Bundeswehr-Bereitschaft nach Münchner Amoklauf: Die offizielle Darstellung (m. Transkript)

2012_ILUe_Feldjaeger

Während des Amoklaufs in München am vergangenen Freitag, bei dem ein Einzeltäter neun Menschen erschoss, hatte die Bundeswehr vorsorglich Einheiten in der bayerischen Landeshauptstadt in Bereitschaft versetzt. Das wurde bereits am Wochenende bekannt; am (heutigen) Montag nannte das Verteidigungsministerium dazu weitere Details: Generalinspekteur Volker Wieker habe nach Prokura von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen örtliche Sanitätskräfte und ebenfalls in München stationierte Feldjäger in Bereitschaft versetzt; angefordert wurden sie von den zuständigen Landesbehörden aber nicht.

Unklar bleibt auch nach den Aussagen vor der Bundespressekonferenz (Audio unten), ob die Initiative dazu vom Generalinspekteur ausging oder von der Ministerin. Und der Sprecher des Ministeriums sprach, wie sein Kollege aus dem Innenministerium, von genereller Bereitschaft, ohne dass dabei differenziert worden sei, ob die Bundeswehr lediglich zur technischen Amtshilfe, also z.B. Transport und Sanitätsunterstützung, in Bereitschaft ging oder sich von vorherein auch darauf einstellte, zur Unterstützung der Polizei auch Gewalt einzusetzen, also hoheitlich tätig zu werden.

Der O-Ton aus der Bundespressekonferenz von Oberst Boris Nannt, stellvertretender Sprecher des Verteidigungsministeriums, und Tobias Plate vom Bundesinnenministerium:

BPK_Bundeswehr_Inland_25jul2016     

 

 

(Technische Aussagen der Pressekonferenzleitung habe ich rausgeschnitten und die entsprechenden Stellen mit einem Tonsignal kenntlich gemacht).

Und nach dem Leserhinweis gestern (vielen Dank) auf die Erlasslage der Bundeswehr dazu: Der ursprüngliche Erlass aus dem Jahr 2013 ist inzwischen durch eine redaktionell leicht überarbeitete Neufassung (Zentrale Dienstvorschrift A-2110/10 „Hilfeleistungen bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen und im Rahmen der dringenden Eilhilfe (Artikel 35 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 1 GG)“ vom 11.07.2016) abgelöst worden. Die in diesem Fall entscheidende Passage:

Die Möglichkeit der Ausübung hoheitlicher öffentlich-rechtlicher Zwangs- und Eingriffsbefugnisse durch Truppenteile oder Dienststellen des GB BMVg ist bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, und nur dann zulässig, wenn
• in Fällen regionaler Gefährdung das betroffene Bundesland die Hilfe anderer Verwaltungen und/oder der Streitkräfte anfordert (Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 GG),
• in Fällen der überregionalen Gefährdung die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte beschließt (Artikel 35 Abs. 3 Satz 1 GG) und das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) eine entsprechende Weisung erteilt.
Hierbei stehen den Streitkräften kraft Verfassungsrechts hoheitliche, eingreifende und polizeiliche Befugnisse nach dem jeweiligen Landesrecht zu, soweit sie zur Durchführung der Hilfeleistung erforderlich sind. Dies gilt nicht für Anschlussarbeiten nach Nummer 203. Der Einsatz spezifisch militärischer Waffen ist nur in Ausnahmefällen und auf Weisung des Bundesministers der Verteidigung/der Bundesministerin der Verteidigung zulässig.

Da der Sprecher des Innenministeriums mahnte, man müsse den Artikel 35 des Grundgesetzes und seine Möglichkeiten zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Gesamttext lesen, reiche ich den gerne hier nach:

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.
(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.
(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

Nachtrag: das Transkript des O-Tons oben:

FRAGE LODDE: Am Freitag sind ja wohl auch Feldjäger in Bereitschaft versetzt worden. Können Sie das bitte einmal schildern? Offensichtlich ist die Initiative dazu weder von der Landesregierung noch von der Polizei ausgegangen. Können Sie bitte einmal schildern, wie das abgelaufen ist, und auch sagen, wie viele Feldjäger denn überhaupt in Bereitschaft versetzt worden sind?

