Luftangriffe der Anti-ISIS-Koalition: So genau wissen es die Deutschen nicht

Die Folgen der Luftangriffe der US-geführten Anti-ISIS-Koalition im Irak und in Syrien für Zivilisten sind international zunehmend ein Thema – und scheinen auch in den US-Kommandostrukturen zu einem Umdenken zu führen (US-led coalition adjusts tactics to counter Islamic State forcing civilians into targeted buildings).

In der Bundesregierung, die ja immerhin mit Aufklärungsflugzeugen der Bundeswehr einen vorbereitenden Beitrag zu den Luftangriffen leistet, gilt allerdings offensichtlich die Einschätzung: Wir wissen nicht so genau, was passiert, nachdem wir die Aufklärungsfotos abgeliefert haben… Und an der Entscheidung über die Angriffe selbst ist Deutschland ja nicht beteiligt.

Viel erhellender war da auch die Bundespressekonferenz am (heutigen) Freitag nicht. Die halbstündige Frage- und Antwortrunde dazu erst mal zum Nachhören, mit Regierungssprecher Steffen Seibert, Sebastian Fischer vom Auswärtigen Amt und Jens Flosdorff vom Verteidigungsministerium:

BPK_Anti-ISIS-Koalition_31mar2017     

 

 

Nachtrag: Das Transkript dazu:

Frage : Ich möchte das Thema der Anti-ISIS-Koalition und der deutschen Beteiligung an Luftangriffen mit getöteten Zivilisten ansprechen. Herr Seibert, haben Sie ein Statement der Kanzlerin oder eine Bewertung aus dem Kanzleramt bezüglich dieser Beteiligung?

Unterstützt die Bundesregierung die Ankündigung von Herrn Trump „to ‚bomb the shit’ out of ISIS“?

Herr Flosdorff, war das jetzt der erste Luftangriff mit getöteten Zivilisten, zu dem deutsche Aufklärungsergebnisse beigetragen haben?

StS Seibert: Ich will zunächst sagen, und zwar ganz grundsätzlich, dass wir jedes zivile Opfer militärischer Einsätze bedauern und betrauern, ganz gleich von wem ein solcher Einsatz durchgeführt wird. Wir haben immer betont, dass alles getan werden muss, um solche tragischen Ereignisse zu vermeiden und – sollte es doch zu einem solchen Vorfall gekommen sein – um die genauen Umstände und die Verantwortlichen aufzuklären sowie auch Konsequenzen und Lehren daraus zu ziehen.

Ich kann Ihnen zu diesem Fall nur sagen, dass wir keine genauen Kenntnisse zu tatsächlichen Opfern haben. Die Meldungen Dritter zu zivilen Opfern in diesem spezifischen Fall sind noch unbestätigt.

Wir begrüßen, dass die Anti-IS-Koalition und die amerikanischen Streitkräfte die Berichte zu solchen möglichen zivilen Opfern sehr sorgfältig überprüfen und die Vorgänge untersuchen wollen. Diese konkrete Untersuchung dauert noch an.

Zusatzfrage : Die andere Frage war bezüglich Herrn Trumps, to „bomb the shit“ out of ISIS.

Können Sie sagen, wann die Kanzlerin von diesem Ereignis erfahren hat? Von der Verteidigungsministerin, oder hat sie das aus den Medien erfahren?

Herr Flosdorff, die Frage war auch noch offen.

StS Seibert: Zu Ihrer Frage nach dem Kampf gegen den IS kann ich eigentlich nur wiederholen, was ich dazu auch in der vorletzten Pressekonferenz sehr ausführlich gesagt habe: Wir beteiligen uns aus Überzeugung an der Anti-IS-Koalition, weil der IS im Irak und in Syrien eine grausame Schreckensherrschaft aufgebaut hat, eine Herrschaft von Sklaverei, Unrecht, Vergewaltigung, Schändung und allen schlimmen Dingen, die Ihnen sonst noch einfallen mögen. Für all das gibt es Zeugenaussagen und belegte Berichte. Weite Teile der Zivilbevölkerung dort litten und leiden unter dem IS. Das hat zu Flucht und Vertreibung geführt – neben den vielen Toten, die dem IS zugerechnet werden müssen.

Hinzu kommt noch, dass der IS über das Leid hinaus, das er in der Region ausgelöst hat, eine konkrete Bedrohung für uns in Europa darstellt. Das hat eine ganze Reihe von Anschlägen auf traurige Weise bewiesen.

