Ausweitung von Atalanta: Verhandeln in Deutschland
Nachdem die EU am vergangenen Donnerstag und Freitag – wie erwartet – ihre Antipirateriemission Atalanta verlängert, aber vor allem ausgeweitet hat und künftig auch den Zugriff der Piratenjäger am somalischen Strand und in den somalischen Binnengewässern erlauben will, stehen jetzt die innenpolitischen Verhandlungen darüber in Deutschland an. Denn eine Erweiterung der Atalanta-Befugnisse gilt für die Deutsche Marine nur, wenn das auch durch das Parlamentsmandat abgesichert ist.
Zerstörung von Piratenbooten durch die deutsche Fregatte Köln vor der Küste Tansanias im November 2011 (Foto: PIZ Djibouti/Bundeswehr via flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
Der EU-Beschluss, zunächst der Verteidigungs- und dann der Außenminister, in den dürren Worten der Brüsseler Mitteilung vom Freitag:
Today’s decision also extended the force’s area of operations to include Somali coastal territory as well as its territorial and internal waters. This is to enable Operation Atalanta to work directly with the Transitional Federal Government and other Somali entities to support their fight against piracy from the coastal area. In accordance with the relevant UN Security Council resolutions, the Somali government has notified the UN Secretary General of its acceptance of the EU’s offer for this new collaboration.
Der Knackpunkt ist natürlich, neben den Binnengewässern (internal waters, was sich vor allem auf Flussmündungen bezieht) das Somali coastal territory, also der Streifen an Land, an dem die Seestreitkräfte der EU künftig vor allem Piratenboote und -logistik zerstören dürfen. Vom Rat der Außen- und Verteidigungsminister wurde dieser Bereich nicht genauer definiert; die präzise Festlegung soll dem Concept of Operations (ConOps) und den Einsatzregeln (Rules of Engagement, ROEs) vorbehalten bleiben. Dem Vernehmen nach wurden die Überlegungen der Militärs von zunächst fünf auf eine Seemeile reduziert – für die politische Entscheidung sollen solche Meterzahlen aber keine Rolle spielen, in der Überlegung, dass die Piraten bei jeglicher Festlegung dann zehn Meter hinter der Grenzlinie ihre Ausrüstung deponieren. Dafür wird bereits in der EU-Erklärung hervorgehoben, dass die somalische Übergangsregierung diese Ausweitung unterstütze.
Die vage politische Formulierung macht nun die deutsche Mandatierung politisch ein wenig schwierig. Zwar dürften die Experten in Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt in den Entwurf hineinschreiben, dass nur ein sehr begrenzter Bereich an Land künftig zum Atalanta-Einsatzgebiet gehört. Ob das vor allem die Opposition überzeugt, ist noch unklar. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold erneuerte heute in der Oldenburger Nordwestzeitung noch mal seine grundsätzliche Kritik und warnte, der Bundestag solle nicht Mandate beschließen, die nicht eindeutig, klar und transparent sind.
Die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition dürften zu Beginn der kommenden Woche an Fahrt aufnehmen. Denn noch steht die Planung, bereits am kommenden Mittwoch einen Mandatsentwurf im Bundeskabinett zu beschließen und ihn so ins Parlament einzubringen, dass das neue Mandat nach der Osterpause Ende April vom Bundestag gebilligt werden kann.
Voraussichtlich am kommenden Mittwoch wird auch der Kommandeur der EU-Operation, der britische Konteradmiral Duncan Potts, in Berlin den Abgeordneten im Verteidigungsausschuss die neue Planung erläutern. Von seiner Überzeugungskraft dürfte ein wenig abhängen, ob es über die Koalitionsfraktionen hinaus Zustimmung zu der Erweiterung geben wird.
Zum Thema Pirateriebekämpfung noch ein Lesetipp: Auf der Seite der privaten Sicherheitsdienste, die in Somalia und auf See tätig sind, kommen nach einem BBC-Bericht meistens die Briten zum Zug.
Das dürfte den Einstieg in den „Mission Creep“ bedeuten. Ich bin mal gespannt, ab wann wir auch über (zunächst begrenzte) Einsätze von Landstreitkräften diskutieren.. Zur „Unterstuetzung der somalischen Übergangsregierung bei der Ausbildung und bei Einzeloperationen“ oder Militärberater. Nicht falsch verstehen – Die Entscheidung selbst finde ich richtig, nur folgt sie mal wieder dem schon öfter zu beobachtenden Muster der schrittweisen Eskalation.
