NH90: Ein Unfall, ohne Folgen

Am 19. Juni dieses Jahres gab es beim Flug eines NH90-Transporthubschraubers der Bundeswehr über Termez in Usbekistan einen Zwischenfall. Die Folgen der massiven technischen Störung werden, sagen wir mal vorsichtig, unterschiedlich bewertet: Nach einer Explosion im Triebwerk, der Auslösung der Feuerlöschanlage und darauf folgenden Fehlfunktionen davon völlig unabhängiger Komponenten stufte die Truppe den Zwischenfall als flugsicherheitsgefährdende Störung ein. Rund fünf Monate später untersuchte ein Team aus Bundeswehr und Herstellerfirma Airbus Helicopters die Maschine, die immer noch in Termez steht. Nach deren ersten Erkenntnissen wurde der Flugbetrieb mit allen NH90 der Bundeswehr kurzfristig gestoppt, dann kam der Flugsicherheitsausschuss der Bundeswehr zu der Einschätzung, dass es sich um einen Einzelfall gehandelt habe.

Das Thema und viele Details sind hier bei Augen geradeaus! in zahlreichen Einträgen und zahllosen Kommentaren bereits ziemlich ausführlich debattiert worden (siehe unter anderem hier, hier, und hier), an diesem Wochenende hat es auch die großen Medien erreicht. Der Spiegel berichtet von Zweifeln an der Sicherheit, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS, Link aus bekannten Gründen nicht) überschreibt ihren Bericht simpel mit: Flugangst. Und zitiert Reinhard Schlepphorst, den Vorsitzenden der Interessengemeinschaft des fliegenden und luftfahrzeugtechnischen Personals der Transport- und Hubschrauberverbände (IGTH), mit dem Satz: Die Soldaten zweifeln an der Zuverlässigkeit des Helikopters und misstrauen den Einschätzungen der offiziellen Stellen.

Vielleicht auch deshalb, weil die Entscheidung des Ausschusses, der Zwischenfall sei nur als Einzelfall zu bewerten und kein grundsätzliches Problem dieses Hubschraubertyps, zeitlich recht nah an einer anderen Entscheidung lag: Der neu ausgehandelten Vereinbarung zwischen Verteidigungsministerium und Airbus Helicopters über den Global Deal, das weitere Programm für die Beschaffung von Transport- und Marinehubschraubern NH90 (und des Kampfhubschraubers Tiger vom gleichen Hersteller). Ein Zusammenhang ist – außer der Zeitnähe – nicht belegbar. Aber egal ob der Zwischenfall in Termez ein Einzelfall ist oder ein grundsätzliches Problem: Eine gegroundete NH90-Flotte hätte sich im Zusammenhang mit der Vertragsentscheidung nicht so gut gemacht.

Zu dem Ereignis selbst ein paar Details aus den Papieren:

AFTO (Air Force Technical Order) – Beanstandungsmeldung vom 19.06.2014
Flugsicherheitsgefährdende Störung
1.) Circumstances prior to discrepancy:
The H/C was on a MEDEVAC trainings mission.
After an intermediate stop in Termez the aircrew wanted to start the engines but during the start they noticed a stagnation at both engines.
The crew decided to abort the first attempt. After an engine ventilation a second start was performed and the engines starts normally.
2.) Description of discrepancy:
A few minutes later the aircrew heard a loud bang followed by different warnings:
– overspeed protection failure
– engine difference
– fire Engine 2 ( engine fire extinguisher was used)
– engine speed reduction of NG
The aircrew landed the H/C at the airfield Termez.
During the landing phase the H/C shows a lot of different electrical malfunctions:
– 3 MFD´s were down
– FCS channel actuator 1 in amber
– FCS analog computer 1 in red
– uncontrolled movement of the ramp and the windshield wiper
– flashing cabin light
First investigation of the engine 2 shows that the turbine was destroyed and a lot of turbine blades were found in
the exhaust pipe.

Das klingt alles nicht gut – wenn der Scheibenwischer unkontrolliert anspringt, ist das verkraftbar. Aber eine unkontrollierte Bewegung der Rampe verändert die Flugeigenschaften.

Ein paar Monate später, Mitte November, meldete der Kontingentführer Rückholung Luftfahrzeug 78+18 (die Zulassungsnummer des Hubschraubers) in seinem Zwischenbericht Befundung/Instandsetzung weitere Erkenntnisse – und die deuteten auf ein Problem mit dem Overhead Control Panel (OHCP), einer zentralen Steuereinheit des Helikopters, hin:

