Alles russische Agenten. Wie im Kalten Krieg?

Ich bin, schon vom Alter her, ein Kind des Kalten Krieges, sozialisiert und aufgewachsen in einer Zeit der Blockkonfrontation. Deshalb erinnert mich die Warnung, die ich heute in der Welt* lese (und die von fast allen anderen Online-Medien aufgegriffen wurde), an die damaligen Zeiten:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt, dass der russische Auslandsgeheimdienst in Berlin verstärkt um Referenten und Mitarbeiter deutscher Politiker wirbt. Die Zielpersonen reagieren oft naiv.

Nun gehe ich davon aus, dass der Verfassungsschutz mit guten Gründen mit dieser Warnung via Welt an die Öffentlichkeit geht, und ich kann nur vermuten, dass dem auch entsprechende Erkenntnisse zu Grunde liegen. Allerdings lässt mich der Bericht aus zwei Gründen ein wenig frösteln.

Zum einen: Im Nachgang zur Verfassungsschutz-Warnung wird ein prominenter Historiker (und Putin-Bekannter), der sich öffentlich pro-russisch äußert, als Einflussagent Moskaus tituliert – wenn auch auf dem Umweg über Politikerzitate. Das im Zusammenhang mit den Verfassungsschutz-Äußerungen insinuiert, dass sich jemand, der sich öffentlich pro-russisch äußert, zumindest am Rande einer (strafrechtlich relevanten) Agententätigkeit bewegt. Jetzt ist es ein Wissenschaftler, und morgen vielleicht ein Publizist: Die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Meinungsäußerung kann so sehr schnell mit dem Totschlagargument Agent Moskaus plattgemacht werden. Das haben wir bislang nicht, und ich hoffe, es kommt auch nie so weit.

Zum anderen: Selbst der Verfassungsschutz sagt – laut Welt – ausdrücklich, dass die vermutlichen russischen Geheimdienstmitarbeiter sich offen als russische Staatsbedienstete zu erkennen geben. Eben nicht, wie zu Zeiten des Kalten Krieges, verdeckte Annhäherung. Und da erwarte ich ein wenig gesunden Menschenverstand – dass sich Abgeordnetenmitarbeiter, Wissenschaftler etc. klar darüber sind, was sie mit einem russischen Botschaftsangehörigen besprechen und was nicht. Zudem spricht es doch sehr gegen den von der Bundesregierung immer wieder geforderten Dialog auch mit der russischen Seite, jeglichen Dialog unter Geheimdienstverdacht zu stellen.

Konspirative Treffen mit Auslandsdiensten sind in der Bundesrepublik strafbar, warnen die Welt-Kollegen. Und stellen damit gleich jedes Gespräch eines Deutschen mit einem Mitarbeiter der russischen Botschaft unter strafrechtlichen Verdacht. Wenn man einen Dialog mit Russland auf verschiedenen Ebenen effektiv unterbinden will und Konfrontationsdenken befördern möchte: Das ist genau der richtige Weg dazu.

Unterm Strich: Alles, was nach Unterstützung für einen fremden Geheimdienst aussieht, kann in Deutschland strafrechtliche Relevanz haben – übrigens ist das nicht auf russische Geheimdienste beschränkt, sondern gilt für jede andere Nation auch (das wird aber meistens nicht erwähnt). Aber jedes Gespräch mit russischen Offiziellen in die Nähe des Landesverrats zu rücken: Das ist Blockdenken nach Art der 1980-er Jahre.

(Die zu diesem Thema aufgelaufenen Kommentare im Ukraine-Thread verschiebe ich hierher.)

* Deutsche Verlagswebseiten werden hier in der Regel nicht verlinkt; in diesem Fall mache ich angesichts der Bedeutung für die Debatte eine Ausnahme

(Foto: Russische Botschaft in Berlin – Flickr-User Christopher Heinz unter CC-BY-ND-Lizenz)