Luftbilder für Afghanistans Armee

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Nach dem (gestrigen) Beschluss des Bundeskabinetts, den deutschen Einsatz in Afghanistan um ein weiteres Jahr zu verlängern und die Zahl der Bundeswehrsoldaten in der Mission Resolute Support aufzustocken, liegt die Frage nahe: Was bringt die relativ geringe Aufstockung um 130 deutsche Soldaten, und was kann die NATO-geführte Truppe mit ihrer Beratungsaufgabe am Hindukusch eigentlich konkret leisten?

Dazu gibt’s beim MDR ein Interview mit Hans-Lothar Domröse, dem deutschen NATO-General, der als Befehlshaber des Joint Forces Command Brunssum für den Afghanistan-Einsatz zuständig ist:

NATO-General: Alle Nationen müssen das Kontingent füllen

Zur Dokumentation (und weil der O-Ton nicht ewig im Internet bleibt…) mit freundlicher Genehmigung der MDR-Kollegen die Abschrift (Fragen in kursiv):

Die beschlossene Truppenaufstockung von 850 auf 980…… Für mich als Laien klingt das nicht wirklich nach Verstärkung. Eher danach, als ob künftig in einer Kaserne in Afghanistan ein, zwei Zimmer mehr belegt sind… Also was bedeutet das?

Ich meine, die Aufstockung des deutschen Kontingents um rund 150 Soldaten ist eine gute Suache. Wissen Sie, zur Zeit fehlen uns etwa 2000 in einem gegebenen Zahlengerüst und alle Nationen haben diesem Zahlengerüst zugestimmt. Aber sie sind nicht gefüllt, die Stellen. 2000 fehlen. Und wenn jetzt Deutschland als eine von 40 Nationen allein fast 150 Mann mehr bringt, dann deutet das doch darauf hin, dass alle Nationen zusammen gewillt sind, diese Zahlenstärke von 2000, die uns fehlen, zu bringen und insofern ist der deutsche Beitrag sehr wertvoll.

Und deutet sich denn an, dass dieses Kontingent auch gefüllt wird von den anderen Nationen?

Na das ist jetzt Kaffeesatzleserei, aber ich finde, Deutschland geht mit gutem Beispiel voran. Die Amerikaner machen das und ich sehe durchaus, dass Italiener noch folgen werden, andere große Nationen, auch kleinere Nationen, so dass man gemeinsam dieses Fehl von 2000 Stellen durchaus wird füllen können. Ich bin da mal vorsichtig optimistisch.

Herr Domröse, wie beurteilen Sie denn aktuell die Sicherheitslage in Afghanistan?

Na die Sicherheitslage in Afghanistan ist zentralasiatisch ok. Wir sind an einer spannenden Wegscheide zur Zeit, denn wir stellen fest, nach einem Jahr Training, wir sind ja fast ein Jahr drin in Resolut Support seit Januar, dass die afghanische Streikräfte ihre Aufgabe ganz gut machen, aber sie haben noch Mängelbereiche und ein wesentlicher Mangelbereich ist offensichtlich fehlende Luftwaffe. Die afghanische Luftwaffe ist im Aufbau, aber soll erst 2017 fertig sein. Jetzt haben wir sozusagen eine zeitliche Lücke. Wie können wir es also schaffen, dass wir denen Hilfe anbieten können in 2015/2016, die sie noch nicht haben, die sie aber 2017 haben werden. Dazu zählt z.B. Lufttransport, um Bataillone von A nach B zu bringen, da kann man überlegen, ob wir das machen, also das was wir nennen non- kinetic-support.

Sie sagen, zentralasiatisch ist die Sicherheitslage ok. Heißt ok, dass es durchaus sein kann, dass die Taliban mal mir nichts dir nichts für ein paar Stunden oder Tage in Kunduz einrücken?

Das will ich nicht hoffen! Ausschließen kann ich das nicht. Und wenn ich den zentralasiatischen Maßstab genommen habe, dann nur aus einem Grund. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass Afghanistan wunderbare Menschen hat, aber ein armes Land ist. Es ist sehr unterentwickelt im Vergleich zu Europa und deswegen ist es dort alles etwas langsamer. Wir müssen also Afghanistan vergleichen mit Ländern in der Region. Und im Vergleich zu Syrien ist Afghanistan ein Paradies.

Also ist das ein Land mittlerweile, auch wenn das nicht Ihr Gebiet ist, in das man beispielsweise Flüchtlinge zurückschicken kann, wie das ja nicht unwichtige Politiker in Betracht ziehen?

Na zur Flüchtlingspolitik möchte ich mich nicht äußern, das ist eine innerdeutsche Sache. Ich bin ja NATO-Befehlshaber. Aber ich setze all mein Streben daran, mit unseren Soldaten, mit unseren Teams, mit unseren 12.000 Mann alles zu schaffen, damit in Afghanistan die Lage sicher uns stabiler wird. Und ich bin da optimistisch.

