Bundesgerichtshof: Keine Entschädigung für den Luftschlag von Kundus (Neufassung)

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Nach dem Luftangriff bei Kundus in Nordafghanistan am 4. September 2009, bei dem vermutlich mehr als 100 Menschen ums Leben kamen, muss die Bundesrepublik Deutschland keine Entschädigung an die Angehörigen der Opfer zahlen. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte am (heutigen) Donnerstag vorherige Entscheidungen des Landgerichts Bonn und des Oberlandsgerichts Köln. Entscheidend war nach Ansicht des III. Zivilsenats des Karlsruher Gerichts, dass das so genannte Amtshaftungsrecht auf militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen nicht anwendbar ist.

Der Luftangriff in der Nähe des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Kundus war vom damaligen PRT-Kommandeur, dem deutschen Oberst Georg Klein befohlen worden. Klein hatte nach seinen Angaben befürchtet, dass zwei von Taliban entführte Tanklastzüge als rollende Bomben gegen das deutsche Feldlager eingesetzt werden könnten; außerdem hätten sich zahlreiche Taliban rund um diese Tanklaster aufgehalten. Wie sich später herausstellte, waren jedoch zahlreiche Zivilisten dort versammelt, die auf kostenlosen Brennstoff hofften.

Strafrechtliche Ermittlungen wegen des Angriffsbefehls gegen den damaligen Oberst, der heute Brigadegeneral ist, waren von der Bundesanwaltschaft eingestellt worden. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte im vergangenen Jahr die Einstellung, da die Handlungen des Offizieres nach dem Humanitären Völkerrecht zu beurteilen seien und damit nicht den Maßstäben des Strafgesetzbuches unterlägen.

Unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung hatten Angehörige von Opfern des Luftangriffes gegen Deutschland geklagt, um Schadensersatz zu erreichen. Das Oberlandesgericht Köln hatte im vergangenen Jahr in zweiter Instanz diese Klagen zurückgewiesen, da Klein mit der Anordnung des Luftschlags seine Amtspflichten nicht verletzt habe.

Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Entscheidung und kam darüber hinaus zu grundsätzlichen Entscheidungen, die für die Auslandseinsätze der Bundeswehr von Bedeutung sind.

Aus der Pressemitteilung des Gerichts:

Der … III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in Bestätigung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass den Klägern kein unmittelbarer völkerrechtlicher Schadensersatzanspruch zusteht und sie auch keinen Schadensersatzanspruch nach nationalem (deutschen) Recht haben, da das Amtshaftungsrecht  auf militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen nicht anwendbar ist.
Es gibt nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung zusteht. Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu, der seinen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz gewährt.

Das Amtshaftungsrecht sei zudem für das Verwaltungshandeln im Inland geschaffen worden, nicht für Auslandseinsätze deutscher Soldaten:

Wie der allgemeine Aufopferungsanspruch, der Kriegsschäden nicht erfasst, ist die Vorschrift des § 839 BGB auf den „normalen Amtsbetrieb“ zugeschnitten. Die Entscheidungssituation eines verwaltungsmäßig handelnden Beamten kann nicht mit der Gefechtssituation eines im Kampfeinsatz befindlichen Soldaten gleichgesetzt werden.
Gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Amtshaftungstatbestands bei Kampfhandlungen deutscher Streitkräfte im Ausland sprechen auch systematische Erwägungen in Bezug auf das völkerrechtliche Haftungsregime, das als eine das nationale Recht überlagernde, speziellere Regelung anzusehen ist.
Die Werteordnung des Grundgesetzes zwingt nicht zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Amtshaftungsnormen. Würde man das anders sehen, könnte es in mehrfacher Hinsicht zu Beeinträchtigungen der von Verfassungs wegen geforderten Bündnisfähigkeit Deutschlands und des außenpolitischen Gestaltungsspielraums kommen (z.B. Zurechnung völkerrechtswidriger Handlungen eines anderen Bündnispartners, kaum eingrenzbare – gesamtschuldnerische – Haftungsrisiken).

Vor allem aber, auch das entschied der BGH, kann dem damaligen Kommandeur oder anderen deutschen Soldaten keine Verletzung ihrer Amtspflichten angelastet werden:

Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts scheitert ein hierauf gestützter Schadensersatzanspruch der Kläger im Streitfall jedenfalls daran, dass im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf die beiden entführten Tanklastwagen keine Amtspflichtverletzungen deutscher Soldaten oder Dienststellen im Sinne konkreter schuldhafter Verstöße gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrecht zum Schutze der Zivilbevölkerung festgestellt sind. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass für den PRT-Kommandeur nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten die Anwesenheit von Zivilpersonen im Zielbereich des Luftangriffs objektiv nicht erkennbar war. Die getroffene militärische Entscheidung war daher völkerrechtlich zulässig.

Das hat dann nicht nur für Georg Klein und den Fall Kundus Bedeutung – sondern auch für alle laufenden und künftigen Auslandsmissionen der Bundeswehr.

Mit der heutigen Entscheidung des BGH dürfte die juristische Aufarbeitung des Luftschlags von Kundus vor mehr als sieben Jahren abgeschlossen sein. Weitere Klagen, sollte es sie geben, dürften nach den höchstrichterlichen Urteilen von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgerichts wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Wie bei diesem Thema nötig, bitte ich um sachliche und möglichst wenig emotionalisierte Debatte.

Nachtrag: Die Stellungnahme des Verteidigungsministeriums zum Urteil ist denkbar knapp:

Wir begrüßen, dass der Bundesgerichtshof unserer Rechtsauffassung so klar gefolgt ist.

Nachtrag Dezember 2016 (zum besseren Wiederfinden hier eingestellt): Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Aktueller Begriff: Das Urteil des BGH vom 6. Oktober 2016 zum Fall Kunduz

(Archivbild: Wrack eines der bombardierten Tanklaster, aufgenommen im November 2011 – Wikimedia commons/user BRFBlake unter CC-BY-SA-Lizenz)