Parlamentarierbesuch in der Türkei? Merkel: „Noch ist die Lösung nicht da“

Family photo of Allied and Partner Heads of State and Government and Head of International Organizations - NATO Summit Warsaw

Der Streit zwischen der Türkei und Deutschland um den Besuch von Parlamentariern bei deutschen Soldaten auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik hält ohne Aussicht auf eine rasche Annäherung an. Ausgebrochen war der Streit, als die türkische Regierung dem deutschen Parlamentarischen Staatssekretär Ralf Brauksiepe und weiteren Abgeordneten eine Reise nach Incirlik untersagte – aus Verärgerung über die Armenien-Resolution des Bundestages. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte vergeblich versucht, diese Entscheidung rückgängig zu machen.

Am vergangenen Samstag schaltete sich dann Bundeskanzlerin Angela Merkel ein und traf sich am Rande des NATO-Gipfels in Warschau (Foto oben) mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Dass dieses Gespräch in diesem kritischen Punkt ergebnislos blieb, hatte die Kanzlerin schon direkt danach durchblicken lassen (s. unten), am heutigen Sonntag räumte sie das im ZDF-Interview noch mal offen ein:

Ich will ausdrücklich sagen: Es ist notwendig, dass unsere Abgeordneten in die Türkei reisen können, nach Incirlik, dass sie ihre Soldaten besuchen können. Wir haben eine Parlamentsarmee. Ich denke jetzt erst mal daran, wie ich die Gespräche weiterführe. Ich habe gestern gesagt, dass es ein erstes Gespräch war, und jetzt muss man weiterarbeiten. Noch ist die Lösung nicht da.

Das geht in die gleiche Richtung wie zuvor schon Merkels Statement in Warschau:

Ich hatte dann ein bilaterales Treffen mit dem türkischen Präsidenten, in dem wir über das EU-Türkei-Abkommen und die weiteren Schritte sowie natürlich auch über die Situation in Syrien gesprochen haben. (…)
FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu Ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten: Können Sie uns sagen, wie die Atmosphäre des Gesprächs war und ob Sie auch über den Zugang zum Stützpunkt in İncirlik gesprochen haben?
BK’IN DR. MERKEL: Wir haben alle anstehenden Fragen besprochen. Die Gesprächsatmosphäre war konstruktiv, würde ich sagen, sehr sachlich und in dem Bemühen, bestehende Konflikte auch zu lösen.
FRAGE: Waren diese Bemühungen erfolgreich, ist das Verhältnis jetzt also einigermaßen entspannt?
BK’IN DR. MERKEL: Die Dissense sind ja durch so ein Gespräch nicht weg. Ich glaube aber, es war wichtig, dass wir gesprochen haben.

Dass die Armenien-Resolution des deutschen Parlaments der Grund für den Streit ist, sagt die Türkei nicht nur informell, sondern durchaus auch öffentlich:

Turkish President Recep Tayyip Erdoğan expressed his discomfort with a German parliament’s resolution on the mass killings of Armenians at the hands of the Ottomans a century ago when he met with German Chancellor Angela Merkel on the sidelines of the NATO summit in Warsaw on July 9.
“The Turkish president expressed Turkey’s frustration and discomfort with the resolution, while the German chancellor vowed to show the necessary sensitivity required for the move to not cast a shadow over bilateral relations,” Turkey’s state-run Anadolu Agency said.

Eine Lösung ist aus außenpolitischen Gründen wichtig, die Basis in Incirlik der Standort für den deutschen Beitrag im Kampf gegen die ISIS-Terrormilizen in Irak und Syrien. Doch auch innenpolitisch kann sich der Streit auswirken. Nach dem ergebnislosen Gespräch meldete sich noch am Samstagabend der verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag zu Wort:

Das mag eine Maximalforderung sein, aber der CSU-Politiker Hahn kann, wenn man die Äußerungen der vergangenen Tage zum Maßstab nimmt, auch in der Regierungspartei SPD auf ähnliche Reaktionen zählen.

