Deutscher Einsatz gegen ISIS: Nicht nur zur Unterstützung Frankreichs (mit Nachtrag)

Flugzeugtraeger_Charles_de_Gaulle_2007

Mit dem Eingreifen der Bundeswehr im Kampf gegen die islamistischen ISIS-Milizen in Syrien und im Irak will sich Deutschland nicht nur an die Seite Frankreichs stellen, sondern  insgesamt in der US-geführten internationalen Allianz gegen ISIS einen militärischen Beitrag leisten. Das geht aus dem Entwurf des Mandats für den deutschen Einsatz hervor, den das Bundeskabinett am (morgigen) Dienstag beschließen und an das Parlament weiterleiten will. Die deutsche Beteiligung soll, wie bereits bekannt, bis zu 1.200 Soldaten umfassen. Bis zum Ende des kommenden Jahres sind dafür 134 Millionen Euro vorgesehen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte bereits in der vergangenen Woche erklärt, dass das deutsche Engagement nicht nur eine Unterstützung Frankreichs nach den Anschlägen in Paris am 13. November bedeute: Wir sind ja jetzt bereits Teil der Koalition, weil wir im Nordirak bereits Peschmerga ausrüsten und ausbilden. Und innerhalb dieser Koalition werden wir die weiteren Schritte gehen, die wir heute besprochen haben, hatte die Ministerin im ZDF-Interview betont. Es wird in der Koalition koordiniert werden. Das heißt, es wird sicherlich über US-Centcom gehen, über Tampa, das ist klar. Und ein Hauptquartier der Koalition ist in Kuwait, und dann werden die weiteren Schritte festgelegt werden.

Diese Absicht findet sich auch im Mandatsentwurf wieder, über den zuerst die ARD berichtet hatte:

Der deutsche Beitrag dient dem Kampf gegen den Terrorismus im Rahmen der Allianz gegen IS und zur Unterstützung insbesondere Frankreichs, Iraks und der internationalen Allianz in ihrem Kampf gegen IS durch Bereitstellung von Luftbetankung, Aufklärung (insbesondere luft-, raum- und seegestützt), seegehendem Schutz und Stabspersonal zur Unterstützung.

Die Aufgaben der Bundeswehr sind in dem Entwurf recht generell formuliert; insbesondere wird nicht präzisiert, welche Fähigkeiten im einzelnen eingesetzt werden sollen:

  •  Einsatzunterstützung durch Luftbetankung,
  •  Begleitschutz und Beitrag zur Sicherung des Marineverbandes,
  •  See- und Luftraumüberwachung,
  • Aufklärung,
  • Austausch und Abgleich gewonnener Lageinformationen mit weiteren Akteuren der internationalen Allianz gegen IS im Rahmen des Auftrags,
  • Wahrnehmung von Verbindungs-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben gegenüber Hauptquartieren der multinationalen Partner und im Rahmen der internationalen Allianz gegen IS,
  • Gewährleistung von Führungs-, Verbindungs-, Schutz- und Unterstützungsaufgaben für die Durchführung des Einsatzes deutscher Kräfte, dabei ggf. auch Rettung und Rückführung isolierten Personals.

Der letzte Punkt wirft noch einige (bislang nicht beantwortete) Fragen auf – bedeutet der Hinweis auf ggf. auch Rettung und Rückführung isolierten Personals den Einsatz deutscher Kampfretter, die im Notfall die Besatzung eines abgeschossenen oder auch nur aus technischen Gründen abgestürzten Aufklärungs-Tornados aus ISIS-Gebiet herausholen sollen? Im Rahmen der Anti-ISIS-Koalition hält die U.S. Air Force dafür Spezialisten auf der türkischen Basis Diyarbakir bereit; spannend wird die Frage, ob sie mit Bundeswehrsoldaten ergänzt werden sollen.

Das im Mandatsentwurf vorgesehene Einsatzgebiet geht über das ISIS-Territorium in Syrien und im Irak hinaus:

Der Einsatz deutscher Streitkräfte erfolgt vorrangig im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation IS in Syrien sowie auf dem Territorialgebiet von Staaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt, sowie im Seegebiet östliches Mittelmeer, Persischer Golf, Rotes Meer und angrenzende Seegebiete.
Darüber hinaus kann auch eine begrenzte Anzahl deutscher Soldatinnen und Soldaten in Stäben anderer Staaten und der internationalen Allianz erfolgen, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt.

Die Ausweitung auf den Persischen Golf, das Rote Meer und angrenzende Seegebiete ist nicht überraschend. Damit sorgt die Bundesregierung für den Fall vor, dass Frankreich seinen Flugzeugträger Charles de Gaulle, zu dessen Sicherung ein deutsches Kriegsschiff abgestellt werden soll, im Zuge dieses Einsatzes aus dem östlichen Mittelmeer in andere Seegebiete verlegt – ohne dass dann ein neues Mandat erforderlich würde. Darüber hinaus erweitert diese Formulierung die Möglichkeiten der deutschen Luftbetankung für die Flugzeuge der Streitkräfte der Anti-ISIS-Koalition.

Interessant ist die recht ausführliche rechtliche Begründung des Mandats – die deutlich mehr Raum einnimmt als bei den Mandaten für andere Bundeswehreinsätze. Aber die rechtliche Lage ist ja auch komplizierter, denn sich nur auf ein UN-Mandat zu berufen, geht in dem Fall nicht so einfach, weil ein ausreichendes Mandat des UN-Sicherheitsrats eben nicht vorzuliegen scheint.

