Rüstungsexporte: GroKo-Streit mit Meinung und Argumenten

(Screenshot ARD-Tagesschau 20 Uhr 25.08.2011)

Der Bundeswirtschaftsminister (und SPD-Vorsitzende) Sigmar Gabriel, der im Unterschied zu seinem FDP-Vorgänger seine Zuständigkeit für Rüstungsexporte gerne auch öffentlich deutlich macht, hatte es schon im Juni bei der Vorlage des aktuellen Rüstungsexportberichts angekündigt: Für ihn, sagte der Ressortchef, seien die Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen und Rüstungsgüter keine Frage der Wirtschafts-, sondern der Sicherheitspolitik. Und: Das Bundeswirtschaftsministerium würde auch dann keine Genehmigungen für zweifelhafte Geschäfte erteilen, wenn sie mit der Sicherung von Arbeits­plätzen gerechtfertigt werden. Dass diese Haltung in der großen Koalition mit CDU und vor allem der CSU aus dem Rüstungsindustrie-starken Bayern nicht ohne Widerspruch bleiben würde, dürfte Gabriel von Anfang an klar gewesen sein.

Die gegensätzlichen Positionen machten dann auch der SPD-Wirtschaftsminister und sein Koalitionspartner, der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, am (gestrigen) Sonntag in einer Art Interviewkrieg deutlich. Die grundlegenden Ansichten beider Seiten sind klar: Eher restriktiv, sagt der SPD-Politiker; es geht auch um Arbeitsplätze und industrielles Know-how in Deutschland, sagt der CSU-Politiker.

Mehr zu den Interviewaussagen der beiden weiter unten; erst mal müssen wir uns zur Argumentation noch ein Detail angucken. So griff Gabriel im ARD-Sommerinterview das nicht nur in seiner Partei verbreitete Argument zur Einschränkung deutscher Waffenexporte auf: Es dürfe nicht dazu kommen, dass eines Tages deutsche Soldaten einem Gegner gegenüber stünden, der aufgrund zu großzügiger Exportgenehmigungen mit Waffen aus deutscher Produktion ausgerüstet sei. Im O-Ton:

Und ich finde, eins geht nicht: Dass wir nicht aufpassen, Waffen liefern und ein paar Jahre später unsere Bundeswehrsoldaten in solche Regionen schicken, um das alles wieder zu befrieden. Die stehen dann deutschen Waffen gegenüber. So wie übrigens französische Soldaten deutschen Waffen in den Händen der Tuareg und der El Kaida jetzt gegenüberstehen.

Das hat mich ein wenig alarmiert. Denn von konkreten Meldungen, Soldaten des Verbündeten Frankreich seien durch exportierte deutsche Waffen bedroht, war mir bislang nichts bekannt, ich habe auch nichts finden können. Also habe ich am (heutigen) Montag in der Bundespressekonferenz nachgefragt – erst mal ohne Ergebnis, aber mit der Zusicherung, die Information werde aus dem Wirtschaftsministerium nachgeliefert.

Tatsächlich kam dann auch am Nachmittag was aus dem Ministerium. Nämlich der Hinweis auf Meldungen aus dem Jahr 2011, in denen von deutschen Waffen in Libyen die Rede ist.  Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung* vom 1. September 2011 Gaddafis Truppen schießen mit deutschen Waffen (übrigens eine Woche, nachdem ich die in Libyen aufgefallenen G36-Gewehre hier auf Augen geradeaus! erwähnt hatte, siehe screenshot oben) und eine Meldung von Spiegel Online Geplünderte Arsenale: Al-Qaida prahlt mit libyschen Waffen aus dem November 2011. Was in beiden Berichten nicht erwähnt wird: Irgendein Zusammenhang mit französischen Streitkräften.

Daraufhin hab‘ ich natürlich noch mal im Wirtschaftsministerium nachgefragt. Von den französischen Soldaten, die durch deutsche Waffen bedroht waren, ist dann gar nicht mehr so die Rede:

Minister Gabriel hat in seinem Interview die Risiken, die mit einer Verbreitung von Rüstungsgütern, insbesondere von Kleinwaffen, in Krisengebieten einhergehen können, verdeutlichen wollen. Die von uns übersandten Links führen zu entsprechender Berichterstattung, die diese Risiken im Hinblick auf Nordafrika veranschaulicht. Im Übrigen kann ich Ihnen keine weiteren Angaben machen.

