Für eine attraktivere Bundeswehr: Debatte mit erster Ministerinnen-Rede im Bundestag

Im Bundestag beginnt jetzt die Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2012 – dieser Bericht liegt zwar schon seit etwa einem Jahr vor, ist aber 2013 im Parlament nicht debattiert werden. Da wird dann Ursula von der Leyen ihre erste Bundestagsrede als Verteidigungsministerin halten, und es dürfte das von ihr am vergangenen Wochenende prominent in die öffentliche Debatte eingebrachte Thema familienfreundlichere Bundeswehr und Erhöhung der Attraktivität eine große Rolle spielen.

Der Bericht selbst steht hier.

Ich versuche ein wenig, diesen Eintrag aktuell aus der laufenden Debatte zu ergänzen (wer Zeit hat und Zugang zu TV oder Internet, kann die Diskussion im Parlament ja live verfolgen).

Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus eröffnet die Debatte – es ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen er in dieser Funktion vor dem Plenum reden kann. Königshaus eröffnet seinen Beitrag mit Dank an den früheren Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Wünscht der neuen Ministerin viel Erfolg: „Sie können auf meine Unterstützung bauen, und ich hoffe auch auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.“

Königshaus berichtet über die Neuausrichtung der Bundeswehr im Jahr 2012 (!): Die Unklarheit der Soldaten über ihre persönliche Zukunft habe die Stimmung getrübt, „und das war auch im Folgejahr nicht besser“. Auch aus heutiger Sicht gelte: „Nachhaltig sind die Strukturen aus meiner Sicht immer noch nicht.“
Entlastungen bei den Einsätzen seien nicht zu erwarten, im Gegenteil. Bundeswehr wird den Bedarf gerade bei Spezialverwendungen anpassen müssen – oder den Umfang der Einsätze begrenzen. Das fast schon routinemäßige Angebot von Lufttransport berücksichtige nicht, wie gering die Reserven seien.
Zentrale Frage sei die Attraktivität der Streitkräfte. Vereinbarkeit von Familie und Dienst sei der Schlüssel für die Attraktivität – und das ist eine Schlüsselfrage: Ohne Attraktivität gibt’s keinen Nachwuchs.
Die gesellschaftliche Entwicklung im sozialen Bereich in der Gesellschaft müsse auch in der Truppe nachgeholt werden.

Als nächste Rednerin ist Verteidigungsministerin von der Leyen an der Reihe.
An Königshaus: „Sie haben nicht nur Verbesserungsvorschläge, wofür ich danke, sondern Sie erkennen auch an, wenn es Verbesserungen gegeben hat.“ Diesen „Klaren Ansatz begrüße ich ausdrücklich“.
Vorgänger de Maizière habe der Neuausrichtung Ordnung und Struktur gegeben. An den grundlegenden Entscheidungen halte sie fest: „Sie ist gut, die Reform.“ Aber „selbstverständlich wollen wir eine lernende Organisation bleiben“, die Lage der Bundeswehr in NATO und EU verändere sich. „Wir müssen uns ehrlich machen“, wie wir Fähigkeiten erhalten bei sinkenden Verteidigungsbudgets.
Internationale Einsätze: Nach Auslaufen von ISAF werde der Einsatz daran gemessen, wie es gelinge, aus dem Land herauszugehen.
„Unser Kernauftrag ist die Verteidigung“, das werden inzwischen global verstanden, „aber das Bedarf immer wieder der Begründung“. Die Antwort auf die Sinnfrage sei für Soldaten mindestens ebenso wichtig wie eine gute Ausrüstung und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Alle drei Punkte seien gleich wichtig.
Gerade weil Soldaten eine besondere Aufgabe haben, „müssen die Rahmenbedingungen besser sein“. Gilt zum Beispiel für angepasste Kinderbetreuung, eine moderne Arbeitszeitregelung – „das muss nicht unbedingt mit mehr Kosten verbunden sein“. Die häufigen Versetzungen, „wenn nicht eine steile Karriere dahinter steht“, auf Notwendigkeit überprüfen.
„Das sind Fragen ganz moderner Unternehmensführung“. Die Bundeswehr ist „auch ein global agierender Konzern“, mit Auslandsstandorten, Luftfahrtunternehmen, Reederei, Krankenhausverbund, Logistikunternehmen, Schulen und Hochschulen. „Wir verlangen viel, deshalb brauchen wir auch den besten Nachwuchs, und wir brauchen die besten Bedingungen für die, die schon bei uns sind.“
In dieser Woche beginnt eine systematische Bestandanalyse: Was gibt es schon, wo ist der Bedarf am größten?
„Man wird Geld in die Hand nehmen müssen“, zum Beispiel bei Kinderbetreuung. Aber die Frage der Versetzungen ist nicht von vornherein eine Frage von mehr Geld.

