Neuer Bundeswehreinsatz in Afrika: Kabinett beschließt Mission im Norden Malis

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Formal ist es kein neuer Einsatz, sondern die Fortsetzung und Erweiterung der deutschen Beteiligung an den UN-Truppen in Mali. Doch faktisch hat das Bundeskabinett am (heutigen) Mittwoch eine neue Mission im gefährlichen Norden des westafrikanischen Landes auf den Weg gebracht: Zur Unterstützung der Blauhelm-Truppe MINUSMA sollen ab Februar schrittweise bis zu 500 deutsche Soldaten vor allem als Aufklärer in der Wüstenregion eingesetzt werden. Die Gesamtstärke der deutschen MINUSMA-Mission steigt formal damit auf bis zu 650 Soldaten – allerdings nur auf dem Papier: Die bisherige Obergrenze von 150 Bundeswehrsoldaten sieht die mögliche Beteiligung am Lufttransport in Mali vor, die von den UN aus Kostengründen beendet wurde, außerdem die Betankung von französischen Kampfjets im UN-Einsatz, die auch seit längerem nicht mehr gefordert war. Tatsächlich sind derzeit nur rund zehn Soldaten im MINUSMA-Dienst (die weiteren knapp 250 Soldaten in Mali gehören zur EU-Ausbildungsmission; ein anderer Einsatz und ein anderes Mandat).

Die neue Mission ist von vornherein als robuster Einsatz ausgelegt, auch wenn nicht von einem Kampfauftrag, sondern von Aufklärung die Rede ist. Die Blauhelmtruppe steht unter einem UN-Mandat nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, und ausdrücklich sind alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung des Auftrags zugelassen. MINUSMA soll den Friedensprozess in Mali absichern, eine formale Einigung nach der Übernahme des malischen Nordens durch Islamisten und dem anschließenden Eingreifen Frankreichs 2013. Dass es trotz des Friedensprozesses immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt, hatten die Vereinten Nationen erst vor Kurzem in ihrem Jahresbericht für 2015 deutlich gemacht.

Mit dem deutschen Beitrag folgte die Bundesregierung, so hatte sie es dem Parlament im August vergangenen Jahres mitgeteilt, ursprünglich einem Wunsch der Niederlande, die mit Spezialkräften und Kampfhubschraubern in Mali aktiv sind und ihren Verbündeten um Unterstützung gebeten hatten. Nach den Anschlägen in Paris am 13. November vergangenen Jahres wurde in der deutschen innenpolitischen Debatte zusätzlich die Unterstützung Frankreichs als Begründung für die Ausweitung des Mali-Einsatzes herangezogen – und die Flüchtlingssituation in Deutschland: Die Mission gilt nun als ein Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen.

Interessant werden die konkreten Details des Einsatzes. Geplant sind Objektschutzkräfte und erforderliche Einsatz-, Logistik-, Sanitäts- sowie Führungsunterstützungskräfte, eine verstärkte gemischte Aufklärungskompanie sowie ein erhöhter deutscher Personalansatz in den Stäben der Mission in Bamako und Gao. Und in der Begründung des Mandats wird betont, wie wichtig weiträumig wirkende Aufklärungssysteme sind – da bleibt abzuwarten, was die Bundeswehr in diesem Fall darunter versteht. Auch müsste mit Beginn der Mission im Februar geklärt sein, wie die Golden Hour eingehalten werden kann, die Regel, dass Verwundete innerhalb einer Stunde auf dem OP-Tisch eines Rettungszentrums liegen. Angesichts der riesigen Entfernungen im Norden Malis keine einfache Aufgabe. Allerdings dürfte ohnehin nicht mit Mandatsbeginn Anfang Februar auf einen Schlag die ganze Truppe entsandt werden; der Aufbau könnte einige Monate dauern.

