende 2014 tun. Dennoch müssen wir über die Zeit nach 2014 nachdenken. Genau das wird getan, und zwar nicht erst seit gestern. Aus beobachtbaren Trends werden Schlussfolgerungen gezogen. Eine davon ist, dass die unbemannte Luftfahrt eine immer größere Rolle spielt und die Bundeswehr als moderne Armee diesen Trend nicht verschlafen sollte.
Der technologische Fortschritt in diesem Sektor ist in der Tat enorm. Es wäre also geradezu widersinnig und auch unwirtschaftlich, bei der Entwicklung oder Beschaffung eines Nachfolgemodells für Heron 1 technische Möglichkeiten bewusst auszuklammern. Wenn wir jetzt ein System entwickeln oder beschaffen, das nicht bewaffnet ist, zu einem späteren Zeitpunkt diese Fähigkeit jedoch benötigt wird, dann wird dies – das ist heute schon klar – deutlich teurer, als wenn wir frühzeitig über diese Option nachdenken.
Die Bewaffnungsoption – das Wort drückt es bereits aus – sagt auch nichts darüber aus, ob und, wenn ja, wie diese Waffen eingesetzt werden. Hier unterscheiden sich Drohnen im Übrigen nicht von anderen Waffensystemen. Ob und, wenn ja, wann eine Waffe eingesetzt wird, diese Entscheidung trifft ausschließlich ein Mensch – nicht irgendein Computer -, und dieser Mensch trägt die Verantwortung für seine Entscheidung. So ist es in allen Armeen der Welt üblich. Bewaffnete Drohnen ändern daran überhaupt nichts.
Das Argument, dass Drohnen militärische Gewalt erleichtern würden, ist ebenfalls falsch. Eine Entscheidung, die ohne eigene Gefährdung getroffen wird, ist objektiver und durchdachter als eine Entscheidung unter persönlicher Bedrohung. Das ist gerade der Vorteil des unbemannten Flugzeugs.
Der Pilot kann ohne diesen Stress eine objektive Entscheidung anhand von Aufklärungsergebnissen treffen. Im Prinzip müssten also gerade die Kritiker die größten Befürworter bewaffneter Drohnen sein; denn unter Stress passieren die meisten Fehler. Wer bedroht wird, schießt auch schneller. Und ist es nicht auch vernünftiger und verantwortungsvoller, eine Maschine statt eines Menschen in eine gefährliche Situation zu bringen? Die Sicherheit unserer Piloten muss bei dieser Debatte jedenfalls für uns auch einen wichtigen Stellenwert haben.
Ich komme zum Ende; meine letzte Bemerkung. In Abwägung aller Argumente unterstütze ich deshalb die Überlegungen des Verteidigungsministeriums.
Langfristig ist die unbemannte Luftfahrt ein Zukunftsthema, an dem kein Weg vorbeiführt. Deutschland als Hochtechnologieland ist deshalb gut beraten, an vorderster Stelle präsent zu sein.
Dies lässt sich nur über selbstentwickelte Kompetenzen im europäischen Verbund erreichen. Deshalb ist mein dringendes Petitum, dass eine wie auch immer geartete Nachfolgelösung für Heron 1 eine europäische Eigenentwicklung weder verhindern noch verzögern darf.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Rainer Arnold.
Rainer Arnold (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer nett, wenn man zitiert wird, Kollege Siebert, aber es gehört noch ein zweiter Teil zu dem Zitat. Ich habe nämlich dazugesagt: Es sind eine Reihe wichtiger Fragen zu diskutieren und zu klären. – Damit das noch einmal festgehalten wird: Die Bundesregierung hat von sich aus überhaupt nichts zur Klärung dieser Fragen beigetragen, sondern das geschah aufgrund der Anträge des Parlaments.
Meine Fraktion hat schon vor längerer Zeit eine Große Anfrage gestellt. Sobald die Antwort vorliegt, wird es eine breite Gelegenheit geben, zu diskutieren.
Heute Morgen hat Ihr Kollege Schockenhoff mit einem völlig falschen Argument die Beschaffung von Kampfdrohnen gefordert, nämlich mit Bezug auf Afghanistan. Das ist falsch. In Afghanistan wird der Kampfauftrag nämlich auf Sicht enden. Um es klar zu sagen: Die Bundeswehr hat keine aktuelle Fähigkeitslücke. Deshalb fragen wir uns schon: Warum diese Eile? Warum sollen noch vor der Bundestagswahl Fakten geschaffen werden? Haben da irgendwelche Leute Sorgen, dass eine neue Regierung vielleicht sorgfältiger an dieses Thema herangeht?
Da kann ich Ihnen nur sagen: Diese Befürchtung, falls sie da ist, ist begründet. Je schneller Sie beschaffen wollen, desto genauer werden wir hinschauen müssen.
Lassen Sie mich nun zu den Fragen kommen, die offen sind, Herr Minister. Es war kein guter Aufschlag, zu sagen: Waffen sind per se neutral.
Man kann über bewaffnete Drohnen nicht diskutieren, ohne den Hintergrund der derzeitigen Einsatzrealität einzublenden. Es ist nicht wahr, dass Drohnen in Afghanistan zum Schutz der Soldaten eingesetzt werden. Es ist einfach Fakt, dass bewaffnete Drohnen derzeit, ob von Israel oder von den Vereinigten Staaten, zum gezielten Töten eingesetzt werden.
Natürlich ist es auch richtig, dass das völkerrechtswidrig ist. Das muss man auch sagen.
Genauso ist es richtig, dass ein deutscher Kommandeur, sollte er so einen Befehl geben, strafrechtlich belangt würde und dass jeder deutsche Soldat so einen Befehl nicht nur verweigern dürfte, sondern verweigern müsste.
Dies muss geklärt und gesagt sein.
Das Zweite ist – da greife ich auf, dass von der Kollegin Hoff gesagt wurde, es müsse erst operativ Klarheit geschaffen werden -: Sie tun so, als ob eine Drohne einfach ein Flieger ohne Pilot wäre. Aber natürlich verändert sich durch den Einsatz von Drohnen etwas. Es liegt bis zum heutigen Tag keine Konzeption der Luftwaffe vor, in welchen Szenarien Drohnen notwendig sind und mit welchen operativen Fähigkeiten sie eingesetzt werden sollen.
Dabei ist zu bedenken. Es ist doch so, dass gerade in asymmetrischen Szenarien die Verhaftung von Aufständischen und Terroristen Vorrang vor dem Töten hat. Besteht dann nicht ein Risiko, dass dieser Vorrang ein Stück weit verschoben wird, wenn bewaffnete Drohnen zur Verfügung stehen? Ist das nicht latent, auch so wie Sie heute diese Frage diskutiert haben? Darüber müssen wir doch reden. Wir wollen dies nicht, und deshalb muss man diese Szenarien präzisieren.
Dritter Punkt. Warum reflektiert diese Koalition überhaupt nicht, dass Drohnen so billig sind? Das ist nicht schön. Dass Drohnen so billig sind, ist ein Problem; das kann, wenn wir uns nicht um Rüstungskontrolle in diesem Bereich kümmern, dazu führen, dass es zu einer massenhaften Verbreitung von Drohnen in der ganzen Welt kommt. Das macht unser Leben nicht sicherer, sondern gefährlicher. Darum müssen wir etwas tun, und das muss man mit diskutieren.
Vierter Punkt: Thema Einsatzschwelle. Natürlich hat es der Deutsche Bundestag in der Hand; aber dass es eine ernste Diskussion ist, dass sich Einsatzschwellen verändern, sehen wir ganz aktuell am Beispiel von Mali. Die Vereinigten Staaten wollen keine Soldaten dorthin schicken. Aber was schicken Sie in die Region? Kampfdrohnen. Da verändert sich also etwas. Amerika ist nicht irgendjemand; das ist unser Bündnispartner. Insofern sind hier doch Fragen zu klären.
Der letzte Punkt ist Ihr Versuch, Herr Minister, Drohnen zu verniedlichen, indem Sie sagten, sie seien wie Flugzeuge.
– Sie tun es gerade auch, Herr Kollege; finde ich eigentlich schade. Man darf doch nicht außer Acht lassen, dass diese Technik zunehmend eine Informationsfülle liefert, die aufzunehmen und zu verarbeiten Menschen gar nicht mehr in der Lage sind.
Dies heißt, dass zuvor Rechenoperationen durchgeführt werden, bei denen Computer entscheiden und selektieren, und der Mensch am Ende dasitzt.
Ganz am Ende dieser technischen Entwicklung werden völlig autonome Systeme stehen, die nur noch programmiert werden. Wollen wir das bei den Debatten ausblenden? Um es klar zu sagen: Zu dieser Debatte gehört eine klare völkerrechtliche Ächtung von automatisierten Systemen. Aus diesem Grund müssen wir diese Diskussion führen.