Auf die Ministerin reagiert die Opposition – Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion:

Von der Leyen mache einen unlösbaren Widerspruch auf: „Eine Armee im Einsatz und Familienfreundlichkeit sind unvereinbar.“ Die Ministerin habe im Interview gesagt, dass auf vier Monate Einsatz 20 Monate Regeneration folgten – das entspreche nicht der Wirklichkeit, wie auch der Wehrbeauftragte belege.
„Die Armee im Einsatz zerstört Familien – in Einsatzgebieten wie in Afghanistan, aber auch in Deutschland.“
Die Ministerin solle nicht so tun, als habe die Versetzungswelle nicht mit dem Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee zu tun. Alles werde dem Einsatz untergeordnet.
„Je mehr Einsätze die Bundeswehr durchführt, desto mehr junge Menschen kommen seelisch versehrt zurück.“ Es gehe nicht um den Menschen, sondern um seine psychische Fitness für den Einsatz – „und das ist zynisch“. Sie zitiert den Veteranen (und Blogger) Daniel Lücking: Die Kosten dafür trügen die Sozialkassen.
Die Lage in Afghanistan entspanne sich nicht – im Gegenteil. Der Einsatz fordere immer mehr Tote unter den Afghanen, und die NATO werde angesichts des Vorgehens unter anderem amerikaner Soldaten immer mehr als Gegner angesehen, und damit auch die Bundeswehr.
Buchholz bringt Drohnen in die Debatte ein: Der Einsatz von „Spionagedrohnen“ und von „Kampfdrohnen“ im Kampf gegen den Terror sei nicht voneinander zu trennen.
Abschließend: „Wir brauchen keine Armee im Einsatz.“

Nächster Redner: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold:

Wer den Bericht des Wehrbeauftragten lese oder die Medienberichte, könnte zu dem Eindruck kommen, in der Bundeswehr gehe es drunter und drüber – „dem ist nicht so“. Die meisten arbeiteten gut.
Der Wehrbeauftragte habe übrigens den Auftrag, Sensor zu sein – nicht so sehr, Hinweise auf neue Waffensysteme zu geben, sagt Arnold, während Königshaus gequält grinst.Arnold sichert der Ministerin die Unterstützung der SPD zu. Verweist aber auch darauf, dass zum Thema Attraktivität oder Vereinbarkeit von Dienst und Familie schon etliches Material im Verteidigungsministerium vorliegen: „Es ist alles schon aufgeschrieben und wird eigentlich von den Soldaten erwartet.“
Es gehe dabei nicht nur um Nachwuchswerbung, „es geht um das innere Gefüge in den Streitkräften.“ Nur wenn sie ihr Privatleben planen könnten, könnten sie auch Staatsbürger in Uniform sein.
„Sie sind unbefangen als neue Ministerin, so habe ich das empfunden, an die Themen herangegangen.“ Sie sollten die Chance nutzen, die Reform zu evaluieren: Mängel bei der Personalausstattung, Versetzungen, Standortschließungen, die kein Geld sparen und am Ende noch mehr Kosten generieren. Wo es neue Erkenntnisse gebe, sollten wir alle die Kraft haben, die Reform auch nachzusteuern. Nötig seien z.B. regionale Personalplanungsmodelle.
Soldat ist kein Beruf wie jeder andere – der entscheidende Unterschied: Dass er ins Ausland kommandiert werden kann, im deutschen Interesse. Da wird eine hohe persönliche Verantwortung erwartet. „Die Qualität der Streikträfte hängt nicht in erster Linie an neuen und teuren Waffensystemen“… sondern es hängt daran, dass wir „die klugen und guten Menschen“ für diesen Beruf interessieren.

Agniezska Brugger, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen:

Vereinbarkeit von Familie und Dienst, Kinderbetreuung etc  wurde als Thema zu lange belächelt. Angesichts des demographischen Wandels müssen wir besonders darauf achten, wer sich mit welcher Motiviation für die Bundeswehr entscheidet. Bei der Entscheidung für oder gegen die Streitkräfte ist die Vereinbarkeit mit der Familie „ein unheimlich wichtiges Kriterium“.
„Aber mit dem Anstoß einer Debatte ist es natürlich noch lange nicht getan.“ Jetzt müssen den Worten auch Taten folgen, denn die Vereinbarkeit gibt es nicht umsonst – dazu haben wir noch nichts gehört. Das wird Geld kosten, und die Ministerin muss offen legen, an welchen anderen Stellen des Haushalts dafür gespart werden soll.
Von der Leyen hat in früheren Ämtern schon Erwartungen geweckt, die dann schnell wieder einkassiert wurden.
Und sehr überrascht, dass die neue Ministerin bislang nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angesprochen hat. Es gibt auch andere verteidigungspolitische Fragen: Zukunft der Einsätze, Entwicklung in Afghanistan, Entwicklungen in Afrika, wie weiter mit der Rüstungspolitik? „All das sind Baustellen, die Sie jetzt schnell anpacken müssen.“

Für die Unionsfraktion: Anita Schäfer von der CDU

Der Koalitionsvertrag steht für Kontinuität bei der Reform der Bundeswehr.
Besonders froh über den Einsatz der Jugendoffiziere; halte es für selbstverständlich, dass sie auch weiterhin ihre Arbeit an Schulen und Hochschulen leisten.
Wichtig für die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft ist auch die Präsenz in der Fläche und die Beibehaltung einer Truppenstärke von 185.000 Mann.
Attraktivitätsprogramm der früheren Bundesregierung für die Bundeswehr  – