Deutsch-niederländische Flugabwehr-Kooperation: Gemeinsam gegen die Lücke

Die intensive Zusammenarbeit der deutschen und der niederländischen Streitkräfte in den vergangenen Jahren wird in der öffentlichen Wahrnehmung von Heer und Marine dominiert: Gegenseitige Unterstellungen von Einheiten der Landstreitkräfte bis zur Eingliederung von niederländischen Soldaten in eine deutsche Panzerkompanie oder die Unterstellung des deutschen Seebataillons unter das niederländische Korps Mariniers haben die Berichte bestimmt. Parallel und weniger auffällig haben auch die Luftwaffen beider Länder ihre Kooperation vorangetrieben – und hoffen nicht zuletzt darauf, gemeinsam eine offensichtliche Fähigkeitslücke zu schließen.

Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker und sein niederländischer Kollege Tom Middendorp unterschrieben am (heutigen) Dienstag eine Vereinbarung, ein Technical Agreement (Foto oben), dass die deutsche Flugabwehrraketengruppe 61 der niederländischen Bodengebundenen Luftverteidigung unterstellt. Diese Unterstellung ist vorerst eine Absichtserklärung, die zum 1. April kommenden Jahres mit einem formalen Wechsel in Kraft tritt (deshalb geht die deutsche Einheit, die das Feldlager-Schutzsystem Mantis betreibt, mit ihren Sensoren, wenn auch ohne die Kanonen, noch unter deutscher Hoheit in den UN-Einsatz in Mali). Ab dem kommenden Jahr soll die FlaRakGruppe aber für Einsatz und Ausbildung dem niederländischen Kommando unterstehen.

Bei all den verschiedenen Facetten des Projekts Apollo (eine Übersicht der Bundeswehr dazu hier*) geht es zwar auch um die großen Systeme der bodengebundenen Luftverteidigung wie Patriot (das derzeit in unterschiedlichen Konfigurationen von beiden Ländern betrieben wird), aber interessant ist ein Bereich, bei dem beide Länder derzeit nicht liefern können: Die Luftverteidigung im Nah- und Nächstbereich, nicht zuletzt von Konvois auf dem Marsch, können sowohl die Niederlande mit ihren 18 Fennek mit Stinger-MANPADS (Foto unten) als auch die Bundeswehr mit ihrem System Ozelot nur sehr ungenügend sicherstellen.

In Deutschland ist das vor allem eine Folge von Verkleinerung und Einsparungen bei der Bundeswehr – die einstige Heeresflugabwehr wurde aufgelöst, und die Luftwaffe hat zwar die Pilotfunktion (wohl eher: die Verantwortung) übernommen für diesen Nächstbereichsschutz. Allerdings mit einer sehr begrenzten Fähigkeit, wie Luftwaffeninspekteur Karl Müllner einräumt.

Dabei hat sich das Bedürfnis, diese Nischenfähigkeit (Müllner) bereitzustellen, in den vergangenen Jahren dramatisch gewandelt. Während zuvor für Auslandseinsätze ein mobiler Schutz vor Bedrohungen aus der Luft nicht gebraucht wurde, rückt dieses Problem angesichts der Rückbesinnung der NATO auf kollektive Verteidigung wieder ins Blickfeld: Einheiten des Heeres mobil und möglichst auch in der Bewegung zu schützen, ist wieder eine gesuchte Fähigkeit.

Ein wenig hofft Müllner offenschtlich darauf, dass eine deutsch-niederländische Zusammenarbeit das Projekt vorantreibt: Short Range Air Defense (SHORAD) ist als binationales Vorhaben angesichts der NATO-Forderungen vielleicht ein besseres Argument im Kampf der Ressourcen. Mit anderen Worten: Da lässt sich mehr politischer Druck aufbauen, die Beschaffung eines neuen Systems voranzutreiben.

Dem deutschen Luftwaffenchef (und vermutlich auch dem niederländischen Heereschef, der für die bodengebundene Luftverteidigung im Nahbereich zuständig ist), sitzt quasi das Bündnis im Nacken. Im Planungsprozess der NATO ist nicht nur vorgesehen, dass Deutschland dem Bündnis drei Brigaden und einen Divisionsstab als bereit meldet – sondern auch deren Schutz vor Luftangriffen. Langfristig, nach 2030, müsse sogar der Schutz von sieben Brigaden und drei Divisionsstäben plus einem Korpstab möglich sein.

Vier Feuereinheiten, rechnet Müllner vor, sind dafür schon in der ersten Stufe notwendig. Sollten sie, zumindest planerisch, für Landoperationen rund um die Uhr bereitstehen und durchhaltefähig ausgestattet werden, wäre das schon personell ein Kraftakt: Bis zu 1.500 Soldaten wären für den Gesamtapparat einschließlich Transport, Führungsfähigkeit und Gefechtsstand nötig.

Aber es fehlt vorerst auch noch am Material – und da setzt die deutsche Luftwaffe auf das Zusammengehen mit den Niederlanden. Klar ist bislang nur, dass eine marktverfügbare Lösung für ein solches mobiles Luftverteidigungssystem gesucht wird, also keine Neuentwicklung, die Jahre kosten würde. Eine infrarot-gelenkte Flugabwehrrakete, plus eine Kanone, scheinen in den Überlegungen der Luftwaffe schon gesetzt. Vielleicht sogar, das deutet der Luftwaffeninspekteur an, auf Basis des jetzt schon in den Streitkräften beider Länder vorhandenen Transportpanzers Boxer.

Eines möchte Müllner offensichtlich vermeiden: Ein ähnliches, sagen wir Fiasko, wie es nach der Übernahme der Marineflieger durch die Luftwaffe vor einigen Jahren entstand. Die Luftwaffe hatte damals zugesichert, die Seekriegführung aus der Luft für die Marine weiterzuführen. (Inzwischen erinnern sich nur noch unmittelbar Beteiligte an den Ausspruch eines früheren Luftwaffeninspekteurs: Das bisschen TASMO [Tactical Air Support Maritime Operations] machen wir zum Frühstück.) Die Fähigkeit ist praktisch weg, nicht zuletzt, weil die dafür geeigneten Tornado-Kampfjets tief im Binnenland stationiert sind. Beim Versprechen an das Heer, nach der Auflösung der eigenen Flugabwehr den ganzen Bereich des Schutzes aus der Luft sicherzustellen, will die Luftwaffe diesmal liefern.

(* Da die Webseiten der Bundeswehr absehbar auf ein neues System umgestellt werden, ist dieser Link irgendwann nicht mehr aktiv. Zum späteren Nachlesen der Bericht im pdf-Format:
20170814_Luftwaffe_Apollo_D_NL)

(Foto oben: Wieker und Middendorp – Mediacentrum Defensie/Gerben van Es; Foto unten: Stinger-Flugabwehrsysteme auf Fennek des niederländischen Heeres – Foto defensie.nl)