Wenn wir all diese Diskussionen geführt haben, dürfen und müssen wir am Ende auch über Industriepolitik reden, ja.
Ich glaube schon, dass unbemannte Flugzeuge – zivil und militärisch – in der Zukunft eine bestimmte Bedeutung haben werden und ihre Bedeutung steigen wird. Deshalb haben wir ein industriepolitisches Interesse, und deshalb, Herr Minister, wäre es richtig, auch wenn es schwierig ist, geduldig und ohne Eile mit unseren europäischen Partnern zu verhandeln. Dabei muss man respektieren, dass in Frankreich erst ein Weißbuch, eine Reform der Streitkräfte diskutiert werden wird. Am Ende dieser Diskussion wird es vielleicht dazu kommen, dass Europa sich gemeinsam diesem Thema zuwendet, nicht nur in der Entwicklung, sondern vielleicht auch im Sinne der vertieften europäischen Zusammenarbeit, auch im Betrieb.
Solange dies nicht geschehen ist, Herr Minister, wäre es falsch, schnell einmal ein amerikanisches System zu kaufen, das möglicherweise auch die Vision der europäischen Sicherheitspolitik ein Stück weit in die falsche Richtung vorprägt. Nehmen Sie sich deshalb in diesem Bereich die entsprechende Zeit!
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Rainer Arnold (SPD):
Ich bin gleich fertig. – Damit wollte ich sagen: Wenn Sie die Einwände nicht wegwischen, sondern der Dialog, der heute begonnen hat, weitergeht, dann kann am Ende eine verantwortungsvolle Entscheidung stehen, die vielleicht eine breite parlamentarische Zustimmung findet. Das geht aber nicht innerhalb weniger Wochen, sondern diese Anstrengung verdient wirklich Sorgfalt vor Eile.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Christoph Schnurr das Wort.
Christoph Schnurr (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine doch recht neue militärische Fähigkeit. Die Kollegin Brugger hat am Anfang ihrer Rede einige offene Fragen angesprochen, die wir uns, glaube ich, alle stellen. Dabei ging es um wichtige Aspekte. Aber dann sagte sie, sie habe das Gefühl, dass CDU/CSU und FDP hier ausschließlich das abnicken wollen, was die Regierung vorhat. Das weise ich mit Entschiedenheit zurück. Denn wir stehen am Anfang der Debatte, von mir aus auch in der Mitte, aber ganz sicher nicht an ihrem Ende.
Herr Arnold, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Koalitionsfraktionen momentan keine sorgfältige Debatte führten. Wir treffen aber doch heute überhaupt keine Entscheidung. Dass es heute diesen Tagesordnungspunkt gibt, ist den Linken zu verdanken. Wir befinden uns jedenfalls in der Debatte, und das ist doch mehr als begrüßenswert.
Zunächst einmal müssen wir insgesamt festhalten, dass die Bundeswehr bereits über Drohnen verfügt, die auch in den Auslandseinsätzen zum Einsatz kommen. Es ist bereits angesprochen worden: Heron 1 wird in Afghanistan eingesetzt und verfügt über keinerlei Bewaffnung, sondern dient vielmehr als reines Aufklärungsmittel. Genauso werden KZO und LUNA in Afghanistan und auch im Kosovo als reine Aufklärungsmittel eingesetzt.
Wie Sie alle wissen, ist Heron 1 geleast; der Vertrag läuft demnächst aus. Es geht also um die Neubeschaffung einer Drohne und um die Frage, ob diese bewaffnet sein wird. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz unbewaffneter Drohnen haben gezeigt, dass die Nutzung dieser militärischen Fähigkeit unter anderem in Afghanistan einen erheblichen Mehrwert für die Truppe darstellt,
angefangen bei den Echtzeitübertragungen, die damit möglich sind. Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang alle einer Meinung sind und den Mehrwert der bisher vorhandenen Drohnen für die Truppe nicht wirklich als streitig ansehen können.
Doch wie verhält es sich mit dem Einsatz derselben Technologie, mit Drohnen, wenn sie bewaffnet sind? Es gibt eine Reihe von offenen Fragen und Sorgen. Eine dieser Sorgen ist – sie wurde angesprochen -, dass mit dieser neuen Waffentechnologie die Hemmschwelle für einen Einsatz gesenkt wird, sprich die Hemmschwelle für einen Krieg gesenkt wird. Diese Sorge müssen wir ernst nehmen; darüber müssen wir ganz offen debattieren und diskutieren. Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass die Hemmschwelle für einen Einsatz durch bewaffnete Drohnen nicht gesenkt wird. Denn über die Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen, über die Auslandseinsätze entscheiden immer noch wir hier im Deutschen Bundestag.
Es liegt also an uns allen: Es liegt in unserer Verantwortung, dass die Hemmschwelle für einen Einsatz, für eine militärische Auseinandersetzung, möglichst hoch bleibt, auch wenn wir über die militärische Fähigkeit bewaffneter Drohnen verfügen sollten.
Eine weitere Sorge ist, dass bewaffnete Drohnen für gezielte Tötungen eingesetzt werden könnten. Hier ist eine Parallele zu den USA gezogen worden. Auch das halte ich für abwegig. Gezielte Tötungen gehören nicht zu unserer Rechtsordnung. Wir müssen diese Diskussion zwar aufnehmen, aber eines steht doch fest: Wir haben bereits militärische Fähigkeiten für gezielte Tötungen, setzten diese aber nicht ein, weil wir gezielte Tötungen für grundsätzlich falsch halten.
Herr Arnold, Sie haben davon gesprochen, dass die USA die entsprechenden Systeme zum großen Teil für gezielte Tötungen verwenden und sie nicht zwangsläufig für den Schutz der eigenen Truppe eingesetzt werden, beispielsweise in Afghanistan. Das ist nicht richtig; das ist nicht korrekt.
Die unbemannten Drohnen, ob mit oder ohne Bewaffnung, dienen im Wesentlichen dem Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten, auch bei den amerikanischen Verbündeten. Insofern stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob wir uns dieser Technologie wirklich verwehren.
Ich glaube, dass eine Reihe von Fragen nach wie vor offen ist. Natürlich müssen wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, bevor wir diese Technologie anschaffen. Der Minister hat eine breite öffentliche Diskussion hierüber eingefordert. Ja, wir brauchen eine solche Diskussion über bewaffnete Drohnen, und diese sollte ergebnisoffen, sachlich und konstruktiv geführt werden. Zu dieser Diskussion gehört es meiner Meinung nach auch, dass die Bundesregierung uns Parlamentarier und die Öffentlichkeit über ihre Vorstellungen von möglichen Einsatzszenarien informiert und dass sie uns eine sicherheitspolitische Begründung für die Notwendigkeit einer solchen Beschaffung klar darlegt, nicht zuletzt aus dem Grund, dass die Systeme nicht besonders günstig sind. Im Zusammenhang mit den Sparzwängen müssen wir auch hier über die Finanzierbarkeit sprechen.
Meine Damen und Herren, es gibt offene Fragen. Die Diskussion muss geführt werden. Die technologischen, finanziellen, sicherheitspolitischen und ethischen, aber natürlich auch die rechtlichen Aspekte müssen wir offen diskutieren. Wir befinden uns mitten in dieser Diskussion und nicht am Ende. Ich glaube, dass die Diskussion noch ein bisschen Zeit braucht. Nehmen wir uns diese!
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Inge Höger das Wort.
Inge Höger (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bewaffnete Drohnen werden gebaut, um Menschen zu töten. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Diese schrecklichen Mordwaffen will nun auch die Bundesregierung anschaffen. Das lehnt die Linke entschieden ab.
Bei angeblichen Antiterroreinsätzen in Afghanistan und Pakistan, im Jemen, in Somalia und in den Palästinensergebieten führen Israel und die USA immer wieder „gezielte Tötungen“ gegen vermeintliche Terroristen durch. Gezielte Tötungen sind völkerrechtswidrig. Das wurde hier von verschiedenen Rednern bestätigt. Bei diesen Aktionen kommen regelmäßig Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben. Ganze Hochzeitsgesellschaften wurden schon durch diese unbemannten Flugzeuge angegriffen und viele Menschen getötet. Später heißt es dann lakonisch, das seien Kollateralschäden.
Herr de Maizière, Sie haben sich gerade für gezielte Tötungen ausgesprochen. Das finde ich zynisch.
– Er hat angesprochen, dass er das für sinnvoll hält.
Daran, dass nach Angaben der britischen Initiative „Bureau of Investigative Journalism“ allein in Pakistan zwischen 475 und 890 Zivilistinnen und Zivilisten durch US-Drohnen getötet wurden,
sieht man genau, was das Ergebnis dieser Kriegführung ist in einem Land, das nicht am Krieg beteiligt ist. Nun plant die Bundesregierung die Anschaffung solcher Killerwaffen. Das wird die Linke nicht akzeptieren.
