Afghanischer Luftangriff bei Kundus: NATO-Berater eingebunden? (Update)

Im Norden Afghanistans kamen am vergangenen Montag bei einem Luftangriff zahlreiche Menschen ums Leben. Über diesen Angriff gibt es, wie so oft in den vergangenen Jahren, sehr gegensätzliche Meinungen: Galt er einem Treffen von Aufständischen – oder wurden wehrlose Zivilisten hier zum Opfer? Der Unterschied zu früheren Vorfällen dieser Art: Es sind nicht die USA oder andere internationale Truppen am Hindukusch, die diesen Luftangriff geflogen haben. Es waren die afghanischen Streitkräfte selbst.

Und neben den Einzelheiten des Vorgangs selbst ist aus deutscher Sicht die Frage von Bedeutung: Waren die Berater der internationalen Resolute Support Mission, darunter der Bundeswehr, an der Vorbereitung für oder Entscheidung über diesen Angriff beteiligt? Haben eventuell deutsche Experten den Afghanen in diesem Fall zu- oder abgeraten? Oder lag alles ausschließlich in afghanischer Hand, ohne dass die ausländischen Trainer damit zu tun hatten?

Nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums wird derzeit geprüft, ob Trainer der internationalen Mission bzw. der Bundeswehr in diesem Fall eingebunden waren. Sowohl die afghanische Regierung als auch die UN-Mission UNAMA haben bereits eine Untersuchung angekündigt.

Update 6. April: Auskunft aus dem deutschen Verteidigungsministerium:

An dem Angriff vom 2. April 2018 waren Berater von RESOLUTE SUPPORT weder an Planung oder Vorbereitung noch Durchführung beteiligt.

Eine Zusammenfassung des bisherigen Kenntnisstandes zu diesem Angriff findet sich unter anderem bei der New York Times und bei tagesschau.de. Die afghanische Zentralregierung in Kabul vertritt die Ansicht, es habe sich um ein Taliban-Treffen gehandelt, dass von afghanischen Hubschraubern angegriffen wurde – und die zivilen Opfer seien die Folge von Schüssen, die die Aufständischen abgegeben hätten.

Örtliche Funktionäre und Lokalpolitiker dagegen sprechen von einem großen religiösen Treffen in einem Seminar, bei dem auch Taliban zugegegen gewesen seien. Dahinter steckt natürlich auch die Frage, ob die afghanischen Streitkräfte ohne Rücksicht auf Zivilisten vorgehen, wenn sie Aufständische ausschalten wollen.

Die afghanische Regierung hat dazu ein Drohnenvideo veröffentlicht, das je nach Sichtweise beide Interpretationen zulässt: Größere Menschenansammlungen sind dort ebenso zu sehen wie einzelne bewaffnete Kämpfer. Auf Grundlage der Erkenntnisse aus dieser Drohnenaufklärung wurden die Angriffe mit MD530-Hubschraubern geflogen.

Aus dem Video ist auch der genaue Ort ersichtlich: Die MGRS-Koordinate 42S WF 17773 96522 entspricht Breite und Länge 37.01470N 69.19979E, nordöstlich von Kundus:

In dieser Region ist das 209. Korps der Afghan National Army (ANA) aktiv, und genau das wird von der Bundeswehr ihm Rahmen der Train-Advise-Assist-Mission (TAA – Ausbilden, Beraten, Unterstützen) auch in einem vorgeschobenen Gefechtsstand in Kundus selbst betreut. Kommandeur des TAA-Command North im Rahmen der NATO-geführten Resolute Support Mission ist der deutsche Brigadegeneral Wolf-Jürgen Stahl.

Nicht so ganz klar ist allerdings, in wessen Verantwortung sowohl der Luftangriff selbst und auch die vorangeganene Drohnen-Aufklärung liegen: In der Hand der – kleinen – afghanischen Luftstreitkräfte, die weitgehend unabhängig vom 209. Korps agieren? Oder doch in der Entscheidungshoheit der örtlich zuständigen ANA-Verbände?

(Foto: Screenshot aus dem verlinkten Video; Karte OpenStreetMap)