Noch fünf Korvetten? Wollten wir doch schon immer.

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Drei Wochen nach dem überraschenden Vorstoß zweier Koalitionsabgeordneter, kurzfristig die Beschaffung von fünf weiteren Fregatten Korvetten für die Deutsche Marine in Auftrag zu geben und das dafür nötige Geld bereitzustellen, hat das Verteidigungsministerium den Bedarf an diesen Kriegsschiffen konzeptionell begründet. Angesichts gestiegener Anforderungen der NATO, zusätzlichen Einsätzen und der Außerdienststellung anderer schwimmender Einheiten brauche die Bundeswehr dringend und vor allem recht bald die neuen Korvetten, heißt es in Schreiben aus dem Verteidigungsministerium an den Verteidigungs- und den Haushaltsausschuss. Dass das Ministerium noch im Frühjahr keinen Bedarf über die bereits vorhandenen fünf Korvetten hinaus geltend gemacht habe, sei eine Selbstbeschränkung angesichts der fehlenden Haushaltsmittel gewesen.

Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs und sein CDU-Kollege Eckart Rehberg hatten Mitte Oktober zur Überraschung auch der eigenen Fraktionskollegen die Bestellung zusätzlicher Korvetten vorgeschlagen – bewusst als Nachbeschaffung der bereits vorhandenen Kriegsschiffe, um den zeitaufwändigen Prozess von Design und Ausschreibung eines neuen Projektes zu vermeiden. Dieser Ansicht schloss sich auch das Ministerium an und spricht ausdrücklich von Ergänzungsbeschaffung Korvetten Klassse 130 – allerdings ist nicht nur in der deutschen Werftindustrie umstritten, ob ein direkter Nachbau der schon vor Jahren in Dienst gestellten Boote möglich ist oder ob nicht schon die technische Entwicklung und veränderte Vorschriften zumindest in Teilen ein neues Design erzwingen.

Aus dem Schreiben des Ministeriums an die Abgeordneten vom 4. November:

In der seinerzeit gebilligten Leitlinie zur Neuausrichtung der Bundeswehr vom 4. April 2012 wurde der Umfang von fünf Korvetten festgeschrieben. Dies entspricht der heutigen Flottengröße. Diese Festschreibung folgte keiner konzeptionellen Herleitung, sondern war den nicht ausreichenden finanziellen Ressourcen des Einzeplans 14 geschuldet.
Der aktuelle Mehrbedarf begründet sich aus der Schere zwischen steigenden Einsatzverpflichtungen und sinkender Flottenstärke. Die kontinuierlich gestiegene Zahl der häufig zeitgleichen maritimen Einsätze der Bundeswehr verlief parallel zur Reduzierung der Marine durch mehrere Strukturentscheidungen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die erst kürzlich beschlossenen Einsatzverpflichtungen haben diesen Trend noch verstärkt. (…)
Zur Erfüllung der aktuellen Einsatzverpflichtungen ergibt sich ein zeitgleicher operationeller Bedarf von ca. zehn Fregatten und Korvetten.
Die aktuelle NATO Forderung an Deutschland nach fünf Korvetten der Klasse 130 (K130), von denen vier Einheiten in der höchsten Bereitschaftsstufe (HRF1) vorzusehen sind, entspricht der Zielvorgabe, gleichzeitig für zwei NATO-Einsatzgruppen je zwei Korvetten abstellen zu können. Um dies durchhaltefähig erfüllen zu können, benötigt die Deutsche Marine einen Bestand von zehn Korvetten. (…)
Aus dem aktuellen Bestand an fünf Korvetten können im Durchschnitt weniger als zwei Einheiten durchhaltefähig für maritime Operationen bereitgestellt werden. (…) Mit der angestrebten Ergänzungsbeschaffung eines zweiten Loses K130 würde die operationelle Verfügbarkeit der Deutschen Marine in vergleichsweise kurzer Zeit signifikant erhöht. Die Anforderungen an die Deutsche Marine im Bereich Korvetten würden erfüllt, die Fähigkeiten zur Überwasserseekriegführung in Randmeeren würden quantitativ deutlich verbessert. (…) Für das Erreichen der aufgabenorientierten Ausstattung bis Ende der nächsten Dekade wäre die Nachforderung von fünf Korvetten nur unschädlich und ohne Verdrängungseffekte erreichbar, wenn diese durch eine entsprechende Anhebung des Einzelplans 14 finanziert würde.
Das BMVg bittet angesichts des dargestellten Sachverhalts und des anhaltend hohen Bedarfs um Unterstützung des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages für das geplante Beschaffungsvorhaben.