Und wie schätzen Sie die afghanische Armee ein? Ist die in der Lage, den aktuellen Status quo zu halten? Ich frage jetzt noch gar nicht nach Verbesserungen?

Ja, durchaus. Die Afghanen wissen was sie tun. Die Afghanen sind durchaus auch stolz, sie wollen ihr Land verteidigen, sie wollen es schützen. Das sagen auch die neuesten Umfragen, das Vertrauen in die Streitkräfte ist sehr hoch. Was den Afghanen eben noch fehlt, sie sind eben keine Hightech-Armee wie wir Europäer oder Amerikaner. Wir haben Hightech und können mit Drohnen gucken, weit gucken und können damit ausschließen, dass wir überrascht werden. Die Afghanen haben so eine Hightech nicht und deshalb ist es mit eine Überlegung, ob wir unser Wissen, sozusagen unsere Nachtsichtbrille, ob wir nicht die Ergebnisse, die wir sehen, mit unseren afghanischen Brüdern teilen können, damit sie anständige Maßnahmen treffen können, um eben nicht morgen früh überrascht zu werden.

Wieso muss man da so lange drüber nachdenken? Wenn man mit der afghanischen Armee gemeinsam kämpft, wieso muss man dann lange darüber nachdenken, ob man denn den afghanischen Streitkräften solche Erkenntnisse zu Verfügung stellt?

Ja, das ist eine große Frage und ich traue es mich kaum zu sagen, aber unser Auftrag sieht vor, dass wir nicht die Afghanen verstärken dürfen und eine Verstärkung wäre zum Beispiel, wenn wir die Bilder unserer Drohnen weitergeben könnten, dann würde denen das helfen, man kann also sagen ertüchtigen. Das ist nicht unser Auftrag. Wir dürfen sie nicht ertüchtigen, indem wir ihnen Material zur Verfügung stellen.

Würden Sie es denn besser finden, wenn Sie sie ertüchtigen dürften?

Naja, sehen Sie, das ist ja auch eine moralische Frage. Wir kämpfen mit den Afghanen zusammen seit knapp 15 Jahren. Wir haben viele gemeinsame Tote bedauerlicherweise. Wir bemühen uns – mit der Regierung gibt es Absprachen – um eine enduring Partnerschaft, also eine dauerhafte Partnerschaft. Das haben ja alle unterschrieben. Und jetzt klammern wir in dieser Partnerschaft aus, das was sie dringend brauchen und selbst nicht haben, zum Beispiel Lufttransport, Luftbilder und sonstiges ihnen zu Verfügung stellen, das scheint mir doch bedenkenswert und deshalb habe ich vorgeschlagen: robusteres Training. Damit man das machen kann im nonkinetischen Bereich.

Und wenn Sie das so äußern, erfahren Sie da Unterstützung, die es beschließen dürfen?

Ja, ich habe gutes Echo. Es hat keiner dem direkt widersprochen. Nun müssen wir mal sehen, wie weit wir gehen. Ich sehe durchaus Raum für Verbesserungen wie gesagt im nonkinetischen Bereich, also das ist Luft nach oben, vielleicht können wir das machen, damit die Afghanen eben in der Lage sind sich besser zu verteidigen.

Sie klingen relativ optimistisch. Kann ich Sie da soweit interpretieren, dass Sie sagen, es kann im Prinzip bei dieser Ausbildungs- und Beratungsmission bleiben und man muss auch nicht wieder darüber nachdenken, ob die NATO doch wieder zu einem Kampfeinsatz übergehen muss?

Der Kampfeinsatz – das ist Vergangenheit. Davon haben wir uns verabschiedet. Das können auch die Afghanen. Sie sind 350.000 Mann, das können sie. Nur sie müssen natürlich wissen, in welche Ortschaft sie gehen, sie müssen natürlich wissen, wo sind denn die so genannten Talibannester, wo ist etwas vorbereitet. Wir nennen das intel-driven, also durch Aufklärung betrieben. Es gibt ja Dienste – wie bei uns – so auch dort unten. Aber wir müssen sie technisch anreichern und ertüchtigen, damit sie das sehen können, was wir sehen.

Aber noch dürfen Sie es eben nicht!

Nein, aber der Prozess ist ja angestoßen. Es widerspricht mir keiner in der Grundhaltung, dass wir alles daran setzen müssen, dass wir gemeinsam zum Erfolg führen und für mich heißt gemeinsamer Erfolg, dass die Afghanen es schaffen, stabile Lagen zu schaffen, so dass wir auch wirtschaftlich tatkräftig unterstützen können, damit die Leute dort bleiben, damit sie ihr Land aufbauen können.

