Nachgetragen: Sexuelle Belästigung in der Truppe – Tagesbefehl & ‚Offener Brief‘

Dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Umgang in der Truppe und vor allem die Auseinandersetzung mit sexueller Belästigung und Mobbing zu einem wichtigen Thema gemacht hat, ist weder neu noch überraschend – und angesichts der diversen so genannten Einzelfälle, die immer wieder bekannt werden, offensichtlich auch nötig. Interessant ist allerdings, dass die Ministerin dabei nicht nur das Grundsätzliche im Auge hat (wie beim Workshop Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr Ende Januar, siehe Foto oben), sondern auch bei einzelnen Fällen (das ist was anderes als Einzelfälle!) nach innen wie nach außen Stellung bezieht.

Aktuelles Beispiel dafür ist ein  Fall der sexuellen Belästigung einer Soldatin – und von der Leyen nahm dazu am 21. März in einem Offenen Brief Stellung, der zuvor auch als Tagesbefehl im Intranet der Bundeswehr veröffentlicht worden war. Ihre Kritik richtete sich dabei nicht nur nach Innen, sondern auch an eine Staatsanwaltschaft die in diesem Fall ermittelt hatte – vermutlich deshalb diese etwas ungewöhnliche Form der Publikation. Aus dem vom Ministerium veröffentlichten Wortlaut:

Nun hat mich eine umsichtige militärische Gleichstellungsbeauftragte auf den Fall einer Soldatin hingewiesen, die von einem Kameraden körperlich bedrängt und sexuell belästigt wurde. Und dies zur Anzeige brachte – wie ich finde, der richtige Weg. Was dann folgte, möchte ich als Vorgesetzte aller Soldatinnen und Soldaten wie zivilen Beschäftigten der Bundeswehr nicht unkommentiert stehenlassen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Zu der Bewertung kann sie als unabhängige Behörde kommen.
Was aber völlig inakzeptabel ist, ist die Wortwahl, mit der die zuständige Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung gegenüber der betroffenen Soldatin begründet:

„Bei dem von Ihnen beschriebenen ,Imponiergehabe‘ des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein ,Interesse‘ an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte.“
Mit dieser Einschätzung bedeutet die Staatsanwaltschaft letztendlich einer Soldatin, sie müsse sich übergriffiges und unverschämtes Verhalten von Kameraden gefallen lassen, weil ein Griff ans Gesäß nach „vorwiegend männlichem Verständnis“ nicht beleidigend gemeint sei. Solche Interpretationen sind abenteuerlich und aus der Zeit gefallen. Denn sie machen den Mut zunichte, sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren, und zerstören das Vertrauen von Opfern sexueller Übergriffe, an übergeordneter Stelle Verständnis und Schutz zu finden. Und es signalisiert potenziellen Tätern, dass Übergriffe schon okay sind, wenn es „nur“ darum geht, „Interesse“ an einer Frau oder einem Mann zu bekunden.
Ich möchte hier klarstellen: Für mich ist der Fall, so wie ihn die Gleichstellungsbeauftragte an mich herangetragen hat, – unabhängig von der Bewertung ziviler Instanzen – vor allem auch ein grober Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaft. Und ich dulde in der Bundeswehr kein Verhalten, das die Würde, die Ehre und die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung von Soldatinnen oder Soldaten und der zivilen Beschäftigten verletzt. Ich sehe alle Vorgesetzten in der Pflicht, diesen Werten im Alltag Geltung zu verschaffen – unabhängig von der neuen Möglichkeit der Ansprechstelle im Ministerium, an die sich Betroffene jederzeit auch in solchen Fällen wenden können.

Wer glaubt, da habe eine Frau einer anderen beistehen wollen, es sei deshalb nicht weiter bedeutsam, sollte vielleicht kurz einen Blick auf einen anderen Einzelfall werfen: In diesen Tagen wurde, zuerst berichtet in der Süddeutschen Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht), der erwartete Bericht des Ministeriums an den Verteidigungsausschuss zu einem Vorfall beim Gebirgsjägerbataillon 231 in Bad Reichenhall bekannt. Dort hatte es ebenfalls sexuelle Belästigungen gegeben, und Ziel war offensichtlich ein Mann.

Aus dem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Markus Grübel vom 20. März an den Ausschuss:

Zum Einzelfall: Obergefreiter XX [Namenskürzel geändert, T.W.] hat sich am 5. Oktober 2016 mit einer Eingabe an den Wehrbeauftragten des Bundestages gewandet, weil er nach seinem Truppenpraktikum beim Lufttransportgeschwader 62 die Rückkehr in seine Stammeinheit, der 4. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 231 (GebJgBtl 231), nach Bad Reichenhall fürchtete. Dort sei er zwischen November 2015 und September 2016 durch Mannschaftssoldaten und vereinzelte Vorgesetzte (Ausbilder) seines Zuges mehrfach diskriminiert sowie verbal und tätlich sexuell belästigt und genötigt worden.
(…)
Diese Vorfälle sind – im Gegensatz zu den Vorkommnissen beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf – einer Teileinheit zuzuordnen. Die Ermittlungen laufen gegen 14 Beschuldigte, davon zwei Feldwebel, zwei Unteroffiziere ohne Portepee und 10 Mannschaftssoldaten.
Der damalige Teileinheitsführer wurde Mitte Dezember 2016 aus seiner Funktion herausgelöst.
(…)
Die Gleichstellungsvertrauensfrau des GebJgBtl 231 kam zum Ergebnis, dass es keinerlei Anhaltspunkte zu möglichen Verfehlungen gegen weibliche Soldaten gibt.

Ob der – schon länger erwartete – Bericht zu Bad Reichenhall, zusammen mit der erwähnten Information einer Gleichstellungsbeauftragten, die Ministerin zu ihrer Mahnung an die Truppe veranlasst hat, ist Spekulation. Aber für von der Leyen scheint sich da ein Bild zu verdichten. Deshalb darf man gespannt sein, wie das Ergebnis der derzeit laufenden Analyse der Inneren Lage der Bundeswehr ausfallen wird, auf die auch Grübel in seinem Schreiben noch mal hinwies.