Aus diesem Grund beteiligen wir uns an der Koalition.

Im Einsatz selber hat für uns wie auch für die gesamte Koalition der Schutz der Zivilbevölkerung immer eine herausragende Bedeutung. Das hat zuletzt auch die amerikanische Seite bestätigt.

Zusatzfrage : Wann wurde die Kanzlerin informiert oder unterrichtet?

StS Seibert: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich würde jetzt darüber aber auch keine Auskunft geben. Wir alle verfolgen Medienberichte. Nun heißt es, diese zu überprüfen.

Flosdorff: Ich möchte noch einen Punkt betonen, weil Ihre Frage ja insinuierte, dass es da zivile Opfer gegeben hat:

Wir wissen in Wahrheit noch nicht, was genau geschehen ist. Es gibt Berichte syrischer Quellen, nach denen es viele Opfer gegeben hat. Solche Berichte – das zeigt die Erfahrung der Vergangenheit – treffen manchmal zu, manchmal treffen sie nicht zu. Es gibt auch sehr explizite Äußerungen des Kommandeurs der Operation Inherent Resolve – auch gegenüber der amerikanischen Presse -, der sagt, nach bisheriger Auswertung aller Quellen habe er keine Anhaltspunkte dafür, dass jemand anderes getroffen worden sei als der IS. Sie haben aber auch gesagt, dass die Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei und sie auf jeden Fall darüber berichten würden, wie die Untersuchungen am Ende ausgeht.

Ich möchte sagen, dass die Koalition ein sehr hohes Interesse daran hat, alle diese Fälle deutlich und minutiös aufzuklären. Es hat ja auch schon Fälle gegeben, in denen man gesagt hat: Ja, hier ist ein Irrtum geschehen. Jeder Fall wird noch weiter untersucht. Das Interesse ist nicht, dass man dem IS keinen Vorwand für Propaganda oder für fehlgeleitete Informationen geben möchte.

Ich danke erst einmal allen, die bisher in ihrer Berichterstattung sehr fair auf den Umstand hingewiesen haben, dass es noch Untersuchungen gibt, die noch nicht abgeschlossen sind, und es noch gar nicht erwiesen ist, ob am Ende jemand anderes getroffen worden ist. Ich bitte, diese journalistische Sorgfalt in der Darstellung auch zu praktizieren.

Ich möchte an der Stelle aber auch darauf hinweisen, dass wir bisher keinen Anhaltspunkt dafür haben, dass sich irgendein Soldat der Bundeswehr mandats- oder völkerrechtswidrig verhalten hat. Zweck dieses Beitrages der Bundeswehr ist der Kampf gegen einen brutalen und rücksichtslosen Gegner. Er hat häufig selber bewiesen, dass er keine Rücksicht auf Zivilbevölkerung nimmt. Die Koalition gegen den IS treibt wirklich einen enormen Aufwand. Ich habe mich in den letzten Tagen jetzt intensiv damit beschäftigt, auch noch einmal im Detail: Man versucht bei der schwierigen Bekämpfung der IS-Terroristen, wo immer es geht, die Gefahr für unbeteiligte Zivilisten zu minimieren. Wenn in diesem fürchterlichen Konflikt – das sage ich von meiner Stelle noch einmal – Zivilisten zum Opfer von Kampfhandlungen werden, ist es in jedem einzelnen Fall sehr schlimm und bedauerlich.

Zum Mandat „Counter ISIS“, das die Bundeswehr vom Deutschen Bundestag erhalten hat, gehört seit Jahr und Tag auch die tägliche Routine der deutschen Tornado-Besatzungen, auf Bestellungen der Koalitionspartner – das sind Listen, die schon viele Wochen im Vorhinein feststehen – Bilder von genau definierten Objekten zu machen.

In der Regel gibt es da einen längeren Vorlauf. Die Zielpunkte werden abgeflogen. Die Bilder werden ausgewertet und in einen Pool eingestellt. Das geschieht jetzt schon länger als ein Jahr. Deswegen bitte ich auch um Verständnis. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche dieser zehntausende Bilder, die mittlerweile erstellt worden sind – vielleicht jetzt auch von Objekten, Gebäudekomplexen, geographischen Gegebenheiten -, jetzt plötzlich aktuell in den Fokus rücken und für einzelne Operationen – sei es aus der Luft, sei es am Boden – verwendet werden.