Ausgesprochen ablehnend hat sich der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer geäußert. Er nennt die Ausweitung des Mandats „völkerrechtswidrig“:
http://reinhardbuetikofer.eu/2012/03/23/ausweitung-von-atalanta-hochriskant
@Chickenhawk
Schön, dass die Interessen der Piraten nicht ignoriert werden und sich zumindest auf EU-Ebene jemand so engagiert für sie einsetzt. Gäbe es solche Piratenlobbyisten in den Parlamenten nicht, wäre die Lebensgrundlage dieser mißverstandenen Globalisierungsopfer vermutlich ernsthaft gefährdet.
Jedoch stellt er das Völkerrecht falsch dar, das ausdrücklich militärisches Vorgehen gegen solche Akteure zulässt, wenn der Staat, auf oder von dessen Territorium aus sie operieren, zur Unterbindung ihrer Aktivitäten nicht willens oder nicht in der Lage ist. Völkerrechtlich wäre nicht nur die Zerstörung einiger Boote zulässig, sondern die Vernichtung der Piraten als solcher. Natürlich wäre es zu heikel, mit diesem Problem in allen seinen Dimensionen kinetisch Schluß zu machen, weshalb auch die gegenwärtige Politik den Interessen der Piraten entgegenkommt und sicherstellt, dass sie uns noch einige Zeit lang erhalten bleiben.
@T. Wiegold
„Auf der Seite der privaten Sicherheitsdienste, die in Somalia und auf See tätig sind, kommen nach einem BBC-Bericht meistens die Briten zum Zug.“
Auf See sind mittlerweile auch einige deutsche Firmen tätig. Die britischen Firmen könnten so umfassend nicht tätig werden, wenn sie nicht eng mit Behörden bzw. Regierung zusammenarbeiten würden. Auch wenn man in Deutschland gerne vom „Comprehensive Approach“ spricht, der nichtstaatliche Akteure in die eigene Sicherheitspolitik mit einbezieht, so kann ich mir bei deutschen Stellen derartige Offenheit gegenüber dem privaten Sicherheitssektor nur schwer vorstellen. Gerade die deutsche Politik stellt den privaten Sektor ja gerne unter Generalverdacht und spricht von „Pistoleros und Deperados“, die man eher als Gegner ansieht denn als Partner.
@ Orontes
Ihr Kommentar mit starken Worten verleitet mich zu zwei kleinen Fragen:
– Erstens: Wie bitte wollen Sie „mit diesem Problem in allen seinen Dimensionen kinetisch Schluss … machen“???
– Zweitens: Wie begründen Sie Ihr Urteil, die „Vernichtung der Piraten als solcher“ (die wohl auch nach Ihrer Auffassung schlichtweg Kriminelle sind) sei völkerrechtlich zulässig???
@KeLaBe
„Zweitens: Wie begründen Sie Ihr Urteil, die “Vernichtung der Piraten als solcher” (die wohl auch nach Ihrer Auffassung schlichtweg Kriminelle sind) sei völkerrechtlich zulässig???“
Ich bin kein Experte in Seerecht, aber ich meine mich zu erinnern, dass aus Gründen des Völkergewohnheitsrechtes weitgehende militärische Maßnahmen gegen Piraten (zumindest auf See) zulässig sind…
@Kelabe
„- Erstens: Wie bitte wollen Sie “mit diesem Problem in allen seinen Dimensionen kinetisch Schluss … machen”???“
„Kinetisch“ bedeutet soviel wie „mit physischer Gewalt“ und kann zahlreiche Maßnahmen von der Tötung und Gefangennahme von Piraten bis zur Vernichtung ihrer Infrastruktur bedeuten. Ziel wäre es dabei, die Piraten in einen dauerhaft nicht mehr handlungsfähigen Zustand zu versetzen, wobei die kinetische Dimension diesem Ziel nicht nur direkt, sondern auch indirekt dienen würde, z.B. durch Veränderung der Risikowahrnehmung unter Piratenführern.
„Wie begründen Sie Ihr Urteil, die “Vernichtung der Piraten als solcher” (die wohl auch nach Ihrer Auffassung schlichtweg Kriminelle sind) sei völkerrechtlich zulässig???
