Seenotrettung vor Libyen: Rekordzahl am Osterwochenende (m. Nachtrag)

Das Thema ist (nicht nur hier) emotional stark belastet; als Merkposten ist es nötig: Am vergangenen Osterwochenende haben zivile wie staatliche Schiffe eine neue Rekordzahl von Menschen vor der Küste Libyens aus Seenot gerettet. Ob die gemeldete Zahl von 8.500 Flüchtlingen und Migranten stimmt, wird vermutlich nie jemand genau sagen können; ebensowenig, wie viele Menschen beim Versuch ertrunken sind, mit nicht seetüchtigen Schiffen der Schleuserorganisationen nach Europa zu gelangen.

Die Deutsche Marine war mit dem Tender Rhein (Foto oben), der deutschen Besatzung und einem eingeschifften litauischen Boardingteam an den Rettungsmaßnahmen maßgeblich beteiligt – die Rhein nahm 1.181 Menschen auf. Die etwas merkwürdige Nachrichtenlage in den Berichten über das Wochenende zeigt sich daran, dass in den Meldungen, die sich auf zivile Hilfsorganisationen stützen, meist nur vage von einem deutschen Marineschiff die Rede ist; die Meldungen über den Einsatz der Rhein stehen meist daneben.

Aus dem Bericht auf der Bundeswehr-Webseite:

Am 15.04. hat der Tender Rhein bei mehreren Rettungseinsätzen im Rahmen der Operation Sophia insgesamt 1.181 in Seenot geratende Personen aufgenommen und nach Italien gebracht.
Am 15.04. um 08.55 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) erhielt der Tender Rhein durch das Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) in Rom den Auftrag, eine Seenotrettung circa 60 km nordwestlich Tripolis durchzuführen. Nach Erreichen des Ereignisortes nahm der Tender Rhein bis 12.45 Uhr 124 in Seenot geratener Personen auf.
Der Tender unterstützte im Anschluss drei sich bereits in unmittelbarer Nähe befindliche zivile Schiffe, die sich bereits am Rande Ihrer Kapazität befanden, bei einer Seenotrettung. Das Schiff der deutschen Marine nahm dabei weitere Personen von den drei zivilen Schiffen und aus zwei vor Ort treibenden Schlauchbooten und einem Holzboot auf.
Der Rhein hat damit insgesamt bis 15.50 Uhr 1.181 Menschen aufgenommen und verlegt gemäß Maßgabe MRCC ROM in einen Hafen in Italien.
Unter den Personen befinden sich 998 männliche und 183 weibliche Personen, davon acht Schwangere. Von den 1181 Personen sind 428 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.
Die Schlauchboote und das Holzboot wurden als Hindernisse für die Schifffahrt klassifiziert und nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundlagen versenkt.

Nachtrag: Wie Fotos der Bundeswehr zeigen, nahm die Rhein in Seenot geratene Personen von Schiffen privater Hilfsorganisationen auf: Von der Sea Eye und vom Schiff Iuventa der deutschen Organisation Jugend rettet, das zwischendurch per Funk Seenot gemeldet hatte.

 

Aus dem Statement von Jugend rettet:

