Bundesregierung will Schluss des ‚Patriot‘-Einsatzes in der Türkei (Update)

Erst Ende Januar war das Mandat für den Einsatz deutscher Flugabwehrstaffeln an der türkisch-syrischen Grenze erneut verlängert worden – jetzt will die Bundesregierung die Beteiligung an der NATO-Mission Active Fence Turkey beenden. Der Einsatz der deutschen Patriot-Flugabwehrsysteme im türkischen Ort Kahramanmaras werde auslaufen, die Rückverlegung demnächst beginnen und das zu Beginn 2016 ohnehin auslaufende Mandat nicht verlängert, bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums einen Bericht von Spiegel Online.

Nach einer offiziellen Mitteilung des Ministeriums wurde die Entscheidung  vor dem Hintergrund einer aktuellen Einschätzung der NATO vom Juni getroffen, wonach die Bedrohung für das türkische Territorium durch ballistische Raketen aus Syrien als sehr niedrig bewertet wird.

Da hat sich offensichtlich im vergangenen halben Jahr was grundlegend geändert. Schließlich hatten Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor der Bundestagsentscheidung im Januar in ihren Fraktionen nicht nur auf die Bedrohung verwiesen, sondern auch mit der bündnispolitischen Bedeutung geworben:

Die türkische Regierung hat bislang besonnen auf Zwischenfälle an der syrisch-türkischen Grenze reagiert und von militärischen Alleingängen abgesehen. Die Verstärkung der Integrierten NATO-Luftverteidigung in der Türkei ist eine ausschließlich defensive Maßnahme, die verhindern soll, dass sich der Konflikt von Syrien auf die Türkei ausweitet. Gleichzeitig bleibt die Türkei über den Einsatz „Active Fence“ in den ordnungspolitischen Rahmen der Allianz eingebunden. (…)
Die Rahmenbedingungen der beabsichtigen Verlängerung des Einsatzes bleiben unverändert:- Der Einsatz bleibt rein defensiv und trägt nicht zur Unterstützung einer Flugverbotszone bei. (…)
– Die deutschen Feuereinheiten PATRIOT und ihr Bedienungspersonal bleiben dem SACEUR unterstellt. Das Handeln der Bündnispartner ist damit weiterhin in den politischen Ordnungsrahmen der Allianz eingebunden.

Dann stellt sich doch die Frage: Gilt diese politische Beurteilung vom Januar nicht mehr? Vielleicht vor dem Hintergrund des aktuellen Verhaltens der türkischen Regierung, die sich zwar offiziell am Kampf gegen ISIS beteiligt, faktisch aber wohl eher den Kampf gegen Kurdenorganisationen wie die PKK wieder aufgenommen hat – oder, je nach Sichtweise – verstärkt reagiert? Denn die Bedrohungslage war nach meiner Erinnerung im Januar nicht so viel anders.

Aber der Schwerpunkt hat sich geändert. Das macht das Zitat der Verteidigungsministerin klar:

Gemeinsam mit unseren NATO-Partnern haben wir die türkische Bevölkerung gegen Raketenangriffe aus Syrien geschützt. Unsere Patriot-Einheiten haben das in den letzten drei Jahren erfolgreich getan. Diesen Einsatz werden wir nun im Januar 2016 beenden. Die Bedrohung in dieser krisengeschüttelten Region hat jetzt einen anderen Fokus erhalten. Sie geht heute von der Terrororganisation Islamischer Staat aus. Deshalb bleiben wir auch in der Region engagiert, um sie weiter zu stabilisieren. Sei es zur Ausbildung und Unterstützung der kurdischen und irakischen Sicherheitskräfte in Erbil, aber auch mit unseren Schiffen bei UNIFIL vor dem Libanon oder Active Endeavour im östlichen Mittelmeer.

Die NATO und vor allem die Türkei sind über die deutsche Absicht bereits informiert. Jetzt soll die Planung für die Rückverlegung beginnen.

Nachtrag: Wenig überraschend hat der verteidigungspolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Florian Hahn, sofort die Planungen begrüßt.

Schon Ende Juli hatte Hahn das Ende des deutschen Einsatzes gefordert:

Zu dem aufgekündigten Friedensprozess zwischen der Türkei und den Kurden und den jüngsten Bombardements der türkischen Armee gegen Stellungen der Kurden im Nordirak, sagt der sicherheits- und verteidigungspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Florian Hahn:
„Erdogan stellt mit seinen Attacken gegen die Kurden wieder einmal unter Beweis, dass die Türkei und Deutschland bedauernswerterweise immer weniger gemeinsame Ziele verfolgen. Erst beteiligt er sich nicht an der Bekämpfung des IS-Terrors, um jetzt auch noch den einzig erfolgreichen Widerstand gegen den IS anzugreifen und den Friedensprozess mit den Kurden aufzukündigen. Dahinter steht das offensichtliche Kalkül, die prokurdische Partei, die Erdogan bei den letzten Parlamentswahlen um die absolute Mehrheit gebracht hat, kalt zu stellen.
Es hat sich gezeigt, dass der Einsatz der NATO-Luftabwehrsysteme PATRIOT für den Schutz der Türkei nicht mehr notwendig ist. Trotzdem war es bisher ein symbolisches Zeichen unserer Bündnistreue. Angesichts der aktuellen Entwicklungen müssen wir diesen Einsatz grundsätzlich überdenken. Wir dürfen uns keinesfalls vor den innenpolitischen Karren von Präsident Erdogan spannen lassen.“

Das bestätigt ja die Vermutung, dass in der Koalition nicht die tatsächliche Bedrohungslage und eine militärische Notwendigkeit ausschlaggebend für die Entscheidung war. Sondern dass es eine politische Entscheidung ist.

Nachtrag 16. August: Die USA ziehen ihre Patriot ebenfalls ab.

The United States has informed the Turkish government that the U.S. deployment of Patriot air and missile defense units in Turkey which expires in October will not be renewed beyond the end of the current rotation. Other relevant Allies have also been consulted. (…)
The United States will maintain in-theater capability to rapidly transport and support emergent Ballistic Missile Defense (BMD) requirements, and is prepared to sustain the current deployment site in a cold-basing status to facilitate future deployments of U.S. Patriots. If needed, the United States is prepared to return Patriot assets and personnel to Turkey within one week.

(Grafik: Niederländisches Verteidigungsministerium)