NANNT: Ja, das mache ich sehr gerne. Wie Sie alle wissen, war die Lage am Freitag ja lange Zeit völlig unklar. Es war also nicht klar, wie die weitere Entwicklung sein wird oder welches Ausmaß diese Situation hat. Es war also nicht klar, ob das ein Einzeltäter ist, ob es sich um mehrere Täter handelt, vielleicht auch solche mit einer robusteren Bewaffnung. Es war zum Beispiel lange Zeit auch nicht klar, ob dieses Szenario jetzt auf das Einkaufszentrum oder auf andere Orte in München beschränkt ist. Darüber gab es ja auch verschiedene Meldungen. Insofern war lange Zeit nicht klar, ob dies ein Amoklauf gewesen ist oder ob es sich um eine Terrorlage mit einer weitaus größeren Dimension handelte.

In dieser Situation hat der Generalinspekteur der Bundeswehr nach erteilter Prokura durch die Ministerin und natürlich auch im Kontakt mit den zuständigen Polizeibehörden entschieden, eine vor Ort stationierte Einheit der Militärpolizei und auch noch lokale Sanitätskräfte in erhöhte Bereitschaft zu versetzen. Ganz wichtig ist: Dies geschah natürlich vorsorglich, ist also eine Bereitschaft gewesen, um eben, wie gesagt, die lokal zuständige Polizei gegebenenfalls zu unterstützen, wenn die Behörden, also die der Länder, bzw. die Polizei das anfordern. Natürlich geschieht dies dann in dem eng begrenzten Rahmen und dann auch nur im Extremfall. Es gab ja jüngst die Verabschiedung des beschlossenen Weißbuchs der Bundesregierung, in dem ja noch einmal auf terroristische Großlagen abgehoben wird. Auch diese Formulierungen im Weißbuch basieren ja auf der gültigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Es geht also hierbei darum, wie gesagt, dass wir Vorsorge getroffen haben.

Man erkennt, dass diese Vorsorge zum Beispiel auch nicht aus der Luft gegriffen wurde. Wenn jetzt auch Polizeieinheiten aus Österreich oder aus weiter entfernten Bundesländern in Marsch gesetzt wurden, dann zeigt das eben auch, wie unklar die Lage an diesem Abend insgesamt war. Diese Einheiten, die dort in Marsch gesetzt wurden, kamen ja auch nicht zum Einsatz, um jetzt vielleicht einmal Ihre Frage zu beantworten.

ZUSATZFRAGE LODDE: Wie viele waren es denn?

NANNT: Es waren ungefähr knapp 100 Kräfte.

FRAGE WIEGOLD: Herr Nannt, mir ist noch nicht ganz klar, von wem die Initiative für diese vorsorgliche Bereitschaft ausging. Ging sie vom Generalinspekteur oder von der Ministerin aus? Was heißt „nach Prokura“? Hat sie sozusagen den Vorschlag des GI gebilligt? Verstehe ich es richtig, dass es keine Anfrage der zuständigen Landesbehörden gab?

Die andere Frage bezieht sich auf die Erlasslage: Ist bei einer Unterstützung durch die Bundeswehr mit hoheitlicher Eingriffsbefugnis und bei Anwendung militärischer Waffen die Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung erforderlich? Hat die Ministerin eine solche Zustimmung erteilt?