Entscheidend für die Situation am Ostersonntag waren die Ereignisse am Samstag, den 15.4.2017: wie unsere Crew berichtete befanden sich rund 3000 Menschen zeitgleich in Seenot, nachdem schon in den Vortagen 2000-3000 Menschen im SAR-Gebiet eintrafen. Nach Angaben der italienischen Küstenwache kamen insgesamt 7000 Menschen am 15. und 16.4.2017 im Einsatzgebiet an. Das hat alle vorhandenen Einsatzkräfte maximal gefordert und dazu geführt, dass auch große NGO-Schiffe wie die Aquarius von SOS MEDITERRANEE und die Phoenix von MOAS nach kürzester Zeit keine Menschen mehr aufnehmen konnten. Somit mussten mehrere große NGO-Schiffe nacheinander das Einsatzgebiet mit Menschen an Bord verlassen, um diese an Land zu bringen. Die Iuventa, die sea-eye.org und die Phoenix (MOAS) blieben daraufhin alleine in der SAR-Zone zurück.
Nachdem die IUVENTA am Samstag 800 gerettete Menschen an ein Marineschiff übergeben hatte, nahmen sie über Nacht zum Sonntag 309 Personen in ihre Obhut. Ein Teil konnte an Bord genommen werden, andere wurden in Rettungsinseln versorgt. Zu dieser Zeit befanden sich zusätzlich noch schätzungsweise 400 Personen in ihrer Nähe in Seenot und ohne Aussicht auf ausreichende Hilfe. Außerdem wurde von offizieller Seite berichtet, dass noch 5 weitere Schlauchboote mit schätzungsweise 600 Menschen auf dem Weg ins Einsatzgebiet waren. In Zusammenarbeit mit den noch anwesenden SAR-Einheiten versorgte die IUVENTA den ganzen Tag über die umliegende Schlauch- und Holzboote mit Schwimmwesten und Rettungsinseln. Menschen wurden medizinisch versorgt. Am Mittag des Tages waren alle Rettungsmittel ausgebracht, die Ressourcen am Ende. Doch noch längst nicht alle waren in Sicherheit. Durch diese außergewöhnlichen Umstände der Rettung fand sich die Iuventa in einer extremen Ausnahmesituation wieder. Auch die Sea Eye und die Phoenix waren zu diesem Zeitpunkt bereits mit Menschen an Bord vollkommen ausgelastet. Das MRCC in Rom sendete mehrfach Schiffe zur Abnahme und einem Transfer der Menschen, jedoch trafen diese unterwegs selbst auf Seenotfälle. Durch aufkommendes schlechtes Wetter und keine Aussicht auf Assistenz spitzte sich die Lage weiter zu.
Die extremen See- und Wetterbedingungen bedrohten hier besonders die Personen, die nicht mehr unter Deck der IUVENTA untergebracht werden konnten. Um die Iuventa herum schwammen nämlich aufgrund fehlender Kapazität an Bord zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Schlauch- und Holzboote sowie mehrere Rettungsinseln, die für die Geretteten ausgelegt worden waren. Diese besonders hohe Anzahl von Menschen in Seenot ist kein neues Phänomen für zivile Hilfsorganisationen – nichtsdestotrotz zeigt das vergangene Wochenende, wie dramatisch die Lage auf dem Mittelmeer sich zuspitzt und wie dringend politisches Handeln gefragt ist. (…)
Seit Gründung des Vereins haben wir darauf hingewiesen, dass die private Seenotrettung aktuell vorhandene staatliche Lücken füllt. Unsere Forderung nach einem Seenotrettungsprogramm der EU bleibt im Zuge der Entwicklungen der letzten Tage aktueller denn je. Obwohl unser Verein seit einem Jahr zivile Seenotrettung ausübt, ist keine Verbesserung der Lage in Sicht. Die NGOs wiederum können immer wieder unter bestimmten Umständen an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Dies zeigen die extremen Zahlen der letzten Tage: So haben wir als private Organisation innerhalb von drei Tagen 2.147 Menschen mit Rettungsmitteln versorgt. Die Europäische Union muss hier Unterstützung leisten und sich an der Seenotrettung von Menschen auf der Flucht mit einem klaren Mandat beteiligen. Die alleinige Konzentration auf die Beseitigung der Schleppernetzwerke hilft nicht den Menschen, die in diesem Moment vor Krieg und Gewalt fliehen müssen. Ihre Leben dürfen zu keinem Zeitpunkt für eine Politik der Abschreckung und geschlossene Grenzen aufs Spiel gesetzt werden.

Dass die Deutsche Marine diese Organisation bei der Rettung unterstützt hat,  kommt da eher am Rande vor.  Auf die Gefahr hin, dass ich etwas falsch verstanden habe: Eine Kooperation zwischen den privaten Hilfsorganisationen und den Marineschiffen, die sich ebenfalls an der Rettung der in Seenot geratenen Personen beteiligen, scheint es nach diesen beiden, scheinbar zusammenhanglosen Berichten nicht wirklich zu geben – oder zumindest scheint sie nicht so deutlich genannt werden zu sollen.

Nachtrag 2: Die ZDF-Berichterstattung ist dafür ein Beispiel:

(Angesichts der meist emotionalen Debatte über dieses Thema mit bisweilen unschönen Kommentaren setze ich die Kommentarfunktion für diesen Eintrag grundsätzlich auf moderiert.)

(Foto oben: Seenotrettung vor dem Tender Rhein – Foto litauisches Verteidigungsministerium; Foto unten: Bundeswehr)