EU-Marineeinsatz vor der Küste Libyens wird ausgeweitet

20160428_EUNAVFOR_MED_Karlsruhe

Der Marineeinsatz der EU im Mittelmeer vor der Küste Libyens, die Operation Sophia, soll wie erwartet ausgeweitet werden. Die Außenminister der Europäischen Union verständigten sich am (heutigen) Montag darauf, die Unterstützung der libyschen Küstenwache und eine Durchsetzung des Waffenembargos gegen das nordafrikanische Land in ein neues Mandat aufzunehmen.

Das dürfte für die Deutsche Marine ebenfalls ein neues Mandat des Parlaments bedeuten. Bislang hat die Operation Sophia zwar schon die Aufgabe, die Netzwerke von Schleusern zu identifizieren, allerdings ausschließlich außerhalb der Hoheitsgewässer Libyens. Faktisch ist die Mission unter italienischem Kommando vor allem mit der Rettung von Flüchtlingen und Migranten aus Seenot beschäftigt, die versuchen, mit seeuntüchtigen Booten von Libyen nach Europa zu gelangen (und sonst, so urteilte ein britischer Parlamentsausschuss kürzlich, wenig erfolgreich.)

Doch jetzt sollen neue Aufgaben hinzukommen. Aus den Schlussfolgerungen des Außenministerrats:

Recalling its conclusions on Libya of 18 April and also in the light of the ministerial meeting on Libya in Vienna on 16 May, the Council underlines the need to enhance the capacity of EUNAVFOR MED Operation Sophia to disrupt the business model of human smugglers and trafficking networks and to contribute to broader security in support of the legitimate Libyan authorities.

In this regard, the Council welcomes the expressed readiness of the President of the Presidency Council of the Government of National Accord, Mr Serraj, to cooperate with the EU on the basis of these conclusions.
To that end, the Council agrees to extend the mandate of EUNAVFOR MED Operation Sophia by one year and, while retaining the focus on its core mandate, to add two further supporting tasks:
– capacity building and training of, and information sharing with, the Libyan Coastguard and Navy, based on a request by the legitimate Libyan authorities taking into account the need for Libyan ownership;
– contributing to information sharing, as well as implementation of the UN arms embargo on the High Seas off the coast of Libya on the basis of a new UNSC Resolution.
The Council underlines the need for preparatory work, including on planning, to continue without delay. On the basis of this work, it will then take a Council Decision to extend and amend EUNAVFORMED’s mandate and start the implementation of the new tasks. The Council stresses the importance of continuing coordination with international partners such as UN and NATO.

Einen vorbereitenden Beschluss hatte es bereits im April gegeben; damals stand aber eine Anforderung der neu gebildeten libyschen Einheitsregierung noch aus. Die liegt jetzt nach dem Verständnis der EU-Außenminister vor: In this regard, the Council welcomes the expressed readiness of the President of the Presidency Council of the Government of National Accord, Mr Serraj, to cooperate with the EU on the basis of these conclusions.

Im Zusammenhang mit einer Ausweitung der Aufgaben der EU-Mission war auch immer wieder die Frage aufgekommen, ob es tatsächlich eine libysche Küstenwache gibt und ob mit der eine Kooperation möglich und sinnvoll wäre. Da scheint es tatsächlich was zu geben, wie Reuters berichtet:

Libyan coastguards intercepted about 850 migrants on Sunday off the coast near the western city of Sabratha, a spokesman said.
Ayoub Qassem said the migrants were from various African countries and among them were 69 women, including 11 who were pregnant, as well as 11 children. They were travelling in inflatable rubber boats, he said.

Die Deutsche Marine ist derzeit mit der Fregatte Karlsruhe (Foto oben) und dem Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main in dem Einsatz vertreten; die Karlsruhe soll Mitte Juni im NATO-Einsatz in der Ägäis den Einsatzgruppenversorger Bonn ablösen. An die Stelle der Fregatte tritt dann das Minenjagdboot Datteln in der Mission vor Libyen.

