An der Grenze der Wahrnehmungen: Afghanistan-Geschichten aus einem Land im Krieg

Wurmb-Seibel_AFG

In den langen Jahren des Einsatzes internationaler Truppen in Afghanistan habe ich mich immer wieder über eines gewundert: Darüber, dass (fast) kein deutsches Medium es für nötig gehalten hat, die Situation im Land und das internationale militärische Engagement mit festen deutschsprachigen Korrespondenten am Hindukusch zu begleiten. So wichtig diese Mission aus deutscher Sicht war, so viel Aufmerksamkeit es für den Bundeswehreinsatz gab: Für die kontinuierliche Berichterstattung hat es in Deutschland (im Unterschied zu anderen Ländern, neben großen wie den USA oder Großbritannien selbst die Niederlande) offensichtlich nie genügend Interesse gegeben.

Um so wichtiger fand ich deshalb engagierte Einzelkämpferinnen wie Ronja Wurmb-Seibel, eine junge Journalistin, die nach Auslaufen ihres Vertrages bei der Zeit auf eigene Faust nach Afghanistan gegangen ist. Ihre Arbeit dort hatte hier im Blog vergangenes Jahr schon mal eine Rolle gespielt. Und jetzt hat Wurmb-Seibel aus ihrem Jahr Afghanistan ein Buch gemacht. Ein Buch, das sich von dem Blick, den selbst regelmäßige Außen-Beobachter des Landes haben, grundlegend unterscheidet: Die Journalistin hat dort gelebt, hat die scharfe Grenze zwischen der Realität der internationalen Truppen und der Realität der Afghanen aus nächster Nähe mit angesehen.

Gleich zum Einstieg schildert Wurmb-Seibel eine ihrer Beobachtungen, die diese Grenze so deutlich markieren. Nach einem Interview mit einem deutschen General im festungsmäßig ausgebauten ISAF-Hauptquartier in Kabul begleitet sie ein deutscher Soldat zum Ausgang. Der Dialog spricht für sich:

Nach dem Interview bringt er mich wieder zurück.
»Tragen Sie nie eine Waffe hier?«, fragt er mich auf halbem Weg.
Ich muss lachen.
»Ich wüsste gar nicht, wie man damit umgeht.«
»Können Sie ja lernen«, sagt er, »es ist nicht so schwer.«
Ich erkläre ihm, dass es nicht ganz ins Konzept eines Journalisten passt, eine Waffe zu tragen. Wir gehen ein paar Schritte schweigend.
»Wirklich nie?«, fragt er dann. »Sie müssten sie ja nicht benutzen, nur zur Sicherheit.«
»Was hilft mir eine Waffe bei einem Anschlag«, frage ich, »oder bei einer Entführung?« Ich sage ihm auch, dass ich glaube, viel mehr Gefahren gebe es nicht für mich in Kabul. Anders als er sei ich kein militärisches Ziel. Der Soldat nickt.
Beim Verabschieden zögert er einen Moment. Dann fragt er: »Haben Sie eigentlich keine Angst da draußen?«

Ob sie Angst hat oder nicht, wie die Afghanen selbst mit diesen merkwürdigen Realitäten umgehen – all das hat die Autorin wunderbar lesbar beschrieben. Nicht dass ich – als nur gelegentlicher Beobachter des Landes, noch dazu mit der sehr einseitigen Perspektive aufs Militärische – wirklich beurteilen könnte, wie nah das am wahren Leben in Kabul ist. Aber dazu hat Thomas Ruttig, (auch hier im Blog nicht unbekannter) jahrzehntelanger Kenner Afghanistans sehr präzise das Nötige gesagt:

Chapeau, Ronja von Wurmb-Seibel. Ihnen ist eines der wenigen Bücher – oder vielleicht sogar das einzige bisher – über Afghanistan nach den Taleban gelungen, in dem aber auch gar nix aus zweiter Hand ist.

Und das sagt eigentlich schon alles.

Ronja von Wurmb-Seibel, Ausgerechnet Kabul – 13 Geschichten vom Leben im Krieg. Erschienen am (heutigen) 2. März. Eine Leseprobe aus dem Buch findet sich bei Zeit Online.

(Foto mit freundlicher Genehmnigung der Autorin)