Beratung über weiteren Antipiraterieeinsatz vor Somalia: Bleiben die optimistischen Annahmen?

Am (morgigen) Mittwoch will sich der Verteidigungsausschuss des Bundestages mit der Verlängerung der deutschen Beteiligung an der seit bald zehn Jahren laufenden EU-Antipiraterimission Atalanta befassen – und droht ein wenig von den Ereignissen überholt zu werden. Denn das neue Mandat, das das Bundeskabinett am 22. März beschlossen hat, enthält noch eine sehr optimistische Annahme: Die Hoffnung, dass der EU-Einsatz weiter heruntergefahren, vielleicht im kommenden Jahr sogar beendet werden kann. Offensichtlich wurden die Vorarbeiten für das Mandat in den ersten Märzwochen gemacht, als die Pirateriesituation vor Somalia noch ganz beherrschbar aussah.

Das hat sich seitdem doch ein wenig gewandelt. Den jüngsten Angriff  gab es am vergangenen Wochenende, wie das Atalanta-Hauptquartier berichtet:

Late on Saturday evening during a European Union counter-piracy patrol close to the east coast of Somalia, EU NAVFOR’s Spanish flagship, ESPS Galicia, received a SOS distress call from the master of merchant ship, MT Costina, to say that his vessel was being attacked by a number of armed pirates in a fast-moving skiff.

Upon receipt of the distress call, ESPS Galicia, which was 14 nautical miles away, launched a SH-3D Sea King helicopter and sailed at full speed towards MT Costina.
As soon as the pirates became aware that the EU NAVFOR warship was fast approaching, they broke off their attack and fled.
Upon arrival at the scene, ESPS Galicia’s helicopter conducted a full aerial search. After confirming that the skiff was no longer in the sea area, ESPS Galicia’s special operations team went on board MT Costina to reassure the master and his crew.
An inspection of MT Costina’s upper deck confirmed that the ship’s structure had a number of bullet holes from the pirate attack, but it was assessed that MT Costina could continue to her next port of call.

Der selbe Vorfall in der Schilderung des internationalen Piracy Reporting Centre

22.04.2017: 1442 UTC: Posn: 05:42N – 048:53E, Around 5.7nm East of Somali Coast, Somalia.
Six armed persons in a skiff chased and fired upon a tanker underway. Master raised the alarm and sent distress message, to which a warship responded. The skiff chased the tanker for nearly two hours and then moved away due to the continuous evasive manoeuvres. One crew reported injured.

Der Angriff auf den unter der Flagge von Sierra Leone fahrenden Tanker ist nur der vorerst letzte Vorfall einer Serie, die im März begonnen hat – von der vorübergehenden Kaperung des Tankers Aris13 Mitte März, zunächst als Einzelfall betrachtet, über die Entführung mehrerer Dhaus bis zum Hijacking des Frachters OS35, das durch Seestreitkräfte aus Indien und China beendet wurde. Noch recht vage Angaben gibt es zu der Frage, ob chinesische Soldaten dabei auch mutmaßliche Piraten erschossen haben.

Alle Angriffe in diesem Jahr fanden in den sozusagen klassischen Operationsgebieten somalischer Piraten statt – vor der Ostküste des afrikanischen Landes, im Golf von Aden bis hoch zum Bab el Mandeb.

Inzwischen sehen auch die USA ein Wiederaufflammen der Piraterie, auch wenn aus deren militärischer Sicht Somalia ein Gebiet für den Kampf gegen Terrororganisationen ist und die Piraten dabei weniger Bedeutung haben. Das wurde beim jüngsten Besuch von US-Verteidigungsminister James Mattis in Djibouti klar, wie unter anderem AP berichtete:

Pirates have returned to the waters off Somalia, but the spike in attacks on commercial shipping does not yet constitute a trend, senior U.S. officials said Sunday. (…) U.S. Defence Secretary Jim Mattis told reporters at a military base in the African nation of Djibouti, near the Gulf of Aden, that even if the piracy problem persists, he would not expect it to require significant involvement by the U.S. military.
At a news conference with Mattis, the commander of U.S. Africa Command said there have been about six pirate attacks on vulnerable commercial ships in the past several weeks. „We’re not ready to say there’s a trend there yet,“ Marine Gen. Thomas Waldhauser said, adding that he views the spurt of attacks as a response to the effects of drought and famine on the Horn of Africa.