Nachtrag: Die Operation Sophia war auch Thema in der Bundespressekonferenz am Montag – allerdings vor dem oben zitierten EU-Ratsbeschluss. Dazu der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, und BMVg-Sprecher Jens Flosdorff:

FRAGE: Zu Libyen, Herr Schäfer und Herr Flosdorff: Herr Flosdorff, die Marinemission Sophia soll laut der Abschlusserklärung aus der letzten Woche neue Aufgaben erhalten. Können Sie uns schon sagen, welche neuen Aufgaben das sein könnten?

Herr Schäfer, in der Abschlusserklärung heißt es ja, man wolle mit der Einheitsregierung gegen Bedrohungen zusammenarbeiten, die sich im Mittelmeer und an den Landesgrenzen Libyen durch kriminelle Organisationen stellen. Ist das so zu verstehen, dass Waffenlieferungen usw. jetzt eher nicht dem Kampf gegen ISIS gelten, sondern der Flüchtlingsbekämpfung?

DR. SCHÄFER: Ich habe gerade mit Herrn Flosdorff geflüstert – nicht, um Ihnen etwas vorzuenthalten, sondern weil wir besprochen haben, dass ich ausnahmsweise einmal mit der Antwort auf Ihre Frage beginne, einfach deshalb, weil zurzeit die Außenminister der Europäischen Union in Brüssel zusammenkommen, weil dort das Thema Libyen ganz oben auf der Tagesordnung steht und weil dort vielleicht auch, während wir hier stehen, darüber diskutiert wird. Herr Steinmeier ist heute nicht vor Ort, weil er beim Humanitären Weltgipfel in Istanbul ist. Er wird durch den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Roth, vertreten.

Es ist für uns angesichts der laufenden Beratungen jetzt nicht ganz einfach, Ihnen von hier aus einen aktuellen Stand zu geben, weil sich die Dinge in Brüssel natürlich immer bewegen können. Aber vielleicht nur grundsätzlich: Die Absicht von Frau Mogherini ist die Bundesregierung unterstützt dieses Vorhaben , heute so etwas wie eine politische Absichtserklärung zu indossieren, also die Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einer möglichen, dann in naher Zukunft zu entscheidenden Veränderung des Mandats von EUNAVFOR MED, von Sophia, zu erreichen, und zwar in zwei Zielrichtungen:

Zum ersten geht es darum, dass EUNAVFOR MED, die EU-Operation Sophia, in die Lage versetzt werden soll, der libyschen Küstenwache auf dem Wege von Ausbildungs- und Beratungsmaßnahmen unter die Arme zu greifen. Das heißt, wir wünschen uns, dass die libysche Einheitsregierung, die ja seit einigen Wochen in Tripolis aktiv ist und dort langsam, aber sicher ihren politischen und geographischen Handlungsspielraum erweitert, mit der Küstenwache in Zukunft ein potenzielles Instrument in die Hand bekommt, mit dem sie die gleichen Ziele erfolgreich oder erfolgreicher als bisher in die Tat umsetzen kann, die auch wir haben, nämlich die Verhinderung von Waffenschmuggel und die Bekämpfung der Schleuserkriminalität.

Die zweite Ausweitung von EUNAVFOR MED geht in die Richtung einer besseren und wirksameren Bekämpfung des Waffenschmuggels. Sie wissen vielleicht, dass es in der berühmten und bekannten Resolution vom 17. März 2011, die ja die Grundlage für die Militäraktionen einiger westlicher Staaten gegen Gaddafi war, auch ein sehr kategorisches Waffenexportverbot gibt. Sie wissen vielleicht auch, dass derzeit in New York auch mit deutscher Unterstützung und mit deutschem Engagement zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen darüber beraten und gesprochen wird, ob man dieses Mandat des Sicherheitsrats für Libyen im Hinblick auf den Waffenschmuggel modifiziert. Das ist nämlich dann erforderlich, wenn die internationale Gemeinschaft zu der Erkenntnis kommen sollte, dass es auf hoher See, im Mittelmeer, angezeigt ist, den Waffenschmuggel etwa durch die Kontrolle des Schiffsverkehrs in Richtung Libyen wirksam kontrollieren zu können. Das ist ohne Weiteres eben ohne ein entsprechendes Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nicht möglich.