Zur Dokumentation Auszüge aus dem vom Kabinett verabschiedeten Mandatstext und der Begründung, die nun dem Bundestag zur Billigung vorliegen:

Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014) und 2227 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014 und 29. Juni 2015.
(…)
3. Auftrag
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in Resolution 2227 (2015) für den MINUSMA-Einsatz folgende Aufträge beschlossen:
– Unterstützung der Waffenruhevereinbarungen und vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen den Konfliktparteien;
– Unterstützung für die Umsetzung des Abkommens für Frieden und Aussöhnung in Mali;– Unterstützung des nationalen politischen Dialogs und der nationalen Aussöhnung;
– Unterstützung für die Sicherheit, die Stabilisierung und den Schutz von Zivilpersonen;
– Unterstützung der Wiederherstellung der staatlichen Autorität im gesamten Land, des Wiederaufbaus des malischen Sicherheitssektors, der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte und der humanitären Hilfe;
– Gewährleistung des Schutzes des Personals der Vereinten Nationen;
– Unterstützung für die Erhaltung des malischen Kulturguts.
Für die an MINUSMA beteiligten Kräfte der Bundeswehr ergeben sich folgende
Aufgaben:
– Wahrnehmung von Führungs-, Verbindungs-, Beobachtungs- und Beratungsaufgaben;
– Wahrnehmung von Schutz- und Unterstützungsaufgaben, auch zur Unterstützung von Personal in den EU-Missionen in Mali;
– Aufklärung und Beitrag zum Gesamtlagebild;
– Beitrag zur zivil-militärischen Zusammenarbeit;
– Lufttransport in das Einsatzgebiet und innerhalb des Einsatzgebietes von MINUSMA sowie Unterstützung bei der Verlegung und der Folgeversorgung
von Kräften von MINUSMA;
– Einsatzunterstützung durch ggf. temporär bereitgestellte Luftbetankungsfähigkeit für französische Kräfte, die aufgrund eines Unterstützungsersuchens des Generalsekretärs der Vereinten Nationen eine Bedrohung für MINUSMA abwenden sollen.
4. Einzusetzende Fähigkeiten
Für die deutsche Beteiligung im Rahmen der Unterstützung von MINUSMA werden folgende militärische Fähigkeiten bereitgestellt:
– Führung und Führungsunterstützung;
– Sicherung und Schutz;
– Aufklärung;
– Militärisches Nachrichtenwesen (Beitrag zum Gesamtlagebild einschließlich Aufklärung);