NANNT: Zur ersten Frage: Es gab zu diesem Zeitpunkt, zu dem diese Bereitschaft vollzogen wurde, keine konkrete Anfrage. Wie ich gerade dargestellt habe, war diese Lage eben völlig unklar. Aufgrund der Lageentwicklung war es uns wichtig, einsatzbereite Kräfte zur Verfügung zu haben. Das heißt eben, gerade bei so einer Lage, in der es um den Schutz der Bevölkerung geht, ist Schnelligkeit natürlich total wichtig. Schnell kann man nur dann sein, wenn man auch Vorsorge getroffen hat, und diese Vorsorge haben wir getroffen. Es ist dann eben eine Entscheidung in unserem Hause getroffen worden, und zwar so, wie ich es sagte, nämlich dass sich der Generalinspekteur bei der Ministerin Prokura geholt hat und dass dann eben auch eine Abstimmung mit dem Polizeibehörden erfolgte. Insgesamt kam es, wie gesagt, nicht zu einem Abruf durch die Polizeibehörden. Wie gesagt: Die Polizei und die Behörden der Länder sind natürlich maßgeblich. Das heißt, nicht wir bestimmen über einen Einsatz, sondern letztendlich wird dort festgestellt, vielleicht seitens der Polizei, dass man an die Erschöpfungsgrenze kommt, dass man Unterstützung braucht, vielleicht auch im Bereich des Sanitätsdienstes, und dann ist es eben im Bereich der Amtshilfe, zumal im Rahmen des eng begrenzten Rahmens, möglich, zu unterstützen.

ZUSATZFRAGE WIEGOLD: Zum einen ist meine zweite Frage noch offen.

Zweitens ging es ja nicht allein um sanitätsdienstliche Unterstützung, sondern offensichtlich stellte sich die Bundeswehr auch darauf ein, nach Artikel 35 Absatz 2 im Bereich des exekutiven Handelns zu unterstützen. Ist das korrekt?

NANNT: Wir haben uns darauf eingestellt, die Polizei in diesem Extremfall zu unterstützen. Wie jetzt die Unterstützungsleistung aussieht, das bestimmen die Behörden der Länder, das bestimmt die Polizei. Noch einmal: Wir treffen nur die Vorsorge hierfür. Das heißt, uns war es wichtig, Schnelligkeit zu erreichen. Wenn die Dimension nämlich vielleicht eine weitaus andere gewesen wäre, was sie, Gott sei Dank, nicht war, dann ist es wichtig, dass man auch schnell handeln kann. Aber noch einmal: Wir entscheiden nicht, wie wir unsere Einsatzkräfte einsetzen, ob Sanitätskräfte oder Militärpolizei, sondern es würde dann eine Anforderung kommen. Dabei sind ja viele verschiedene Szenarien möglich, zum Beispiel auch, dass man Spürhunde einsetzt, um vielleicht Bomben oder Springmittel zu entschärfen, und dass man das unterstützt. Ich möchte jetzt aber nicht auf irgendwelche hypothetischen Szenarien zu sprechen kommen, weil es ganz konkret darum geht, wann die Polizei was anfordert. Um es vielleicht noch einmal deutlich zu machen: Die Polizei bzw. die Behörden sind auch derjenigen, die natürlich sagen, um was für Dimensionen es sich handelt. Ist das jetzt eben eine terroristische Großlage? Ist das wie jetzt zum Beispiel hier ein Amoklauf? Insofern sind es viele Dinge, die für einen rechtlichen Rahmen notwendig sind. Aber das Entscheidende ist für uns diese Bereitschaft gewesen.

Dabei sind eigentlich drei Dinge vielleicht noch einmal gesagt ganz entscheidend, zum einen: Es gibt einen ganz klaren, eng begrenzten Rahmen. Den hatte ich ja schon genannt. Er wurde auch gerade jüngst in dem verabschiedeten Weißbuch noch einmal dargestellt.

Der zweite Punkt ist für uns: Wir wollen dafür einsatzbereite Kräfte bereitstellen.

Der dritte Punkt, und das ist auch ganz wichtig, ist: Wir wollen natürlich, dass diese einsatzbereiten Kräfte das geschieht auch in Abstimmung mit der gesamten Bundesregierung auch wirken können, und dafür ist es wichtig, dass wir das auch üben. Hinsichtlich dieses Übens werden jetzt im Spätsommer auch vorbereitende Treffen auf politischer Ebene stattfinden, bei denen sich die Bundesverteidigungsministerin, der Bundesinnenminister, der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder sowie auch die Sprecher der Innenminister der A-Länder und der B-Länder abstimmen. Dort wird man dann sagen, wie wir jetzt vielleicht eine gemeinsame Übung machen können, um zukünftig vorbereitet zu sein, wenn es zu einer terroristischen Großlage kommen sollte. Einige Bundesländer haben auch bereits Interesse bekundet, zum Beispiel das habe ich jetzt zumindest parat das Saarland oder Baden-Württemberg. Insofern ist das dieser Dreiklang. Wir wollen also auch zukünftig vorbereitet sein und das dann auch üben können.