Schade eigentlich. Denn wenn es seinen solchen Vorfall gab, hätte sicherlich nicht nur ich das gerne gewusst.

Aber jenseits des von Gabriel genannten Beispiels gibt es natürlich Gründe, restriktiv mit Rüstungsexporten umzugehen – und der Minister betont ja, dass er sich auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen bewegt. Die entsprechende Passage des ARD-Interviews im Zusammenhang:

Frage: Was halten Sie eigentlich von den Waffenlieferungen der Briten und der Franzosen an Putin – insbesondere die umstrittenen französischen Hubschrauber-Träger?
Antwort: Ja, ich finde das natürlich sozusagen keine vernünftige Lösung. Wenn wir genauso handeln würden, dann hätten wir den Gefechtsstand an die Russen geliefert, den wir nicht liefern, oder wo wir die Firma bitten, es nicht zu tun. Im Zweifel fände ich es in einer solchen Situation angemessen, dass die europäische Solidarität dazu beiträgt, dass die Firmen nicht sozusagen bankrottgehen oder ihre Aufträge verlieren; dann müssen wir dafür sorgen, dass Ersatzfinanzierungen dafür da sind.
Frage: Also, nicht mehr aus nationalen Kassen, sondern aus europäischen Kassen dann?
Antwort: Jedenfalls miteinander, wenn wir der Meinung sind: Man kann nicht in einer solchen Situation Waffen exportieren. Ich glaube, dass das eigentlich undenkbar ist. Ich finde es einen etwas schwierigen Kompromiss, zu sagen: Das gilt nur für die Zukunft. Wir haben das mit laufenden Verträgen genauso gemacht. Wir kontrollieren das. Und wir liefern nicht, selbst wenn die Verträge in der Vergangenheit abgeschlossen worden sind. Das hätte ich jetzt von Frankreich und England auch erwartet.
Frage: Ihre restriktive Rüstungspolitik, die sorgt ja hierzulande für Gegenwind. Sie kriegen einen Brief von 22 Betriebsräten, die Sie anschreiben: Lieber Sigmar. Und heute Kritik von CSU-Chef Horst Seehofer. Der sagt, Ihr Weg sei da falsch, ohne Konzeption und klaren Kompass. Das gibt ja Zündstoff in der Koalition, oder?
Antwort: Jetzt muss man mal auseinanderhalten: Also, ich persönlich verstehe die Arbeitnehmer sehr. Die haben Angst um ihren Job. Das sind übrigens zum Teil Familienunternehmen, wo die Familie oder die Unternehmer, sagen wir mal, auch stolz auf ihre lange Tradition sind. Und die haben jetzt Sorgen, dass sie in Schwierigkeiten kommen.
Auf der anderen Seite sage ich: Wenn ich der Logik Horst Seehofers folge, dass das Wirtschaftspolitik ist, dann müsste ich den Gefechtsstand jetzt nach Russland liefern. Das tun wir aber nicht, weil das Land sozusagen in eine Spannungssituation verwickelt ist. Und wofür ich plädiere, ist was ganz Einfaches: dass wir uns an die geltenden Gesetze und Richtlinien halten. Und die Welt um uns herum ist eben unsicherer geworden.
Und was die letzte Bundesregierung, auch Herr Seehofer, getan hat, war, den Unternehmen zu sagen: Ja, es tut uns leid. Wir können selber nicht mehr so viele Waffen bestellen. Und wir wollen die von euch übrigens auch günstiger haben. Also helfen wir euch dabei, eure Waffen auch in Gebiete zu liefern, wo nach dem Buchstaben der geltenden Rechtsvorschriften – da steht in Deutschland drin: In solche Länder darf gar nicht exportiert werden, es sei denn, die besonderen deutschen Sicherheitsinteressen ermöglichen eine Ausnahme -, und in der Vergangenheit haben insbesondere auch CDU/CSU und FDP aus der Ausnahme eine Regel gemacht.
Und ich finde, eins geht nicht: Dass wir nicht aufpassen, Waffen liefern und ein paar Jahre später unsere Bundeswehrsoldaten in solche Regionen schicken, um das alles wieder zu befrieden. Die stehen dann deutschen Waffen gegenüber. So wie übrigens französische Soldaten deutschen Waffen in den Händen der Tuareg und der El Kaida jetzt gegenüberstehen.
Ich finde, das ist im Kern kein Instrument der Wirtschaftspolitik. Das ist ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Und es ist, wenn man nicht aufpasst und nicht sehr vorsichtig ist, sehr schnell ein Geschäft mit dem Tod. Und ich glaube, das können wir uns alle nicht wünschen.
Aber die Interessen der Arbeitnehmer, der Unternehmen, die verstehe ich gut. Wir haben die jetzt alle nacheinander eingeladen. Wir reden mit der IG Metall. Was wir machen können, was es übrigens auch erfordert, dass mal zum Beispiel die Bundesverteidigungsministerin sagt: Was sind technologische Fähigkeiten, die wir in Deutschland behalten wollen? Aber dann müssen wir mit unseren europäischen Freunden dafür sorgen, dass die erhalten bleibt, und nicht sagen: Wir schicken solche Waffen – Kleinwaffen, Panzer, Angriffswaffen – in Länder, in denen Krieg und Bürgerkrieg drohen kann.