Man könnte sich u.a. auf diesen Beschluss des VN-Sicherheitsrats auf Grundlage von Kap. VII der VN-Charta berufen, auf dessen Grundlage die VN militärisches Vorgehen auch gegen nichtstaatliche Akteure legitimieren kann und dies im Fall der Piraten getan hat:
http://www.un.org/News/Press/docs/2008/sc9541.doc.htm
„States and regional organizations cooperating in the fight against piracy …could undertake all necessary measures “appropriate in Somalia”, to interdict those using Somali territory to plan, facilitate or undertake such acts.“
Es gibt auch eine entsprechende Unterstützungsanfrage der somalischen Übergangsregierung, die militärische Operationen an Land zur Vernichtung von Piraten völkerrechtlich so legitim machen würde wie die Vernichtung von Aufständischen durch ISAF in Afghanistan. Herr Bütikofers Partei trägt schließlich die Verantwortung für die deutsche Beteiligung daran, weshalb Herrn Bütiköfer diese Legitimation bekannt sein sollte.
Und schließlich könnte man das Vorgehen gegen Piraten mit Art. 51 der VN-Charta legitimieren, dass Staaten uneingeschränktes Recht auf Selbstverteidigung im Fall bewaffneter Angriffe zugesteht. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen militärisches Vorgehen gegen nichtstaatliche Akteure auch von NATO- und EU-Staaten auf Grundlage dieses Artikels in Fällen legitimiert wurde, in denen der jeweilige Staat nicht willens oder nicht in der Lage war, gegen diese Akteure auf seinem Territorium selbst vorzugehen.
Falls die Piraten mit ihrer Vernichtung nicht einverstanden wären, müssten sie den Weg nationalen Rechts beschreiten und entsprechende Kritik bei den für sie zuständigen somalischen Behörden anmelden. Diese könnten Einwände dann nach kritischer Prüfung bei den VN vortragen.
P.S. Der EU-Beschluss argumentiert völkerrechtlich mit den ersten beiden von mir genannten Punkten (Unterstützungsanfrage der TFG und Resolutionen des VN-Sicherheitsrats) und nicht mit dem kontroverseren Art. 51. Bütikofers Behauptung steht auf tönernen Füßen und dürfte von ihm auch nur aufgrund des rhetorischen Effekts vorgebracht worden sein. Eine Begründung seiner Behauptung nennt er dementsprechend nicht. Auch seine sonstigen Ausführungen zeugen m.E. von wenig Reflektion.
P.P.S.
Herr Bütikofer und ähnliche Personen haben mit unverantwortlichen ihren Aussagen in der Vergangenheit mutmaßlich dazu beigetragen, dass die Piraten sich ermutigt fühlten: “They can’t stop us,” said Jama Ali, one of the pirates…“We know international law,” Mr. Jama said.“
http://www.nytimes.com/2008/12/16/world/africa/16pirate.html
Der gleiche Artikel nennt auch den Umfang der militärischen Ziele, die man auf Grundlage der VN-Entscheidungen und Unterstützungsanfrage der TFG völkerrechtlich legitim militärisch bekämpfen könnte, wenn man es denn wollte:
„Entire clans and coastal villages now survive off piracy, with women baking bread for pirates, men and boys guarding hostages, and others serving as scouts, gunmen, mechanics, accountants and skiff builders.“
Nach Herr Bütikofers Verständnis mag es sich hier um „Zivilisten“ handeln. Im Auslegungsspielraum des HVR handelt es sich um Personen, die aufgrund ihres Verhaltens viele ihrer Schutzrechte verloren haben und „angemessen“ (in Relation zum militärischen Auftrag) bekämpft werden könnten.
@Orontes
Ganz nebenbei bemerkt: Das Humanitäre Völkerrecht (HVR) dürfte hier kaum Anwendung finden, es handelt sich weder um einen internationalen noch einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Und der UN-Sicherheitsrat autorisiert zwar, in Übereinstimmung mit dem Seerechtsübereinkommen, die Bekämpfung der Piraterie durch See- und Seeluftstreitkräfte, aber keineswegs by all neccessary means. Das ist eben keine militärische Auseinandersetzung. Also nicht Bomben auf ein Dorf werfen, weil da jemand Brot für Piraten bäckt, gell.
@ TW
Äh, Recht des Stärkeren, oder? Soll doch der Somalia-Ali sein Beschwerdefax an die Uno oder sonst irgendwo hinschicken. Staaten können ja nicht von ausländischen Privatperson verklagt werden und es gibt keine legitime Regierung in Somalie, die sich an die Uno wenden könnte.