Ob es in dem Zusammenhang auch zu zivilen Opfern gekommen ist, das kann ich Ihnen im Detail überhaupt nicht sagen, weil sich das unserer Kenntnis entzieht.

Ich möchte nur sagen: Technisch – wenn Sie diese Verbindung zu dem Angriff sehen – ist es so, dass die Tornado-Bilder erstellt werden. Sie werden ausgewertet. Dieser Prozess braucht eine gewisse Zeit. Aus technischen Gründen ist das keine Informationsquelle, die dazu dient, dass zeitnah die Entscheidung über das Ob eines Angriffs erfolgt. Die Bilder werden nicht zur Erkenntnis darüber herangezogen, wie viele oder welche Personen sich zu dem Zeitpunkt des Angriffs in einem Gebäude oder in einem anderen Zielobjekt aufhalten. Dazu dienen regelmäßig andere Quellen, die sozusagen zeitnah Auskunft darüber geben können, sei es bildgebend, sei es durch menschliche Quellen am Boden. Sie werden dann in diesem Entscheidungsprozess berücksichtigt. In dieser Phase ist die Bundeswehr nicht mehr beteiligt.

Heißt das, dass wir gar nichts damit zu tun hatten? – Nein, auch die Tornado-Bilder sind häufig eine wertvolle Quelle, damit man einschätzen kann, welche Gebäude das sind und wie es dort aussieht. Man weiß dann zwar nicht aufgrund der Bilder, wer genau dort ist. Aber sie tragen dazu bei, das Lagebild zu verdichten.

Die Bundeswehr trägt im Übrigen auch durch die Satellitenbilder dazu bei. Sie trägt auch dazu bei, indem wir Luftbetankung von Kampfjets der Alliierten machen. Das ist es, warum die Bundeswehr da unten ist. Es geht hier um den Kampf gegen den IS. Das ist ein fürchterlicher Konflikt, der sich da unten abspielt. Es ist immer wieder auch Zivilbevölkerung zwischen den Fronten, und wir kämpfen ja auch gegen einen Gegner, der selbst wenig Rücksicht nimmt, der selbst Zivilisten daran hindert, das Kampfgebiet zu verlassen, zu flüchten. Ich bitte das auch alles in einer abgewogenen Berichterstattung mit zu berücksichtigen.

Frage : Im Sinne der abgewogenen Berichterstattung: Es gibt in den vergangenen Tagen zunehmend Aussagen nicht nur von Medien, nicht nur von NGOs, sondern auch von US-Abgeordneten, dass in den vergangenen Wochen die Intensität der Angriffe und die Gefährdung von Zivilisten zugenommen habe. Ist das eine Entwicklung, die Sie beziehungsweise die Bundeswehr und/oder die Bundesregierung ebenfalls beobachtet hat? Wenn ja, ist es etwas, was von Ihrer Seite in der Koalition thematisiert wird?

Flosdorff: Ich habe keine Erkenntnis darüber. Da gibt es ja auch Äußerungen von amerikanischer offizieller Seite, es gäbe keine Indizien dafür, dass es da eine Veränderung der Regeln gäbe, wenn Sie darauf ansprechen. Dass wir eine Zunahme von zivilen Opfern haben, das lässt sich beobachten. Aber wir wissen auch alle, dass sich in den letzten Wochen und Monaten das Kampfgeschehen verändert hat. Wir reden jetzt nicht mehr darüber, wie wir quadratkilometerweise Wüste frei kämpfen und einfach den Grenzverlauf verschieben, sondern jetzt geht es um Situationen – die haben wir in Rakka, die haben wir in Mossul -, an denen einige tausend IS-Kämpfer beteiligt sind. Es gibt zehntausende, hunderttausende Menschen der Zivilbevölkerung, die dort auf dem engsten Raum unter fürchterlichen Verhältnissen verhaftet sind und teilweise auch an der Flucht gehindert werden. Das bringt es mit sich, dass sich allein schon durch den Verlauf des Kampfgeschehens die Gefahr für die Zivilbevölkerung erhöht, dort mit betroffen zu werden.

Wichtig ist, dass alle Seiten weiter betonen, dass der Schutz von Zivilbevölkerung eine sehr hohe Priorität innerhalb der Koalition hat. Wir haben auch keine Zweifel daran, dass sich daran irgendetwas ändern wird. Das wird immer wieder betont. Auch der Kommandeur von CENTCOM, General Townsend, hat das gerade wieder in der Pressekonferenz erwähnt. Das wird auch weiter die Linie sein.