Die Regierung behauptet, der Einsatz von Kampfdrohnen würde die Kriegführung optimieren. Es würde eine neue Dimension der militärischen Auseinandersetzung geschaffen. Davor kann jeder vernünftige Mensch nur warnen.
Herr de Maizière, Sie behaupten, Kampfdrohnen seien ethisch neutral oder sogar ethisch von Vorteil, weil kein Soldat drin sitzt, der beim Einsatz umkommen könnte.
Das ist skandalös.
Die Zeit titelte kürzlich:
Der Präsident hakt das Ziel ab, der Pilot am Bildschirm drückt auf den Knopf. Nun will auch die Bundeswehr Kampfdrohnen einsetzen.
Hier wird die Illusion von einem sauberen Krieg geschaffen, bei dem die Soldatin oder der Soldat zu Hause vom Home Office aus mal eben ein paar Ziele bombardiert.
Zwischendurch wird vielleicht ein Computerspiel gespielt oder das Baby gewickelt.
Zynischer geht es kaum, ganz genau. Krieg ist immer schmutzig. Hinter den Angriffszielen befinden sich immer auch Menschen, die getötet werden können.
In einer Studie der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung heißt es: Der Drohneneinsatz
provoziert … asymmetrische Reaktionen… Je stärker sich aber die Soldaten der überlegenen Seite dem Schlachtfeld entziehen und Maschinen ihren Platz einnehmen lassen, umso mehr wächst für die unterlegene Seite der Anreiz, den Konflikt in das Herkunftsland der Truppen zu tragen. Terrorexperten sehen deshalb die Gefahr, dass die Anzahl der Angriffe auf zivile Ziele in westlichen Staaten steigen wird, je mehr die Automatisierung des Krieges voranschreitet.
Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat das gesagt.
Die Drohnenpläne der Bundesregierung erhöhen also die Terrorgefahr bei uns in Deutschland. Das ist unverantwortlich.
Die Linke und die Friedensbewegung fürchten, dass die Hemmschwelle für den Einsatz militärischer Gewalt sinken wird,
wenn dabei keine eigenen Soldatinnen und Soldaten getötet werden können. Ich sage: Das beste Mittel gegen tote Soldatinnen und Soldaten ist, gar nicht erst Krieg zu führen.
Aus den USA sind inzwischen die ersten Fälle von Soldatinnen und Soldaten bekannt, die an ihrem Computerabschussplatz für scharfe Waffen an Posttraumatischer Belastungsstörung erkrankten. Offenbar ist das, was sie per Mausklick am anderen Ende der Welt anrichten, doch nicht so ethisch unbedenklich, wie hier behauptet wird.
Die Linke fordert deshalb: Kein Einsatz und keine Beschaffung von Drohnen! Wir wollen einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der Drohnen umfassend ächtet, der die Produktion, den Erwerb und den Einsatz von Drohnen wirksam verbietet.
Nein zu Kampfdrohnen! Kein Krieg, nirgendwo!
Diese ganze sch*** Diskussion ist sowas von schräg, da dreht man doch ab, wenn man ernsthaft drauf eingeht. Da kann ich echt fast nicht mehr an mir halten…
Man kann es wirklich tausendfach durchkauen, es gibt moralisch gesehen überhaupt keine weitere Fragestellung, nichtmal im Ansatz. Alles andere bezieht sich auf fundamentale Fragen zum Kriege, die momentan aber eh obsolet sind.
Der Nutzen dieser Systeme muss nach so vielen Jahren der Feldvorführung nicht mehr geklärt werden. Da man es aber aus 1. monetären und 2. Gründen der Unsicherheit über künftige Entwicklungen in der Welt vorzieht, nicht gleich eine eigene Industrie aufzuziehen, ist der Ansatz, fertige Drohnen zu kaufen, genau richtig. (Wenn man sie denn haben will.)
@KaLaBe:
Danke für die zusätzlichen Fragen!
1) Also im Moment wird Deutschland wegen der (möglichen) Beschaffung von bewaffneten Drohnen eigentlich nur durch Opositionspolitiker mit der CIA Taktik in Verbindung gebracht. Ich glaube nicht dass man da Gefahr läuft ebenfalls in pauschal Verdacht zu kommen. Zumindest kann ich mir ein solches zukünftiges Szenario nur sehr schwer vorstellen.
2) Der Sicherheitsaspekt ist sehr interessant, aber ich auch hier glaub ich nicht dass es um den Besitz sondern um die Anwendung der Waffe geht (wie bei den meisten Waffensystemen – mit Ausnahmen natürlich). Sollte Deutschland bewaffnete Drohnen kaufen und/oder entwickeln, dann kann man davon ausgehen dass auch dann diese nicht freizügiger eingesetzt werden als vergleichbare Mittel sonst.
Hier schließt sich allerdings die Frage an – und ich glaube sie wurde schon erwähnt – dass die weitere Automatisierung natürlich ein Problem darstellen kann. Und ich würde das auch nicht als Hirngespinste à la Skynet oder Cylons (für die richtigen Geeks) abtun. Gerade wenn solche Waffen auch gegen technisch entwickelte Gegner eingesetzt werden sollen, brauch man Automatisierung da zum Einen der Link nicht schnell genug ist und zum anderen nicht stabil genug ist bzw. unterbrochen werden kann. Im Moment folgen die meisten Drohnen meines Wissens vorprogrammierten Wegpunkten denen sie folgen falls der Link unterbrochen wird. In einem Konfliktszenario würde man aber die Drohne wohl auch vor Abschuss schützen wollen und da wirds dann kritisch. Das ist zwar noch etwas weit gedacht kann aber schneller kommen als man denkt.
Politik und Medien leben in diesem Lande eben in einem Paralleluniversum und bestärken sich gegenseitig darin.
Wenn sich dies nur bei einem (in Deutschland) Nieschenthema wie der Verteidigungspolitik gelten würde, würde ich ja nichts sagen, aber leider scheint das überall so zu sein.
@ tt.kreischwurst
Ich stimme Ihren beiden Antworten grundsätzlich zu. Deutschland wird, da gibt es keinen Zweifel, verantwortungsbewusst und immer im Rahmen des erteilten Mandats mit Drohnen umgehen. Allerdings ist es nicht maßgeblich, wovon wir beide überzeugt sind. Vielmehr fragt es sich, was andere glauben und wie sie es im Sinne ihrer ideologischen Ausrichtung medial (auf ihre eigenen Anhänger und/oder auf unsere Öffentlichkeit gerichtet) ausschlachten. Sicherheitspolitik und Kriegführung ist eben auch Psychologie – heute noch viel mehr als früher.
@ tt.kreischwurst
Stimme Ihren Folgerungen zu, UAS haben ihren „sweet spot“ defenitiv in asymetrischen Szenarien. Deshalb planen die Nationen die viel Erfahrung im UAS Betrieb haben und auch weiter gegen symetrische Gegner siegen wollen auch wieder vermehrt mit bemannten Platformen – siehe Israel und USA, hier besonders PACOM.
@ KaLeBe
Niemand fragt danach, ob es auch wirklich klug ist, das technologisch Machbare und rechtlich Erlaubte ohne umfassende Bewertung der Konsequenzen voll auszuschöpfen.
Weil das ins strategisch-taktische Vorgehen in asymmetrischen Konflikten reingeht. Das ist zum einen sehr lageabhängig, und damit nur bedingt für eher allgemeine Forendiskussionen geeignet. Und zum anderen sind asymmetrische Konflikte in Deutschland (und auch gerade in der Bundeswehr) immer noch ein Nischenthema – da fehlt es dann an Wissen um einen wertvollen Beitrag zu schreiben.
Selbst hier in den Kommentaren von Augengeradeaus ist man ja kaum in der Lage, anzuerkennen, dass einerseits Gefechsunterstützung und andererseits Meuchelmorde („assasinations“, „politisch motivierte Tötungen wehrloser Ziele aus dem Hinterhalt“) zwei paar paar Schuhe sind, in der Praxis asymmetrischer Konflikten aber auch eine große Grauzone dazwischen liegt.
Solange über diese Basics nichtmal Einigkeit herrscht, braucht man sich gar nicht darüber streiten, dass die Entscheidung Kombatant/Zivilist anhand von zehn Pixel großen Figürchen nicht zuverlässig möglich ist, und der strategische Rückschlag von False Positives oder von mitgetöteten Zivilisten den einen Kill mehr meist nicht wert ist.
@J.R.
„Und zum anderen sind asymmetrische Konflikte in Deutschland (und auch gerade in der Bundeswehr) immer noch ein Nischenthema – da fehlt es dann an Wissen um einen wertvollen Beitrag zu schreiben.“
Ich würde nicht ausschließen, das der eine oder andere hier praktische Erfahrung zu diesem Thema hat.
@Stefan H.
