Tradition in der Bundeswehr: von der Leyen will „Nulllinie“ (m. Audio)

In der aktuellen Debatte über das Traditionsverständnis der Bundeswehr will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der Truppe eine einheitliche Grundlinie einziehen, auf der das Verständnis vor allem in Bezug auf die Wehrmacht des NS-Regimes neu aufgebaut wird. Die Ministerin verwies am (heutigen) Mittwoch Dienstag beim Parlamentarischen Abend des Reservistenverbandes auf den geltenden Traditionserlass, der schon jetzt festlege, dass ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich keine Tradition begründen könne. Jetzt komme es darauf an, auf den Boden der Erlasslage zurückzukehren.

Aus der vom Ministerium vorab veröffentlichten Rede von der Leyens:

Nicht jede Devotionalie auf der Stube ist Ausdruck einer rechtsextremen Gesinnung. Häufig ist Gedankenlosigkeit oder Unwissen im Spiel – oder manchmal auch Vorgesetzte, die Konflikte meiden. Die angeordnete Bestandsaufnahme ist eine Brücke, die wir für alle bauen, um auf den Boden der Erlasslage zurückzukehren. Die Aktion ermöglicht es uns, gemeinsam eine „Nulllinie“ zu ziehen, ab der keinerlei Wehrmachtsdevotionalien ohne jegliche historische Einordnung mehr ausgestellt sein dürften.

Von der Leyen räumte ein, dass es in der Truppe offensichtlich große Handlungsunsicherheit in Bezug auf den Traditionserlass von 1982 gebe. Das habe ebenso mit einer gewissen Unschärfe dieses 35 Jahre alten Erlasses zu tun wie mit Inkonsequenz im Umgang mit unserem Traditionsverständnis. Als Konsequenz müsse deshalb nicht nur der Wehrmachtshelm aus der Stube verbannt werden, sondern ebenso die Benennung von Bundeswehrgebäuden kritisch überprüft werden:

Doch am Tor der Kasernen stehen nach wie vor Namen wie Hans-Joachim Marseille oder Helmut Lent. Beide Namensgeber sind nicht mehr sinnstiftend für die heutige Bundeswehr. Sie gehören zu einer Zeit, die für uns nicht vorbildgebend sein kann.

Damit rückt die Ministerin (was ihr Haus gestern in der Deutlichkeit nicht sagen mochte) von dem bisherigen Ansatz ab, die Entscheidung über die Benennung von Kasernen den örtlichen Einheiten und kommunalen Politikern zu überlassen. Insbesondere die Lent-Kaserne in Rotenburg und die Marseille-Kaserne in Appen in Schleswig-Holstein dürften damit in absehbarer Zeit ihre bisherigen Namen verlieren.

Von der Leyen erneuerte die Ankündigung, dass der Traditionserlass der Bundeswehr bis zur Bundestagswahl – genauer: noch in dieser Legislaturperiode, was ein kleines bisschen mehr Zeit gibt – überarbeitet werde. Es gehe dabei nicht um einen radikalen Bruch mit den bekannten Traditionslinien der Bundeswehr, sondern um eine Modernisierung und bessere Verständlichkeit für unsere Soldatinnen und Soldaten, sagte die Ministerin. Alle Ebenen der Bundeswehr sollten mehr Handlungssicherheit im Umgang mit der deutschen Geschichte bekommen.

Die CDU-Politikerin ging auch ausdrücklich auf die Kontroverse um das Foto des früheren Verteidigungsministers und Bundeskanzlers Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform ein, das in der Hamburger Bundeswehruniversität abgehängt wurde – und auf die in diesem Zusammenhang genannten Bundeswehrgenerale, die zuvor in der Wehrmacht gedient hatten:

Es gibt so viel, auf das wir stolz sein können! Dazu gehören selbstverständlich auch Persönlichkeiten wie General Heusinger und General de Maizière oder mein Vorgänger im Amte, Helmut Schmidt. Sie waren für den Aufbau der Bundeswehr als eine Armee der Demokratie prägend. In kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Zeit in der Wehrmacht.
Dadurch sind sie für uns sinnstiftend und damit auch traditionsgebend für die heutige Bundeswehr – aber nicht wegen ihrer Zeit in Wehrmachtsuniform!
Es gibt Bilder von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform, es gibt Bilder von Helmut Schmidt in Bundeswehruniform als Reservist. Und es gibt Bilder von Helmut Schmidt als Verteidigungsminister. Ein solches hängt vor meinem Büro im Ministerium. Und im Übrigen hängen die Bilder der Generalinspekteure de Maizière und Heusinger in Bundeswehruniform auf dem Flur des Generalinspekteurs.

Nachtrag: Die Ministerin hat sich im Wesentlichen und vor allem in den inhaltlichen Aussagen an den Redetext gehalten; hier als Audio zum Nachhören (ich bitte um Verständnis, dass ich den Teil mit der Ehrung der Preisträger der „Partner der Reserve“ hier weglasse):

vdL_Reservistenverband_16mai2017     

 

 

Zur Dokumentation auch zum Nachhören die Rede des Präsidenten des Reservistenverbandes, des CDU-Bundestagsabgeordneten Oswin Veith (ich bitte um Verständnis: ohne die lange protokollarische Begrüßung).  Eine interessante Rede, insbesondere die Passage, in der er die Kritiker der Ministerin angeht: Sie persönlich für alle Vorkommnisse verantwortlich zu machen, sei unehrlich und nicht aufrichtig:

Veith_Reservistenverband_16mai2017     

 

 

(Bei diesem Thema ist es weiterhin erfoderlich, alle Kommentare auf moderiert zu setzen)

(Foto: Wandzeichnung beim Jägerbataillon 291 in Illkirch)