Bundesregierung fördert Rüstungsindustrie: Mehr ’nationale Schlüsseltechnologien‘

BERGEN 03jun2015 - †bung FALCON VIKING auf dem TruppenŸbungsplatz Bergen/Niedersachsen fŸr die Interim Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) im Rahmen der NATO Response Force. Der deutsche Gefechtsverband NRF, im Kern PzGrenBtl 371. - Panzerhaubitze 2000 in einem WaldstŸck

Die Bundesregierung will die deutsche Rüstungsindustrie stärken und für eine europäische Konsolidierung dieses Industriezweigs sorgen, aber zugleich auch mehr so genannte nationale Schlüsseltechnologien als bisher gezielt fördern. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) legten dafür dem Bundeskabinett am (heutigen) Mittwoch ein Zehn-Punkte-Programm zur Stärkung der nationalen Verteidigungsindustrie vor. Darin spielt mehr Kooperation mit europäischen Partnern eine wichtige Rolle. Im Unterschied zu Vorschlägen der Verteidigungsministerin im vergangenen Jahr sollen allerdings künftig auch Panzer und U-Boote als deutsche Schlüsseltechnologien angesehen werden, die auf Exportunterstützung und bevorzugte Auftragsvergabe rechnen können. Ein wesentliches Vorhaben für eine europäische Zusammenarbeit, die geplante Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann mit seinem französischen Konkurrenten Nexter, stieß allerdings am gleichen Tag auf vehemente Kritik aus der SPD.

Die europäische Dimension der Rüstungsindustrie betonen Wirtschafts- und Verteidigungsministerium schon im Vorwort des vom Bundeskabinett beschlossenen Papiers:

Europa braucht eine eigene und leistungsfähige Verteidigungsindustrie, wenn wir die gemeinsame sicherheitspolitische Verantwortung ernstnehmen. Dafür ist ein tieferes gemeinsames Verständnis einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vonnöten. Die Ausarbeitung einer darauf bezogenen Strategie kann dazu beitragen. Dafür setzt sich die Bundesregierung ein. Darauf aufbauend bedarf es konkreter Vorgaben für eine europäische Zusammenarbeit – gerade im Bereich europäischer Verteidigung.
Der Koalitionsvertrag betont die Bedeutung einer verstärkten europäischen und transatlantischen Rüstungszusammenarbeit. Deutschland mit seinen wettbewerbsfähigen Unternehmen und seinen Streitkräften hat hier viel einzubringen. Der Koalitionsvertrag unterstreicht das nationale Interesse an der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie – aus wirtschaftlicher, technologiepolitischer und sicherheitspolitischer Sicht. Verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien und Arbeitsplätze sollen erhalten, Technologien und Fähigkeiten weiterentwickelt werden.

– was allerdings schon deutlich macht, dass die deutsche Industrie im Mittelpunkt dieses Papiers steht. Zwar bemängeln beide Ministerien, dass die Verteidigungsindustrie in Europa nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert sei. Deshalb setze die Bundesregierung verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter Wahrnehmung der nationalen Interessen, und es seien europäische wie nationale Konsolidierungen nötig:  Zum Erhalt notwendiger verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien im nationalen und europäischen Rahmen auf längerfristiger wirtschaftlicher Basis brauchen wir eine verstärkte industrielle Konsolidierung und Wettbewerbsfähigkeit in der nationalen und europäischen Verteidigungswirtschaft. Hier sind in erster Linie die Unternehmen gefordert.

Die wesentliche neue Aussage des Papiers ist allerdings die Neu-Definition der deutschen Schlüsseltechnologien in der Rüstung. Dafür hatte die Verteidigungsministerin im vergangenen Jahr einen Vorschlag gemacht, der im wesentlichen elektronische Technologien wie Verschlüsselung und Aufklärung sowie Schutztechnologien in den Vordergrund stellte – und eben nicht weitere Bereiche, in denen deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt eine Favoritenrolle spielen: Gepanzerte Fahrzeuge und (nicht-nukleargetriebene) U-Boote. Das hat sich jetzt geändert:

Die Bundesregierung bekennt sich im Rahmen der wachsenden Europäisierung der Verteidigungsindustrie zum Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller
Schlüsseltechnologien. Es gilt, die erforderlichen militärischen Fähigkeiten und die Versorgungssicherheit der Bundeswehr sowie die Rolle Deutschlands als zuverlässigem Kooperations- und Bündnispartner technologisch und wirtschaftlich sicherzustellen, insbesondere im Rahmen auch zunehmend globalisierter Lieferketten.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien identifiziert, deren Verfügbarkeit aus nationalem Sicherheitsinteresse zu gewährleisten ist, gegebenenfalls auch in Abstimmung und Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern. Diese Schlüsseltechnologien leiten sich aus dem militärischen Bedarf der Bundeswehr, den außen-, sicherheits- und europapolitischen Interessen, unseren Bündnisverpflichtungen sowie der Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland ab.
Wie in der nachfolgenden Übersicht dargestellt, wurden nationale verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologiefelder schwerpunktmäßig entlang folgender Bereiche (Fähigkeitsdomänen) identifiziert:
• Führung (vor allem Kryptotechnologie),
• Aufklärung (vor allem Sensorik),
• Wirkung (vor allem Technologien in den Bereichen gepanzerte Plattformen sowie Unterwassereinheiten),
• Unterstützung (vor allem Schutztechnologien),
wobei querschnittlich der Aspekt „Systemfähigkeit“ zu berücksichtigen ist.
(…)
Bei der Abwägung außen-, europa-, und verteidigungspolitischer Interessen im Rahmen von Beschaffungsentscheidungen wird der Erhalt ausgewählter verteidigungsindustrieller Schüsseltechnologien berücksichtigt.

und die Grafik dazu:

schluesseltechnologien_20150708

(Auffällig dabei, das nur am Rande, ist der Bereich Handfeuerwaffen, in dem deutsche Unternehmen ebenfalls eine führende Rolle einnehmen – hier sehen weder Verteidigungs- noch Wirtschaftsministerium eine nationale Schlüsseltechnologie.)