– Sanitätsdienstliche Versorgung;
– Zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) einschließlich humanitärer Hilfs- und Unterstützungsdienste;
– Lufttransport einschließlich logistischer und sonstiger Unterstützung;
– Personal zur Verwendung in den für MINUSMA gebildeten Stäben und Hauptquartieren;
– bei Bedarf Luftbetankung einschließlich logistischer und sonstiger Unterstützung.
(…)
6. Status und Rechte
(…) MINUSMA ist nach Maßgabe der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014) und 2227 (2015) ermächtigt, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen, um den Auftrag gemäß den genannten rechtlichen Grundlagen zu erfüllen. Den eingesetzten Kräften wird zur
Durchsetzung ihrer Aufträge auch das Recht zur Anwendung von militärischer Gewalt erteilt. Die Anwendung militärischer Gewalt durch deutsche Einsatzkräfte
erfolgt auf der Grundlage des Völkerrechts und wird durch die geltenden Einsatzregeln spezifiziert. Das umfasst auch den Einsatz militärischer Gewalt zum
Schutz eigener Kräfte, anderer MINUSMA-Kräfte sowie zur Nothilfe. Das Recht zur individuellen Selbstverteidigung bleibt in jedem Fall unberührt.
(…)
8. Personaleinsatz
Für die deutsche Beteiligung an MINUSMA können insgesamt bis zu 650 Soldatinnen und Soldaten mit entsprechender Ausrüstung eingesetzt werden.
(…)
Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an MINUSMA werden für den
Zeitraum 1. Februar 2016 bis 31. Januar 2017 voraussichtlich insgesamt rund 36,1 Mio. Euro betragen und aus Einzelplan 14 Kapitel 1401 Titelgruppe 08
bestritten. Hiervon entfallen auf das Haushaltsjahr 2016 rund 33,1 Mio. Euro und auf das Haushaltsjahr 2017 rund 3,0 Mio. Euro.
(…)
Begründung
Die Stabilisierung Malis ist ein Schwerpunkt des deutschen Engagements in der Sahel-Region und eine zentrale Aufgabe der Afrikapolitik der Bundesregierung. Ihr Erfolg hat Auswirkungen auf die Lage im weiteren Sahel-Raum, in Libyen und bei den regionalen Nachbarn. Die Sicherheitslage in der Sahelregion, und insbesondere in Mali, ist weiterhin volatil. Deutschland hat ein erhebliches Interesse daran, Terrorismus, Kriminalität und Verarmung, die mittelfristig starke Auswirkungen auch auf Europa haben können, gemeinsam mit seinen europäischen und internationalen Partnern entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang bleibt die Stabilisierung Malis eine der dringendsten Aufgaben in der Sahel-Region. Gerade dem Norden des Landes kommt in diesem Zusammenhang eine erhebliche Rolle zu. Mit seinem Engagement in Mali trägt Deutschland auch dazu bei, eine wichtige Transitregion von Flüchtlingen auf dem afrikanischen Kontinent zu stabilisieren.
(…)
Der erweiterte deutscher Beitrag im Rahmen der VN-Mission MINUSMA („Mission multidimensionnelle integrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali“) wirkt unmittelbar unterstützend für die europäischen Bemühungen und ergänzt den umfassenden internationalen Ansatz zur Stabilisierung der Region, dessen Ziel es ist, Mali in eine friedliche Zukunft führen zu helfen und die strukturellen Ursachen von Flucht und Vertreibung zu beseitigen.
Mit der Unterzeichnung des innermalischen Friedensabkommens durch die malischen Konfliktparteien am 15. Mai und 20. Juni 2015 ist ein wichtiger Schritt hin
zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Landes gemacht worden. Dies ist Ausdruck eines erfolgreich eingeleiteten und international breit abgestützten Friedensprozesses, der durch die Konfliktparteien mit getragen wird. Die Umsetzung dieses Abkommens wird entscheidend für die nachhaltige Befriedung vor allem Nord-Mali sein. Die Bundesregierung trägt zu den internationalen Bemühungen zur Umsetzung des Friedensabkommens bei, so z.B. dass Auswärtige Amt durch Unterstützung des
Versöhnungsministeriums und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung u.a. durch die Entwicklungszusammenarbeit im
Schwerpunkt Dezentralisierung. Die weitere politische Begleitung und Förderungdieses Prozesses ist zentral und wird eine Priorität der Bundesregierung in ihrer
Politik gegenüber Mali bleiben.
(…)
Jüngste Vorfälle wie der Angriff auf das Hotel Radisson Blu in Bamako am 20. November 2015 zeigen, dass weiterhin radikale Kräfte versuchen, den innermalischen Aussöhnungsprozesses zu untergraben. Trotz Verbesserung der Sicherheitslage bleibt daher eine unveränderte Gefährdung durch terroristische Anschläge und Angriffe gegen die MINUSMA und malische Streitkräfte aufgrund der andauernden Präsenz islamistischer Terrorgruppen und krimineller Gruppierungen bestehen.
