Sanktionen gegen Russland: Was wird aus den französischen Kriegsschiffen?

Die französischen Hubschrauberträger (und schwimmenden Kommandozentralen) der Mistral-Klasse sind schon imponierende Kriegsschiffe – wie schon der Größenvergleich (Foto oben) mit einem französischen Zerstörer und einer spanischen portugiesischen Fregatte zeigt. Dass auf einer französischen Werft zwei dieser Schiffe für Russland gebaut werden, ist spätestens seit der russischen Annexion der Krim ein Reizthema im Westen, in der EU wie in der NATO. Am (heutigen) Donnerstag wird die EU darüber beraten, ob sie nach dem (als sicher angenommenen) Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs über der Ukraine und der russischen Unterstützung für die Separatisten im Osten die Sanktionen gegen Russland verschärft – und dabei auch den Rüstungssektor im Blick hat. Das wäre das vermutlich das Aus für die Schiffslieferung – allerdings bleibt die Frage offen, ob das auch für das erste, fast fertige Kriegsschiff geht. Ein kurzer Überblick über die Situation:

Noch am vergangenen Montag, also schon nach dem fatalen Ende von Flug MH17, hatte Frankreichs Präsident Francois Hollande betont, dass man vielleicht über die Auslieferung des zweiten Schiffs reden könne, der gültige Vertrag für den ersten Hubschrauberträger aber eingehalten werden müsse:

French President Francois Hollande said he’s prepared to cancel the sale of a second Mistral helicopter carrier ship to Russia if the European Union decides to expand its sanctions against Russia.
The second ship, due in 2016, hasn’t yet been paid for, making it possible to withhold the sale if the EU agrees to broaden its measures on Russia, Hollande said yesterday at the annual presidential press dinner.
At the same time, sanctions can’t be retroactive and wouldn’t cover delivery of the Vladivostok, the first Mistral warship, which is already paid for and due for delivery in October, Hollande said.

berichtete  die Wirtschaftsagentur Bloomberg. Mit anderen Worten: Weil Russland bereits bezahlt hat, wird geliefert. Es geht um viel Geld für die französische Werft, um Arbeitsplätze, und die russischen Seeleute zum Training  sind schließlich auch schon eingetroffen, wie die New York Times nachsah:

But in few places is the trade-off quite as stark or direct as it is here. Like many shipbuilding centers, Saint-Nazaire has fallen on hard times. The unemployment rate is around 14 percent. In 2009, the main shipbuilder, STX France, put half the shipyard’s 2,500 employees on reduced hours, forcing them to take partial unemployment benefits.
In that kind of climate, the $1.6 billion deal signed in 2011 by President Nicolas Sarkozy to build two Mistral-class amphibious assault ships for Russia, and to train the Russians in operating them, was viewed here as a triumph. The Russian sailors are now in Saint-Nazaire to train on the first of the ships, the Vladivostok, which is scheduled for delivery in November. The second, the Sevastopol, is scheduled for delivery next year.

Ungeachtet formaler Sanktionen, Beschränkung von Rüstungsgütern oder nicht, hatten vor allem die USA schon seit Monaten Druck gemacht, die Lieferung zu stoppen. Aus Washington kamen auch Vorschläge, wie man das den Franzosen schmackhaft machen könnte. Zuletzt mit einem Schreiben aus dem Auswärtigen Ausschuss des US-Kongresses, wie es unter anderem an den deutschen Botschafter in der US-Hauptstadt ging. In dem Brief vom 8. Juli, der Augen geradeaus! vorliegt, schrieb Ranking Member Eliot Engel an Botschater Hans Peter Wittig unter anderem:

As members of the North Atlantic Treaty Organization (NATO), I know the United States and Germany share concerns about France’s plans to supply two advanced Mistral-class amphibious assault and helicopter carrier ships to the Russian federation this fall. As Russian troops continue to amass along the Eastern Ukraininan border, now is not the time to provide Vladimir Putin with amphibious warfare systems that could be use to further destabilize the region.
I, therefore, urge you to join me in calling upon France to cancel the sale of these ships to Russia, since they would enhance the very expeditionary capabilities Russia used to capture Crimea earlier this year. Instead, I believe NATO should collectively purchase odr lease these warships as a common naval asset, as this would send a strong signal to Vladimir Putin that NATO will not tolerate further aggression and avoid strengthening Russia’s ability to invade its neighbors, which (sic) compensating France for the value of the ships.

