Vorwürfe gegen „Gorch-Fock“-Kapitän „nicht haltbar“ (Update)

Es ist faktisch die Rehabilitierung des Gorch-Fock-Kapitäns Norbert Schatz, die die Untersuchungskommission der Deutschen Marine als ihr Ergebnis verkündet. Unter dem Kommando des Amtchefs des Marineamtes, Horst-Dieter Kolletschke, war die Kommission den Vorwürfen zu den Vorfällen an Bord des Segelschulschiffes nachgegangen – von schikanöser Behandlung der Offizieranwärter an Bord bis zu sexueller Nötigung. Die Vorwürfe seien, so heisst es in dem 98 Seiten starken Papier, zum großen Teil  nicht haltbar. Und wo sie doch berechtigt gewesen seien, seien sie übertrieben gewesen: Soweit Vorwürfe in Teilen bestätigt werden konnten, besaßen diese hingegen bei Weitem nicht die Qualität, die ihnen ursprünglich beigemessen worden ist.

(Der Bericht liegt mir jetzt vor; allerdings werde ich aus Gründen des Quellenschutzes nicht daraus zitieren. Zitate entnehme ich dem Bericht der Kollegen von der Financial Times Deutschland – die hatten auch das Kommissionsergebnis als erste und zuerst darüber berichtet: Ermittler nehmen „Gorch Fock“-Kapitän in Schutz)

Detailliert haben die Marine-Ermittler die verschiedenen Äußerungen gegeneinander gestellt – sowohl die Vorwürfe aus der Offizieranwärter-Crew als auch die Gegenäußerungen aus der Stammbesatzung. In ihrer zusammenfassenden Bewertung kommen sie zu dem Ergebnis, dass es an Bord eines Schiffes und erst recht unter den Einschränkungen an Bord eines Segelschiffes zu Spannungen und Problemen kommt (was auch gewollt sei, um den künftigen Offizieren der Marine die Grenzen der Belastbarkeit aufzuzeigen). Normalerweise würden sich diese Spannungen und Probleme durch die gemeinsame Fahrt- und Segelzeit abbauen. Doch bei dem Törn, der Auslöser der Vorwürfe war, passierte gerade zu Beginn der tödliche Unfall der Offizieranwärterin Sarah Lena Seele. Und dadurch seien die negativen Eindrücke der ersten Tage nicht nur nicht abgebaut worden – sondern im Gegenteil noch verstärkt.

Schieflage: Die Gorch Fock vor Kap Hoorn (Foto: (Foto: Yvonne Knoll/PIZ Marine)

Allerdings, auch zu dem Ergebnis kommt die Kommission, seien die wesentlichen Vorwürfe nur Einzeläußerungen gewesen und nicht von der ganzen Crew geteilt worden. Das könnte, so vermuten sie, auch eine Erklärung für einige Schilderungen sein, die sich im Lauf der Untersuchung als nicht zutreffend heraus gestellt hätten. Einzelne Beschwerden von Offizieranwärtern beim Wehrbeauftragten des Bundestages beruhten auf persönlichen Empfindungen – erklärbar aus der besonderen Hierarchie-Struktur auf dem Großsegler: Die Offiziere seien nicht ständig als handelnde Vorgesetzte präsent, weil die Stammbesatzung der Ansprechpartner der Offizieranwärter sei. Das hätten möglicherweise einige Kadetten als fehlendes Interesse der Offiziere interpretiert – zumal sie zuvor an der Marineschule als Lehrgangsteilnehmer eine ganz andere Situation erlebt hätten.

Ein wesentlicher Punkt der Untersuchung war die Frage nach dem Aufentern, also dem Klettern in die Wanten des Seglers, bis zu fast 40 Metern über Deck. Das sei grundsätzlich nicht freiwillig, heißt es in dem Kommissionsbericht (übrigens ein interessanter Gegensatz zu Äußerungen, die ich zuvor gehört habe) – wenn noch in Deutschland vom arbeitsmedizinischen Dienst festgestellt wurde, dass ein Offizieranwärter dafür fit sei und keine Höhenangst habe, könne er sich später nicht auf Freiwilligkeit berufen. Vor allem habe die Schiffsführung davon ausgehen können, dass alle abkommandierten Lehrgangsteilnehmer auf der Gorch Fock auch höhentauglich gewesen seien. Jeder hatte das wenigstens zu probieren, gab der Schiffsarzt gegenüber der Kommission an. Gesundheitliche Gründe mussten schon detailliert dargestellt werden.

Allerdings wurde nach dem tödlichen Unfall der Kadettin im November vergangenen Jahres die entsprechende Vorschrift geändert: Inzwischen müssen die Offizieranwärter mit Klimmzügen ihre Fitness beim Festhalten nachweisen, außerdem gibt es eine zusätzliche Untersuchung durch den Schiffsarzt.

Auch an Bord der Gorch Fock selbst wurde mit dem Aufentern nach dem Unfall anders verfahren: Bis auf weiteres, habe Kapitän Schatz der Besatzung mitgeteilt, sei dieses Aufentern freiwillig. Für alle, die das danach verweigert hätten, seien andere Aufgaben an Deck gefunden worden – und von Schikanieren derjenigen, die unten blieben, habe nicht die Rede sein können, heißt es in dem Kommissionsbericht.

So weit nach erster Durchsicht des umfangreichen Berichts – da sind sicherlich noch etliche interessante Einzelheiten drin. Interessant wird jetzt die Frage, ob und wenn ja welche Konsequenzen die Marine und (danach?) der neue Verteidigungsminister daraus ziehen. Vermutlich am kommenden Mittwoch dürfte dieser Bericht auch im Verteidigungsausschuss des Bundestages debattiert werden.

Auch wenn das Thema derzeit recht weit hinten rangiert: Der Bericht wird in den nächsten Tagen sicherlich Bundeswehr und Verteidigungspolitiker beschäftigen. (Und erst mal Glückwünsch an die FTD-Kollegen zum Scoop; ich mache mich jetzt auch auf die Suche nach dem Bericht…)