@T. Wiegold
„Das Humanitäre Völkerrecht (HVR) dürfte hier kaum Anwendung finden, es handelt sich weder um einen internationalen noch einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. “
Der VN-Sicherheitsrat hat in Resolution 1851 ausdrücklich die Piratenfrage als Gegenstand des HVR bzw. des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts definiert:
Die VN hatten bereits bei früherer Gelegenheit erklärt: „… international humanitarian law relating to non-international armed conflict applies in the whole territory of Somalia, irrespective of whether a specific area is engulfed in active fighting or not“. (Quelle: http://www.unhchr.ch/Huridocda/Huridoca.nsf/%28Symbol%29/E.CN.4.1999.103.En?Opendocument)
Das ist ja gerade das interessante an den neuen Entwicklungen: Die EU hat sich von der Bekämpfung auf Grundlage von UNCLOS etc., die nur eine Festnahme von Piraten und Prozesse gegen sie vorsieht, auf die Anwendung des HVR eingelassen, auch wenn man zunächst den Umfang des militärischen Vorgehens deutlich enger fasst als es auf Grundlage der Resolution 1851 möglich wäre.
„Das ist eben keine militärische Auseinandersetzung. Also nicht Bomben auf ein Dorf werfen, weil da jemand Brot für Piraten bäckt, gell.“
Die von den VN legitimierte Bekämpfung mit „all necessary measures“ und auf Grundlage des HVR lässt militärische Bekämpfung der Logistik der Piraten ebenso zu wie die der Aufständischen in Afghanistan. General Ramms regte sich darüber zwar öffentlichkeitswirksam auf, aber das Völkerrecht war bei dieser Bewertung nicht auf seiner Seite. Wer die Aufständischen logistisch unterstützt, wird dort von ISAF (wenn auch nicht von der Bundeswehr) als militärisches Ziel behandelt. Man sollte den Piraten dies m.E. nicht verschweigen.
P.S. Ich finde gerade keinen besseren Verweis, aber wenn die EU davon spricht, dass ihre Ausweitung von Operation Atalanta „in accordance with the relevant UN Security Council resolutions“ sei, dann muss vom Kontext her die Resolution 1851 mit inbegriffen sein, die eben den Einsatz von „all necessary measures …consistent with applicable international humanitarian …law“ legitimieren kann. Die EU ist somit durch ihren aktuellen Beschluss definitiv in die Anwendung des HVR in Somalia und militärisches Vorgehen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikts eingestiegen. Wie sich dies praktisch gestalten und wie die Bundeswehr sich daran beteiligen wird, dürfte noch sehr interessant werden.
Wenn die Schlußfolgerung aus der Aussage:….es handelt sich weder um einen internationalen noch einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt…….ist, also die Bekämpfung von Kriminellen und deren möglichen Unterstützer ggf mit Bomben (durch Inkaufnahme von Kollateralschäden) wäre erlaubt und zielführend, warum behandeln wir die Mafia in Italien, Deutschland, Russland…..nicht nach dem gleichen Muster?
@ Orontes
Nur zur Klarstellung: “ … all necessary means“ ist kein Freibrief für uneingeschränktes militärisches Handeln, sondern selbstverständlich an die grundlegenden Prinzipien nationalen und internationalen Rechts gebunden. Dazu gehört unter anderem auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, auch wenn dies im Einzelfall der Praxis hinderlich sein mag. Wir sollten also mit einem Begriff wie „Vernichtung“ – der im militärischen Sprachgebrauch eindeutig definiert ist – vorsichtig sein und ihn nicht mit dem sehr viel allgemeineren (und vagen) „militärischen Bekämpfen“ gleichsetzen. Mit anderen Worten: Der letzte Teil des von Ihnen zitierten Satzes der VNSR-Resolution 1851 darf nicht überlesen werden.
Bei welchem „Recht“ gild der Grundsatz der Verhältnissmäßigkeit denn bitteschön nicht?
Er sagt doch nur soviel aus wie dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen soll und ist wohl je nach dem wie heer man ein Ziel bewertet Auslegungssache.
Vollkommene Überflüssigkeit.
@Ziege
Im Rahmen des Kriegsführungsrechtes gilt die Verhältnismäßigkeit nur äußerst eingeschränkt!
Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Kriegen und kriegsähnlichen Gefechtshandlungen und Polizeieinsätzen…
Deswege war es ja für die Bombenabwürfe in Kunduz so wichtig, ob Oberst Klein Kriegsführungsrecht anwenden durfte oder nicht!