Und die Abgeordneten haben in der Tat ein Druckmittel in der Hand – nicht erst bei einer Mandatsverlängerung, die erst zum Beginn des kommenden Jahres ansteht. Nach einem Beschluss des NATO-Gipfels sollen die AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeuge der Allianz künftig auch Daten für den Einsatz gegen ISIS liefern, voraussichtlich von der Basis Konia in der Türkei aus. Doch dieser AWACS-Einsatz kann nicht ohne Zustimmung des deutschen Bundestages starten: Die Bundeswehr stellt etwa ein Drittel der AWACS-Besatzungen, so dass eine Parlamentsbeteiligung zwingend sein dürfte.

Mit anderen Worten: Wenn sich mit der Türkei keine Einigung erreichen lässt, könnte das Auswirkungen auf die NATO haben, die über den Streit zwischen den beiden Ländern weit hinausgehen.

Nachtrag 11. Juli: In der Bundespressekonferenz gab es dazu natürlich Fragen – und Antwortversuche von Sebastian Fischer vom Auswärtigen Amt, Regierungssprecher Steffen Seibert und Jens Flosdorff vom Verteidigungsministerium:

Frage: Herr Seibert, Herr Fischer, Herr Flosdorff, ich weiß nicht, wer am besten zum Thema İncirlik antworten möchte. Welche Gespräche und welche weiteren Schritte sind konkret geplant? Welchen Zeithorizont gibt es, bevor man sagt: „Nun müssen Konsequenzen gezogen werden, wenn es kein Besuchsrecht gibt“?

Fischer: Ich denke, das ist relativ einfach zu beantworten. Wir arbeiten weiter daran, dass der Besuch der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in İncirlik möglich wird. Hierzu führen wir Gespräche auf den unterschiedlichsten Ebenen. Sie haben gesehen, dass auch die Bundeskanzlerin das Thema am Rande des Nato-Gipfels angesprochen hat genauso wie der Außenminister. Dies werden wir weiter tun.

Zusatzfrage: Gibt es einen Zeithorizont?

Fischer: Wie gesagt, wir führen Gespräche. Wenn es Ergebnisse gibt, werden wir es Ihnen mitteilen können.

Zusatzfrage: Die Frage ist ja: Was passiert, wenn es keine Ergebnisse gibt?

Fischer: Wie gesagt, wir arbeiten mit Hochdruck und mit Nachdruck daran. Dabei wird es bleiben. Unser Ziel ist, dass es irgendwann wieder dazu kommen kann, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages auch den Stützpunkt İncirlik besuchen können.

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hat es gestern doch sehr klar gesagt. Sie hat am Rande des Warschauer Nato-Gipfels ein erstes, konstruktives Gespräch mit dem türkischen Staatspräsidenten auch über dieses Thema geführt, in dem sie ihm klargemacht hat, wie sie es gestern auch für die deutsche Öffentlichkeit noch einmal sagte, dass es natürlich notwendig ist, dass unsere Abgeordneten zu unserer Bundeswehr nach İncirlik in die Türkei reisen können und dass es diesen Besuch bei der Parlamentsarmee, die sie ja ist, gibt.

Das war ein erstes Gespräch. Sie selber hat gesagt, der Dissens ist noch nicht ausgeräumt. Aber es ist nicht das erste Mal in der Politik, dass das nicht gleich bei einem ersten Gespräch gelingt. Es wird also sicherlich weitere Arbeiten an diesem Thema geben, und sie profitieren, denke ich, nicht davon, dass wir sie hier schon vorher öffentlich bekanntgeben.

Frage: Herr Seibert, ich würde mir von Ihnen gern das Wort „konstruktiv“ im Zusammenhang mit dem Gespräch mit Herrn Erdoğan erklären lassen. War es konstruktiv in der Atmosphäre, oder war es konstruktiv im Inhalt, sodass sich zumindest irgendetwas bewegt hat?

Zum zweiten Komplex, Truppen und Truppenbesuche durch deutsche Parlamentarier: Gilt der Zusammenhang am Ende des Tages: „Wenn keine Abgeordneten dahin dürfen, müssen wir uns überlegen, ob wir die Truppen abziehen“, oder gilt das am Ende des Tages nicht?

