Lesestoff: Deutschlands neue ‚Militärische Luftfahrtstrategie‘ (Nachtrag: Ohne Nukleare Teilhabe)

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Das ist gewichtiger und sehr grundlegender Lesestoff: Das Verteidigungsministerium hat am (heutigen) Dienstag die neue Militärische Luftfahrtstrategie 2016 vorgelegt – mit der Definition der Fähigkeiten, die in Zukunft von deutschen Luftstreitkräften (neben der Luftwaffe auch die fliegenden Einheiten/Komponenten in Heer und Marine) verlangt werden.

Einen wesentlichen Punkt hatte die Reuters-Kollegin Sabine Siebold bereits beim Blick auf einen Entwurf im Dezember vergangenen Jahres entdeckt: Die geplante multinationale Entwicklung eines neuen, möglicherweise auch unbemannten Kampfjets. Das findet sich in dem Papier so wieder:

Ein NextGenWS [Waffensystem der nächsten Generation], als zukünftiges komplementäres System zum Waffensystem EUROFIGHTER im Systemverbund FCAS [Future Combat Air System] und in Teilbereichen als möglicher Nachfolger des Waffensystems TORNADO, ist auf die zukünftigen Anforderungen luftgestützter Waffensysteme auszurichten. Dabei sind im Schwerpunkt auch mögliche Optionen zur Abstützung auf Fähigkeiten im Bündnis zu berücksichtigen. Die daraus abzuleitenden Fähigkeitsforderungen sind in einem komplementären Ansatz unter Berücksichtigung des Fähigkeitsaufwuchses für das Waffensystem EUROFIGHTER, der Fähigkeiten der MALE UAS Ziellösung sowie technologischer Entwicklungen, Trends und der Entwicklung des Bedrohungspotenzials zu definieren.
Das NextGenWS könnte dabei unbemannt, bemannt, aber auch optional bemannt sein. Eine Festlegung hierzu ist im Rahmen weiterer Analysen und im Kontext einer europäischen Lösung zu treffen.
Zum bruchfreien Erhalt der derzeitigen Fähigkeiten durch die Bundeswehr wäre das Erreichen der Initial Operational Capability eines NextGenWS spätestens zum Nutzungs- dauerende des Waffensystems TORNADO erforderlich. Der strategischen Linie folgend soll dies multinational erfolgen. Mit der Definition der konzeptionellen Vorstellungen wie auch operationellen Anforderungen für ein FCAS im Schwerpunkt im Jahr 2016 werden die Grundlagen für konkrete europäische Kooperationen geschaffen.

Aber das ist ja nur ein Teil; in dem ganzen Papier stecken viele Details, die die Kenner interessieren werden (zum Beispiel als Teil der Aufgaben-Definition: Kampf gegen Kräfte am Boden (Air Interdiction (AI), Close Air Support (CAS), Joint Time Sensitive Targeting (JTST), und Überwasserseekrieg aus der Luft (Anti Surface Warfare (ASuW)).

Ich bin gespannt, was die Fachleute in dieser Broschüre noch an Einzelheiten entdecken, die den Nicht-Fachleuten vermutlich verborgen bleiben… Hinweise dazu gerne in den Kommentaren.

Die Militärische Luftfahrtstrategie 2016 gibt’s auf der Webseite des Verteidigungsministeriums hier zum Herunterladen*; einen Erklärtext dazu gibt es hier.

Nachtrag: Angeregt durch den Hinweis in den Kommentaren, dass in diesem Papier die Nukleare Teilhabe nicht auftaucht, habe ich mal gesucht. Und zwar in einem früheren – leider undatierten – Entwurf.

Aus dem Entwurf (Hervorhebung von mir):

Die durch deutsche Streitkräfte vorzuhaltenden erforderlichen Fähigkeiten werden wie folgt kategorisiert:
MUSS:
• Rechtliche oder politische Vorgaben, Fähigkeiten, die national abzubilden sind
(z.B. Dauereinsatzaufgabe Überwachung und Gewährleistung der Sicherheit des deutschen Luft- und Seeraums, Nukleare Teilhabe (NT), Rettung, Evakuierung und Befreiung von deutschen Bürgern und Schutzbefohlenen im Ausland (Personnel Recovery, MilEvakOp), Beiträge zur Unterstützung von Spezialkräften);

(…)