Vorausgesetzt, dass es zu einem solchen Mandat kommt, über das zurzeit in New York beraten wird, könnte sich die Europäische Union vorstellen auch das ist heute Gegenstand der Beratungen und dann womöglich auch der politischen Absichtserklärung , das Mandat von Sophia auszuweiten, um Sophia und den im Rahmen von Sophia im Einsatz befindlichen Schiffen dann auch das Recht zu geben, Schiffe auf hoher See zu kontrollieren, die vielleicht die Destination Libyen haben und die vielleicht Waffen an Bord haben, die etwa ISIS zukommen sollen. Auch das ist ein aus unserer Sicht wichtiger Beitrag dazu, Libyen zu stabilisieren und der Gefahr, die von der Ausbreitung von ISIS um Sirte in Libyen herum ausgeht, etwas Wirksames entgegenzusetzen.

FLOSDORFF: Ich kann dem jetzt nichts Wesentliches hinzufügen. Herr Schäfer hat den Verfahrensstand genannt. Im Augenblick gilt das aktuelle Mandat. Wenn die Beschlüsse in Brüssel die Außenminister beraten ja noch gefallen sind, dann werden auf einer technischen EU-Ebene Einzelheiten und weitere Zeitlinien ausgeplant werden. Erst dann könnten wir von unserer Seite aus weitere Aussagen treffen.

ZUSATZFRAGE : Danke erst einmal, Herr Schäfer, für die ausführliche Antwort; das ist ja auch nicht

DR. SCHÄFER: Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt ernst meinen, Herr Jung.

SRS’IN WIRTZ: Das kann man ihm wirklich nicht vorwerfen, Herr Jung!

ZUSATZFRAGE: Herr Schäfer, diese Einheitsregierung in Libyen wird ja trotzdem nicht von allen anerkannt. Wie verhindert man jetzt, wenn man denen Waffen liefert, dass das nicht zu einem Bürgerkrieg ausartet, in dem man dann quasi eine Bürgerkriegspartei pimpt?

DR. SCHÄFER: Ja, Sie haben recht: Die Verfügbarkeit von Waffen und die Menge an Waffen waren in Libyen in den letzten Jahren sicherlich kein Problem. Im Gegenteil war es ein großes Problem, dass die unzählige Menge an Waffen, die Gaddafi im Laufe seiner Amtszeit angehäuft hatte, viel Unheil angerichtet hat, nicht nur in Libyen, sondern auch weit darüber hinaus. Viele Beobachter sind wir glauben, zu Recht der Auffassung, dass viel Unordnung und Instabilität in der Sahelzone und nicht zuletzt auch im Norden Malis darauf zurückzuführen ist, dass die Waffenbestände von Gaddafi in Bewegung geraten sind und in die Finger von Leuten geraten sind, denen man diese Waffen besser nicht zukommen lässt.

Aber worum es bei den Diskussionen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch geht, ist, dieses Waffenembargo zu modifizieren. Wenn es denn eine breite Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für diese Einheitsregierung in Libyen gibt und wenn es dieser Einheitsregierung gelingt, tatsächlich Zugriff auf die staatlichen Institutionen Libyen zu haben weit über Tripolis hinaus und im ganzen Land , dann kommt irgendwann der Moment, an dem man auch in Erwägung ziehen muss, die Sicherheitsinstitutionen und die Sicherheitskräfte unter der Führung und dem Kommando dieser neuen Einheitsregierung zu unterstützen. Dazu kann man überlegen, ob Ausbildungsmaßnahmen ergriffen werden. Da kommt dann aber irgendwann auch der Punkt, an dem man bereit sein muss, dieser Regierung auch durch die Lieferung geeigneten Sicherheitsmaterials unter die Arme zu greifen. Dabei sind wir noch nicht. Das wird sicherlich auch sehr sorgfältig überlegt werden und im Einzelfall vielleicht auch entschieden werden müssen. Aber auch das ist Teil der zurzeit stattfindenden Beratungen der Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in New York, und zwar mit dem mittelfristigen Ziel, einer Einheitsregierung unter der Führung des Ministerpräsidenten Sarradsch unter die Arme greifen zu können, wenn die Bedingungen dafür vorliegen.

