Bundeswehr im Inneren: Wolkige Antworten

Feldjaeger

Ungeachtet der politischen Absicht, den verfassungsrechtlich zulässigen Einsatz der Bundeswehr bei Terror-Großlagen im Inland zusammen mit den Ländern zu üben, bleibt die Bundesregierung bei den Details merkwürdig zurückhaltend. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag nennen Innen- und Verteidigungsministerium keine konkreten Beispiele für den Bundeswehreinsatz im Inland mit hoheitlichen Befugnissen wie Kontrollen oder Waffeneinsatz. Das ist deswegen ein wenig irritierend, weil über die bisher schon übliche Zusammenarbeit von Polizei und Bundeswehr im Inneren hinaus (zum Beispiel Transport- oder Sanitätsunterstützung) gerade die Frage nach hoheitlichen Befugnissen für Soldaten bei so einem Einsatz Kernpunkt des politischen Streits ist.

In der – bislang noch nicht veröffentlichten – Antwort, die Augen geradeaus! vorliegt, bleibt auch unklar, wer bei dem Amoklauf in München im Juli die Entscheidung traf, dass Feldjäger, also Militärpolizisten der Bundeswehr, vorsorglich in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Der Vorfall, das war recht schnell klar, erfüllte nicht die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht an einen besonders schweren Unglücksfall, an ein katastrophisches Ausmaß und damit an einen zulässigen Bundeswehreinsatz im Inneren geknüpft hatte. Die alarmierten Soldaten, vor allem Feldjäger, wurden auch von der bayerischen Polizei nicht angefordert. Und selbst wenn: Sie hätten ja, heißt es in der Antwort der Bundesregierung, vor allem geschützte und ungeschützte Fahrzeuge, Sprengstoffspürhunde und Absperrmaterial beitragen können. Nicht unmittelbar das Material, das man mit Streitkräften in Verbindung bringen müsste.

Bei der Frage, wer die konkrete Entscheidung über die vorsorgliche Alarmierung traf, blieb die Bundesregierung bei ihrer bisher schon gebrauchten Formel: Mit Genehmigung des Generalinspekteurs der Bundeswehr und in Abstimmung mit der Bundesministerin der Verteidigung hat der Kommandeur Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr Soldatinnen und Soldaten des Feldjägerregiments 3 um 21:30 Uhr in Bereitschaft versetzt. Bei der Nachfrage, ob Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das von sich aus angeordnet habe, wird in der Antwort lediglich erneut auf diese formelhafte Antwort verwiesen; von welcher Person die Entscheidung ausging, ist damit weiterhin unklar. Immerhin gibt es eine konkrete Auskunft: Vor dem 22. Juli, dem Tag des Anschlags in München, wurden außerhalb von Naturkatastrophen keine Bundeswehreinheiten entsprechend in (erhöhte) Bereitschaft versetzt.

In dem Antwortkatalog, über den zuerst Spiegel Online berichtete, werden zwar Fähigkeiten der Streitkräfte für den Einsatz im Inneren aufgelistet. Doch fehlt in dieser Liste alles, was auf die Ausübung hoheitlicher Aufgaben durch Soldaten hindeutet, also insbesondere Zwangsmaßnahmen, und seien es nur Straßensperrungen:

Die Bundeswehr verfügt über so genannte Unikat-Fähigkeiten, die aufgrund des Auftrages der Bundeswehr bei zivilen Stellen nicht oder unvollständig zur Verfügung stehen. Zusätzlich verfügt sie über Fähigkeiten, die auch bei zivilen Stellen grundsätzlich, aber nicht in ausreichender Zahl verfügbar sind (z.b. Hubschrauber, Räumgerät).
Nach der Beschlussfassung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder im Rahmen der 192. Sitzung am 21./22. Juni 2011 in Frankfurt/Main zu den Auswirkungen der geplanten Strukturreform der Bundeswehr auf den Bevölkerungsschutz in Deutschland sind aus Sicht der Länder seitens der Bundeswehr die nachfolgenden Fähigkeiten zur Unterstützung des Bevölkerungsschutzes relevant:
• CBRN-Fähigkeiten
• SAR-Fähigkeiten
•Aufklärungsfähigkeiten im Sinne von Erkundung
• Lufttransportfähigkeiten
• Pionierfähigkeiten und
• sanitätsdienstliche Fähigkeiten

Das Interessante an dieser Antwort ist: Sie umgeht geschickt die eigentliche Frage. Denn darin war nicht nach den Fähigkeiten zur Unterstützung des Bevölkerungsschutzes gefragt worden, sondern viel breiter: Über welche Ausbildung und Fähigkeiten – außerhalb des Bereichs der Luft- und Seesicherheit -, die für einen Einsatz im Inneren notwendig und geeignet sind, und die den Polizeien der Länder und des Bundes oder zivilen Hilfsorganisationen (…) nicht zur Verfügung stehen, verfügt die Bundeswehr? Die darauf genannte Liste nennt – bewusst? – nur einen Teil dieses Spektrums.

Ähnlich ausweichend beantwortet die Bundesregierung die Frage, ob die mögliche Nutzung von Kriegswaffen durch Terroristen notwendig den Einsatz entsprechender militärischer Waffen erfordere:

Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus zurückliegenden Terrorlagen im europäischen Ausland sind für mögliche Terroranschläge mit Kriegswaffen in Deutschland die GSG9 und die Spezialkräfte der Bundeswehr mit der dienstlich zugewiesenen Bewaffnung angemessen ausgestattet.

Äh, ja. Aber das war vielleicht nicht die Frage?

Unterm Strich: Im sichtbaren Gegensatz zu den Aussagen in der aktuellen politischen Debatte, in der auch immer wieder von hoheitlichen Befugnissen der Bundeswehr im Inneren zur Unterstützung der Polizei  und vom Einsatz militärischer Mittel die Rede ist, wird dieser Bereich in den Antworten der Bundesregierung ausgeklammert. Das kann man natürlich so verstehen, dass die Regierung – hier in erster Linie das Bundesinnenministerium – kein realistisches Szenario für den Bundeswehreinsatz im Inland sieht. Aber auch so, dass diese Debatte nicht weiter befeuert werden soll. Schließlich gibt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage zu dem strittigen Punkt, der Unterstützung nach dem Grundgesetzartikel 35 Absatz 2 nichts zu lesen. Genau um diese Möglichkeit, das hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kürzlich aufgelistet, kreist aber die Debatte:

Der dritte Unterfall ist die Unterstützung der Bundeswehr nach Art. 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG bei Naturkatastrophen (z.B. Überschwemmungen, Erdbeben oder Waldbrände) oder besonders schweren Unglücksfällen, soweit dies erforderlich ist. In einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 2006 hatte das Bundesverfassungsgericht die Verwendung spezifisch militärischer Mittel in diesen Fällen noch abgelehnt. Seit seiner Plenarentscheidung vom 3. Juli 2012 hält das Gericht an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest, lässt jedoch den Einsatz militärischer Mittel in diesen Fällen nur als Ultima Ratio zu.
[Hervorhebung im Original]

Vielleicht ist ja für mehr Klarheit eine weitere Kleine Anfrage nötig.

Die Antwort, die demnächst als Bundestagsdrucksache 18/9619 veröffentlicht wird, hier schon mal komplett zum Nachlesen:

Kleine Anfrage Bw im Inneren

(Archivbild 2009: Feldjäger bei einer Übung auf dem Truppenübungsplatz im mecklenburgischen Lübtheen –  Thomas Trutschel/ photothek.net)