ZUSATZFRAGE WIEGOLD: Entschuldigung, meine zweite Frage ist noch nicht beantwortet. Hat die Ministerin eine Ermächtigung für den Einsatz militärischer Waffen erteilt?

NANNT: Nein, das hat sie nicht. Noch einmal, und das habe ich Ihnen ja gerade auch schon dargestellt: Das war eine Bereitschaft. Im Rahmen dieser Bereitschaft haben wir uns darauf vorbereitet, dass wir dort unterstützen können, also zum Beispiel auch gerade im Bereich technologisch-logistischer Amtshilfe. Bei so einem Szenario, wenn es so weit gekommen wäre, ist dann Schnelligkeit entscheidend. Wenn Schnelligkeit entscheidend ist, können wir nicht sagen: „Okay, wir warten jetzt.“ Ich glaube, das erwarte die Bevölkerung auch von uns.

FRAGE JUNG: Herr Nannt, ich habe es noch nicht ganz verstanden. Da waren also 2300 Polizeikräfte vor Ort. Da war die GSG 9 vor Ort. In all dem Chaos wurde von „maximal drei Tätern“ gesprochen. Wer in Ihrem Haus ist auf die Idee gekommen, da die Bundeswehr in Bereitschaft zu versetzen? Diese Frage hatte Herr Wiegold ja auch schon gestellt: Wer hat diesen Befehl gegeben? War das der Generalinspekteur, oder war es die Verteidigungsministerin?

NANNT: Herr Jung, das war ein ganz schreckliches Ereignis, das am Wochenende passiert ist. Es hatte trotzdem vielleicht in Anführungsstrichen: zum Glück nicht eine noch größere Dimension, aber es war ein ganz schreckliches Ereignis. In so einer Lage ist es wichtig, dass man schnell handelt. Natürlich liegt die Verantwortung im Bereich des Inneren in erster Linie bei den Polizeikräften usw. Wie ich gerade schon dargestellt habe, ging es nur um eine Bereitschaft, damit man zeitnah und schnell zur Verfügung steht. Dann wurden ja, wie gesagt, auch andere Kräfte angefordert, damit man dort im Bedarfsfall schnell handeln kann. Das ist wichtig. Wir können da keine Zeit verlieren!

ZUSATZFRAGE JUNG: Herr Nannt, ich bin mir sicher, dass Rationalität vor Schnelligkeit geht. Darum stelle ich noch einmal die Frage: Wer hat diesen Befehl erteilt?

NANNT: Ich habe Ihnen das gerade schon dargestellt, Herr Jung.

ZUSATZ JUNG: Ich habe es nicht verstanden.

NANNT: Ja, aber das kann ich nicht

ZUSATZFRAGE JUNG: Wer war das?

NANNT: Das müssen Sie im Protokoll noch einmal nachlesen. Ich habe es jetzt mehrfach dargestellt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Können Sie das sagen? Welche Person hat diesen Befehl erteilt?

NANNT: Soll ich noch einmal das darstellen, was ich gerade in der ersten Antwort gesagt habe? Ich kann es gerne noch einmal machen.

ZUSATZ JUNG: Das wird doch eine Person gewesen sein. Nennen Sie doch die Person!

NANNT: Ich will bloß nicht den ganzen Saal langweilen, weil ich es gerade eben schon dargestellt habe. – Der Generalinspekteur hat nach erteilter Prokura durch die Ministerin und im Kontakt mit den zuständigen Behörden eine vor Ort stationierte Einheit der Militärpolizei sowie lokal stationierte Sanitätskräfte in eine erhöhte Bereitschaft versetzt.

ZUSATZ JUNG: Also war es Frau von der Leyen.