Mit dem Systemverbund des Future Combat Air System (FCAS) sind folgende Aufgaben/Operationsformen auch unter Berücksichtigung multinationaler Fähigkeitsbeiträge abzudecken:
• Stellen der Alarmrotte (Quick Reaction Alert (Intercept) QRA(I)) im Rahmen der Dauereinsatzaufgabe Überwachung und Gewährleistung der Sicherheit des deutschen Luftraums;
Nukleare Teilhabe (NT);
• Kampf gegen das gegnerische Luftkriegspotenzial in der Luft und am Boden
(Defensive Counter Air (DCA), Offensive Counter Air (OCA) einschließlich der
Unterdrückung der gegnerischen Bodengebundenen Luftverteidigung (SEAD);
• Kampf gegen Kräfte am Boden (Air Interdiction (AI), Close Air Support (CAS), Joint Time Sensitive Targeting (JTST), und Überwasserseekrieg aus der Luft (Anti
Surface Warfare (ASuW));
• Aufklärung und Überwachung (Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (ISR);
siehe auch Aufklärungsverbund).

Dagegen die jetzt veröffentlichte Fassung:

Die durch deutsche Streitkräfte vorzuhaltenden erforderlichen Fähigkeiten werden wie folgt kategorisiert:
MUSS:
• Rechtliche oder politische Vorgaben, Fähigkeiten, die national abzubilden sind (z.B. Dauereinsatzauf- gabe Überwachung und Gewährleistung der Sicher- heit des deutschen Luft- und Seeraums, Rettung, Evakuierung und Befreiung von deutschen Bürgern und Schutzbefohlenen im Ausland (Personnel Reco- very, MilEvakOp)), Beiträge zur Unterstützung von Spezialkräften, Fähigkeiten für Aufgaben im Rahmen innerstaatlicher und internationaler Verträge zum Such- und Rettungsdienst über See und Land;
• Beiträge gegenüber NATO und EU auf Basis politischer Vorgaben – wo immer möglich in multinationalen Kooperationen;
• Sicherstellung der Grundvoraussetzungen für den Einsatz (z.B. Schutz vor Bedrohungen aus der Luft; Sicherstellung Lufttransport unter Bedrohung inklu- sive taktischer Luftbeweglichkeit von Landstreitkräften, strategischer und taktischer Verwundetenluft- transport (AirMedEvac));
• Schutz und Unterstützung eingesetzter Truppen, Protect & Support, u.a. im Rahmen von Streitkräftegemeinsamer Taktischer Feuerunterstützung (STF) bzw. der Air Surface Integration (ASI);
• Bereitstellung von Lageinformationen durch Aufklärung.

(…)

Mit dem Systemverbund des Future Combat Air System (FCAS) sind u.a folgende Aufgaben/Operationsformen auch unter Berücksichtigung multinationaler Fähigkeits- beiträge abzudecken:
• Stellen der Alarmrotte (Quick Reaction Alert (Intercept) QRA(I)) im Rahmen der Dauereinsatzaufgabe Überwachung und Gewährleistung der Sicherheit des deutschen Luftraums;
• Kampf gegen das gegnerische Luftkriegspotenzial in der Luft und am Boden (Defensive Counter Air (DCA), Offensive Counter Air (OCA) einschließlich der Unterdrückung der gegnerischen Bodengebun- denen Luftverteidigung (SEAD);
• Kampf gegen Kräfte am Boden (Air Interdiction (AI), Close Air Support (CAS), Joint Time Sensitive Targeting (JTST), und Überwasserseekrieg aus der Luft (Anti Surface Warfare (ASuW));
Aufklärung und Überwachung (Intelligence, Surveillance and Reconnaissance (ISR); siehe auch Aufklärungsverbund).

Und in der Tat führt die Suche nach dem Begriff Nukleare Teilhabe, ja schon nach dem Wort nuklear in der veröffentlichten Luftfahrtstrategie zu keinem Ergebnis. Es mag sein, dass das unter die Beiträge gegenüber NATO und EU auf Basis politischer Vorgaben gefasst wird – aber es wäre schon interessant zu erfahren, wann, warum auf welcher Stufe der ministeriellen Entscheidungsleiter der Begriff Nukleare Teilhabe aus diesem Dokument getilgt wurde. Und welche Bedeutung das hat.

*Vorsorglich die Militärische Luftfahrtstrategie hier noch mal als pdf, man weiß ja nie, wie lange der Link funktioniert:

Militaerische Luftfahrtstrategie Januar 2016