Warum sollte die Trennung von Aufklärung und Wirkung in zwei unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Durchhaltefähigkeit und Einsatzgrundsätzen unschlagbar sein?
1. Weil sie so flexiebler sind!
2. Munition muss nachgeführt werden!
3. Ein CAS UAV hat ein anderes optimales Flugprofil als ein Waffen RPA.
4. Wir die zukünftigen Konflikte nicht kennen
„Dann könnte man auch den Waffentragenden Flieger zum reinen Zielbeleuchter machen und den Effektor per Boden Boden Rakete ausliefern.“
Auch das wäre möglich und in bestimmten seltenen Einsatzzenarien das Richtige, nur zielgenaue Boden Boden Flugkörper sind teuer und länger unterwegs. Gerade deshalb verwendet man Bomben.
„Ob es das besser macht?“
nee, evtl Günstiger
„Vielleicht muss man zur Versachlichung aber auch die hohe Komplexität der einzelnen Teilfähigkeiten und Systeme und ihrer spezialisierten Anwendungsgebiete akzeptieren. Weniger Glauben und schwarz/weiß und mehr unterschiedliche Grauschattierungen. Ich nehme mich selbst davon nicht aus…“
Genau und deshalb ist es in allen führenden Nationen an Priorität Nr 1, CAS durch bemannte Fläche oder Hubis zu gewährleisten. Wenn dann noch Geld und der politische Wille da ist, kann man bewaffnete Drohnen kaufen.
Aber dann bitte richtige und keine umgebauten Aufklärer die nichts richtig können, aber dafür von allem etwas!
@ Orontes
Ich würde nicht ausschließen, das der eine oder andere hier praktische Erfahrung zu diesem Thema hat.
Eben, der eine oder andere. ;)
Unter den Regulars sind das – soweit ich das mitbekommen habe und nichts durcheinanderwerfe – etwa 3 Leute, die in Afghanistan enger mit Afghanen zusammengearbeitet haben. In Afghanistan-Diskussionen ein paar mehr, dazu einige die sich „aut dem Trockenen“ in die Thematik eingearbeitet haben. Insgesamt vielleicht 2 Dutzend Personen?
Damit sind die in der Augengeradeaus-Community sogar übproportional vertreten, im Vergleich zur Bundeswehr oder zur deutschen Bevölkerung. Macht aber nur einen Bruchteil der „Experten“ und der Posts hier aus. Selbst bei so Nostalgiethemen wie Falschirmjägern, Flugzeugträgern, Waffenkalibern oder Kampfpanzern ist mehr los.
@all
Wer mag: Habe oben das Bundestagsprotokoll eingefügt, so weit es schon vorlag.
@Stefan H.
„Warum sollte die Trennung von Aufklärung und Wirkung in zwei unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Durchhaltefähigkeit und Einsatzgrundsätzen unschlagbar sein?“
1. Eine optimal eingesetzte Aufklärungsdrohne hat ein anderes Flugprofil als ein CAS RPA.
2. Aufklärungsdrohnen müssen nich nachladen.
3. Der Mix mit optimal angepassten Plattformen ist effektiver.
5. CAS durch Fläche und Hubi deckt 99% der Fälle ab
„Dann könnte man auch den Waffentragenden Flieger zum reinen Zielbeleuchter machen und den Effektor per Boden Boden Rakete ausliefern.“
Wenn es der Einsatz erfordert, wendet man auch diese Möglichkeit an.
“ Ob es das besser macht?“
Nee nur teurer, denn genau das ist der Grund warum man Bomben und Bk Mun nutzt!
„Vielleicht muss man zur Versachlichung aber auch die hohe Komplexität der einzelnen Teilfähigkeiten und Systeme und ihrer spezialisierten Anwendungsgebiete akzeptieren. Weniger Glauben und schwarz/weiß und mehr unterschiedliche Grauschattierungen. Ich nehme mich selbst davon nicht aus…“
Das ist der Grund wieso die großen Nationen zuerst auf CAS durch Fläche und Hubi setzt und dies sogar bemannt ausbaut!
Beobachtungsdrohnen mit Waffen sind Spezialwerkzeuge für Sonderfälle und funktionieren nur unter besonderen Rahmenbedingungen!
@KaLaBe
Auch das hatten wir schon bei AG zum Thema!
@jeff costello: ich kenne aus eigener Erfahrung nur die ARI der 80er Jahre, also M109 und dann dazu den ganzen Zottel von Richtkreistrupp, Feuerleiter mit Falke- Rechner, Beobachter mit M113 oder ehem Jaguar. Dafür aber ohne GPS, ohne elektronisches Kartenmaterial etc. Gerade kamen die ersten M113 mit IR- Laser in die Truppe. Trotzdem konnte eine Batterie in eine vermessene FSt gehen und nach 5 Min in einem 20 Km entfernten Quadrat von 50 mal 50 Metern die Hölle loslassen.
Mit heutigen Mitteln dagegen muß das doch noch viel besser gehen. Die PzH2000 ist schneller unterwegs, präziser, hat eine höhere Reichweite und eine deutlich höhere Kadenz, als es die rein mit Muskelkraft zu ladende M109 hatte.
Wenn ein Beobachter, bzw. ein Gerät eine Zielfeststellung irgendwo im Wirkbereich des Geschützes ausmacht, braucht es nur halbwegs verlässliche Wetterdaten, um direkte Einwirkung auf das Ziel zu bekommen. Dazu kommt die Möglichkeit, beim Steilfeuer mit Doppelzündern die Granaten zehn oder 20 Meter über dem Ziel detonieren zu lassen. Und da hört man am Ziel noch nicht mal ein Flugzeug, einen Heli oder sonstwas über sich. Zudem: ein Schuß ist vergleichsweise günstig zu haben.
Also, das ist vielleicht nicht so chic und nicht so modern wie das, was hier unter dem Namen Drohne zusammengefasst wird, aber vermutlich ebenso effektiv, wenn man die kleineren Nachteile nicht aus dem Auge läßt. Es geht doch darum, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Ist es da nicht günstiger, beide Systeme am Start zu haben? Die ARI kann innerhalb ihrer Reichweite auch bei 0 Sicht auf einen bestimmten Punkt wirken. Kann das eine Drohne auch, die ihrerseits vermutlich deutlich größere Reichweiten hat?
Den moralischen Aspekt lasse ich bewußt außen vor. Ist der Krieg begonnen, machen Halbheiten keinen Sinn mehr, diese Gedanken muß man sich vorher machen. Rücksichtnahme gegenüber Nichtkombattanten wird in archaischen Gesellschaften sofort als Schwäche ausgelegt. Da sind die Taliban (und Konsorten) näher an Clausewitz als wir, obwohl sie ihn kaum gelesen haben dürften
Ein kleine Problem gibt es da schon mit den Rohrwaffen………. Die schnelle Schwerpunktbildung auf große Distanzen! Das ist der Grund warum man Fluggerät für Luft-Bodenoperationen einsetzt!
Wenn ich die o.a. politische Debatte verfolge, so bin ich schon ein wenig von soviel geballter Inkompetenz, Unwissenheit und „esoterischen Rumgeschwafel“ erschüttert…
@Elahan: Schon klar, wo Licht ist, ist auch Schatten. Darum ist es sicher nicht schlecht, beide Pfeile im Köcher zu haben.
Meine Frage steht aber noch im Raum: Wieso haben wir die Haubitzen in Kunduz nur als Festungsartillerie? Hätte die ARI am berüchtigten Karfreitag etwas bewirken können? Oder bin ich nur schlecht informiert und die Haubitzen werden auch außerhalb des direkten Einzugsbereiches des Feldlagers eingesetzt?
@Iltis
Die PzH 2000 hat sich schon gut bewährt. Trotzdem sollte man nicht den Fehler machen die Systeme gegenseitig substituieren zu wollen. Jedes System bedingt bestimmte Voraussetzungen, z.B. beim Wetter, aber auch bestimmte Zielbeschaffenheit und Abstände zur eigenen Truppe oder der Luftraumkoordination. Wir operieren dort halt nicht im Menschenleeren Raum und ein 155mm Granateneinsatz in ein Dorf findet aufgrund Verhältnismäßigkeit nicht statt. Die Zivilbevölkerung, aber auch unsere lokalen Verbündeten unterliegen nicht unserer Steuerung oder gar Kontrolle. Entsprechend Komplex kann es sein ballistisch oder mit CAS tatsächlich zu wirken. Auch die zweifelsfreie Identifikation des Gegners und der Nachweis der „feindlichen Absicht“ stellt sich in der Praxis oft als weit größere Herausforderung dar, als rein „technisch“ das Ziel dann zu bekämpfen. Aus meinem eigenen Erleben war es halt dann am einfachsten, wenn man über lange Zeiträume beobachten, identifizieren und dann mit dem Beobachtungsfadenkreuz auch wirken kann, wenn dann alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Der direkt um das Fadenkreuz eingeblendete Kolateralschadenskreis ist nicht nur für die Zivilbevölkerung, sondern auch für die eigene Truppe lebenswichtig, bzw. ermöglicht erst den Waffeneinsatz.