NANNT: Na klar. Natürlich ist das eine Entscheidung, die dann letztlich gefallen ist, klar.

FRAGE WONKA: Herr Nannt, war das in der Rückschau betrachtet das erste Mal, dass die Bundeswehr Feldjäger und Sanitätskräfte vorsorglich in Alarmbereitschaft versetzt hat, obwohl es ja auch schon verschiedene Großlagen gegeben hat?

Zweite Frage: Verfügt die Verteidigungsministerin über einen Ablaufplan, der sie veranlasst hat, in diesem konkreten Fall an Feldjäger und Sanitäter zu denken? Wieso nicht an andere zusätzliche Kräfte? Gibt es da also ein Szenario für diese Fälle, das schon vorliegt?

Hat sie eigene Erkenntnisse gesammelt, um diese vorsorgliche Freigabe für den GI zu erteilen, oder hat sie sich auf Rückfragen in diesem Fall an den Bundesinnenminister verlassen?

NANNT: Vielleicht erst einmal zu Ihrer ersten Frage danach, ob dies das erste Mal war: Das kann ich Ihnen so nicht beantworten.

Ich nenne einmal ein Beispiel aus der Rückschau auf mein Leben als Soldat: Ich bin jetzt seit 27 Jahren Soldat und bin auch in verschiedenen Situationen schon in erhöhter Bereitschaft gewesen. Zum Beispiel wurden wir, wenn es eine Flutkatastrophe gab, über das Wochenende in erhöhte Bereitschaft versetzt, weil dann quasi gefragt wurde: „Welcher Bedarf könnte auf uns zukommen, weil das Land vielleicht Unterstützungsleistungen braucht?“ Ich nenne jetzt einmal mein konkretes Beispiel, dass man dann eine Transportleistung braucht. Dann sagt man dort: Okay, ihr habt jetzt eine erhöhte Bereitschaft, um kurzfristig agieren zu können und wie ich vorhin schon einmal sagte eben möglichst auch keine Zeit zu verlieren.

Insofern kann ich Ihnen so grundsätzlich nicht beantworten, für welche Szenarien schon einmal eine Bereitschaft vorgehalten wurde.

Wenn man sich darüber Gedanken macht, dann erfolgt natürlich immer eine Abstimmung. Ich habe hier auch ganz deutlich gemacht, dass eine Abstimmung mit der Ministerin, mit dem Generalinspekteur erfolgte. Dort diskutiert man also natürlich, und man hat das habe ich hier auch gesagt auch Kontakt mit dem Land, war also mit München in engem Kontakt. Dort macht man sich dann Gedanken, wie man unterstützen kann. Da sind natürlich auch regionale bzw. lokale Kräfte wichtig, und natürlich ist auch die Frage wichtig: Welche Fähigkeiten können gefordert sein. Wenn es zum Beispiel eine terroristische Großlage gewesen wäre, also doch noch zu einem größeren Ausmaß gekommen wäre, könnte man vielleicht an Spürhunde oder eben auch Sanitätskräfte denken. Darauf stellt man sich also ein.

Was dieses Szenario betrifft, Herr Wonka: Das ist ja genau der Bereich, um den wir uns jetzt kümmern wollen. Wir sagen: Wir wollen jetzt die Dinge üben, wir wollen in die Gespräche mit den Innenministern gehen; wir wollen sehen, wo Bedarf besteht, um dann auch festzustellen: Wo müssen wir noch nachschärfen, wo müssen wir gewisse Dinge vielleicht noch besser einüben, wo gibt es gewisse Mechanismen, die nicht laufen? Deswegen war es uns ja auch von Anfang an, vom Weißbuch-Prozess an so wichtig, dass wir dies zukünftig üben. Das hat die Ministerin dann auch noch einmal deutlich gemacht.

FRAGE GATHMANN: Ich habe nur noch einmal eine Verständnisfrage, wahrscheinlich an Herrn Plate und an Frau Dr. Krüger: Nach dem, was Herr Nannt jetzt angedeutet hat, wie dieser Einsatz hätte aussehen können, stellt sich für mich die Frage: Es wäre tatsächlich auf dem Boden unserer Gesetze gewesen, wenn die Bundeswehr so eingesetzt worden wäre? Das muss ich jetzt einmal ganz dumm fragen.

DR. PLATE: Ich will jetzt, ehrlich gesagt, einen Einsatz, der gar nicht stattgefunden hat, nicht bewerten; das fällt mir, ehrlich gesagt, aus dem Stand auch schwer. Es gibt aber ein verfassungsgerichtliches Urteil dazu, das mehr oder weniger sagt: In besonderen, sehr gefährlichen Einsatzlagen der Minister hat das heute auch noch einmal in einem Interview zitiert ist es möglich, dass unter Federführung der örtlichen Polizei die Bundeswehr auch mit ihren Mitteln unterstützt. Das ist Amtshilfe. Das ist genau das, was im Weißbuch auch noch einmal wiederholt worden ist. Wir haben einfach gemeinsam die Erkenntnis, dass genau das, was das Verfassungsgericht als verfassungsrechtlich möglich beschrieben hat, wenn es einmal hart und hart kommt, dann auch geübt wird, damit es reibungslos klappt, wenn es wirklich drauf ankommt. Es ist doch völlig klar, dass solche Übungen dann in dem Rahmen stattfinden, den das geltende Recht hergibt.

DR. KRÜGER: Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

FRAGE WIEGOLD: Herr Nannt, zum einen noch einmal kurz zur Klärung: Sie haben von vor Ort stationierten Einheiten geredet; das wäre dann also die 3. Kompanie des Feldjägerregiments 3. Es gibt aber auch Informationen, dass sich andere Feldjägereinheiten aus anderen Standorten darauf vorbereitet haben, ebenfalls nach München zu verlegen. Ist das zutreffend?

Zweite Frage: Weil ja Artikel 35 Absatz 1 und Artikel 35 Absatz 2 immer so ein bisschen durcheinanderkommen: Technische Amtshilfe nach Artikel 35 Absatz 1 zum Beispiel bei Hochwasser ist ja lange geübte Praxis. Aber ist es auch schon länger geübte Praxis, dass Bereitschaft im Hinblick auf Artikel 35 Absatz 2, also militärische Unterstützung inklusive Eingriffsbefugnis angeordnet wird?

NANNT: Ich fange einmal mit der zweiten Frage an: Die Bereitschaft ist eine Bereitschaft. Nur um das einmal klarzumachen: Man sagt ja nicht: Es ist eine Bereitschaft, und zwar für dieses Szenario gemäß diesem Paragraphen oder für jenes Szenario gemäß jenem Paragraphen. Man setzt vielmehr eine Einheit in Bereitschaft, damit sie gegebenenfalls unterstützen kann im Rahmen der eng begrenzten rechtlichen Möglichkeiten. Insofern ist es eine Bereitschaft, die gesetzt wurde, und ein Einsatz nach Artikel 35 Absatz 1, Artikel 35 Absatz 2 oder wie auch immer kommt zustande, wenn es eine Anforderung gibt, die letztendlich durch die Behörden, durch die Polizei getroffen wird. Deswegen macht es keinen Sinn zu fragen: Was war das jetzt für eine Bereitschaft? Die Bereitschaft war eine Bereitschaft von insgesamt etwa 100 Kräften, die sowohl aus dem Bereich der Militärpolizei als auch aus dem Bereich des Sanitätsdienstes kommen.

Wie diese Bereitschaft genau ausgestaltet wurde und wo genau die Einheiten herkommen bzw. wo sie stationiert waren, kann ich Ihnen nicht sagen, das sage ich Ihnen ganz ehrlich ich weiß es nicht. Es wird wahrscheinlich keine Einheiten aus Kiel gekommen sein; vielmehr werden sie wahrscheinlich aus der Region gekommen sein, in der das Unglück passiert ist eben um schnell zu reagieren.