StS Seibert: Zu der Frage nach dem Adjektiv „konstruktiv“: Die Bundeskanzlerin selber hat gesagt: konstruktiv, sehr sachlich und in dem Bemühen, bestehende Konflikte zu lösen. Ich denke, das muss als Beschreibung der Gesprächsatmosphäre beim Gespräch mit Präsident Erdoğan in Warschau reichen.

Sie hat auch gesagt: Der Dissens ist durch solch ein Gespräch nicht weg, aber es war wichtig, dass wir gesprochen haben. – Damit ist, denke ich, klar, was in diesem Fall mit „konstruktiv“ gemeint ist.

Ansonsten kann und möchte ich jetzt mit Ihnen nicht bis ans Ende des Tages, wie Sie sagen, schauen, sondern noch einmal wiederholen: Die Bundeskanzlerin hat gesagt: Es ist notwendig, dass unsere Abgeordneten dahin reisen können. – Wir haben schließlich eine Parlamentsarmee. Die Verteidigungsministerin war da und hat erste Gespräche geführt. Die Bundeskanzlerin hat ein Gespräch geführt. Nun müssen wir weiter daran arbeiten.

Frage: Dazu noch zwei Nachfragen an Herrn Flosdorff: Ich wüsste gern, welche Priorität der Besuch von Abgeordneten des Deutschen Bundestages hat. Ist der Besuch höher zu werten als der Einsatz selber?

Eine Lernfrage: Bis wann läuft das Mandat?

Flosdorff: Meinen Sie das aus Sicht der Soldatinnen und Soldaten?

Zusatz : Nein, überhaupt. Welche Priorität räumen Sie der Tatsache ein, dass – – –

Flosdorff: Das ist keine militärische Frage. Die Ministerin hat schon mehrfach deutlich gemacht, welch hohes Gut es ist, dass wir eine Parlamentsarmee haben, und dass es sehr wichtig ist, dass die Abgeordneten Zugang zu den Soldatinnen und Soldaten haben, deren Mandate sie ja beschließen und die sie ja in den Auslandseinsatz schicken. Sie hat sich jetzt schon mehrfach dafür eingesetzt und wird dieses Thema auch weiterhin bei jeder sich bietenden Gelegenheit ansprechen.

Ansonsten kann ich Ihnen noch berichten, dass es auf der taktisch-operativen Ebene nach wie vor keine Veränderung gibt. Es gibt eine sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf der taktischen Ebene, sowohl auf der Air Base in İncirlik als auch bei der Nato-Mission in der Ägäis, die ja weiterhin unter deutscher Führung mit den türkischen Gastgebern läuft.

Zusatzfrage: Wie lange läuft das Mandat, und wie schnell könnte man beispielsweise die Raketenabwehrtruppen zurückziehen?

Flosdorff: Raketenabwehrtruppen haben wir nicht mehr in der Türkei. In İncirlik sind die Aufklärungstornados und das Tankflugzeug. Dann gibt es die Nato-Mission. Das Mandat ist, wenn ich mich recht erinnere, im Frühjahr beziehungsweise zu Anfang des Jahres beschlossen worden. Ich denke, das läuft noch bis zum Beginn des nächsten Jahres.

Frage: Herr Flosdorff, war der Dialog, den Ihre Ministerin in der Türkei üben durfte, auch ein konstruktiver Dialog?

An Herrn Seibert die Frage: Die Ministerin hatte – ich gehe einmal davon aus – auch die Gelegenheit, konstruktive Gespräche zu führen. Die Bundeskanzlerin hat ein konstruktives Gespräch am Rande eines Termins geführt. Was ist eigentlich der nächste Schritt um Bewegung in die Sache und eine Entscheidung zu bringen?