@KeLabe
„Dazu gehört unter anderem auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, auch wenn dies im Einzelfall der Praxis hinderlich sein mag. Wir sollten also mit einem Begriff wie “Vernichtung” – der im militärischen Sprachgebrauch eindeutig definiert ist – vorsichtig sein und ihn nicht mit dem sehr viel allgemeineren (und vagen) “militärischen Bekämpfen” gleichsetzen. Mit anderen Worten: Der letzte Teil des von Ihnen zitierten Satzes der VNSR-Resolution 1851 darf nicht überlesen werden.“
Ich versuche nur eine Vorstellung dessen zu schaffen, was auf Grundlage der Resolution 1851 möglich und aufgrund der Lage vor Ort auch erforderlich sein könnte bzw. als Folge der natürlichen Unwägbarkeiten im Krieg irgendwann passieren würde.
Der Luftangriff bei Kunduz vom 04.09.2009 erfüllte (wie Koffer schon sagte) z.B. formal alle von Ihnen genannten Anforderungen bzw. die Anforderungen, die auch in der Resolution 1851 genannt werden. Es ist z.B. im Rahmen des HVR vollkommen legitim, den Tod von Unbeteiligten bei militärischem Vorgehen in Relation zum dadurch erzielten militärischen Zweck in Kauf zu nehmen, und es verstößt im Rahmen des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts nichts gegen die Menschenrechte einer an Piraterie beteiligten Person, sie zu töten oder bis zum Ende der Auseinandersetzungen (also praktisch unbegrenzt) ohne Prozess festzuhalten, solange dies einen militärischen Zweck hat.
Den meisten Deutschen ist dies nicht bekannt, und sie glauben, dass das Völkerrecht eine Art moderner Ersatzmoral sei oder projizieren wie Herr Bütikofer ihre individuellen moralischen Vorstellungen auf das Völkerrecht und schafffen damit Unklarheit in der Diskussion.
Im Fall Afghanistans war vielen Deutschen nicht klar, worauf sie sich bei ISAF eingelassen haben und was die Situation irgendwann von ihnen verlangte. Ich würde mir wünschen, dass dies im Fall militärischen Vorgehens gegen die Piraten diskutiert wird, bevor jemand solche Entscheidungen treffen muss, die m.E. im Rahmen eines militärisch wirksamen Vorgehens auch früher oder später getroffen werden müssten. und dabei nicht immer die beabsichtige Wirkung hätten.
Die Vorstellung eines „sauberen Krieges“, die hinter manchen Vorstellungen zum Vorgehen gegen die Piraten steht (wenn man z.B. meint man könne Erfolg haben indem man mutmaßlich leere Boote gezielt bekämpft) halte ich für naiv. Man wird bald merken dass das nicht ausreicht und Atalanta nochmals in Richtung des im Rahmen von 1851 Zulässigen erweitern müssen, wenn man Wirkung erzielen will. Gewalt ist erforderlich, und sie trifft jetzt schon Unbeteiligte und wird noch viel mehr davon treffen (auch die keinesfalls unbeteiligte sprichwörtlich für die Piraten Brot backende Frau), wenn man tut was völkerrechtlich zulässig und militärisch erforderlich ist.
Wenn man damit nicht zurechtkommt (und ich glaube nicht das die deutsche Öffentlichkeit dies täte), dann sollte man sich besser nicht militärisch engagieren und sich z.B. darauf beschränken, angemessen bewaffnete private Dienstleister an Bord der bedrohten Schiffe zuzulassen.
@ Orontes
Ich teile voll und ganz Ihre Bemerkung, die Vorstellung eines „sauberen Krieges“ sei naiv. Trotzdem weiß ich nicht so recht, auf was Sie hinauswollen. Der ATALANTA-Einsatz ist ein (auch) mit militärischen Mitteln geführter, und er ist durch die VN abgedeckt. Aber: Es handelt sich nicht um einen Krieg. Die Bundeswehr steht derzeit (zum Glück) nirgends in einem Krieg, auch wenn der einzelne Soldat in bestimmten Lagen zu Recht einen anderen Eindruck haben muss. Selbst Afghanistan ist da ein Grenzfall, bei dem sich die Gelehrten trefflich streiten (im Gegensatz zu KT hält sich TdM hier auch merklich zurück) – aber das ist ein anderes Thema.
Bei der Bekämpfung der Piraterie (oder man sollte besser sagen: Beim Schutz unserer Schiffe gegen Piraten) am Horn von Afrika darf man eben nicht davon ausgehen, der Zweck heilige jedes Mittel. Daher bin ich (auch zum rechtlichen Schutz unserer Soldaten vor Ort) sehr damit einverstanden, wenn die RoE unzweideutig definiert werden und jede Ausweitung sorgfältig abgewogen wird. Die Gefahr eines mission creep, die irgendwann mal nicht mehr beherrschbar wird, wurde hier ja schon anderweitig angesprochen. Und Sie haben Recht: Wenn wir das nicht aushalten, dann sollten wir lieber die Finger davon lassen und rechtzeitig nach anderen Lösungen suchen.
