Lagebeobachtung Irak: Merkel zu Waffenlieferungen an die Kurden

Fürs Archiv –  Bundeskanzlerin Angela Merkel im ARD-Sommerinterview am 24. August, hier die Passage zum Thema Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak:

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Ihre Regierung hat in dieser Woche eine Richtungsentscheidung getroffen. Zum ersten Mal sollen deutsche Waffen in ein Krisengebiet geliefert werden. Viele Beobachter sagen, das ist ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik.

Antwort: Es ist sicherlich ein bemerkenswerter Schritt, dass wir diese Entscheidung nach sehr sorgsamer Abwägung getroffen haben. Wenn wir uns aber die Zeit seit 1990 anschauen, dann ist das ein Schritt, vor dem es schon andere gab. Ich glaube, die Beteiligung am NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien war ein qualitativ völlig neuer Schritt. Die Entsendung von Kampftruppen nach Afghanistan nach dem 11. September war ein qualitativ sehr bedeutsamer Schritt; auch sehr kontrovers diskutiert.

Und jetzt haben wir die Lieferung von Waffen in einem Zusammenhang, in einem Ausnahmefall, wie wir ihn bis jetzt noch nicht gesehen haben, wo einfach ein Völkermord vor aller Augen verübt wird von den islamischen Staatsmilizen, die terroristisch agieren in einem strategischen und entschlossenen Handeln gegen alle Andersdenkenden, ob es Muslime, ob es Christen, ob es andere sind, so dass wir uns gesagt haben, wir brauchen humanitäre Hilfe. Die ist bereits auf dem Weg. Wir brauchen Ausrüstungshilfe.

Aber wir können dann, wenn wir gebeten werden, auch in begrenztem Umfang Waffen und Munition zu liefern, nicht einfach sagen, das kriegt ihr von uns nicht. Denn diese Kämpfer der kurdischen Regionalregierung sind diejenigen, die das Ganze zusammen mit den Amerikanern und anderen zum Stoppen gebracht haben. Und sich da einfach abseits zu stellen, das war für uns jedenfalls jetzt keine Option.

Frage: Wenn Deutschland Waffen liefert, wann immer das sein wird, nächste, übernächste Woche, allzu lange kann man ja nicht mehr warten, wie groß ist denn dann Ihre Sorge, dass diese Waffen irgendwann mal in falsche Hände geraten? Die IS-Milizen sind ja so auch an amerikanische Waffen gekommen.

Antwort: Wir haben uns mit dem Thema sehr intensiv befasst und haben das abgewogen. Und eine hundertprozentige Sicherheit gibt es in einem solchen Fall nicht. Aber wir haben ja nur zwei Möglichkeiten: Wir liefern jetzt etwas und tragen dazu bei, dass diesem Treiben dieser Terrormilizen ein Ende gesetzt wird, und verhindern damit einen Genozid oder mehrere Genozide; oder aber wir sagen, das Risiko ist uns zu groß. Und wir haben in der Abwägung gesagt, es gibt jetzt die überwiegenden Gründe zum Handeln.

Frage: Konkret nachgefragt, wären Sie auch bereit, Waffen an die verbotene PKK zu liefern? Die Kurden kämpfen ja auch für Autonomie in der Region.

Antwort: Wir haben hier ganz klare Regelungen. Es gibt eine UN-Resolution, nach der man nur Waffen auf das Gebiet des Irak liefern darf, wenn die irakische Regierung, die Zentralregierung, einverstanden ist. Wir gehen davon aus, dass sie das ist. Der Bundesaußenminister war dort in Bagdad. Und dann können wir mit Einverständnis der irakischen Regierung das Ganze an die kurdische Regionalregierung liefern. Und die PKK kommt in diesem Zusammenhang nicht in Frage als ein Empfänger von Waffenlieferungen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, den Einsatz deutscher Kampftruppen im Irak, den haben Sie ausgeschlossen. Aber gilt das zum Beispiel auch für Militärberater, für Ausbilder an Waffensystemen? Da gibt es ja schon entsprechende Forderungen auch aus Ihrer Partei.

Antwort: Also, wir müssen schauen, natürlich kann es sein, dass es Einweisungen an Geräten gibt; die muss man aber nicht unbedingt auf irakischem Gebiet machen. Darüber ist noch nicht abschließend entschieden. Aber wir werden auf keinen Fall Kampftruppen in den Irak schicken.

Frage: Aber dass deutsche Soldaten hingehen könnten mit einer anderen Aufgabe, wollen sie nicht ausschließen?

Antwort: Ich kann das jetzt aber auch nicht bestätigen. Wir haben bis jetzt keine konkreten Pläne dazu.

Frage: Das Emirat Katar wird immer wieder genannt als möglicher Unterstützer der IS-Milizen. Ist es vor diesem Hintergrund nicht ratsam, die Waffenlieferungen in diese Region einzustellen, und sind Sie da möglicherweise auf einer Linie mit Ihrem Vizekanzler Sigmar Gabriel?

Antwort: Wir müssen ständig immer wieder bei unseren Entscheidungen im Bundessicherheitsrat neu bewerten, welches Land wo steht. Ich will an dieser Stelle noch mal sagen, die IS-Milizen sind finanziell sehr, sehr gut ausgestattet, ohne dass sie, nachdem was mir bekannt ist, von irgendeinem Staat direkt unterstützt werden.

Wir haben eher eine sehr kritische Situation jetzt von Katar im Zusammenhang mit der Hamas und dem Nahost-Konflikt, wo ich sehr große Zweifel habe und so etwas wird natürlich auch immer wieder in unsere Beurteilungen hineingehen, wenn wir uns fragen, wem können wir Rüstungsgüter liefern.

Frage: Saudi-Arabien?

Antwort: Ja, ich sagte ja, bei jedem Land muss man es immer wieder sich anschauen. Saudi-Arabien ist ein wichtiger Partner auch beim Kampf gegen Terrorismus. Ich erinnere daran, wir hatten einmal Geiseln im Jemen. Saudi-Arabien hat uns damals geholfen, die zu befreien. Das hätten wir aus eigener Kraft nicht schaffen können. Das sind jeweils Abwägungen über die innenpolitische Situation dort und über die außenpolitische Situation. Und die treffen wir, wenn wir die konkreten Entscheidungen treffen.