Der Bericht enthält auch eine Übersicht über die Belastungen der Deutschen Marine, die schrumpfende Flotte – unterm Strich eine zwar nicht überraschende Übersicht, aber offensichtlich mit dem Ziel, dem Parlament noch mal drastisch vor Augen zu führen, wie überlastet die deutschen Seestreitkräfte inzwischen sind. Vor allem aber enthält der Bericht Begründungen, warum vor dem Vorstoß der beiden Koalitions-Haushälter aus dem Ministerium die Forderung nach den Korvetten nicht zu hören war. Unter anderem hätten bei dem Bericht an die Abgeordneten im Frühjahr, der von weiteren Korvetten erst nach 2030 ausging, weder das Weißbuch noch die Ergebnisse des NATO-Gipfels von Warschau vorgelegen, auch nicht die aktuellen NATO-Forderungen und weitere Untersuchungen zu maritimen Einsätzen und Nutzungsdauer der Schiffe.

Auf die Problematik, ob ein unveränderter Nachbau der Korvetten möglich und sinnvoll ist, geht das Ministerium in seinem Bericht an die Parlamentarier nicht ein. Durchgängig ist von einem zweiten Los K130 die Rede.

Das Schreiben kommt termingerecht zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses in dieser Woche. Und es steht zu vermuten, dass es trotz des Murrens aus den Koalitionsreihen einen entsprechenden Beschluss geben wird. Allerdings wird dann die interessante Frage, mit welchen Werften das realisiert wird – und ob die Unternehmen, die nicht das erste Los realisiert haben und auch keine Rechte an dem Design besitzen, diesen Prozess mitmachen.

Nachtrag: Die Reaktion des Grünen-Haushälters Tobias Lindner kommt nach seiner vorangegangenen Kritik an dem Koalitionsplan nicht überraschend:

Der Bericht versucht einen Akt zu rechtfertigen, der nicht zu rechtfertigen ist. Die Argumente, warum der Bedarf an fünf zusätzlichen Korvetten plötzlich aufkam, sind nicht belastbar. Es scheint wenig glaubwürdig, dass die Bundesregierung als großes Mitglied von Forderungen aus der NATO überrascht wird. Im März hatte die Bundesregierung in ihrem eigenen Bericht zur aufgabenorientierten Ausstattung betont, dass er eng mit dem Weißbuchprozess und aktuellen Beschlüssen der NATO verzahnt sei. Warum die Veröffentlichung des Weißbuches dann plötzlich eine neue Lage geschaffen hat, kann ich nicht nachvollziehen. Unklar bleibt auch weiterhin, wie das Verteidigungsministerium verhindern will, dass die Korvetten die eigentlich als Priorität genannten Projekte verdrängt. Es besteht bei der 130 Milliarden Euro Liste weiterhin eine Finanzierungslücke von 30 Milliarden Euro. Ministerin von der Leyen wirft all ihre neuen aufgabenorientierten Prozesse über den Haufen und macht nun weiter wie ihre Vorgänger. Der Bundeswehr ist mit diesem planlosen Vorgehen nicht gedient.

 

(Korrektur im ersten Satz: natürlich Beschaffung von fünf weiteren Korvetten, nicht Fregatten.)