Besen! Besen! Seids gewesen!

In den vergangenen Tagen hat hier (und auch in der öffentlichen, teils internationalen Diskussion) der lustige Besenstiel aus einem NATO-Manöver die Gemüter erhitzt. Die Debatte darüber läuft zwar schon im Bällebad, dennoch der Versuch, das ganze etwas zusammenzubinden: Hintergrund waren Berichte der ARD-Magazine Kontraste und Report Mainz und der Welt (letzter aus bekannten Gründen ohne Link), dass ausgerechnet bei einem NATO-Manöver der deutschen Einheiten, die als Test-Truppe für die neue superschnelle Eingreiftruppe der NATO vorgesehen sind, ein Rohr der Waffenanlage am Boxer durch einen schwarz gestrichenen Besenstiel ersetzt wurde. Und auch sonst noch so einiges fehlte. Dabei gibt’s den Boxer doch auch mit kompletter Waffenanlage, wie obiges Bild aus Afghanistan beweist.

Nun gibt’s dabei ein paar Merkwürdigkeiten. Zum einen, ganz vordergründig, dass das Verteidigungsministerium bei seiner Antwort an die Tagesschau zu diesem Thema scharf an der Wahrheit vorbei argumentiert hat:

Ach so. Während dieses Manövers 2014 hatte der betreffende Verband weder eine Funktion als NRF noch als VJTF-Testbed, sagt das Ministerium. So sehr formal könnte das so gerade eben noch der Wahrheit entsprechen. Aber schauen wir doch mal, was die Bundeswehr auf ihrer Webseite über diese Übung Noble Ledger zu berichten weiß:

Im September 2014 verlegte nahezu der gesamte deutsche Gefechtsverband NRF 2015 mit seinen knapp 600 Soldaten nach Norwegen und nahm dort an der bereits erwähnten Abschlussübung „NOBLE LEDGER“ teil. (…)
In einer anschließenden mehrtägigen Übung mit Volltruppe konnte dann das PzGrenBtl 371 mit seinen unterstellten Kräften seinen Leistungsstand unter Beweis stellen. Mit Abschluss dieser Übung sind damit die Voraussetzungen geschaffen, für einen möglichen Einsatz der NRF 2015 bereitzustehen. Der gesamte NRF-Verband wurde zertifiziert.

Ja nee, is‘ klar. Hatte keine NRF-Funktion, wurde aber für die NRF zertifiziert. Mit Besenstiel.

Aber geschenkt, oder, um mit Goethe zu sprechen: Besen! Besen! Seids gewesen!. Viel wichtiger und mindestens genau so merkwürdig wie der Besenstiel in der Waffenanlage ist ein anderes Detail des Report-Mainz-Berichts:

Es gebe beim Nachtsichtgerät Lucie ein „Fehl von 76 Prozent“, bei den Waffen P8 fehlten „41 Prozent“ und beim Maschinengewehr MG3 fehlten „31 Prozent“.

MG3 und P8 kann ich mir schon vorstellen. Weil diese Waffen – die Pistole P8 allein schon durch das neue Schießausbildungskonzept – viel mehr beansprucht wurden und werden als ursprünglich vorgesehen.

Interessant ist aber das Fehl des Nachtsichtsgeräts von mehr als drei Vierteln der Planstärke. Nun könnte man (das machen, so höre ich, derzeit auch einige Leute) mal die Haushaltstitel der vergangenen Jahre nach Gesamtzahlen beschaffter Lucie-Geräte durchsehen. Vermutlich wird dabei rauskommen, dass die Bundeswehr etliche Tausend beschafft hat. Jedenfalls genug, um ein Bataillon für eine NATO-Übung auszustatten. Neben den Lucies, die in den Afghanistan-Einsatz gegangen sind.

Aber die Frage ist: wo stecken all die schönen, neuen oder auch überarbeiteten Lucies, die von der Industrie geliefert wurden? Wie viele schlummern in Depots und werden nicht rausgegeben? Aber auch: wie viele sind in der Truppe ausgegeben, aber durch Gebrauch – die Bildverstärkerröhre ist faktisch ein Verschleißteil – nicht mehr einsatzfähig? Ist das Fehl nicht vorhandene oder nicht einsatzfähige Geräte? Funktioniert der Kreislauf von Wartung und Neuausgabe der Nachtsichtbrillen?

Das würde mich ja mal schrecklich interessieren. Aber das ist vermutlich so intern und eingestuft, dass unserereiner (und die bezahlende Steueröffentlichkeit) das gar nicht wissen darf.

(So, und jetzt sollten wir die Debatte aus dem Bällebad zu dem Thema hier bündeln…)