ZUSATZFRAGE WIEGOLD: Ich verstehe es nicht ganz. Sie müssten sich doch darauf einstellen, ob Sie einen ungeschützten Lastwagen schicken bzw. ob Sie einen ungeschützten Lastwagen in Bereitschaft halten oder ob Sie geschützte Fahrzeuge brauchen, weil bewaffnete Täter unterwegs sind. Insofern müssen Sie ja schon bei der Ausgestaltung der Bereitschaft an die unterschiedlichen Szenarien denken, oder nicht?

NANNT: Wir haben die Kräfte bereitgestellt, die dort verfügbar sind und die dort eben auch angemessen die Polizei unterstützen können. Es kommt, wie gesagt, erst dann zu einem richtigen Einsatz, wenn dieser Einsatz abgerufen wird. Natürlich machen wir uns Gedanken, wie wir letztendlich unterstützen können. Wie gesagt, es kann sein, dass wir im Bereich Sanitätsdienste etwas machen, es kann sein, dass wir an den Checkpoints unterstützen, die die Polizei einrichtet. Es macht aber keinen Sinn, hier jetzt theoretische Abläufe zu diskutieren; denn es kommt erst dann zu einem Einsatz, wenn er abgerufen wird. Und dann stellt sich auch die Frage, auf welcher Grundlage dieser Abruf erfolgt.

Und noch einmal: Das Szenario muss auch stimmen, Herr Wiegold; auch das ist ganz wichtig. Denn es ist eben auch entscheidend: Ist es eine terroristische Großlage oder ist es das nicht, ist es vielleicht nur eine ganz einfache logistische Unterstützung? Da spielen viele Faktoren eine Rolle, und es ist einfach total hypothetisch, sich jetzt Gedanken nach dem Motto „Was wäre wenn wo?“ zu machen. Das sind aber das sage ich auch, Herr Wiegold gute Fragen bzw. genau die richtigen Fragen, die wir uns stellen, wenn wir die Übungen machen. Das sind die Fragen, die wir uns dann stellen, um letztendlich auch dieses Zusammenspiel besser üben zu können.

VORS. WEFERS: Herr Dr. Plate hat noch eine Ergänzung.

DR. PLATE: Ich will das gerne kurz machen, ich möchte aber, ehrlich gesagt, sozusagen noch ein verfassungsrechtliches Licht auf die Ausführungen und vor allen Dingen Ihre Frage werfen, weil Sie von Absatz 2 reden. Wenn wir schon einmal dabei sind, über Absätze zu reden, dann würde ich alle dazu einladen wollen, sich die Absätze 1, 2 und 3 anzuschauen. Es ist einfach so, dass die Absätze 2 und 3 Szenarien beschreiben, die zum Glück bisher im Prinzip kaum oder vielleicht gar nicht da habe ich jetzt nicht den absoluten Überblick vorgekommen sind. Es geht da um sehr schwere Naturkatastrophen, um Unglücksfälle, es geht um Situationen, in denen es die Polizei alleine nicht mehr schafft. Das ist natürlich etwas anderes als im Absatz 1, aber dann muss sich eben nicht nur den Absatz 2, sondern auch den Absatz 3 mitnehmen.

FRAGE DR. BRAUN: Herr Nannt, hat die Ministerin bei Herrn Wieker angerufen und gesagt „Wir machen das“, oder hat Herr Wieker bei der Ministerin angerufen und gesagt „Wir machen das jetzt“?

Zweite Frage: Sie haben von 100 Kräften gesprochen. Sind das 50 Feldjäger, 30 Sanitäter und 20 Hunde? Wie muss man sich das vorstellen, wie viele waren das?

NANNT: Zu Ihrer ersten Frage, Herr Braun: Über Telefonate darüber, wer wen anruft, wer wann anruft und wie was läuft berichte ich nicht.

Zweitens. Insgesamt sind das ungefähr 100 Kräfte. Ich kann Ihnen jetzt hier nicht sagen, wer da in welcher Dimension dabei war. Das müsste ich klären, das kann ich Ihnen hier jetzt nicht zur Verfügung stellen.

(Archivbild 2009: Feldjäger bei der Informations- und Lehrübung in Munster – Foto Bundeswehr/Kunde)