Flosdorff: Die Ministerin hat ein gutes Gespräch mit ihrem türkischen Amtskollegen geführt. Es gibt eine ganze Fülle von Themen; das ist nicht das einzige Thema. Es geht auch um die Zusammenarbeit gegen den IS. Beide Staaten, Deutschland und die Türkei, sind Nato-Mitglieder. Es gibt auch etliche Themen, die man gemeinsam in der Nato bearbeitet. Auch vor dem Hintergrund der Umwidmung der Mission OAE gab es gemeinsame Themen. Viele gemeinsame Themen wurden vertrauensvoll besprochen.

Aber es wurde auch dieses Thema angesprochen. Dabei wurde deutlich, dass es noch unterschiedliche Vorstellungen und Meinungen gibt und dass es in diesem Stadium keine Lösung gibt. Trotzdem wurde aus der Atmosphäre des Gesprächs auch deutlich, dass das Problem seine Ursache nicht im militärischen Bereich hat und man dort auch nicht die Lösung für dieses Problem finden wird.

Zusatzfrage: Von Herrn Seibert möchte ich noch wissen, was die nächste Fortsetzung eines konstruktiven Dialoges ist. Die Verteidigungsministerin hat es versucht; die Bundeskanzlerin hat es versucht. Muss jetzt der Bundespräsident kommen, damit es vorangeht, oder wie denken Sie sich das?

StS Seibert: Damit würde ich nicht rechnen. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass die Abgeordneten unsere Soldaten besuchen können. So hat es die Bundeskanzlerin gesagt. Dazu hat sie dieses erste Gespräch geführt, die Verteidigungsministerin auch. Es muss weitergearbeitet werden. Alles, was ich sagen kann, ist, dass wir daran weiterarbeiten, damit dieser Zustand eintritt. Ich werde keine Ankündigungen machen, wer wann mit wem telefonisch oder einander gegenübersitzend darüber als Nächstes spricht, sondern: Es wird weitergearbeitet.

Zusatzfrage: Sie sprachen von einem ersten Gespräch der Bundeskanzlerin. Daraus schlussfolgere ich: Es wird ein zweites, ein drittes oder wie viel weitere geben?

StS Seibert: Das war zunächst einmal die Beschreibung, dass es ein erstes Gespräch der Bundeskanzlerin mit Präsident Erdoğan über dieses Thema war. Damit erklärt sich, warum der Dissens bei diesem ersten Gespräch vielleicht noch nicht aufgelöst werden konnte. Alles Weitere ist Arbeit – auf beiden Seiten -, und die werden wir leisten.

Frage: Herr Flosdorff, eine Lernfrage: Es steht eine Ausweitung beziehungsweise ein anderer Einsatz im Raum, AWACS mit Blick auf den Luftraum in Syrien. Können Sie sagen, wann darüber eine Entscheidung fallen müsste?

Flosdorff: Das kann ich Ihnen nicht mit Datum beziffern. Die Ausplanungen der Beschlüsse, die in Warschau getroffen worden sind, erfolgen in Brüssel bei der Nato. Welche Zeitleiste daran hängt, werden wir sehen, wenn die Nato so weit ist.

Zusatzfrage: Eher Wochen oder eher Monate?

Flosdorff: Ich gehe davon aus, dass die Nato-Ausplanungen in diesem Jahr vorliegen werden. Wann genau dann der Einsatz beginnt, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.

Frage: Herr Seibert, zwei Nachfragen. Wer arbeitet jetzt mit wem? Sie sagten, an dem Problem İncirlik wird weitergearbeitet.

Plant die Bundeskanzlerin, vor oder nach ihrem Urlaub oder während des Urlaubs einen Besuch in İncirlik?

StS Seibert: Ich habe doch gerade gesagt, dass weitergearbeitet wird, dass ich jetzt aber nicht ankündige, wer mit wem als Nächstes wann spricht. Wir arbeiten weiter. Die Zielrichtung ist glasklar und von der Bundeskanzlerin auch benannt: Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass die deutschen Abgeordneten unsere Soldaten besuchen können.

Über weitere Reise- oder Besuchspläne habe ich heute nichts anzukündigen.

(Foto: Erdogan, ganz links, und Merkel, im türkisen Jacket, auf dem NATO-Gipfel in Warschau – NATO Photo)