Kadenz der Artillerie spielte beispielsweise nach meinem Erleben in Kdz/Baghlan eine untergeordnete Rolle. Oft war sogar eine wesentlich „dosiertere“ Wirkung gewünscht und man hat Üb-Geschosse oder Beleuchtungsmunition eingesetzt, wobei letzteres auf den Gegner aber keine Wirkung mehr gezeigt hat.
Der Führer vor Ort ist jedenfalls dankbar, wenn er alternative Werkzeuge dabei hat und das Geeignetste wählen kann. Wenn halt nur der Hammer dabei ist, dann wird jedes Problem zum Nagel und entsprechend bearbeitet…
@Illtis
Nachtrag wegen Beitragsüberschneidung:
Am Karfreitag 2010 war noch keine PzH 2000 in Kdz. Isa Khel ist von Kdz in Reichweite, also kein Grund eine PzH der IED-Bedrohung einer mobilen Verlegung auszusetzen. Wo notwendig, hat man auch PzH verlegt (z.B. OP North).
@Stefan H.: Danke, das war jetzt wirklich mal informativ und hat den Blick auf die Situation vor Ort geöffnet.
@Stefan H.
„Aus meinem eigenen Erleben war es halt dann am einfachsten, wenn man über lange Zeiträume beobachten, identifizieren und dann mit dem Beobachtungsfadenkreuz auch wirken kann, wenn dann alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind“
Genau wenn man diese Einsatzerfordernisse hat und es die Lage und der Feind ermöglicht, ist die Plattform RPA das Werkzeug der 1. Wahl.
@ Iltis
Hier mal 40km Reichweite im Vergleich zur Größe des RC Nord (die Zahlen in Klammern sind die Stadtgrößen).
Der große Unterschied bei den Drohnen, Flugzeugen, Hubschraubern, weitreichenden Waffensystemen,… ist immer was ich damit machen kann.
Mit Artillerie kann ich relativ wenig „Show of Force“ machen. Die Geschosse können noch nicht wie z.B. Flugzeuge mal in niedrigerer Höhe über die feindlichen Stellungen fliegen und dabei Täuschkörper aussoßen. Mit einer Heron werde ich mir den Tiefflug genauso ersparen.
LUNA, KZO und Hubschrauber kann ich irgendwo rumfliegen/rumstehen lassen und die Leute unten werde die Teile hören und sehen. Jetzt ist die Frage reicht es mir, wenn die bösen Jungs merken: „KZO brummt über unseren Köpfen rum und beobachtet was wir machen.“ und sich dann zurückhalten?
Ohne eigene oder evtl. auch verbündete Truppen am Boden kam es meines Wissens bisher eher selten zum Waffeneinsatz durch Deutschland. Wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen.
Genauso muß CAS nicht bedeuten, dass dann sofort zurückgeschossen wird. Zumindest nicht mit <1sec.-Reaktionszeiten wie irgendwo (viel weiter) oben in einem anderen Kommentar geschrieben.
Auf einem Vortrag den ich mir anhören durfte/mußte wurden mal schöne Diagramme gezeigt, wie der mögliche Waffeneinsatz abläuft. Wenn erst x Eichenlaubträger und der Com (nach Beratung durch den Anwalt) den Waffeneinsatz freigeben müssen dauert das mehr als 5 Sekunden…
@J.R.: Danke für die Darstellung. In welchen Radien um die Lager herum bewegten sich denn die Patrouillen zur Zeit der weitesten Ausdehnung? Eine Haubitze kann ja nicht immer hinterher zotteln, sie ist nicht für tägliche Gewaltmärsche gemacht.
Daß die Reichweite durchaus unterschiedlich ist, war mir schon klar, auch darum schrieb ich, daß es gut ist, beide Pfeile im Köcher zu haben.
Und jeder Pfeil hat seinen Preis!
Unser Problem bei der Luftwaffe ist aber immer das Gleiche, Multirole und das Nichtbeachten der Versorgbarkeit und der Ausbildung! Dies macht dann den Pfeil für den Spezialfall vom Spezialfall unendlich teuer!
Deshalb wäre es notwendig, wenn man den Bedarf definiert und der ist nicht; ich will ein UAV haben! Sondern:
Welche Aktion soll unter welchen Bedingungen wie häufig mit welcher Wirkung ausgeführt werden!
@Iltis – ist jetzt allerdings OT, da es nichts mehr mit UAV zu tun hat.
Buchtipp: „Vier Tage im November“ von Johannes Clair.
Es handelt sich um eine Schilderung der zweiten Jahreshälfte 2010 aus Sicht eines einfachen Soldaten der in Kundus eingesetzt war. Dabei kommt auch eine kleine Schilderung zum Ansatz PzH 2000 vor. Das Kartenmaterial in dem Buch ist für den Raum Kunduz ordentlich und zeigt einem alles was man unterhalb einer Klassifizierung bekommen kann.
Das Buch deckt sich – soweit ich es aufgrund Kontingentüberschneidung noch bewerten kann – mit meinen eigenen Erinnerungen an die Ereignisse in diesem Einsatzraum.
In der ersten Jahreshälfte 2010 waren OMLTs in allen vier Ostprovinzen des RC N im Einsatz. Mein Dingo hatte etwa 3000 km für die 6,5 Monate auf dem Tacho, wobei die „Brennpunkte“ bei Kdz allerdings nur wenige Kilometer vom PRT entfernt waren. Bei vorgeplanten Operationen haben wir zum Teil Haubitzen mitgenommen. Wir sprechen hier allerdings von D30 122mm gezogene Geschütze der ANA (und auch deren Kontrolle und Feuerfreigabe) und schießen ohne Wetterdaten und mit überlagerter Munition und etwas von unseren abweichenden RoE. Aufgrund der Ballistik war dann aber die bemannte Luftfahrt in den Brennpunkten problematisch (Luftraumordnung), was schon Auswirkungen auf die Befüllungswünsche des Werkzeugkastens mit Drohnen hat. Hätte sich auch nicht gut in der Bildzeitung gemacht, wenn eine ANA Haubitze einen B1-Bomber vom Himmel geholt hätte. Drohnenverluste haben nicht nur technische Ursachen, sondern liegen auch in dem Umstand bedingt, dass man einfach andere Risiken damit eingehen kann.
@Elahan: Alles hat seinen Preis. Aber wie sagt der Hesse: Wer mit de große Hunde pi… gehn will, muß aach s‘ Baa hebe könne.
Spaß beiseite: Was der US- Etat an Mitteln für Militärisches hergibt, ist eine ganz andere Hausnummer als bei uns. Streng genommen muß man die israelischen mil Ausgaben zu großen Teile ja noch on top rechnen. Das können wir in DE nicht stemmen. Also müssen wir irgendwann einsehen, daß es Grenzen der Teilnahme an Konflikten gibt. Momentan haben wir an der Backe:
-Kosovo
-Afghanistan
-Horn von Afrika /Atalanta
-MIttelmeer Überwachung Seetransport/ Schmuggel von Waffen
-jetzt auch Mali
Habe ich etwas übersehen? Die Einsätze kosten Geld, binden Personal und verschleißen das Material deutlich schneller, als es bei der Beschaffung vorgesehen war. Als Dackel kriegt man das Bein nie so hoch wie eine Dogge…
@Iltis 01. Februar 2013 – 9:19
So ist es!
Bisher hat kaum jemand etwas zu den zukünftigen Einsätze gesagt! Im Moment spielen Kampfdrohnen in den neuen Konflikten (außer AFG) keine oder kaum eine Rolle. RPA werden dort hauptsächlich zur Aufklärung eingesetzt. CAS wird durch Kampfflugzeuge erbracht. Die Waffenzuladung, Fluggeschwindigkeit und Flexibilität ist um ein vielfaches höher als bei RPA.
Wir disskutieren wird zwar über asymmetrischen Konflikten an symmetrische Kriege will man offenbar nicht wirklich denken – Mittel gegen RAP und andere autonome Systeme sowie den Distanzwirkung finden werden, aber man lässt auch außer Acht, dass der Gegner ebenfalls diese Systeme einsetzen könnte. Diese Aussicht würde die weitere Aufrüstung sehr viel weniger plausibel und die Szenarien sehr viel komplexer machen.