@KeLaBe
„Aber: Es handelt sich nicht um einen Krieg. Die Bundeswehr steht derzeit (zum Glück) nirgends in einem Krieg, auch wenn der einzelne Soldat in bestimmten Lagen zu Recht einen anderen Eindruck haben muss.“
Natürlich ist der ISAF Einsatz kein „Krieg“ für die Bundeswehr.
Aber gemäß eindeutiger Rechtslage (siehe hierzu auch die Entscheidung des Generalbundesanwalts im Fall Oberst Klein) besteht für die Bw-Soldaten dort Kriegsführungsrecht.
Man benötigt heutzutage aufgrund der asymmetrischen Situationen keine Kriegserklärung mehr um Kriegsführungsrecht anwenden zu dürfen.
Und das gilt für Piraterie in einem viel deutlicheren Maße. Im Gegensatz zu Landkriegsführung, die erst in den letzten 50 Jahren in immer stärkerem Maße auch außerhalb von Kriegen anzutreffen ist, ist das Recht gegen Piraten auch Kriegsführungsrecht anwenden zu dürfen nach meinem Kenntnisstand niemals eingeschränkt worden…
Nur wir in DEU wollen das (wieder einmal) nicht wahrhaben, sondern leben lieber in einer Traumwolke unserer heilen Welt.
@KeLaBe
„Trotzdem weiß ich nicht so recht, auf was Sie hinauswollen.“
Ich habe den Eindruck, dass man sich in Deutschland in fast jeder Hinsicht wieder etwas vormacht. Die einen tun so, als könne man einen irregulären Gegner militärisch „sauber“ besiegen ohne ihm oder anderen Menschen wehzutun (z.B. durch Versenken leerer Boote), während andere sich ein schöneres Völkerrecht erträumen bzw. meinen das dessen Inhalt mit der Bergpredigt übereinstimme, während wieder andere meinen, die Piraten könnten durch Entwicklungshilfe in die Knie gezwungen werden. Eine nüchterne Analyse der Bedrohung und Abwägung der gegen sie erforderlichen Maßnahmen anhand einer soliden Bewertung der erwarteten Wirksamkeit scheint hingegen (wie im Fall Afghanistans) nicht stattzufinden. Immerhin stellen die Piraten, anders als die Frage der Frauenrechte in Afghanistan, tatsächlich eine Bedrohung für deutsche Interessen dar.
„Aber: Es handelt sich nicht um einen Krieg. “
Militärisches Eingreifen auf Grundlage des HVR in einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ist tatsächlich kein „Krieg“ (den gibt es nur zwischen Staaten), kann für die Beteiligten aber so aussehen wie einer. Noch 2009 lösten ähnliche Bemerkungen deutscher Politiker darüber, dass in Afghanistan nicht Krieg geführt würde, unter deutschen Soldaten, die zeitgleich Gefechte mit bis zu zweistelligen Verlusten unter Aufständischen führten, eine bittere Form von Heiterkeit aus.
„Beim Schutz unserer Schiffe gegen Piraten) am Horn von Afrika darf man eben nicht davon ausgehen, der Zweck heilige jedes Mittel.“
Den Einsatz chemischer oder biologischer Waffen gibt das Völkerrecht grundsätzlich nicht her, aber ansonsten lässt es beinahe alle Optionen einschließlich des Einsatzes von Nuklearwaffen zu, solange dieser verhältnismäßig zum militärischen Zweck ist. Natürlich denkt niemand im Entferntesten daran solche Waffen einzusetzen. Ich erwähne dies nur um zu zeigen, dass die Situation es gar nicht erfordert, den Einsatz extremster Mittel überhaupt in Erwägung zu zu ziehen. Niemand will „jedes Mittel heiligen“. Die deutsche Diskussion wird aber vermutlich selbst niederschwellige Maßnahmen wie den geplanten Einsatz von Kampfhubschraubern gegen leere Boote am Stand für extrem halten. Spätestens dann, wenn die über die europäische Diskussion gut informierten Piraten Bilder an Journalisten verschicken, die tote Frauen und Kinder neben den Booten zeigen. Wo und unter welchen Umständen sie gestorben sind dürfte dann in der deutschen Diskussion als zynische und unanständige Frage gelten. Und da diese Hubschraubereinsätze vermutlich wenig bewirken werden, wird eine Diskussion über eine Ausweitung dennoch irgendwann bevorstehen.
