Bundeswehr-‚Schutzzonen‘ in Afghanistan: Luftnummer oder echt jetzt?

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Vor mehr als zwei Jahren, im Juni 2013, übernahmen die afghanischen Sicherheitskräfte formal die Sicherheitsverantwortung für ihr Land, die damalige Schutztruppe ISAF begann ihren Abzug und konzentrierte sich fortan auf die Beratung von afghanischer Armee und Polizei. Trotz aller Rückschläge und Probleme auch bei der Sicherheitslage sind es immer mehr die Afghanen selbst, die für ihre Sicherheit verantwortlich sind, und unser Engagement wird immer ziviler, lobte der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle. Folgerichtig wurde ISAF zu Beginn dieses Jahres von der Mission Resolute Support abgelöst, und das Mandat für die deutsche Beteiligung daran ist in der Aufgabenzuweisung recht eindeutig: Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte auf ministerieller, national institutioneller und strategischer Ebene in Kabul sowie auf national institutioneller Ebene, der Korpsebene und auch auf niedrigeren Führungsebenen der afghanischen Spezialkräfte in Mazar-e Sharif.

An diese gar nicht so weit zurückliegende Entwicklung muss ich erinnern, weil das in der Politik offensichtlich in Vergessenheit geraten ist. Grund dafür ist nicht die tatsächliche Entwicklung in Afghanistan (die angesichts der zumindest zeitweisen Erfolge der Taliban wie der vorübergehenden Eroberung von Kundus nicht besonders rosig ist), sondern die aktuelle Flüchtlingssituation in Deutschland – und die steigende Zahl von Asylsuchenden aus Afghanistan.

Die große Koalition hatte unter diesem innenpolitischen Aspekt in dieser Woche bei ihren Beratungen über die Flüchtlingspolitik unter anderem festgelegt:

Deutschland wird sich weiter militärisch und finanziell in Afghanistan engagieren. Dadurch soll auch die Schaffung innerstaatlicher Fluchtalternativen beschleunigt werden, um die Flüchtlinge effektiver nach Afghanistan zurückführen zu können.

Nun ist diese Formulierung noch hinreichend vage: Was ist darunter zu verstehen, dass die Schaffung innerstaatlicher Fluchtalternativen beschleunigt werden soll? Einige Unionspolitiker haben da schon konkrete Vorstellungen, wie der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe berichtet:

Die Bundeswehr soll nach dem Willen der CDU-Außenpolitiker dabei helfen, Schutzzonen in Afghanistan zu sichern, damit abgelehnte Asylbewerber dorthin zurückkehren können. „Ich finde es richtig, dass wir in Afghanistan Schutzzonen schaffen, damit Afghanen ohne Bleiberecht in Deutschland in sichere Gebiete in ihrer Heimat zurückkehren können“, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder dem Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL. (…)
Es müsse überlegt werden, so der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Hardt, „wie die Bundeswehr gemeinsam mit der afghanischen Armee im Rahmen von Resolute Support die nötige Sicherheit in diesen Provinzen gewährleistet“.

Ein bisschen realistischer äußerte sich in dem Magazin der Fraktionsvize und frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung, der betonte, die Bundeswehr solle der afghanischen Nationalarmee weiter zur Seite stehen.

Der Vorschlag, die Bundeswehr solle Schutzzonen am Hindukusch sichern oder zumindest dabei mithelfen, offenbart beim Blick auf die Fakten eine recht sportliche Sicht der Dinge. Ganz abgesehen davon, dass jegliche Neuorientierung des Resolute Support-Einsatzes über die Beratung afghanischer Sicherheitskräfte hinaus einer Abstimmung und Entscheidung in der NATO bedürfte: Welche Truppen sollten eine solche genuin militärische Aufgabe am Boden eigentlich leisten?

Die Bundeswehr steht schließlich – wie auch die anderen NATO-Länder, mal abgesehen von der starken US-Präsenz – mit recht niedriger Truppenstärke in Afghanistan. Rund 920 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind derzeit am Hindukusch, und die im Mandat vorgegebenen Personalobergrenze von 850 wird vor allem deshalb überschritten, weil der Lufttransportstützpunkt Termes im benachbarten Usbekistan abgebaut wird. In Mazar-e-Sharif im Norden Afghanistans sind rund 750 Soldaten im Einsatz. Und davon der geringste Teil Kampftruppe – die wird nämlich derzeit, wenn überhaupt, nur zur Eigensicherung benötigt.

