Brieffreunde und Meuterer

Die aktuellen Meldungen über geöffnete Briefe aus Afghanistan und über merkwürdige Vorfälle bis hin zum Vorwurf der Meuterei auf dem Segelschulschiff Gorch Fock haben auf den ersten Blick nur eines gemeinsam: Sie wurden beide durch Hellmut Königshaus, den Wehrbeauftragten des Bundestages bekannt. Der schlug beim Verteidigungsminster und beim Verteidigungsausschuss des Parlaments Alarm.

Aber beide haben einen deutlich größeren gemeinsamen Nenner.

Auch wenn bei den Bemühungen des Ministeriums, aufzuklären wer denn nun die Briefe vom OP North geöffnet hat und ob System dahinter steckt, der straf- und disziplinarrechtliche Aspekt im Vordergrund stehen dürfte: Dieser Vorfall geht weit darüber hinaus. Es geht für die Truppe nicht in erster Linie um die Frage, ob da jemand gegen einen Paragraphen im Strafgesetzbuch oder gegen eine Dienstvorschrift verstoßen hat. Im Ausbildungs- und Schutzbataillon, welch verniedlichendes Wort, sind Kampftruppen, die über Wochen in einem Außenposten irgendwo am Hindukusch stecken, immer der Gefahr von Feuerüberfällen und Sprengfallen ausgesetzt. Ihr Privatleben, so sie nicht einen Großteil davon beim check-in in Köln-Wahn abgegeben haben, besteht aus der Musik auf ihrem iPod und den Briefen, die sie nach Hause schreiben und von zu Hause bekommen.

Wer diese Briefe geöffnet hat, hat ihnen von dem bisschen Privatheit fast den letzten Rest genommen.

Auch die Vorfälle auf der Gorch Fock nach dem Tod der Offiziersanwärterin Sarah Lena Seele im Oktober sind nicht nur eine Frage von Disziplinarrecht und Vorschriften. Nach ihrem tödlichen Sturz wollten einige ihrer Crewkameraden nicht mehr in die Wanten aufentern – die Schiffsführung erfuhr das von zwei dienstälteren Offiziersanwärtern, die sich um ihre Kameraden kümmern sollten. Vier Offiziersanwärter mussten sich daraufhin anhören, sie arbeiteten nicht mit der Schiffsführung zusammen – deshalb sollten sie, so berichtet der Wehrbeauftragte, wegen Meuterei und Aufhetzen der Offiziersanwärter-Crew … von der Ausbildung abgelöst und zurück nach Deutschland geflogen werden.

Ob es wirklich Meuterei war, sei dahin gestellt – denn was danach passierte, ist aus meiner Sicht der eigentliche Skandal: Mit der Entscheidung der Marineführung, die gesamte Ausbildung auf der Gorch Fock vorerst auszusetzen, seien die vier Betroffenen von der Schiffsführung aufgefordert wirden, die ihnen eröffneten Ablösungsanträge zu vernichten, berichtet der Wehrbeauftragte. Also alles schön vertuschen?

Ich war nie Soldat und lasse mich deshalb gerne korrigieren, aber bei der Beobachtung der Truppe über zwei Jahrzehnte habe ich eines gelernt: Es ist ein Mythos, dass eine Armee allein auf Befehl und Gehorsam aufgebaut ist. Mindestens genau so wichtig ist Vertrauen – Vertrauen in den Kameraden, der einen in einer brenzligen Situation nicht im Stich lässt. Und Vertrauen auf die Vorgesetzten, die ihre Leute nicht in Extremsituationen hetzen und dann hängen lassen.

Dieses Vertrauen droht verloren zu gehen. Und das hat für die Bundeswehr weit schlimmere Konsequenzen als ein Verstoß gegen eine ZDv oder einen Paragraphen.

Das Segelschulschiff Gorch Fock unter Sturmsegeln – erstmals umrundete das Ausbildungsschiff Kap Hoorn. Der Sturm vor der Spitze Südamerikas dürfte leichter auszuhalten sein als der Sturm, der jetzt in der Heimat droht. (Foto: Yvonne Knoll/PIZ Marine)

Nachtrag: Da die sexuelle Belästigung auf der Gorch Fock in etlichen Meldungen großen Raum einnimmt, will ich gerne ergänzen, was der Wehrbeauftragte dazu mitgeteilt hat:

Ein Obergefreiter (Offizieranwärter) trug vor, von drei Soldaten der Stammbesatzung belästigt worden zu sein.

Während eines Hafenaufenthaltes sei er duschen gegangen. Dort sei er von drei Soldaten der Stammbesatzung angesprochen worden. Es sei „auf dem Schiff ähnlich wie im Knast, jeder Neue müsse seinen Arsch hinhalten“. Sie hätten daraufhin eine Flasche Shampoo auf den Boden geworfen und ihn aufgefordert, sich danach zu bücken. Er habe Angst bekommen und die Dusche schnellstmöglich verlassen.

Den Vorfall habe er seiner Vertrauensperson gemeldet, die die Meldung an die Vorgesetzten weitergetragen habe. Seine Aussage sei aufgenommen worden und der Kommandant habe die Besatzung an der Pier antreten lassen sowie eine Belehrung ausgesprochen.