Zusatzfrage : Die US-Aussage ist ja bisher – jetzt muss ich etwas technisch werden -, dass die „Rules of Engagement“ nicht geändert wurden. Aber es steht ja im Raum, dass unterhalb der RoE die „Standard Operating Procedures“ doch insofern in Teilen verändert worden sind, als die Billigung von Luftschlägen in einem vereinfachten Verfahren vorgenommen wird. Deckt sich das mit dem, was Sie auch beobachten?

Flosdorff: Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ich muss Ihnen auch sagen: In der Phase sind wir als Bundeswehr nicht dabei. Wir liefern Aufklärungsbilder. Wenn die Entscheidung über das Ob eines Luftschlages gefällt wird, ist kein Bundeswehrsoldat in der Nähe.

Frage: Herr Flosdorff, wenn man davon ausgeht, dass der Verteidigungsausschuss vom Generalinspekteur nicht ohne Grund informiert wird: Sie haben eben noch einmal darauf hingewiesen, dass in der Regel zwischen dem Erstellen der Bilder und ihrer Auswertung und gegebenenfalls der Einbeziehung in den Entscheidungsprozess mehrere Tage liegen. Im konkreten Fall war es aber offenbar so, dass die Bilder am Tag zuvor gemacht wurden. Ändert das nicht sozusagen qualitativ die Rolle, wenn von der Bundeswehr erstellte Bilder bei Entscheidungen über Bombeneinsätzen herangezogen werden? Mit anderen Worten – Sie haben es selbst gesagt -: Wir sind bei der Entscheidung nicht dabei, aber wir sind nicht unbeteiligt. Rücken mit diesem engeren Zeitkorsett Bundeswehrinformationen nicht doch näher an den Entscheidungsprozess und damit die Verantwortung heran?

Flosdorff: Wenn Sie darauf abheben, dass der Generalinspekteur den Verteidigungsausschuss informiert hat: Wir hatten das Thema ja schon gefühlte – Herr Kollege, helfen Sie mir – siebzehn Mal hier in der Bundespressekonferenz, als es um genau dasselbe Procedere ging. Da haben wir das ja auch ausführlich erklärt. Es ändert nichts daran, ob Sie jetzt mehrere Tage oder anderthalb Tage dazwischen haben. Die Bilder, die die Bundeswehr liefert, geben keine Auskunft darüber, wer sich aktuell zum Zeitpunkt eines Luftschlages in einem Gebäudekomplex aufhält und wie viele Personen das genau sind. Ob vorher sozusagen drei Kleinbusse dorthin gekommen sind, ob Menschen von dort abgeholt worden sind oder Menschen irgendwie dahin gekommen sind, darüber kann das keine Auskunft geben. General Townsend hat es in seiner Pressekonferenz auch noch einmal erwähnt, dass es in diesem speziellen Fall bis zeitnah zu dem Luftschlag eine Vielzahl von Quellen gegeben hat, die über das Lagebild an dieser Örtlichkeit Auskunft gegeben haben. Darüber kann einfach unser Luftbild, auch wenn es anderthalb Tage vorher erstellt worden ist, keine Auskunft geben.

Zusatzfrage: Es gibt Berichte, diese Schule sei ein Quartier für Vertriebene gewesen und die Luftbilder der Bundeswehr hätten nicht die Qualität, um daraus ableiten zu können: Handelt es sich bei denen, die sich dort aufhalten, mutmaßlich um Vertriebene oder nicht?

Flosdorff: Ich glaube, Sie haben eine vollkommen falsche Vorstellung davon, wie solche Bilder aussehen und was solche Bilder aussagen können. Da kann man aus dem Schattenwurf erkennen und eventuell berechnen, wie hoch ein Gebäude ist. Man kann schauen: Wo stehen noch Mauern? Wo stehen Wände? Wo gibt es einen Wassertank? Was könnte vielleicht ein Auto sein?

Aber wer sich genau in einem geschlossenen Gebäudekomplex aufhält, das übersteigt sozusagen die Möglichkeiten jeder Aufklärung. Also wenn dort nicht irgendwie Fahnen gehisst oder Transparente ausgelegt werden, dann kann man allein auf Basis dieser Bilder solche Schlüsse nicht ziehen.