Einen entsprechenden Vorschlag hatten mehrere Kongressabgeordnete bereits Ende Mai an NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gerichtet, und auch eine Übernahme der Schiffe durch die EU war von verschiedenen Seiten angesprochen worden – allerdings schien es bislang nie eine spruchreife politische Initiative dafür zu geben.

Denn jenseits des reinen Kaufpreises von 1,2 Milliarden Euro für die beiden Kriegsschiffe folgt ja unausweichlich die Frage, wie der Betrieb finanziell sichergestellt werden kann. In der NATO ist das schon bei den AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeugen nach dem kürzlichen (ganz leisen) Ausstieg Kanadas ein erkanntes Problem – und die Allianz bastelt ja an einem zusätzlichen Bodenüberwachungssystem (Alliance Ground Surveillance System, AGS). Da wird man sich nicht gerade eine zusätzliche Kostenbelastung ins Haus holen.Auf europäischer Ebende wiederum gibt es bislang militärisch keine common assets, gemeinsam genutzte und betriebene Einrichtungen (auch das European Air Transport Command, EATC, in Eindhoven koordiniert die Flugzeuge der beteiligten Staaten, hat aber keine eigenen). Da wäre also ein völlig neuer Ansatz nötig.

Viel wird deshalb davon abhängen, in welche Richtung die EU-Beschlüsse zu weiteren Sanktionen gegen Russland gehen – und ob es eine Regelung für bereits laufende und bezahlte Verträge gibt. Dass es Druck auch für einen Stopp von Rüstungslieferungen gibt, gerade von Deutschland als Schwergewicht in der EU, hatte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am (gestrigen) Mittwoch im Namen der Bundeskanzlerin klar gemacht:

Die Bundeskanzlerin unterstützt deshalb nachdrücklich die Beschlüsse des gestrigen Treffens der EU-Außenminister. In den Schlussfolgerungen des Rates ist vorgesehen: Wenn Russland nicht unmittelbar und vollständig in den bekannten Punkten, welche sowohl die Gesamtentwicklung in der Ukraine als auch die konkrete Aufarbeitung des Flugzeugabsturzes betreffen, kooperiert, wird gemäß den vorherigen Weichenstellungen des Europäischen Rates ein substanzielles Aktionspaket zur Anwendung kommen. Die Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst wurden in diesem Zusammenhang gebeten, bis morgen, Donnerstag, Vorschläge zur Beschränkung des Kapitalmarktzugangs und in den Bereichen Rüstungsgüter, Dual-use-Güter und sensitive Technologien – also auch im Energiesektor – vorzulegen. Die Bundeskanzlerin hält rasche Beschlüsse hierzu für notwendig. Sie unterstützt nachdrücklich die Bemühungen der Außenminister, dazu eine Einigung zu erzielen. Auch der Europäische Rat stünde, wie er bereits in der vergangenen Woche bekräftigt hat, erforderlichenfalls für ein Sondertreffen bereit.

Allerdings, das habe ich heute morgen auch versucht im Deutschlandfunk deutlich zu machen: Die EU sollte nicht glauben, dass sich der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt von einem Waffenembargo beeindrucken ließe…

(Archvbild Mai 2013: During their final patrol with the EU’s counter piracy mission Operation Atalanta, the French Landing Helicopter Dock, FS Tonnerre and Destroyer FS Georges Leygues, rendezvoused at sea with the EU NAVFOR flagship, Portuguese Frigate Alvares Cabral – EUNAVFOR)