Allerdings ist es vermutlich auch falsch, von einem Wiederaufflammen zu reden: Die Ursachen, die zu dieser Art von Kriminalität zur See geführt haben, sind schließlich keineswegs beseitigt. Weiterhin ist Somalia ein von Stammes- und Bürgerkrieg zerrissenes Land, mit Hungersnöten, die durch eine Dürre noch verschärt werden. Und die Strukturen, die die Piraterie möglich gemacht haben, sind unverändert vorhanden, wie der Economist schildert:

But as when the first wave of piracy struck these waters back in the early 2000s, conditions on shore matter most. Somalia remains under-governed and mired in conflict. Puntland and Galmudug, the two federal states nearest the most recent hijackings, are particularly troubled even by Somali standards. Galmudug currently has no president and the regional government is stuck in an existential battle against Ahlu Sunna Waljama’a, a local Islamist militia. Puntland’s government is more capable but has problems paying its security forces. Islamic State has been making inroads. And both, like the rest of Somalia, are suffering from a devastating drought.

Vor diesem Hintergrund klingt es nun wirklich sehr optimistisch, was die Bundesregierung in die Begründung des neuen Atalanta-Mandats geschrieben hat:

Die Bedrohung durch Piraterie vor der Küste Somalias hat in den letzten Jahren aufgrund des Engagements der internationalen Gemeinschaft stark abgenommen. Seit Mitte 2014 wurde am Horn von Afrika lediglich ein erfolgloser Piratenangriff (22. Oktober 2016, deutsch bereederter Produktentanker „CPO KOREA“) registriert. Die erfolgreiche Zurückdrängung der Piraterie ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, zu denen neben der militärischen Präsenz durch EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta und weiterer internationaler Seestreitkräfte auch Selbstschutzmaßnahmen der Industrie, einschließlich des Einsatzes privater bewaffneter Sicherheitsteams an Bord von Handelsschiffen, zählen.
Für eine nachhaltige Sicherung der Freiheit der Seewege kommt es nun vor allem darauf an, den Fortschritt beim Aufbau staatlicher Strukturen in Somalia, einschließlich des Aufbaus der Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden an Land und zur See, weiter voranzutreiben.
Ziel bleibt es, die somalischen Behörden in die Lage zu versetzen, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet einschließlich des angrenzenden Küstenmeers autonom auszuüben. Die demokratischen Fortschritte bei den Parlamentswahlen und der abschließenden Wahl des neuen somalischen Präsidenten am 8. Februar 2017 sind ermutigende Teilerfolge.

Die Frage wird nun, wie Verteidigungsministerium und Deutsche Marine, zusammen mit EUNAVFOR, die jüngste Entwicklung bewerten. Über die Gründe kann man lange spekulieren, insbesondere darüber, ob neben der nun doch nicht ganz so positiven Entwicklung in Somalia auch eine eventuelle Nachlässigkeit, oder eher: Sparmaßnahmen, der Reedereien beigetragen haben könnten. Diplomatischer ausgedrückt, wie es das UN Office on Drugs and Crime tut: Ob eine nachlassende Wachsamkeit für die jüngsten Vorfälle verantwortlich ist.

Nach einem absehbaren Ende der Piraterie vor Somalia und nach guten Umständen für eine (weitere) Reduzierung oder gar Beendigung der Antipirateriemission sieht es jedenfalls nicht aus.

(Foto: Spanische Soldaten an Bord der MT Costina – EUNAVFOR)

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