Ich werde es Ihnen auch noch einmal sagen – ich möchte es hier noch einmal wiederholen, und viele Militärexperten haben das ja in den vergangenen zwei Tagen auch in etlichen Medien ausführlich dargelegt -: Es ist nie so, dass auf Basis einer einfachen einsamen Information eine solche Entscheidung gefällt wird, sondern es ist immer eine Vielzahl von Komponenten. Eine wichtige Komponente sind Aufklärungsmittel. Man will ja nicht ein bestimmtes Gebäude unbedingt zerstören, sondern man möchte einen Gegner bekämpfen. Man möchte sich so gut wie möglich einen Überblick darüber beschaffen, wenn man so eine Entscheidung fällt, dass sich auch die Personen, die man bekämpfen möchte, in einem Gebäudekomplex aufhalten. Dazu gibt es auch geeignete Mittel, um das zeitnah festzustellen. Die Tornado-Bilder haben auch ihren Wert in einer Angriffsplanung. Sie sind auch ein Punkt der Beurteilung und der Lageverdichtung. Aber darüber geben sie keine Auskunft.

Frage : Herr Flosdorff, vielleicht direkt daran anknüpfend. Ich habe leider selten die Aufklärungsbilder von Tornados direkt vor Augen. Sie teilen sie mit uns so selten. Aber ich habe in Erinnerung, dass die Recce-Tornados ja gerade auch die Fähigkeit haben, über Infrarot relativ weit in Gebäude – zumindest bei Leichtbauhäusern – hereinzuschauen, nicht nur, was die Struktur angeht, sondern auch, wenn es darum geht tatsächlich festzustellen, ob sich darin irgendetwas Warmes befindet, was möglicherweise von der Temperatur ein Mensch sein könnte. So ist meine Erinnerung. Korrigieren Sie mich, wenn ich da falsch liege. Also das war doch auch einer der Gründe, warum man gesagt hat, man schickt genau diese Recce-Tornados dort herunter.

Flosdorff: Das war jetzt nicht wegen der herausragenden Infrarot-Eigenschaften, sondern die Recce-Tornados fliegen in der Regel auch bei Tag ihre Bilder, weil sie dann von der Auflösung her deutlich besser sind. In diesem Fall kam diese Technik nicht zur Anwendung. Die Experten unter Ihnen wissen, dass Luftschläge meistens nachts erfolgen. Die Experten unter Ihnen wissen auch, welche Technologie dazu geeignet ist, das aufzuklären. Das ist nicht ein Tornado, der sich mit viel Lärm in großer Höhe über ein Zielgebiet bewegt.

Frage : Wie überprüfen Sie – die deutsche Seite -, ob es zum Tod von Zivilisten gekommen ist?

Fischer: Wir arbeiten im Rahmen der Anti-IS-Koalition zusammen. Dort gibt es auch Einheiten, die sich darum kümmern, dass diesen Fragen nachgegangen wird. Sie wissen ja auch, dass die Anti-IS-Koalition versucht, mögliche zivile Opfer nachzuhalten und diese Information auch auf ihrer Webseite veröffentlicht. Das heißt, da arbeiten wir alle eng zusammen. Aber es ist auch so, dass wir als Auswärtiges Amt beispielsweise keine eigene Botschaft in Syrien unterhalten und dementsprechend auch keinen Mitarbeiter oder keine Mitarbeiterinnen vor Ort haben. Das heißt, wir sind auf unsere Kontakte in die Region angewiesen, wir sind auf die Möglichkeiten der Anti-IS-Koalition angewiesen, und daraus versuchen wir uns dann ein Lagebild zu erstellen. In diesem Fall ist das Lagebild so, wie Herr Flosdorff ja schon ausgeführt hat, dass wir noch keine abschließende Erkenntnis haben.

Aber ich meine, es ist, glaube ich, hier bei allen Äußerungen deutlich geworden, dass jedes Menschenleben – ob jetzt von Mann, Frau oder Kind -, das in einem Konflikt verloren geht, ein Menschenleben zu viel ist. Deshalb arbeiten wir ja daran, diesen Konflikt zu lösen, und das tun wir auf vielerlei Weise:

Das eine sind die militärischen Aspekte – da gibt es den Anti-ISIS-Einsatz -, und das andere ist der Aspekt, dass wir Waffen an die Kurden geliefert haben, damit sie in der Lage sind, den Völkermord an den Jesiden zu verhindern.

Wir machen aber auch ganz viel im zivilen Bereich. Im Irak ist ja schon ein sehr großer Teil der Landesfläche von den IS-Kämpfern befreit worden. Hier geht es darum, sehr schnell zu stabilisieren und die Rückkehr von Menschen zu ermöglichen. Mittlerweile ist es so, dass 1,6 Millionen Menschen, die im Rahmen der Kampfhandlungen oder vom IS vertrieben worden sind, schon wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten.