Bei der Diskussion um den Einsatz von Luftgestütztem CAS gibt es für das jeweilige Einsatzszenario unterschiedliche Aspekte die zu berücksichtigen sind:
– Sicherheitspolitische
– Rüstungspolitische
– Operationelle
– Rechtliche
– Ressourcen
erst unter Berücksichtigung dieser Punkte, ergibt sich eine Entscheidungs-/Diskussionsgrundlage
Das ein Aufklärungs RPA über lange Zeiträume beobachten, identifizieren und ein Bild mit einem Fadenkreuz generiert kann ist sehr gut. Das gleiche gilt für den direkt um das Fadenkreuz eingeblendete Kolateralschadenskreis zum Zivilbevölkerung und die eigene Truppe. Woher das Wirkmittel stammt, spielt dabei grundsätzlich keine Rolle. -Grundsätzlich- im Fall der Bw schon den noch sind Sensoren und Wirkmittel nicht vernetzt! Genau dies sollte schnellst möglichst geschehen!
Zu UAV und „Bordkanone“ gibt es interessante Leichtgewichtsentwicklungen, so z.B. auf „shotgun“ basis mit FRAG-12 Munition (ca. 200m+ Kampfentfernung). Da klappt die Integration auch in deutlich kleineren UAV’s die von der Trupe am Boden selbst eingesetzt werden.
@All:
Also ich mag diese Bezeichnung des asymmetrischen Konfliktes bzw. Krieges überhaupt nicht. In jedem Konflikt oder Krieg versuchen die beteiligten Parteien eine Asymmetrie zu erzeugen. In Afgh. wird von westlicher Seite das vor allem durch Technologien versucht während die Aufständischen IED verbuddeln und Green on Blue Contacts benutzen. In mehr „konventionellen“ Konflikten wie z.B. dem Irakkrieg waren es vor allem wieder technologische Vorteile (aber natürlich auch Ausbildung, Taktik etc.) während man auf der anderen Seite diese Asymmetrie versucht hat auszugleichen z.B. in dem man potentielle miliärische Ziele in Bevölkerungsgebiete verlegt hat (sofern möglich) um sie gegen Luftangriffe zu schützen.
Das Drohnen besser für asymmetrische Konflikte passen stimmt in wenn die Asymmetrie in der technologischen Überlegenheit liegt. Sollte diese nicht gegeben sein gibt es bei einem Einsatzszenario mit UAS natürlich im Moment noch Fragezeichen.
TdM beantwortet Fragen zu Drohnen:
Darin sagt er deutlich, dass die Zwischenlösung (bis zur Verfügbarkeit einer europäischen Drohne) bewaffnet sein soll:
http://youtu.be/JDOCEtogHF4
Er duckt sich bei dem Thema nicht weg, das muss man ihm lassen.
EADS Lobby funktioniert? – Check!
Das eine Europäische Drohne kommen soll, ist doch Konsens zwischen Regierung und SPD. Warum soll sich TdM da Politische Gegner schaffen indem er das Projekt von der Agenda nimmt? Das einzige was man da vor der Wahl evtl. macht, ist eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben.
@ Memoria und Bang50
Der Minister schaut aber noch auf den Teleprompter/Monitor – demnach kann er die Luftwaffen/Cassidian-Argumentation noch nicht ganz auswendig…
@ iltis, Entfernungen
Ob die Reichweite Panzerhaubitze ausreicht oder nicht hängt glaub sehr von der Art des Einsatzes ab. Ich hab ich den Eindruck, dass man sich nur für gemeinsame Aktionen mit der ANA oder für größere Operationen wirklich weiter als 50km vom Lager entfernt hat, aber ich war nie aber vor Ort und bin kein Bundeswehr-Insider. Aber was Chahar Dara angeht, und damit wohl die Schwerpunktsetzung der Bundeswehr 2010, so lag der Bereich großteils innerhalb von 10km Luftlinie vom Feldlager Kunduz:
– Grobe Karte des Gebiets
– Einer der vielen Artikel zum Thema
Das ist dann irgendwo auch der Punkt, wo auch Drohnen an ihre Grenzen stoßen: Sie wären „nur“ noch eine weitere Schutzmaßnahme für die Truppe, würden aber an deren Wirkungslosigkeit nichts ändern.
@J.R.
Wie definieren Sie Wirkungslosigkeit der Truppe oder von Drohnen?
Einfach mal in Wikipedia Operation Taohid eingeben und durchlesen. Die gemeinsamen Operationsbasis der Alliierten in Puza-i-Eshan kennen Sie heute unter dem Namen OP North.
Ergänzung: Die Angaben zu Verlusten der Insurgents sind in o.g. Artikel sehr konservativ geschätzt. Es gab über mehrere Tage sehr harte Gefechte mit einer hohen zweistelligen Anzahl TICs, die zum Teil an mehreren Orten parallel abliefen. Beispielsweise wurde der gegnerische Führer des Hinterhalts am 15.04. auf die deutsche Pioniertruppe abgelöst, da seine Gruppierung einen zu hohen Blutzoll gezahlt hatte. Die sich ergebenden 8 Insurgents, die auch auf dem Bild rechts zu sehen sind, gehörten zu einer 32 Mann starken Gruppierung die am 16. – nach den hohen Verlusten bei den Kämpfen im Hinterhalt und westlich der Dutch Bridge – aus dem südlichen Chahar Dara in Marsch gesetzt wurde. Die Verstärkungstruppe wurde in einen Feuerkampf mit OMLT an der Iron Bridge verstrickt und mit Flachfeuer und CAS bekämpft. Die 8 waren die einzigen Überlebenden der Verstärkungstruppe. Ihr Pakistanischer Anführer starb drei Tage später an seinen schweren Splitterverwundungen, die er sich da zugezogen hatte. Übrigens hat eine Predator nachts ein 2-Mann Team ausgeschaltet, das hinter den eigenen Kräften gerade dabei war ein weiteres IED zu vergraben und dies war nicht der einzige Predator-CAS…
Der Widerstand brach nach einer Woche in Taohid II endgültig zusammen und das eroberte Gebiet konnte mit Combat Outposts befestigt und gehalten werden. Soviel auch zur Schwerpunktsetzung 2010, Distanzen zu Feldlagern, etc.
@ Stefan H.
Wie definieren Sie Wirkungslosigkeit der Truppe oder von Drohnen?
Um es zusammenzufassen:
– Fortschreitende Verschlechterung der Sicherheitslage
– Keine Strukturen geschaffen, die nach dem Abzug die Sicherheitslage halten oder verbessern können
Etwas detaillierter:
Die Bundeswehr hat sich in Char Darah in einem Gebiet von nichtmal 20 km x 20 km festgefressen. Vielleicht nochmal die gleiche Größe um Pul-e Khumri (da bin ich deutlich weniger firm). Das nebenbei nur reaktiv, als der Gegner schon ganz offen die macht in den Gebieten übernommen hatte und ganz offen operierte. Und so gebunden, dass für Operation Tahoid II (Ausweitung des „eroberten“ Gebiets um Pul-e Khumri) von deutscher Seite keine Kräfte zur Verfügung standen (von den OMLTs abgesehen).
Jetzt kann die Bundeswehr in diesen Winzflecken noch so hart und taktisch einwandfrei kämpfen wie sie will: Zum Kampf kommt es letztlich nur, weil sich der Gegner überhaupt stark genug fühlt die Bundeswehr anzugehen. Gegen das Ausweichen in Nachbarregionen kann die Bundeswehr wenig tun, und gegen das Zurücksickern auch nicht. (An der Stelle sei an die gefühlt fast jeden Herbst/Winter stattfindende „Befreiung“ von Gor Tepa verwiesen. Die Briten nennen das glaub „Cutting the gras“, und mit Aufstandsbekämpfung hat das nicht viel zu tun.)
Und was von Operation Taohid übrig bleibt muss sich auch noch zeigen. Die Bundeswehr verläßt den OP North ja so gut wie nicht mehr (und das nicht, weil es nichts zu tun gäbe). Ich hoffe, dass die Afghanen das auch allein hinkriegen. Aber das ist bei so Großoperationen ja immer so – und meistens hält’s leider nicht.
Das sind halt die konzeptionellen Schwächen dieses Bundeswehr-Ansatzes in Afghanistan. Dieses „Fast alle Resourcen in einen winzigen Fleck stecken, ein paar ‚Operationen‘ weiter weg durchführen damit es in den Medien nach was aussieht, und für die tatsächliche Sicherheitsarbeit dann keine Resourcen mehr frei haben“. Und das wird sich auch mit Drohnen nicht ändern. (Es sei denn, man käme auf die Idee, Drohnenschläge als Ersatz für Präsenz vor Ort zu sehen. Was noch schlimmer wäre.)
Na ja, es hat ja niemand behauptet hier, dass Drohnen ein Truppenersatz wären. Drohnen sind eine von mehreren erforderlichen Führungs- und Kampfunterstützungs-Fähigkeiten und mehr nicht in einem land-heavy-security-enforcement Szenar.
@J.R.
Ich sehe es etwas anders:
Die Bundeswehr hat ihren Teil der Vernetzten Sicherheit erfüllt. Die ANA ist aufgestellt – eine weitere Vergrößerung ist konzeptionell nicht mehr vorgesehen. Die Qualität ist ortsüblich in Ordnung und so manche Operation diente auch dazu die Fähigkeiten der ANA zu steigern und im Feld zu erproben. Die ANA wird nicht im Feld besiegt werden, da bin ich mir sicher.