Und aus diesem Kräfteansatz soll (wieder) eine Kampftruppe werden, die – wenn auch in Zusammenarbeit mit den Afghanen – so genannte Schutzzonen sichern kann? Ein Aufwachsen der deutschen Afghanistan-Mission zu alter Größe, Tausende von Soldaten wie zwischen 2005 und 2010? Befähigt zur Sicherung, das heißt faktisch zur Kriegführung gegen Aufständische?

Das klingt sehr nach einer Luftnummer, die der Koalitions-Rhetorik geschuldet ist. Das Auswärtige Amt muss zwar auch in diese Richtung argumentieren, wie dessen Sprecher Sebastian Fischer am (gestrigen) Freitag vor der Bundespressekonferenz, vermeidet allerdings den Begriff Schutzzonen:

Ich glaube, der gestrige Beschluss spricht eher davon, dass man innerstaatliche Fluchtalternativen in Afghanistan schaffen und verbessern möchte. Wenn Sie sich die Sicherheitslage in Afghanistan anschauen, ist es sicherlich so, dass die nicht überall im Land gleich ist. Wir haben in Kundus zuletzt einen Rückschlag erlebt. Es gibt eine Sicherheitslage in Kabul, die eine vollständig andere als die in Kundus ist. Es gibt große Städte wie zum Beispiel Masar-e Scharif oder auch Herat, in denen die Bedrohungslage eine ganz andere und viel geringere ist. Ich denke, wenn man sich das anschaut und versteht, dass die Sicherheitslage im Land unterschiedlich ist – im Osten, wo die Insurgens aktiv ist, ist es, wie gesagt, schwieriger als meinetwegen in Herat -, dann wird man auch dazu kommen können, dass es in dem Land sicherlich Möglichkeiten gibt, von innerstaatlichen Fluchtalternativen zu sprechen.
Zusatzfrage: Aber gibt es jetzt seitens des Auswärtigen Amtes oder der Bundesregierung schon präferierte Städte oder Landstriche, denen man vielleicht noch einmal gezielt Geld geben will, um die Sicherheitslage zu verbessern, oder gibt es das noch nicht?
Fischer: Die Bundesregierung arbeitet ja seit Jahren mit Afghanistan und leistet seit Jahren auf verschiedene Art und Weise Unterstützung in Afghanistan. Das betrifft den zivilen Wiederaufbau und die Unterstützung von Entwicklungsprojekten, das betrifft aber beispielsweise auch die Ausbildung der afghanischen Armee und ihre Beratung. Es ist sicherlich so, dass sich die Bundesregierung bereits seit Längerem verpflichtet hat, substanzielle Beiträge an Entwicklungshilfe für Afghanistan zu leisten, und das werden wir auch weiterhin tun. Ich bin sicher, dass wir, wie es ja in dem Beschluss heißt, auch daran arbeiten werden, die innerstaatlichen Fluchtalternativen zu verbessern. Dabei wird sicherlich auch die Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle spielen.

Hm, kein Wort in diesem Zusammenhang von militärischen Aktivitäten der Bundeswehr. Statt dessen der Verweis auf die Entwicklungszusammenarbeit. Steht eigentlich bei der die Unterstützung für afghanische Flüchtlinge im eigenen Land, also die genannte Fluchtalternative, im Mittelpunkt der Arbeit? Dazu Petra Diroll, die Sprecherin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit:

Das BMZ unterstützt Binnenflüchtlinge in Afghanistan zusammen mit der Deutschen Welthungerhilfe. Mit einem Gesamtvolumen von knapp 2,4 Millionen Euro (Projektlaufzeitzeit 2015 bis 2019) werden rund 24.000 Flüchtlinge und Menschen in aufnehmenden Gemeinden erreicht. Die Arbeit umfasst Alphabetisierungskurse, Kinder- und Jugendarbeit, außerdem Verbesserung der landwirtschaftlichen Infrastruktur und Weiterverarbeitung, zum Beispiel beim Obst und Gemüseanbau.

Also für diesen Schwerpunkt, die innerstaatlichen Fluchtalternativen, rund 600.000 Euro im Jahr.

Aber in gut zwei Wochen treffen sich ja die Verteidigungsminister der im Norden Afghanistans bei Resolute Support engagierten Staaten in Berlin. Da kann die deutsche Ressortchefin Ursula von der Leyen ja den Vorschlag einbringen, mit Truppen Schutzzonen abzusichern, damit keine Afghanen mehr nach Deutschland flüchten.

(Archivbild: Hazrat-e Sultan, Afghanistan, May 5, 2011: A German DINGO attached to the International Security Assistance Force drives along the pothole stricken dirt road leading to Hazrat-e Sultan – Federal Republic of Germany photo by Tech. Sgt. Bea Schone via Resolute Support Media)