Das tun wir alles auch mit sehr beträchtlichen Summen. Für dieses Jahr belaufen sich unsere Zusagen allein für den Irak auf 517 Millionen US-Dollar. Wir haben gerade auch noch beim Anti-IS-Treffen in Washington weitere 235 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und Stabilisierung zugesagt.

Das heißt, wir tun an ganz vielen verschiedenen Ecken und Enden sehr viel, um dazu beizutragen, den IS zurückzudrängen, beileibe nicht nur militärisch. Dabei geht es um Stabilisierung sowie um den politischen Prozess in Syrien, also den Versuch, in Syrien endlich eine Lösung zwischen der Opposition und dem Regime hinzubekommen und den Bürgerkrieg dort zu beenden. Da drehen wir tatsächlich an ganz vielen Stellschrauben, und dieser Tornado-Einsatz oder der Einsatz der Bundeswehr ist eine von diesen Stellschrauben.

Flosdorff: Wenn ich das an dieser Stelle noch ergänzen darf: CENTCOM klärt das auf. Wir in der Koalition sind uns bewusst, dass alle zivilen Opfer, die entstehen, immer auch Ansatzpunkte für Propaganda des IS sind, der wir keine Nahrung geben wollen. Deshalb geht CENTCOM jedem Vorwurf hinsichtlich ziviler Opfer gründlich nach, schon aus eigenem Interesse.

Ich kenne weder im Irak noch in Syrien irgendeine andere beteiligte Kraft oder Macht als die Koalition, die solchen Vorwürfen in dieser Stringenz nachgeht und hinterher die Ergebnisse auch veröffentlicht und auch Zahlen über zivile Opfer herausgibt; das möchte ich in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen. Es wäre vielleicht nett, wenn man das auch einmal irgendwie mit berücksichtigen könnte.

Zusatzfrage : Ich präzisiere meine Frage gerne. Sie sagen ja immer wieder, dass Sie keine eigenen Erkenntnisse über irgendetwas hätten. Gleichzeitig verstehe ich jetzt, dass Sie auch nie eigene Erkenntnisse haben werden, weil Sie einfach nie eigenständig forschen werden, sondern das immer an die Amerikaner, an CENTCOM usw. delegieren. Habe ich das richtig verstanden?

Herr Flosdorff, sind CENTCOM-Erkenntnisse dann auch eigene Erkenntnisse der Bundesregierung, oder werden wir einfach nie mit eigenen Erkenntnissen rechnen können?

Fischer: Ich glaube, was ich gesagt habe, ist, dass wir keine eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort haben, dass ein Teil der Informationen, die wir erhalten, von Kontakten kommt, die wir vor Ort haben, und dass ein anderer Teil über Auswertungen à la CENTCOM und von anderer Seite kommt. Das heißt, wir glauben schon, dass sich daraus ein Lagebild zusammensetzen lässt. Allerdings ist es bislang nicht so, dass wir als Bundesregierung ein abschließendes Lagebild zu dem hier besprochenen Angriff hätten.

Die Aufklärung schreitet voran. Sie wird von der Koalition durchgeführt. Wir warten jetzt erst einmal ab, was das Ergebnis sein wird, weil ich glaube, sich jetzt dazu zu äußern, was tatsächlich passiert ist, scheint mir vor dem Ende der Untersuchung noch nicht angezeigt zu sein.

Flosdorff: Ich will das an dieser Stelle vielleicht auch noch einmal ergänzen: Es ist auch nicht so, dass wir komplett nicht beteiligt sind, irgendwie auch daran. Auch die Bundeswehr-Tornados liefern also nach Angriffen im Rahmen des sogenannten „battle damage assessment“ Bilder davon, was geschehen ist und was man jetzt feststellen kann. Da kann man feststellen, dass ein Gebäude zerstört worden ist, man kann die Ausmaße der Zerstörung sehen, man kann Rückschlüsse darauf ziehen, was für Waffen hier eingesetzt worden sind, ob vielleicht noch irgendetwas anderes explodiert ist usw. Das heißt, das kann hinterher auch dazu beitragen, dass sich die Berichte auf ein sicheres Lagebild stützen können und man zu einem besseren Urteil kommen kann, auch was die Möglichkeit ziviler Opfer angeht.