@ Orontes
Sie schreiben ja sehr viel richtiges und über einiges müsste wirklich in der Öffentlichkeit oder im Bundestag vernünftig Diskutiert werden … schließlich ist schon ein Bundespräsident wegen dieser Problematik zurück getreten.
Ich meine mich zu erinnern (kann mich aber auch täuschen), dass es bei der VN-Mandatierung nicht um die allgemeine Handelsschiffahrt ging, sondern nur um die Hilfslieferungen. Verwechsele ich da irgendetwas?
Auch wenn es noch so oft behauptet wird, ist Köhler nicht wegen seiner Äußerung zum möglichen Bw Einsatz zurückgetreten. Er trat zurück, weil ihm seine Unterschrift zur ersten „Griechenland-Hilfe“ abgenötigt wurde. Ihm gefiel nicht wie die Regierung ihn, den Bundespräsident, als Abnickmaschine mißbrauchte.
Die Bevölkerung hat das Recht, Dinge nicht zu wollen die einem evtl nicht gefallen. Selbst der IBUK ist der Meinung, dass es sich bei den Piraten um Kriminelle handelt. Wo ist die vernetzte Sicherheit? Wo sind die klugen sicherheitspolitischen, nachhaltigen Ansätze? Wir gleichen uns immer mehr der Vorgehensweise der USA und Russlands an! Beide sind mit ihren Verfahren bei der Nachhaltigkeit und dem Mehrgewinn an Sicherheit gescheitert. Spätestens jetzt schon fast nach AFG, sollte man beim erneuten Einsatz von Staatsvermögen und Menschen eine langfristige Strategie für Konflikte besitzen.
@Heiko Kamann
Hier ist der Text der Resolution 1851:
http://www.un.org/depts/german/sr/sr_08/sr1851.pdf
Die Behinderung der Hilfslieferungen wird als einer von vielen Punkten erwähnt, aber der Text legitimiert allgemein „Kampf gegen Seeräuberei und bewaffnete Raubüberfälle auf See“.
In der politischen Diskussion wird der Schutz der Hilfslieferungen gerne in den Vordergrund gestellt, was aber m.E. damit zu tun haben dürfte, dass in Deutschland der Schutz eigener nationaler Interessen unpopulär ist und man als Politiker ungerne darüber spricht, auch wenn man dies ausnahmsweise praktiziert. Auf die unsachlichen Anfeindungen gegen Bundespräsident Köhler nach einem entsprechenden Kommentar, die er als offiziellen Grund für seinen Rücktritt angab, wurde ja schon hingewiesen.
@Elahan
„Die Bevölkerung hat das Recht, Dinge nicht zu wollen die einem evtl nicht gefallen.“
Daraus folgt für mich, dass man der Bevölkerung gegenüber nicht verbergen sollte, worauf sich die Regierung einlässt und warum sie es tut bzw. mit welcher Strategie sie dabei erfolgreich sein will.
„Selbst der IBUK ist der Meinung, dass es sich bei den Piraten um Kriminelle handelt.“
Man kann gleichzeitig Straftäter nach somalischem Recht und legitimes militärisches Ziel nach Humanitärem Völkerrecht sein. Die gleiche Rolle haben z.B. die Aufständischen in Afghanistan inne, die gleichzeitig militärisch bekämpft und nach afghanischem Strafrecht behandelt werden. Das hat u.a. den Grund, dass es wenig Sinn macht jemanden als Straftäter zu behandeln, der militärisch in Räumen agiert, wo es weder eine funktionierende Justiz noch eine funktionierende Polizei gibt.
„Wo sind die klugen sicherheitspolitischen, nachhaltigen Ansätze?“
Welchen Ansatz halten Sie für „klug und nachhaltig“?
@ all:
Das Mandat der EU führt als Hauptauftrag zuallererst den Schutz des World Food Programms an. Danach richtet sich auch die Verteilung der Einheiten, da zB der Schutz/ das Geleit der WFP-Schiffe Priorität vor der Überwachung des Korridors (IRTC) hat.
Kleiner Ausschnitt von der Bw-Homepage:
„Die Bundeswehr beteiligt sich seit Beginn an Atalanta und verfolgt im Rahmen der durch die EU festgelegten Einsatzregeln und nach Maßgabe des Völkerrechts folgende Aufgaben:
-Gewährung von Schutz für die Schiffe des Welternährungsprogramms unter anderem durch die Präsenz von bewaffneten Kräften an Bord dieser Schiffe
– im Einzelfall und bei Bedarf Schutz von zivilen Schiffen im Operationsgebiet
– Überwachung des Seegebiets vor der Küste Somalias
– Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen, auch mit Hilfe des Einsatzes von Gewalt“
Da das in etwa auch der deutsche Mandatstext ist, ist das Ganze auch entsprechend zitierfähig.