FRAGE: Eine allgemeine Frage dazu: Am Wochenende war zu lesen, dass mittlerweile ein anderer formaler Punkt geklärt sei, nämlich dass es eine offizielle Anfrage oder ein Hilfeersuchen der Libyer für eine solche Mission gibt. Ist das zutreffend?

Zweitens. Welche Vorbereitungen gibt es denn sonst innerhalb der Bundesregierung? Die Frage richtet sich einmal an das BMVg. Wenn sich diese Mission so verändern sollte, müsste man ja unsere Boote Stichwort „boarding teams“ etc. zumindest anders bestücken.

Wird in der Bundesregierung schon ein neues Mandat für die Operation Sophia vorbereitet?

FLOSDORFF: Was die Marinemission angeht, gibt es diesbezüglich noch keine Vorbereitungen. Es gilt das aktuelle Mandat, und die Hürden für ein erweitertes Mandat für erweiterte Befugnisse sind hier benannt worden. Erst wenn sich dieses in Bezug auf die Zeitlinie konkretisiert, würde man da auch fortschreiten.

DR. SCHÄFER: Es hat ich meine am frühen Freitagnachmittag ein Obleute-Briefing aus dem Auswärtige Amt gegeben, sodass der Bundestag über das, was ich hier gerade eben zum Thema Libyen und eine mögliche Ausweitung des Sophia-Mandats gesagt habe, bereits informiert ist.

Wenn es tatsächlich zu dem kommt, was Frau Mogherini dem Rat vorgeschlagen hat, ist es in der Tat so, dass das aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Notwendigkeit der Veränderung unseres deutschen Mandats durch den Deutschen Bundestag einhergehen würde. Das wird so wie immer laufen, dass die beiden federführenden Ressorts das in enger Abstimmung und vertrauensvoll miteinander vorbereiten und dann rechtzeitig dem Bundestag zur Abstimmung vorlegen werden.

Was Ihre erste Frage angeht: Ja, das stimmt. Ich kann bestätigen, dass es ein Hilfeersuchen von Herrn Sarradsch, der gleichzeitig Präsident des Präsidialrats und Ministerpräsident Libyens ist, gibt, auf dessen Grundlage heute auch die Beratungen in Brüssel erfolgen können.

FRAGE JUNG: Eine Verständnisfrage, Herr Dr. Schäfer: Deutschland hat sich an der Intervention vor fünf Jahren gar nicht beteiligt. Warum engagiert man sich jetzt so sehr? Warum überlässt man das Chaos in Libyen nicht den Verursachern?

DR. SCHÄFER: Wenn es so wäre, dass man Verantwortung für Stabilität, Ordnung und Sicherheit danach ausrichten würde, wer für was die Verantwortung trägt, dann kann man ja in der ganzen Welt andere Schuldige finden und sich ansonsten fein heraushalten. Das ist genau das, was diese Bundesregierung und auch dieser Außenminister sicher nicht wollen, sondern wir nehmen die gewachsene Verantwortung für unsere unmittelbare Nachbarschaft auch gerade angesichts der uns näher gekommenen Konfliktherde sehr ernst, und zwar völlig unabhängig davon, wer Schuld oder Verantwortung dafür tragen mag, was in Libyen oder anderswo vielleicht nicht gut gelaufen ist.

Ich glaube, es macht jetzt keinen Sinn interessant wäre es allemal, aber Sinn macht es trotzdem nicht , die politische Debatte über den Sinn der Entscheidung der damaligen Bundesregierung vom 17. März 2011 aufzumachen, sondern die Stabilisierung Libyens ist im Interesse Deutschlands, im Interesse Europas und ist wahrscheinlich auch im Interesse der Weltgemeinschaft. Deshalb engagieren wir uns mit dem ernsthaften Engagement, staatliche Strukturen in Libyen zu schaffen, die es vielleicht unter Gaddafi noch nicht einmal gegeben hat, die uns in die Lage versetzen, mit einem vernünftigen libyschen Staatswesen all das zu besprechen und zu vereinbaren, was uns wichtig ist. Dazu gehören dann natürlich auch Themen wie Migration und die Ordnung von Flüchtlingsströmen aus Afrika.

(Archivbild: Die Fregatte Karlsruhe bei einer Rettungsaktion am 28. April 2016 – EUNAVFOR MED)