Warum es scheitern wird, ist nicht durch die Bundeswehr änderbar, sondern wäre mit hohem Aufwand an Ressourcen und Blut nur auf der Zeitachse aufzuschieben. Eben wen wir bis in alle Ewigkeit die Patroullien vom OP North in der Fläche weiter führen würden. Das muss die ANA, ANP und NDS machen – genau dafür ist sie geschaffen worden und dies ist unsere Exit-Strategie!
Es gibt zwar jetzt eine Armee, aber leider keinen Staat. Wo sind die Verwaltungsstrukturen, die Beispielsweise Steuereinnahmen generieren könnten. Wo ist der Justizapperat, an den man festgesetzte Straftäter übergeben kann. Wo die alternativen wirtschaftlichen Einnahmequellen neben Drogen, dem internationalen Finanztropf und vor Ort der Eintreibung von Bestechungsgeldern. Da liegt auch meiner Einschätzung nach das Problem des scheiterns – analog zu der bereits einmal durch die Russen aufgebauten und gementorten Armee. Im Felde unbesiegt wird sie zerfallen, sobald die notwendigen Ressourcen nicht mehr unten ankommen, sei es aus mangelnder Finanzkraft in Kabul oder wahrscheinlicher Umlenkung in andere Taschen. Dann ist die nächste Generation Worlords geboren – aber ordentlich qualifiziert durch Mentoring – und wird sich lokale „Königreiche“ schaffen/aufteilen.
Da die Situation aber ist wie sie ist und ich keinerlei Aufbau in Bereichen außerhalb des Sicherheitsbereichs und ein bischen Entwicklungshilfe sehe, sollten wir den Exit nutzen so lange wir das ohne Bilder wie in Vietnam haben können. Diese Option haben eine Menge Soldaten – auch mit ihrem Blut – erkauft. Das ich ein Fan von allen Werkzeugen bin, die dieses Blut sparen – dürfte versttändlich sein. Daher breche ich eine Lanze für die Drohnen – die ich als echten Life-Saver empfunden habe. Ich behaupte auch mal, dass nach einem Exit in Deutschland keiner auf die Idee kommen würde, über Kunduz noch einmal eine Drohne schweben zu lassen. Warum den auch?
Übrigens ein historischer Nachtrag zu Taohid: Das ist natürlich im Zusammenhang mit den Erfolgen im Herbst/Winter 2010 in Chara Dara zu sehen. Da wurde halt einmal von Süden und dann von Norden ein feindliches Gebiet eingedrückt. Hat also nichts mit nur mal ein bischen Klappern zu tun, sondern steckte auch ein Plan dahinter, der funktioniert hat. Es sind halt vor einem Jahrhundert eine Menge Menschen aus Südaghanistan entlang des Fruchtbaren Kunduz-River angesiedelt worden, um den Einfluss des pashtunischen Königs im Norden zu festigen. Das da jedes Jahr frische Kräfte aus den pakistanischen Madrasschulen kommen, ist richtig. Von daher sind es tatsächlich relativ kleine Problemgebiete entlang des Verschiebebahnhofs Kunduz-River, während viele Gebiete im Norden traditionell Nordallianz sind. Ausweichen in Nachbarregionen findet nur zum Teil statt. Die Warlords der Nordallianz sind nicht gerade zimperlich, wenn in ihrem Gebiet die falsche Gruppierung auftaucht.
@ Stefan H.
Die Bundeswehr hat ihren Teil der Vernetzten Sicherheit erfüllt.
Wie denn? Da ist nichts vernetzt, und da ist auch nichts sicher.
Sie führen ja selbst aus, wie der Aufbau der ANA zu einem nicht geringen Teil an den Sicherheitanforderungen im Land vorbeigeht – die ANA führt eben nicht zu Sicherheit für die Bevölkerung in der Fläche. Die Bundeswehr auch nicht. Auf dem Auge ist man schlicht blind, oder „nicht zuständig“ oder was auch immer. Aber die Lücke ist da, und wäre vermeidbar. Das ist kein Erfolg, das ist ein Versäumnis.
Auch mit den Paschtunentaschen macht es sich die die BW zu einfach. Zum einen ist der Konflikt auch im Norden längst über ethnische Grenzen hinwegeskaliert. Provinzgouverneur Mohammed Omar und General Daud Daud wurden beispielsweise in Taloqan ermordert, und auch die Milizenkonflikte in Khanabad haben meines Wissen wenig mit Paschtunen zu tun.
Zum anderen machen die in der Provinz Kunduz 40% der Bevölkerung aus. Und gerade was Rückkehrer angeht haben die das Problem, dass sie hinsichtlich des Machtstrukturen in der Provinz ziemlich außen vor sind. Das kriegt man nicht kinetisch gelöst. Aber für Lösungen ist die BW ja nicht zuständig.
Im Kern geht es um die chronische Unzufriedenheit mit den in Afghanistan Herrschenden. Paschtunische Familien sind da lediglich die ersten, die ausgeschert sind, auch weil sie am wenigsten zu erhoffen haben. Aber das Schema zieht sich über die Milizen durch die ganze Gesellschaft. Und die BW hat sich zum Handlanger einer Partei gemacht, ohne Einfluss auf diese nehmen zu können. Das ist ein enormes strategisches Versäumnis. (Ganz davon ab, dass die BW beim Überwachen dieses vergleichsweise überschaubaren Bevölkerungsbereich schon vollkommen versagt hat.)
Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass die BW eigentlich angerückt ist, um den Einfluss der Warlords zu begrenzen (auch um Massaker wie Mazar oder den Sturm auf Kabul zukünfitg zu verhindern), und jetzt wieder voll auf die Warlords setzt (zur Not mit Massakern wie in Mazar oder dem Sturm auf Kabul), dann kann man nur noch den Kopf schütteln.
Wie gesagt, die BW ist an ihrer Aufgabe, dem Schaffen von Sicherheit, gescheitert. Nicht zuletzt, weil man es versäumte sich an die Anforderungen anzupassen. Und weil man sich zu fein war, zum Schaffen von Sicherheit auch auf politische Werkzeuge zurückzugreifen.
(Stichworte: Bevölkerungsorientiertes Lagebild, Einbinden der Afghanen in die Sicherheitsmaßnahmen, Präsenz in der Fläche, Synergie von afghanischer Gesellschaftskenntnis mit westlicher Technologie und Logistik, Erarbeiten politischer Handhaben, Beseitigen von Konfliktursachen. Nichts.)
Was dann auch wieder den von Koffer im anderen Thread angesprochenen Qualitätsunterschied zu den Amerikanern berührt: Die haben sich teilweise eben schon bemüht, das zu tun was wirkt. Und auch mit Erfolg. Und dieser Einstellungsunterschied ist letztlich das Ausschlaggebende. Nicht das Vorhandensein von Drohnen.
Und das ist doch auch das Frustrierende an fast sämtlichen Bundeswehr-Vorhaben: Es geht fast immer nur um neue/andere Waffensysteme. Aber die Fehler und Schwächen in Struktur und Vorgehen werden ignoriert und schöngeredet.
@J.R.
Mit Verlaub – eine sehr simple Darstellung die mich in Teilen gewaltig ärgert! Haben Sie sich vor Ort ein Bild gemacht, oder sind das alles Beleidigungen vom heimischen Sofa?
Aus 6,5 Monate Seite an Seite mit US Truppen – auch im Gefecht-, kann ich keinen grundsätzlichen Qualitätsunterschied DEU-US-Infanterie attestieren. Das es einen Unterschied bei Enablern gibt (RCP, UAVs, Verfügbarkeit CAS, Drehflügler, Kommunikations- und IT-Technik) – das stimmt, hat aber nichts mit dem Einsatzwillen der Soldaten zu tun, die ihren Kopf immer hin gehalten haben! Unterschiede in den Einsatzbefehlen SOF machen für mich nicht den entscheidenden Unterschied aus – oder gewinnt man außerhalb des RC N gerade?