Also auch kein Kampfeinsatz im Zuge einer neuen Strategie zur Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates? Es deutet sich ja jetzt schon an, dass sich ISIS auch versucht in Afghanistan festzusetzen.

Ja, ISIS – dieser fürchterliche Verein von Terroristen – hat, wie Sie wissen, einen globalen Anspruch. Das haben die Taliban nicht. Die regionalen Taliban wollen regional Einfluss haben. Es gibt in Afghanistan Leute, die behaupten, ISIS – das seien nur Seitenwechsler. Also ich habe große Zweifel daran, dass das „original“ ISIS ist. Je stabiler es in Afghanistan ist, desto besser ist es für Afghanistan und desto besser ist es auch für unsere Nationen. Und ISIS ist in dem Sinne da noch nicht verbreitet und genau das wollen wir verhindern.

Für Syrien deutet sich ja an, dass auch die NATO auch mit den Russen besser koordiniert. Ist das vielleicht auch für Afghanistan denkbar? Man hört ja teilweise auch schon Rufe von Afghanen, dass die Russen sich engagieren sollten.

Hier geht (…) in erster Linie um Hubschrauber. Das sind die alten russischen Hubschrauber und da war die Frage, ob die Russen weitere Hubschrauber liefern wollen oder können. Das scheint aber derzeit nicht näher verfolgt zu sein. Sie haben eben noch altes, ausgehendes Material. Ich glaube, die Westorientierung ist eindeutig. Und man wird wohl auf westliche Flugmuster übergehen in Afghanistan. Das steht da sozusagen nicht auf der Tagesordnung.

Herr Domröse, zu jeder Mission gehört letztlich ein Ziel. Welches haben Sie, welches hat die NATO?

Das Ziel ist eindeutig. Wir wollen erstens verhindern, dass dort Nester von Terroristen und Camps entstehen. Das ist uns soweit gelungen. Wir wollen weiterhin die afghanischen Streit- und Sicherheitskräfte – dazu gehört natürlich die Polizei – so stärken und ausbilden, dass sie in der Lage sind, sich selbst zu schützen und Sicherheit auszustrahlen und damit die Voraussetzung schaffen für eine stabile Regierungsführung. Und das haben wir ja soweit geschafft. Man darf daran erinnern, dass vor anderthalb Jahren freie, faire Wahlen waren. Da gab es immer Vorwürfe von ein bisschen schummeln, aber das ist überkommen. Wir haben einen gewählten, freien Präsidenten, nämlich Ghani. Und in dem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, dass Hamid Karsai, der alte Präsident, der erste pensionierte Präsident ist – das ist in solchen Ländern gar nicht üblich gewesen. Früher ist man nur an die Macht gekommen, indem man geputscht hat, das ist doch ein wunderbarer Fortschritt. Also all das haben wir geschaffen und jetzt müssen wir weiterhin bleiben und den Menschen eine konkrete Perspektive geben. Das heißt, wir müssten auch helfen, mehr Polizeiausbildung zu machen. Das ist noch nicht gut. Und wir müssen auch ansetzen zu einer Ausbildungsinitiative, handwerkliche Betriebe, kleine Toyotawerkstätten oder auch Landwirtschaft, um den Afghanen zu helfen, ihr Geld selbst zu verdienen.

Wann ist die Mission Resolut Support letztlich erfüllt und nicht mehr notwendig?

(Lacht aus vollem Hals)…Das weiß ich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Außenminister, die Anfang Dezember tagen, ich kann dem ja nicht vorgreifen, aber ich gehe davon aus, dass die Außenminister beschließen werden: die Lage ist zur Zeit noch nicht so gut, dass wir übergehen können in die neue Mission, die heißt ja enduring Partnerschaft. Die soll ja nicht von einem General geführt werden, sondern von einem Botschafter, also so eine Mischform. Das ist sehr gut, aber wir sind noch nicht so weit. Und deswegen nehme ich an, dass die Minister beschließen werden, wir bleiben noch mal in 2016 in Resolut Support. Wenn alles gut geht, folgt dann eine Phase, wo wir auch noch in Resolut Support sind und zwar in Kabul, also nicht mehr im Norden, Süden, Westen und dann folgt EEP in 2017. Da müssen wir mal sehen, was die Minister entscheiden. Unser Vorschlag ist klar: wir bleiben noch ein Jahr stabil in den vier Regionen und in Kabul und nächstes Jahr zu dieser Zeit, wenn Sie mich dann wieder anrufen und wir haben es geschafft in Helmand friedliche Verhältnisse zu schaffen, in Kunduz friedliche Verhältnisse aufzubauen, dann können wir nachdenken, nach Kabul zu gehen und dann können wir auch darüber nachdenken, in eine zivile Mission überzugehen. So ist der Fahrplan.

(Archivbild 1. November 2015: Domröse bei der NATO-Übung Trident Juncture 2015 – Emily Langer/NATO Joint Forces Command Brunssum)