Die Begründung im Entwurf – die kann sich natürlich bis zur Beschlussfassung des Kabinetts in Details noch ändern:

Völker- und verfassungsrechtliche Grundlagen
Die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte erfolgt im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes.
Der Einsatz erfolgt in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Durch den vorgesehenen Einsatz deutscher Streitkräfte unterstützt die Bundesrepublik Deutschland Frankreich, Irak und die internationale Allianz in ihrem Kampf gegen IS auf der Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit Resolution 2170 (2014) vom 15. August 2014 und Resolution 2199 (2015) vom 12. Februar 2015 sowie mit Resolution 2249 (2015) vom 20. November 2015 wiederholt festgestellt, dass von der Terrororganisation IS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht.
Mit Resolution 2249 (2015) vom 20. November 2015 hat er die Mitgliedstaaten, die dazu in der Lage sind, aufgefordert, unter Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen sowie der internationalen Menschenrechtsnormen, des Flüchtlingsvölkerrechts und des humanitären Völkerrechts, in dem unter der Kontrolle von IS stehenden Gebiet in Syrien und Irak alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden, die insbesondere von IS und anderen terroristischen Gruppen begangen werden, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als solche benannt wurden, und den sicheren Zufluchtsort zu beseitigen, den sie in erheblichen Teilen Iraks und Syriens geschaffen haben.
Nach den von der Terrororganisation IS begangenen Angriffen auf Paris am 13. November 2015 hat sich mit Frankreich erstmals ein EU-Mitgliedstaat auf die in Art. 42 Abs. 7 des Vertrages über die Europäische Union verankerte Beistandsklausel berufen. Auf dem Treffen des Rates der EU für Außenbeziehungen im Format der EU-Verteidigungsminister in Brüssel am 17. November 2015 haben alle Mitgliedstaaten einhellig den französischen Antrag nach Art. 42 Absatz 7 EU-Vertrag unterstützt und ihre Solidarität und ihren Beistand zugesichert.
Im Rahmen der internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Terrororganisation IS formierte sich 2014 eine breite Allianz, der inzwischen über 64 Staaten angehören und die sich einem international multidimensionalen Ansatz verpflichtet fühlt.
Deutschland war, wie Frankreich, von Beginn an Teil dieser Allianz und hat eine verantwortliche Position im Rahmen der Stabilisierungsbemühungen übernommen. Deutschland hat in diesem Rahmen bereits umfangreiche Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe im Nordirak sowie zivile Unterstützung im Irak und Syrien geleistet. Die Bundesregierung beabsichtigt, diese auch weiter fortzusetzen.
Beginnend im September 2014 haben mehrere mit Deutschland verbündete oder partnerschaftlich verbundene Staaten (USA, Australien, Vereinigtes Königreich, Frankreich) die durch IS von syrischem Staatsgebiet ausgehenden Angriffe auf Irak zum Anlass genommen, Irak – auf dessen Ersuchen hin – in Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen militärischen Beistand zu leisten. In diesem Zusammenhang werden auch militärische Maßnahmen auf syrischem Gebiet durchgeführt, da die syrische Regierung nicht in der Lage und/oder nicht willens ist, die von ihrem Territorium ausgehenden Angriffe durch IS zu unterbinden. Insoweit als vom IS eine Bedrohung für andere Staaten selbst ausgeht, nehmen diese darüber hinaus ihr Recht auf individuelle Selbstverteidigung wahr. Dieses Vorgehen wurde dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch die genannten Staaten angezeigt.
Das Vorgehen gegen IS in Wahrnehmung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ist von der Resolution 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen umfasst. Soweit die kollektive Selbstverteidigung zu Gunsten von Frankreich geleistet wird, erfolgen die militärischen Beiträge Deutschlands zusätzlich in Erfüllung der EU-Beistandsklausel nach Art. 42 Abs. 7 des Vertrages über die Europäische Union.

Zur Erinnerung: Im Mandat für die Ausbildung der kurdischen Peshmerga-Kämpfer im Nordirak, die ebenfalls Teil der Anti-ISIS-Koalition ist, war das noch deutlich knapper formuliert.

Das neue Mandat soll nach Beschlussfassung im Kabinett noch in dieser Woche in den Bundestag. Die Sache eilt. Und es scheint, als würden wir einen Beginn der deutschen Mission noch in diesem Jahr sehen.

Nachtrag: Der SPD-Abgeordnete Thomas Hitschler hat ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages veröffentlicht, in dem die rechtlichen Grundlagen des deutschen Einsatzes untersucht wurden. Das Fazit:

Art. 87a Abs. 2 GG in Verbindung mit der EU-Beistandsklausel (Art. 42 Abs. 7 EUV) isteine tragfähige Rechtsgrundlage für den Bundeswehreinsatz in Syrien.
„Verteidigung“ i.S.d. Art. 87a Abs. 2 GG beschränkte sich nie auf die Verteidigung eigener Staatsgrenzen, sondern schloss – als rechtliche Konsequenz des deutschen NATO-Beitritts 1955 – immer schon die Bündnisverteidigung (als kollektive Selbstverteidigung) mit ein.
Auch Art. 24 Abs. 2 GG (i.V.m. Art. 42 Abs. 7 EUV und der VN-Resolution 2249) bildet eine vertretbare Rechtsgrundlage, wenn man für Art. 24 Abs.2 GG neben der Einbindung in kollektive Sicherheitsstrukturen auch die Einbindung in kollektive Verteidigungsstrukturen zulässt. Dies entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, das für Art. 24 Abs.2 GG eine glaubwürdige kollektive Einbindung von Bundeswehreinsätzen in überstaatliche multilaterale Strukturen fordert und in diesem Zusammenhang Systeme kollektiver Sicherheit und Systeme kollektiver Verteidigung als gleichwertig ansieht.

(Archivbild 2007: Porte avions Charles de Gaulle à la mer – Flickr-User Pascal Subtil unter CC-BY-SA-Lizenz)