Bei genauerem Hinsehen sind also die direkten Anti-Piraterie-Operationen iR ATALANTA eher ein „Nebenprodukt“.Durch die geringere „Auslastung“ hinsichtlich der WFP-Eskorten vor Ort ist dann aber entsprechend „Luft“, um APO durchzuführen.
Streng genommen wäre mE der Anteil der Anti-Piraterie-Operationen nach deutschem Gesetzestext eine Polizei-Aufgabe und keine Aufgabe für die Bw. Mangels Einheiten und Know-how führt es aber die Bw aus.
Vielleicht macht es das etwas klarer.
@Elahan
„Auch wenn es noch so oft behauptet wird, ist Köhler nicht wegen seiner Äußerung zum möglichen Bw Einsatz zurückgetreten. Er trat zurück, weil ihm seine Unterschrift zur ersten “Griechenland-Hilfe” abgenötigt wurde. Ihm gefiel nicht wie die Regierung ihn, den Bundespräsident, als Abnickmaschine mißbrauchte.“
Auch wenn das hier OT ist, gibt es hierzu auch eine valide Quelle? Denn diese Aussage finde ich sehr spannend!
@Koffer
Wir hatten die Diskussion schonmal im Zusammenhang mti Gabriels Forderungen bzw. europäischer Integration.
Zu den Umständen des Köhler-Rücktritts hatte der „Spiegel“ vor einiger Zeit einen Artikel veröffentlicht, in dem die von Elahan vertretene These diskutiert wurde. Der Artikel wies auf einige Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Köhlers Rücktritt hin, u.a. darauf, dass Medien bereits Köhlers Unterschrift unter das „Rettungspaket“ meldeten, als dieser es noch gar nicht unterschrieben geschweige denn geprüft haben konnte, weil er sich in im Flieger von Afghanistan nach Deutschland befand. Möglicherweise hatten andere Stellen seine Entscheidung öffentlich vorweg genommen, was einem Staatsstreich gleichkommen würde, falls dies zuträfe. Die Eile, mit der der ganze Vorgang innerhalb eines Tages durch Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident gebracht wurde, hatte vermutlich mit dem damals unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch europäischer Banken mit potentiell katastrophalen Folgen zu tun. Dass ein solcher Zusammenbruch damals drohte, bestätigte die EZB später offiziell (S. 40: „die Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigen Zahlungsausfalls von zwei oder mehr großen und komplexen Bankengruppen des Eurogebiets [stieg] sprunghaft an und überschritt die nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers beobachteten Werte“).
http://www.bundesbank.de/download/ezb/monatsberichte/2010/201006.mb_ezb.pdf
Irgendwann wird darüber vielleicht mehr bekannt werden.
@Orontes
„Wir hatten die Diskussion schonmal im Zusammenhang mti Gabriels Forderungen bzw. europäischer Integration.“
Naja, vermutlich war ich da intellektuell und emotional eher mit anderen Dingen beschäftigt ;)
„Irgendwann wird darüber vielleicht mehr bekannt werden.“
Da wäre ich mir nicht so sicher.
Wenn es nur eine Verschwörungstheorie ist, dann wird sich das ja sowieso nicht bestätigen lassen.
Und wenn etwas Wahres daran ist, dann können vermutlich nur die beiden Hauptbeteiligten, der Altbundespräsident und die Bundeskanzlerin, dazu etwas sagen und ich denke, dass weder der eine noch der andere daran ein Interesse hätte ;)
Und nebenbei, dann wäre mir Köhlers Entscheidung noch unklarer als sie mir damals so oder so schon war.
Denn wenn seine Unterschrift in der Tat in gewisser Weise durch vorauseilende Pressemeldungen „erzwungen“ wurde, dann hätte er ja die Pflicht als Bundespräsident gehabt sich, seine Nachfolger und das Amt dadurch zu beschützen, dass er an dieser Stelle alles auf Eis gelegt hätte.
Und wenn ihm das nicht so wichtig gewesen wäre, warum hätte er denn dann zurück treten sollen?
Von daher: nette Theorie, aber ich habe da meine Zweifel ;)
Rainer Arnold gab – bereits am Freitag – auch dem Deutschlandfunk ein Interview:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1711494/