Seit Unterzeichnung des Friedensabkommens sind jedoch durch die nach Autonomie des Nordens strebende Rebellengruppierung der „Coordination des Mouvements de
l’Azawad“ (CMA) keine weiteren Übergriffe gegen Kräfte der MINUSMA oder der malischen Streit- und Sicherheitskräften zu verzeichnen. Die Umsetzung des
Abkommens zwischen den Konfliktparteien bleibt dennoch schwierig. Nachgewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Rebellengruppen im Norden ist
der Friedensprozess zwar ins Stocken geraten, hat jedoch mit der Unterzeichnung einer Übereinkunft der sich bis vor kurzem noch bekämpfenden Rebellengruppierungen im Oktober neuen Schwung erhalten. Eine enge Begleitung der Umsetzung durch MINUSMA bleibt unerlässlich und ist von der malischen Regierung ausdrücklich erwünscht.
In diesem Zusammenhang ist der Norden Malis die entscheidende Region. Die VN-Mission MINUSMA wird hier im Rahmen der Stabilisierung am stärksten benötigt. Durch die erhebliche Größe des Einsatzraumes kommt gerade weiträumig wirkenden Aufklärungssystemen besondere Bedeutung zu. Das „Department for Peacekeeping
Operations“ der Vereinten Nationen hat in diesem Zusammenhang den gestiegenen Bedarf an Aufklärungsfähigkeiten mehrfach betont und eingefordert.
Die Niederlande beteiligen sich seit 2014 substantiell mit einem Kontingent im Rahmen der integrierten Auswerteeinheit (ASIFU) in Gao und Bamako an MINUSMA
und haben in Teilbereichen ihres Engagements nach Kooperationspartnern im Kreise der EU gesucht. Vor dem Hintergrund der engen deutsch-niederländischen Kooperation im Verteidigungsbereich haben die Niederlande besonderes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Deutschland signalisiert. Der erweiterte deutsche Beitrag ersetzt teilweise bisher von den Niederlanden gestellte Fähigkeiten und ergänzt bzw. erweitert sie in ihrer Leistungsfähigkeit. Er stellt damit die von den Vereinten Nationen dringend benötigten Fähigkeiten zur Aufklärung in größerem Umfang bereit. Allerdings bleiben die Niederlande substantiell in Mali engagiert, der deutsche Beitrag stützt sich hier wesentlich auf die Anwesenheit von, Kooperation mit und Fähigkeiten unserer Partner und ist abhängig von deren weiterer Präsenz in Mali.
Der bisher geleistete deutsche militärische Beitrag für MINUSMA wird fortgeführt und sieht die Beteiligung mit Personal in den Führungsstäben der Mission und
Verbindungsoffizieren, mit abrufbaren Fähigkeiten des taktischen Lufttransports, sowie die Bereitstellung von Luftbetankungsfähigkeiten zur Unterstützung der in den
Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen autorisierten französischen Kräfte vor. Die hierzu festgelegte Personalstärke von bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten ist unverändert Bestandteil des Mandates.
Zusätzlich beabsichtigt die Bundesregierung ab Februar 2016 Objektschutzkräfte und erforderliche Einsatz-, Logistik-, Sanitäts- sowie Führungsunterstützungskräfte,
eine verstärkte gemischte Aufklärungskompanie sowie einen erhöhten deutschen Personalansatz in den Stäben der Mission in Bamako und Gao zu stellen. Um die in diesem Rahmen erforderlichen Fähigkeiten sicherzustellen, sind bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich zum bisherigen Beitrag erforderlich, für den eine Obergrenze von bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten festgelegt war.
(…) Die Beteiligung an MINUSMA ist komplementär zur Beteiligung an der durch die EU geführten militärischen Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Mali und kann im Sinne der VN-Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 2227 (2015) diese mit VN-Mitteln fördern und unterstützen. Die von EUTM ausgebildeten
malischen Gefechtsverbände sollen u. a. im Norden Malis zur Stabilisierung und Wiederherstellung der staatlichen Integrität in Zusammenarbeit mit MINUSMA eingesetzt werden und langfristig die VN-Mission MINUSMA ersetzen. Seit August 2015 hat Deutschland auch die Führung der militärischen GSVP-Mission EUTM Mali übernommen.

(Archivbild Februar 2014: Daily life at the under construction camp of the UN Peacekeepers from Netherlands in Gao – Photo MINUSMA/Marco Dormino)