Scheidender NATO-Generalsekretär will Truppenpräsenz im Osten massiv ausbauen

Wenige Tage vor dem NATO-Gipfel Anfang September in Wales hat der scheidende Generalsekretär des Bündnisses weit reichende öffentliche Vorschläge für eine massive Verstärkung der NATO-Truppenpräsenz in den östlichen Mitgliedsländern des Bündnisses gemacht. Um die Abschreckung gegenüber Russland glaubhaft zu verstärken, sollten eine Aufwertung der NATO Response Force, der Aufbau von Basen und Infrastruktur in Osteuropa und die Vorausstationierung von Material beschlossen werden, sagte Anders Fogh Rasmussen in einem Gespräch mit der britischen Zeitung Guardian. Technisch gesehen hält Rasmussen mit seinem Vorschlag die – bislang noch gültigen – Bestimmungen der NATO-Russland-Grundakte ein, die die dauerhafte Stationierung substanzieller Kampftruppen in den ehemaligen Ostblock- und heutigen Bündnisländern untersagt, faktisch kündigt er ein Ende dieser Zurückhaltung gegenüber Russland an.

Aus dem Bericht des Kollegen Ian Traynor, Nato plans east European bases to counter Russian threat:

Nato is to deploy its forces at new bases in eastern Europe for the first time, in response to the Ukraine crisis and in an attempt to deter Vladimir Putin from causing trouble in the former Soviet Baltic republics, according to its secretary general. (…)
„We have something already called the Nato response force, whose purpose is to be able to be deployed rapidly if needed. Now it’s our intention to develop what I would call a spearhead within that response force at very, very high readiness.
In order to be able to provide such rapid reinforcements you also need some reception facilities in host nations. So it will involve the pre-positioning of supplies, of equipment, preparation of infrastructure, bases, headquarters. The bottom line is you will in the future see a more visible Nato presence in the east.“

Kern der neuen NATO-Präsenz in Osteuropa soll das Multinationale Korps Nordost in Stettin in Polen werden, das gemeinsam von Polen, Deutschland und Dänemark bestückt wird und schon nach den bisherigen Planungen deutlich verstärkt werden soll. Dabei soll die aufgebohrte Anwesenheit von Truppen des Bündnisses bewusst so ausgestaltet werden, dass sie eben nicht permanent stationiert werden: It can be on a rotation basis, with a very high frequency, zitiert der Guardian den Generalsekretär.

Nun wird die spannende Frage, ob diese Planung auf dem Gipfel die Zustimmung aller 28 NATO-Staaten findet, einschließlich der in dieser Frage besonders kritischen Deutschen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch in Lettland am 18. August eine deutliche Ausweitung einer NATO-Truppenpräsenz ausdrücklich nicht ausgeschlossen:

 Ich habe den Eindruck gewonnen, dass wir am 4. und 5. September, wenn wir den Nato-Gipfel in Cardiff durchführen werden, zu einer sehr geschlossenen Position im Bündnis kommen werden – die Vorbereitungen, die dafür laufen, sind ja jetzt auch schon weitgehend abgeschlossen – und dass wir die Pflicht haben, sicherzustellen, dass, wenn einer der Partner in der Nato Beistand braucht – jetzt geht es um die baltischen Länder, und in gewisser Weise hat auch Polen dieses berechtigte Bedrohungsgefühl -, wir dann wirklich mit Sicherheit agieren können. Das werden wir sicherstellen, und dazu wird eine sehr viel stärkere Präsenz hier sein, als es in der Vergangenheit der Fall war. Ich glaube, dabei sind wir nicht weit auseinander. (…)
Wir haben nicht nur einen Nato-Grundlagenvertrag, sondern auch eine Nato-Russland-Akte, die ich im Augenblick nicht überschreiten möchte. Alles, was innerhalb dieser Regelungen möglich ist – dabei haben wir weite Spielräume über das hinaus, was wir bisher getan haben-, werden wir tun, und darüber gibt es auch ein hohes Maß an Übereinkunft.

Nach den Äußerungen des NATO-Generalsekretärs scheinen Merkels Worte Alles, was innerhalb dieser Regelungen möglich ist – dabei haben wir weite Spielräume über das hinaus, was wir bisher getan haben-, werden wir tun in einem etwas anderen Licht.

(Persönliche Anmerkung: Ich hielte eine Regierungserklärung von Merkel zur beabsichtigten Politik auf dem NATO-Gipfel für dringlicher und auf Dauer gesehen auch wichtiger als zu Waffenlieferungen an die Kurden…)

Nachtrag: Offensichtlich war es ein Gespräch Rasmussens mit mehreren europäischen Zeitungen; aus Deutschland war wohl die Süddeutsche Zeitung dabei. (Aber der Guardian war als erstes Blatt damit online.)

(Archivbild: DRAWSKO POMORSKIE TRAINING AREA, Poland–Paratroopers from the 173rd Infantry Brigade Combat Team (Airborne), U.S. Army Europe open fire on targets during the live-fire portion of Exercise Steadfast Jazz Nov. 7, 2013. The U.S. Army is supporting Steadfast Jazz 13 with participation from the 173d IBCT(A), one of U.S. Army Europe’s forward-based combat brigades and the 1st Heavy Brigade Combat Team, 1st Cavalry Division, the U.S.-based ground force contribution to NATO Response Force 2014. – U.S. Army photo by 1st Lt. Alexander Jansen/54th Engineer Battalion)