Die gewandelte NATO-Wahrnehmung: Russland als möglicher (militärischer) Gegner

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Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon hat (bereits am gestrigen Mittwochabend) die bislang deutlichsten öffentlichen Ansagen aus dem Kreis der NATO-Regierungen zur Wahrnehmung einer militärischen Bedrohung durch Russland gemacht. Es gebe die reale und gegenwärtige Gefahr, dass Russland unter Präsident Wladimir Putin gegen die baltischen Staaten genau so vorgehen werde wie gegen die Ukraine, sagte Fallon mitreisenden Journalisten bei einem Besuch in Sierra Leone, wie die Londoner Times und der Telegraph berichteten:

There is a “real and present danger” that Vladimir Putin will launch a campaign of undercover attacks to destabilise the Baltic states on Nato’s eastern flank, the Defence Secretary has warned.
Michael Fallon said the Russian president may try to test Nato’s resolve with the same Kremlin-backed subversion used in Crimea and eastern Ukraine. (…)
The military alliance must be prepared to repel Russian aggression “whatever form it takes”, Mr Fallon said, as he warned that tensions between the two were “warming up”.

Nun mag Fallon die – bislang – deutlichsten Worte finden; seine Ansicht scheint allerdings in der westlichen Allianz weitgehend Konsens zu sein. So war auch bei der Auftaktveranstaltung zum deutschen Weißbuch am Dienstag zu hören, dass die NATO die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit Russland durchaus hoch einschätzt. Was ja auch ein Grund für den auf dem NATO-Gipfel im vergangenen September beschlossenen Rapid Action Plan und die neue superschnelle Eingreiftruppe ist (die aus anderen Gründen hier im Blog an anderer Stelle Thema ist). Mit anderen Worten: Während NATO-Spitzenfunktionäre im vergangenen Jahr am Beginn der Überlegungen schienen, ob Russland weiterhin als Partner angesehen werden könne, scheint jetzt die Überlegung abgeschlossen: Definitiv Gegner und nicht mehr potenzieller Partner, scheint die Ansicht. Und, das ist das Beunruhigende, eben nicht nur politisch, sondern auch militärisch.

Die Einschätzung, dass die NATO insgesamt Russland auch als möglichen militärischen Kontrahenten betrachtet, teilt auch  BBC-Verteidigungskorrespondent Jonathan Marcus:

The comments from Defence Secretary Michael Fallon are an indication of a fundamental shift in the Nato perception of the crisis in Ukraine.
Nato governments clearly believe that what began as a localised Ukraine problem that strained ties with Moscow has now become a Russia problem, and a Russia problem that is likely to persist for some time.
Ukraine is thus seen as a manifestation of a much broader policy shift on the part of the Russian President Vladimir Putin.
Mr Fallon’s belief that there is indeed a potential threat to Nato territory – in particular the Baltic Republics – is widely shared; hence Nato’s desire to underline in the most emphatic terms that its security guarantees to its members will be honoured in full.

Russland reagierte auf die Fallon-Äußerungen auch prompt, dazu die Meldung (wiederum vom Telegraph):

Russia’s Foreign Ministry said on Thursday that comments by British Defence Secretary Michael Fallon that Russia posed a threat to Baltic countries went beyond „diplomatic ethics“.
Spokesman Alexander Lukashevich, speaking at a weekly briefing with journalists, said Russia would find a way to respond to the comment.

Warum die Briten das gerade jetzt öffentlich aussprechen? Das mag damit zu tun haben, dass in den vergangenen Tagen zunehmend britische Abfangjäger aufgestiegen sind, um russische Kampfflugzeuge an ihren Grenzen – aber im internationalen Luftraum – zu identifizieren. Und das die russischen Streitkräfte über einen TV-Sender ein Video veröffentlichten, in dem die britischen Jets aus dem Cockpit eines TU95-MS-Bombers, NATO-Codename Bear, zu sehen waren. Aus dem Bomber, der auch für den Einsatz nuklear bestückter Marschflugkörper ausgerüstet ist:


(Direktlink: http://youtu.be/TnZMy1WWjZs, mehr dazu für die Russisch-Kenner auf der Webseite des Senders)

Interessant ist dabei, dass zwar nach NATO-Angaben die Zahl der Alarmstarts, mit denen westliche Kampfjets zur Identifizierung von russischen Flugzeugen aufstiegen, im vergangenen Jahr auf über 400 gestiegen ist – vier Mal so oft wie noch 2013. Was einerseits auf eine (auch hier schon mehrfach diskutierte) deutlich intensivere Flugtätigkeit und einen gestiegenen Demosntrationswillen Russlands hindeutet: Seht her, wir sind da. Auf der anderen Seite: Die Öffentlichkeit sollte auch wissen, dass solche Flüge nicht aus dem Nichts 2014 begannen. Es gab sie in den Jahren zuvor auch. Das Foto unten zeigt einen britischen Eurofighter, der einen Bear-Bomber eskortiert – laut Wikimedia-Commons-Dateibeschreibung im Jahr 2008.

RAF Tyhoon Russian Intercept

Nachtrag: Dank eines Leserhinweises in den Kommentaren hier noch ein Video vom Januar dieses Jahres, dass den umgekehrten Fall dokumentiert: Ein russischer Su27-Jäger nähert sich offensichtlich zur Identifizierung einer P-3-Aufklärungsmaschine der portugiesischen Luftwaffe über der Ostsee:


(Direktlink: http://youtu.be/RN8OoefnUPM)
(Foto oben: Screenshot aus dem verlinkten russischen Video; Foto unten: Wikimedia Commons/UK MoD/Open Government License)