Dazu das Versagen der Bundeswehr bei „einfachen“ Dingen: Wir sprechen inzwischen von aufgebauten ANSF von 400.000+, davon 260.000 ANA. Auch im Norden wurden die Sicherheitsstrukturen geschaffen, die in der kompletten Fläche disloziert sind und ein Vielfaches des NATO-Kontingents betragen. Überschaubarer Bevölkerungsbereich: Haben sie schon mal mehrere Tausend Menschen mit ein paar Dingos „überschaut“? Mit dem 5000der Kontingent sind doch ein paar Hunderttausend gar kein Problem oder? Ach nein – es waren 6,7 Mio Einwohner im RC North…MES 300.000, KDZ 125.000, PEK 70.000, TAQ 200.000, FEY 60.000, …
Da sollte die Bundeswehr sich nicht konzentrieren und Schwerpunkte setzen, sondern in der Fläche verteilen – wahrscheinlich am besten einen Einzelschützen je Dorf. Ah es gab mehr Dörfer als Kontingentsoldaten – verdammt…
Wo ist den die Schaffung der Sicherheit gescheitert? Attentäter, IEDs – in Berlin am 1. Mai oder bei Castortransporten kann man auch nicht alles verhindern – trotz ganz anderen Kräfteansätzen. Die ANA würde funktionieren – es fehlt der Staat. Ist schon witzig, wenn alle auf dem einzigen Akteur herum hacken, der etwas gemacht hat.
Die Bundeswehr hat die falschen Unterstützt: Wir suchen uns nicht raus, ob uns Karsai gefällt. Primat der Politik hat auch Vorteile: Man kann auf die Verantwortlichen zeigen! Wollen Sie der Bw und den Kontingentangehörigen als nächstes vorwerfen, dass wir dort gewesen sind. Klingt für mich, wie die Bundeswehr zum Sündenbock abstempeln.
Und das sich die Bundeswehr zu fein war…auf politische Werkzeuge zurück zu greifen, oder Einbindung Afghanen. Mein Gott – hätten wir Sie nur gehabt, der Weltfriede wäre bereits hergestellt ;-)
Ich rege mich gerade zu sehr auf und bin aus diesem Thread jetzt raus.
@T.W. – ja war OT und wurde Unsachlich – gelbe Karte präventiv akzeptiert…
@ Stefan H.
Das sind alles Meinungen vom heimischen Sofa aus, nachdem man sich so ein paar Jährchen bemüht hat den Leuten vor Ort zuzuhören (und auch ein paar Militärs, die sich mit der Sorte Konflikt auseinandergesetzt haben): Zwischen deren Meinung zu Best Practices und dem Vorgehen der Bundeswehr klaffen enorme Lücken, die sich sogar von Zivilisten am heimischen Sofa erkennen lassen, und das seit Jahren, und alles OSINT.
Und ja, dass sich da seitens der Bundeswehr jahrelang nichts tut, sondern einfach nur schöngeschwurbelt wird, ist extrem frustrierend. Dabei kann ich Ihren persönlichen Frust durchaus nachvollziehen – niemand wird gern kritisiert, erst recht von Leuten, die nicht „vom Fach“ sind. Nur ändert das an der Sachlage halt nix.
Sie sagen ja selbst: 6,7 Mio. Einwohner. Und die Bundeswehr weiß nach Jahren Einsatz immer noch nicht, wer in den Dörfern 4km vom Feldlager lebt, und hat es über Jahre nicht hinbekommen ihre Informationen von einem Kontingent ans nächste weiterzugeben. Dass man aus aus gepanzerten Fahrzeugen heraus und von einem befestigten Hügel aus weder Einfluss noch Einsichten gewinnt ist eigentlich eine Binsenweisheit. Trotzdem hat die Bundeswehr in Afghanistan einen enormen Teil ihrer Resourcen genau da reingesteckt.
Es ist ja nicht so, als wären die asymmetrischen Konfliktform neu, mit denen es ISAF in Afghanistan zu tun hat. Und da sie für die BW neu ist hat wohl auch niemand einen reibungslosen Ablauf erwartet. Aber so gar nichts? Auch nicht nachdem den Verbündeten die Lage um die Ohren geflogen ist? Es gibt wie gesagt mehr als genug Text zum Umgang mit Aufständischenbewegungen (etwa die 28 Artikel für die Kompanieebene – nebenbei: erhältlich in Englisch, Pashtu, Russisch und Spanisch, aber nicht Deutsch), da sind die Widersprüche zum BW-Vorgehn leider echt offensichtlich. Nur tut sich nichts. Lief ja immer alles super, das kann man ja nicht so einfach ändern.
The Issue of Airspace
Not all of these new UAS applications are uncontroversial or easily implemented. UAS advocates state that in order for UAS to take an active role in homeland security, law enforcement, aerial surveying, crop dusting, and other proposed civilian uses, Federal Aviation Administration (FAA) regulations and UAS flight requirements must approach a common ground. According to FAA
spokesman William Shumann, the primary challenge in finding this common ground is “todevelop vehicles that meet FAA safety requirements if they want to fly in crowded airspace.”
http://www.fas.org/sgp/crs/natsec/R42136.pdf
(…) But there are associated disadvantages as well. The loss rate of RPAs is very high, which may well offset any economic argument associated with the purchase price. USAF MQ-1 require aviation fuel, which is not available at all in most of the world. RPA are reliant on both line-of-sight links (for takeoff and landing) and for operations, on control and datalinks that function over the horizon. The fielded sensor kits are generally very limited and in the case of the MQ-1, the RPA is not capable of carrying additional sensor payload.
A light, manned ISR aircraft cannot reasonably compare with RPAs for unrefueled endurance and low fuel consumption, (although there is an advantage in airspeed and therefore a faster response time from scramble) but may well be a more versatile aircraft suitable for a wider range of operations by a larger list of potential operators. The comparative advantages of the manned aircraft in general are significant. They require no bandwidth for control links, can operate in icing and crosswind conditions that will ground most RPAs, and can carry a „rider“ from supported ground forces — a technique being used routinely in Iraq with manned Army and contract ISR. This provides both a C2 overwatch capability and inflight expertise and local knowledge that an RPA cannot reasonably be expected to provide, particularly when the installed sensor field of view is so limited. It is much easier for an inexperienced observer to orient through the canopy than through the very narrow field of view of a camera, and is comparatively easy to pick up a local observer with the relevant ground knowledge. Furthermore, the manned aircraft can operate in an environment where no bandwidth is available for either the control link or the ISR data feed. This becomes particularly important if an onboard sensor develops actionable intelligence — there is already a man in the loop even if the available communications are limited to basic, voice radio. Manned aircraft can operate in greater numbers, with a quicker response time, than aircraft that require datalink to fly. We can scramble manned aircraft regardless of command-link bandwidth limits, and we can operate them in areas where bands used for control links are congested, restricted, or jammed.(…)
http://smallwarsjournal.com/blog/rethinking-rpa-applications-in-irregular-warfare
[Das geht aber wieder verdammt hart an die Grenze des Zitatrechts… T.W.]
@T.W.
Sorry, hatte ich vermutet aber was will man machen wenn der Dr. fehlt :-)
So besser?
(…) Die F-16 hat beispielsweise eine Unfallrate von 3,5 pro 100.000 Flugstunden. Zivilflüge im Allgemeinen eine Unfallrate von 0,8 pro 100.000 Flugstunden. Vergleicht man jetzt die Unfallrate von UAVs mit dieser Statistik, so muss man feststellen, dass sie deutlich höher liegt. Die Unfallrate von UAVs liegt bei 100 pro 100.000 Flugstunden. Das ist auch einer der Gründe, warum der unbemannte Flug noch kein Vertrauen in der Öffentlichkeit geniesst. (…)
http://wwwmath.uni-muenster.de/u/lammers/EDU/ws05/Agentensysteme/Abgaben/Vortrag8+9_Drohnen/Ausarbeitung%20-%20Dominik%20Heider.pdf
@ Elahan
Ja, aber nur einer der Gründe, und sicherlich nicht der wichtigste.
@KeLaBe
Stimmt, in AFG, bei Lufthoheit, gewährleisteter Datenverbindung und wenn man Geld hat, spielt es keine Rolle!
Wenn man kein Geld hat und in DEU üben möchte schon!
@ Elahan
Das Problem lässt sich technisch irgendwann beheben. Ist nur eine Frage der Zeit.
@KeLaBe
Stimmt, 2020+, dann wären wir wieder im Planungszeitraum der Lw!
@ Elahan
Sie sollten besser recherchieren.
Aktuelle Unfallrate USAF Kampfflugzeuge (F-15, F-16 usw.) 4 pro 100000 Flugstunden
Aktuelle Unfallrate USAF „Kampfdrohnen“ (MQ-1, MQ-9, RQ-4) 3,8 pro 100000 Flugstunden
@RauscheBART
ob ihre Zahlen nun besser sind? Es kommt darauf an, welche Fluggeräte man einrechnet (ich hatte F-16 sie noch die F15 dazu, sie hatten auch nur bestimmte Drohnen)!
Also nicht besser, sondern anders!
Vorsicht mit pers. Vorwürfen!
„Kampfdrohnen” (MQ-1, MQ-9, RQ-4) 3,8 pro 100000 Flugstunden“
Wäre über Europa/Deutschland nicht akzeptabel!
Die MQ-1, MQ-9 und RQ-4 als “Kampfdrohnen” zu bezeichnen ist „etwas“ gewagt, es sind eher bewaffnete, Aufklärungs-RPA.