Wir haben natürlich bei der nachträglichen Aufklärung jetzt auch keine andere Qualität als bei der Aufklärung vorher. Wir können ein genaues Bild davon zeichnen, wie es im Gelände aussieht und wie es mit den Gebäuden aussieht.

Frage : Herr Flosdorff, warum ist die Bundeswehr eigentlich in Al Udeid nach Ablieferung der Fotos nicht mehr in den Prozess eingebunden? Ist das der eigene Wunsch der deutschen Seite, oder hat sich das einfach zufällig so ergeben?

Flosdorff: Ich bin nicht Militärexperte genug, um Ihnen da die Details zu nennen. Ich weiß nur, dass das irgendwie geübte Praxis in vielen Konflikten ist und dass es offensichtlich auch in Afghanistan irgendwie so gewesen ist, dass diese Nationen, die selbst auch Angriffe fliegen – dazu gehört Deutschland in diesem Konflikt wie auch in dem anderen erwähnten Konflikt nicht -, sozusagen diesen letzten Entscheidungsprozess und die letzte Planung ohne die Nationen durchführen, die am Rande beteiligt sind.

Frage : Herr Flosdorff, Sie sagten ja jetzt, das sei in den meisten Fällen so eine Art Häuserkampf, und dabei seien Stadtgebiete und Wohngebiete umkämpft. Wie kommt man da als Koalition überhaupt auf die Idee, Bombardierungen durchzuführen? Wenn man Wohngebiete bombardiert, dann sind Zivilisten doch wahrscheinlich automatisch Opfer. Warum macht man das also?

Flosdorff: Ich finde es interessant, dass Sie jetzt in diesem Fall diese Frage stellen und nicht in den anderen Fällen diese Frage gestellt haben, als andere Städte unter Bombardements zu leiden hatten.

Es geht hier darum, dass das eine Form der Kriegsführung ist. Deutschland führt selbst keine Luftschläge aus. Wenn man sicher ist oder leidlich sicher ist, dass man das Leben der eigenen Soldaten schont, wenn man leidlich sicher ist, dass wenige oder gar keine zivilen Opfer zu befürchten sind, und wenn die Informationslage richtig genug ist, dann kann es ein legitimes Mittel sein, auch in solchen Operationsphasen irgendwie zu diesem Mittel zu greifen. Es bedarf aber vorher immer einer sorgfältigen Abwägung, und diese Abwägungsprozesse finden täglich statt. Es ist halt nicht so einfach, wie sich das viele Menschen vorstellen.

Zusatzfrage : Aber wenn das täglich stattfindet – ich habe hier einmal eine Liste von „Airways“, die das alles dokumentieren, und da finden ja täglich genau diese Angriffe statt -, wo sind denn dann die Abwägungen, wenn man sich am Ende immer dafür entscheidet? Allein im März sind mehr als 1200 Zivilisten bei Angriffen auf Wohnviertel – nicht nur in Mossul, sondern auch in Rakka und anderen Gebieten auch in Syrien – ums Leben gekommen.

Flosdorff: Ich kann Ihre Fakten, die Sie da haben, irgendwie nicht bestätigen. Wir sind hier in einem blutigen Konflikt mit mehreren Zehntausend Opfern. Es ist nicht die Koalition, die heute versucht, sowohl den Irak als auch Syrien von dieser Geißel des IS zu befreien, die sich das aussucht. Es ist einfach so: Wenn man den IS bekämpft, dann muss man diesen Kampf auch hart führen. Wir alle würden uns wünschen, der IS würde der Zivilbevölkerung alle Wege offen lassen und es der Zivilbevölkerung ermöglichen, sich möglichst weit aus der Gefahrenzone zu bringen. Das ist nicht so. Es ist nicht so, dass andere dieselbe Rücksicht nehmen oder zumindest versuchen, dieselbe Rücksicht zu nehmen, wie es die Koalition tut. Das ist einfach ein Fakt, mit dem wir umgehen müssen.

Ist das jetzt völkerrechtswidrig? – Nein.

Frage: Ohne am Aufklärungswillen der Anti-IS-Koalition zweifeln zu wollen, ist es systemisch natürlich immer problematisch, wenn ein möglicher Schädiger die Aufklärung der Folgen seines Tuns allein und selbst betreibt. Ist es für die Bundesregierung denkbar, zu Aufklärungszwecken in direkten Kontakt zum Beispiel mit der Syrischen Beobachtungsstelle in London zu treten, die ja offenbar über relativ gute Informationen von vor Ort verfügt, um das auch im eigenen Interesse in diesen Aufklärungsprozess einzuspeisen?