Mit anderen Worten: Nicht nur die elektronische Hightech, bei der es ein nachvollziehbares Interesse an nationaler Souveränität und nationalem Zugriff gibt, wird künftig besonders gefördert – sondern auch die beiden zusätzlichen – und verkaufsstarken –  Bereiche Wirkung bei gepanzerten Plattformen und Unterwasser.

Diese Unternehmen können deshalb nicht nur mit Priorität bei Beschaffungen der Bundeswehr, sondern auch mit Unterstützung der Bundesregierung bei ihren Exportaktivitäten rechnen – auch außerhalb von NATO und EU. Zwar betonen die Ministerien in ihrem Papier die immer wieder geäußerte Einschränkung, das sich die Bundesregierung zu einer zurückhaltenden Rüstungsexportpolitik bekenne. Und dennoch:

Auf dieser Basis wird die Bundesregierung daran festhalten, die Verteidigungsindustrie bei ihren Aktivitäten insbesondere in EU-, NATO- und der NATO gleichgestellten Ländern zu unterstützen. Diese Flankierung kann auch auf so genannte Drittstaaten ausgedehnt werden, wenn im Einzelfall für den Export von Kriegswaffen besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen sprechen oder für denExport sonstiger Rüstungsgüter im Rahmen des Außenwirtschaftsrechts zu schützende Belange des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder der auswärtigen Beziehungen nicht gefährdet sind.
Die Bundesregierung wird Exportaktivitäten nach Einzelfallprüfung mit dem außenwirtschaftlichen und sonstigen Instrumentarium flankieren und dabei auch speziell verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien berücksichtigen. Das BMVg wird seine besondere Fachexpertise in Entwicklung, Beschaffung, Ausbildung und Nutzung zur Verfügung stellen.

Der Punkt, dazu muss man kein Wahrsager sein, dürfte vor allem unter Sozialdemokraten einigen Unmut erregen – und der Wirtschaftsminister, zugleich SPD-Vorsitzender, wird seinen Genossen erklären müssen, warum die Bundesregierung sich unterstützend für den Waffenexport in diese Drittstaaten einsetzt. Gabriel selbst legte in einer Pressemitteilung zum Kabinettsbeschluss den Schwerpunkt auf ein ganz anderes Detail – nämlich die in dem Papier ebenfalls enthaltene und damit ebenfalls gebilligte Einführung von nachträglichen Endverbleibskontrollen bei Rüstungsexporten.

An einer anderen Stelle, wie oben schon erwähnt, gibt es in der SPD bereits Widerstand. So heißt es doch in dem vom Kabinett gebilligten Papier unter der Überschrift Konsolidierung der deutschen und europäischen Verteidigungsindustrie:

Die Bundesregierung setzt verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen unter Wahrnehmung der nationalen Interessen. Die Bündelung technologischer Stärken wird die wirtschaftliche Bedeutung europäischer Projekte im internationalen Wettbewerb entscheidend erhöhen.

Und das größte derzeit anstehende Zusammengehen von Unternehmen der Rüstungsindustrie aus verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten ist zweifellos die geplante Fusion des deutschen Panzerherstellers Krauss-Maffei Wegmann mit dem französischen Unternehmen Nexter. Offensichtlich gezielt am Tag des Kabinettsbeschlusses platzierte der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuss, Rainer Arnold, einen vehementen Kommentar dagegen als Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung*:

Um von der starken französischen Präsenz nicht untergebuttert zu werden, müssen wir, wie die Franzosen, konsequent an nationalen Interessen festhalten und diese bei Zusammenschlüssen entsprechend verteidigen. Die schlechten Erfahrungen, die Deutschland bei dem Gemeinschaftsunternehmen Airbus mit der Konzentration der wichtigen Entwicklungskapazitäten auf den französischen Standort Toulouse gemacht hat, dürfen sich nicht wiederholen. Bei dem gemeinsamen Vorhaben für das geschützte Fahrzeug „Boxer“ sind die Franzosen ausgestiegen, haben die vorliegenden Ergebnisse mitgenommen und für ein eigenes Produkt genutzt. Nur harte Verhandlungen auf Augenhöhe und politische Begleitung führen zu Kompromissen, die auch deutsche Interessen wahren. Vor diesem Hintergrund muss die geplante Fusion der Panzerschmiede Krauss Maffei Wegmann (KMW) mit dem staatlichen französischen Rüstungsunternehmen Nexter äußerst kritisch bewertet werden. (…) Wenn die gerade erfolgte Definition von Schlüsselfähigkeiten nicht zur Makulatur werden soll, muss die deutsche Politik alle Möglichkeiten nutzen, um die Fusion zumindest in der geplanten Form zu verhindern.

Das klingt so, als ob die heute beschlossene Strategie selbst innerhalb der großen Koalition noch für interessante Debatten sorgen wird.

(* Deutsche Verlagswebseiten werden hier in der Regel nicht verlinkt; in diesem Fall eine Ausnahme wg. der Bedeutung des Themas und da es sich um einen Gastbeitrag handelt. Wenn der Text auf Arnolds Webseite eingestellt werden sollte, wird der Link ausgetauscht)

(Foto: Panzerhaubitze2000 bei der ܆bung FALCON VIKING auf dem TruppenŸübungsplatz Bergen/Niedersachsen)