100 Tage IBUK von der Leyen: noch bisschen früh für eine Bilanz

Ursula von der Leyen

Eine neue Regierung, einen Minister oder eine Ministerin nach den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit in einer Bilanz zu beurteilen, ist inzwischen (ein vor allem medialer) Brauch. Und mit Erreichen dieser 100 Tage große Koalition und damit auch 100 Tage Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kann ich dem nicht ganz ausweichen, will es aber knapp machen: Bei der ersten Frau an der Spitze der deutschen Streitkräfte, der ersten Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBUK) im Frieden lässt sich vielleicht die, wie es neudeutsch heißt, öffentliche Performance bewerten. Ob und was sie erreicht hat: Dafür ist es, finde ich, noch ziemlich zu früh.

Schauen wir also auf die öffentliche Performance. Da hat Politprofi von der Leyen alle Register gezogen. Von der ersten Reise in einen Auslandseinsatz, nach Afghanistan am vierten Advent, wo sie die Richtung vorgab: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Von ihren medienwirksam verkündeten Entwürfen zur besseren Vereinbarkeit von (Militär)Dienst und Familie, für mehr Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr. Über die im Dreiklang mit Bundespräsident und Außenminister auf der Münchner Sicherheitskonferenz verkündete neue Marschrichtung, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. Und bis zum publikumswirksamen Rausschmiss des Staatssekretärs, der für Rüstungsprojekte zuständig war – gefolgt von der Ankündigung, dass bei diesem ganzen Beschaffungsprozess ein neuer Kurs ansteht. (Es gab auch noch einen vierten Punkt, auf den komme ich später.)

Für eine Bilanz eignet sich das alles (noch) nicht. Denn all das, womit von der Leyen in den vergangenen Monaten in der Öffentlichkeit und auch in der Truppe gepunktet hat, muss noch umgesetzt werden.

Das geht nicht innerhalb von Wochen, das wissen auch die Betroffenen, zum Beispiel die Soldaten mit Kindern, die auf eine bessere Betreuung ihres Nachwuchses angewiesen sind. Aber diese Soldaten erinnern sich auch, dass Vorgänger Thomas de Maizière im Jahr 2011 bei der Vorstellung der Neuausrichtung der Bundeswehr versprochen hatte, bis Ende jenes Jahres würden die meisten wissen, wo ihr künftiger Arbeitsplatz sei. Manche wussten es zwei Jahre später noch nicht – und das haben sie ihrem obersten Chef mehr übelgenommen als andere Probleme, die auf den Minister zurückfielen. Ob das Versprechen von mehr Attraktivität und besserer Familienvereinbarkeit eingelöst wird, darauf wird die Truppe schauen. Spätestens am Ende dieses Jahres.

Auch die Frage, wie sich mehr deutsche Verantwortung (Gleichgültigkeit ist keine Option) praktisch auswirkt, ist noch offen. Nicht nur, weil Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier das keinesfalls als Zusage für mehr militärisches Engagement verstanden wissen will. Sondern auch, weil zwischen einem hehren Anspruch und der Verwirklichung möglicherweise eine Lücke klafft – wenn angesichts von 2.000 Franzosen, 6.000 afrikanischen Soldaten und demnächst (mühsam zusammengekratzten) 1.000 Mann der Europäischen Union für die Zentralafrikanische Republik der deutsche Beitrag maximal ein Rettungsflieger und einige Stabssoldaten sind. Das hat nicht allein von der Leyen zu verantworten, weil da im Kabinett auch noch andere mitreden (und Entwicklungsminister Gerd Müller ohnehin der Meinung ist, Afrika gehöre in sein Ressort und nicht in militärische Überlegungen). Aber wie sich die Zusage aus München konkret auswirkt, bleibt offen.

Und die Organisation der Rüstung? Da gibt’s nach dem Abschied von Staatssekretär Stéphane Beemelmans und Rüstungsdirektor Detlef Selhausen noch keine handfesten Aussagen, übrigens noch nicht mal einen neuen Staatssekretär. Dafür aber inzwischen eine Ausschreibung für externe Beratung, mit der die Beschaffungsprozesse untersucht und irgendwann verbessert werden sollen. Das dauert allerdings auch eine Weile.

Strich drunter: Nein, nach 100 Tagen kann zumindest ich nicht wirklich sagen, wohin die Reise geht – zu viel hängt davon ab, was von den Ankündigungen wie und wann umgesetzt wird.

Und dann hat Medienprofi von der Leyen auch noch am vergangenen Wochenende, kurz vor Erreichen der 100 Tage, einen für sie ungewöhnlichen Fehler begangen: Was sie zum Thema Solidarität mit den osteuropäischen NATO-Verbündeten und zum Umgang mit Russland gesagt hat, hätte auch vom Außenminister kommen können – und wenig Aufsehen erregt. Doch gerade weil es von der Verteidigungsministerin kam, schlugen die Wellen hoch:  Aus ihrem Plädoyer für eine demonstrative Solidarität mit Estland, Lettland, Litauen, Polen und den anderen Bündnismitgliedern im Osten hörten einige selbst in der Koalition den Wunsch nach gen Osten rasselnden Panzerketten hinaus. Das hat sie vermutlich nicht so gemeint. Aber dass die Chefin einer Streitmacht anders wahrgenommen wird als der Chefdiplomat – das hätte sie einpreisen müssen.

Ähnliches gilt übrigens für die Überlegung, mal an die körperlichen Anforderungen an Soldaten heranzugehen. Kann man machen. Wie das in der Truppe ankommt? Siehe die Kommentare hier.

(Foto: von der Leyen am 28.01.2014 im Gefechtsübungszentrum des Heeres – © Thomas Trutschel/photothek.net)