Fischer: Vielleicht sage ich es noch einmal: Wir stehen ja mit einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Syrien in Kontakt, und die Syrische Beobachtungsstelle gehört natürlich auch zu unseren Kontakten. Aber auch die Syrische Beobachtungsstelle ist ja nicht vor Ort, sondern sie sitzt in London. Sie verfügt in der Tat über ein gutes Netzwerk vor Ort, aber nicht alles, was dort gemeldet wird, stellt sich hinterher auch so heraus. Ich meine, auch die Beobachtungsstelle muss halt damit umgehen, dass es Interessen derjenigen gibt, die ihnen bestimmte Dinge melden, damit sie auf bestimmte Weise in die Öffentlichkeit getragen werden. Das ändert nichts daran, dass das grundsätzlich wichtige Gesprächspartner für uns sind.

Zusatzfrage: Nun hat sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass die Wahrnehmungen und Berichte der Syrischen Beobachtungsstelle relativ häufig einigermaßen zutreffend sind. Gehen also in einem Fall wie diesem auch solche Berichte in die deutsche Einschätzung der Lage konkret ein, oder verlassen Sie sich dann doch wesentlich auf das, was vonseiten der Aufklärung der Anti-IS-Koalition kommt?

Flosdorff: Ich will noch einmal etwas zum deutschen Beitrag sagen, weil das, glaube ich, sonst einfach ein Missverständnis ist, das hier entsteht: Die deutschen Soldaten werten Tornado-Bilder aus. Die werten sie nicht unter Zuhilfenahme einer Beobachtungsstelle in London aus, sondern sie beschreiben, was sie auf diesen Bildern erkennen können und was man darauf nicht erkennen kann. Das ist eine relativ nüchterne, sachliche Arbeit. Diese Bilder werden in einen Pool eingestellt. Diese Bilder werden möglicherweise von Koalitionspartnern, die Angriffe am Boden oder aus der Luft gegen den IS starten, zur Hilfe genommen, und zwar als ein Puzzlestück eines Mosaiks, eines Lagebilds, das sich aus vielen Quellen speist. Das können unter anderem auch menschliche Informanten sein, die irgendwie am Boden sind und die vielleicht auch genauso gut oder schlechter oder besser als die Beobachtungsstelle Bescheid wissen.

Alles, was wir hier gesagt haben, ist: Die Beobachtungsstelle hat häufig hinterher nachprüfbare und auch valide Angaben gemacht. Es gibt auch eine Vielzahl von Fällen, in denen sich hinterher herausgestellt hat, dass das irgendwie nicht zutraf und dass offensichtlich auch diese honorige Stelle Informanten aufgesessen ist, die nichts Gutes im Sinn hatten, die ungenau waren oder deren Wahrnehmung vielleicht nicht korrekt war.

Es ist nicht so einfach, das jetzt zu verifizieren und zu sagen „Fragt doch einfach einmal die einen, dann ist irgendwie alles gut, oder fragt die anderen, und dann ist alles gut“ oder zu sagen „Hast du ihn nicht gefragt? – Dann ist alles schlecht“. So einfach ist es nicht. Es ist eine Vielzahl von Informationen, die dazu führt, ob so eine schwierige Entscheidung getroffen wird. Was wichtig ist, noch einmal, ist die Abwägung, die immer stattfinden muss: Wie viele Informationen haben wir darüber, dass wir wirklich ausschließlich diejenigen treffen, die wir irgendwie auch treffen wollen, und wie groß ist die Gefahr, dass irgendjemand anderes Schaden nimmt? Ich meine, wenn man alles Mögliche dafür tut, das auszuschließen, und wenn man diese Abwägung auch in angemessener Form durchführt, dann ist das in diesem Konflikt alles, was man dort tun kann.

Zusatz: Meine Frage hatte sich auch nicht auf die Angriffsentscheidung bezogen, sondern auf die nachträgliche Aufklärung. Aber ich danke schön.

(Foto: U.S. Army Lt. Gen. Stephen J. Townsend, commanding general, Combined Joint Task Force – Operation Inherent Resolve, visits with soldiers deployed in support of CJTF-OIR, assigned to 2nd Brigade Combat Team soldiers during a battlefield circulation in Mosul, Iraq, March 08, 2017 – U.S. Army photo by Staff Sgt. Alex Manne)