Nach derzeitigem Erkenntnisstand lässt sich ein Großteil der oben aufgeführten Fehler mit dem „Brand/Abbrand“ auf der beschriebenen Platine (SE 11651/) im OHCP erklären.
Entgegen der ersten AFTO29 B3/14/017 „Flugsicherheitsgefährdende Störung“ ist keine Feuermeldung TRW2 angezeigt worden (Auswertung der DID Daten).
Die einzige nachweisbare Anzeige bzgl. Feuerwarnung erfolgte nach Auswertung der noch im Juni aufgezeichneten DID Daten im Bereich MGB (BFIR auf MFD ́s und Central Warning Panel). Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen kam es dort aber weder zu relevanten Überhitzungen noch zu Feuer. Die zeitliche Abfolge der auftretenden Fehler bzw. Anzeigen deutet darauf hin, dass auch diese Anzeige fehlerhaft war und durch den „Brand“ des OHCP ́s verursacht wurde.
Im Grunde ist lt. technischer Auswertung der Daten nicht bekannt, warum Feuer TRW2 gelöscht wurde. Vermutlich erfolgte das Löschen nach Meldung (mdl.) durch Besatzungsangehörigen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das beschriebene Fehlerbild sowie der umfangreiche Ausfall der genannten Systeme ursächlich mit dem Auslösen des Feuerlöschens erklärt werden kann, ist sehr hoch. Nach bisheriger Auswertung und Interpretation des Fehlerbildes ist folgende Ursache möglich: beim Auslösen/Betätigen Feuerlöschanlage fließt kurzzeitig ein zu hoher Strom, für den die Leiterbahnen auf der Platine nicht ausgelegt sind. Zusätzlich sollten als mögliche Fehlerursachen die Querschnittsveränderungen der elektrischen Leitungen und damit die Veränderungen der Leitungswiderstände näher untersucht werden.
Derzeit kann keine eindeutige Aussage darüber getroffen werden, welche Systeme bei wiederholtem Auslösen eines erneuten Feuerlöschens, wenn notwendig, betroffen seinkönnten. Nach hiesiger Einschätzung ist es nicht möglich auszuschließen, dass dieser Fehler (Brand/Verschmoren des OHCP und in Folge umfangreicher Ausfall verschiedenster, auch flugsicherheitsrelevanter Syteme) am Lfz NH90 78+18 oder an anderen Lfz NH90 der Flotte mit diesem OHCP nochmals auftritt!

Mit anderen Worten: Wir wissen nicht, ob es ein Einzelfall ist. Und ob vielleicht andere Hubschrauber auch betroffen sind. Deshalb gab es einen Tag später, am 15. November, auch die Empfehlung, vorerst keinen Flugbetrieb mit dem Waffensystem NH90 durchzuführen. Drei Tage später wurde das aufgehoben: Mit Schreiben vom 18. November teilte der General Flugsicherheit in der Bundeswehr als Ergebnis der Sitzung des Flugsicherheitsausschusses (FSA) dem Kommando Heer und Heeresinspekteur Bruno Kasdorf mit, dass es keine generellen Probleme gebe:

Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse wird davon ausgegangen, dass das beschriebene Fehlerbild sowie der umfangreiche Ausfall der Systeme ursächlich mit dem Auslösen des Feuerlöschkreises zusammenhängen.
Der Ausschus kam zu folgender fachlicher Bewertung:
Beim Betätigen des Feuerlöschknopfs werden Kartuschen (Squibs) gezündet, wodurch das Löschmittel aus den Feuerlöschflaschen freigesetzt wird.
Ein Squib der Feuerlöschanage hatte nach dem Auslösen einen Kurzschluss verursacht. Dieser Fehler führte zu einem Dauerstrom auf einer Platine im OHCP, die dadurch überlastet und infolge des anhaltenden Stromflusses thermisch beschädigt wurde. Die auf der Platine entstandenen Beschädigungen führten zu den aufgetretenen SystemStörungen. (…)
Im ungünstigsten Fall könnten die Shut off Valves der Triebwerke ausgelöst werden, was eine Autorotationslandung erforderlich machen würde. Die Eintrittswahrscheinlichkeit hierfür wird mit äußerst gering bewertet. Im vorliegenden Fall wurden zudem keine für die sichere Steuerführung erforderlichen Systeme beeinträchtigt.
Bei NHI [NATO Helicopter Industries, T.W.] wurde am 18.11.2014 ein Airworthiness Meeting zur Meldung gem. Bezug durchgeführt. Die Kombination eines Triebwerksausfalls in Verbindung mit der durch einen fehlerhaften Squib ausgelösten Fehlfunktion im OHCP, die dann auch noch das Shut off Valve auslöst, wurde seitens der Firma als extremely improbable eingestuft und liegt damit innerhalb der akzeptierten Ausfallwahrscheinlchkeit.
Empfehlungen zur Einhaltung/Wiederherstellung der Flugsicherheit:
In der Bewertung des FSA wir der Vorfall als Einzelfall eingestuft. Aus dem Vorfall ergeben sich keine Einschränkungen für den Flugbetrieb mit dem WaSys NH90.

Das ist, auch das muss man wissen, noch nicht der abschließende Flugunfallbericht des Generals Flugsicherheit. Und interessant ist auch, dass die Franfkurter Allgemeine zwar gezielt nach dem möglichen Zusammenhang dieses Vorfalls, der Bewertung und der Beschaffungsentscheidung für neue NH90 fragte – aber nach eigenen Angaben keine Antwort bekam: Das Verteidigungsministerium sah sich binnen zehn Tagen nicht in der Lage zu einer schriftlichen Stellungnahme.

(Archivbild: NH90 bei der Informationslehrübung 2010 in Munster)