Alles nach Recht, Gesetz und geltenden Vorschriften – das sieht CSU-Chef Seehofer ganz anders. Im Interview der Welt am Sonntag*, ungefähr zeitgleich mit dem Gabriel Interview-veröffentlicht, hält er dagegen:

Wir bereiten als CSU für den Herbst eine große Debatte vor: Was ist deutsche Verantwortung in der Welt? Was sind deutsche Interessen? Welche Leitlinien soll es künftig für Rüstungsexporte geben? Ich halte es nicht für zielführend, wenn Sigmar Gabriel jetzt versucht, einfach auf dem Verwaltungsweg etwas zu verändern. Das ist ein Thema für die gesamte Koalition. Bei den Rüstungsexporten geht es natürlich um die Frage, ob sich zum Beispiel ein mögliches Empfängerland in der Wertegemeinschaft der Terrorbekämpfung befindet. Aber wir müssen auch unsere nationalen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen im Auge haben. Es hat ja keinen Sinn, etwas zu lassen, was dann andere machen. Bayern als Standort großer Rüstungsunternehmen hat da ein besonderes Interesse.

Der Wirtschaftsminister, so die Vorwürfe des bayrischen Regierungschefs, verschärfe die Probleme der Rüstungsindustrie, wenn/weil er ohne Konzeption und ohne klaren Kompass einen faktischen Exportstopp verhänge. Das gefährde nicht nur Arbeitsplätze – sondern Deutschland werde bei Waffen und Rüstungsgütern von anderen Staaten abhängig.

Einen Showdown zwischen den beiden Koalitionspartnern dürfte es allerdings erst nach der Sommerpause geben. Und ob es dazu kommt, wird ja nicht zuletzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel abhängen. Die hatte in ihrer großen Pressekonferenz vor der Sommerpause am 18. Juli schon mal versucht, die Wogen zu glätten:

Wir haben Richtlinien, nach denen wir über Rüstungsexporte entscheiden. Diese Richtlinien sind unverändert; zu denen steht jedes Mitglied des Bundessicherheitsrates. Damit gibt es schon eine ganz starke Einschränkung von Rüstungsexporten insgesamt. An die hält sich auch jeder.
(…)
Wie jeweils die Rüstungsexportrichtlinien im spezifischen Falle ausgelegt werden, darüber diskutieren wir im Bundessicherheitsrat. Da gibt es unterschiedliche Bewertungen. Das ist im Übrigen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch nicht neu. Das macht dann vielleicht auch die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen deutlich, die sich in dem, was zum Beispiel Bundesminister Gabriel sagt, durchaus andeuten. Aber das ist alles auf der gemeinsamen rechtlichen Basis.

Mit anderen Worten: Die Debatte bekommen wir erst noch.

Nachtrag 29. Juli: Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Georg Wilhelm Adamowitsch, im Deutschlandfunk-Interview: „Die Politik muss ihre Haltung klären“

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(Screenshot: Deutsches G36-Gewehr in Libyen, ARD-Tagesschau 20 Uhr 25.08.2011)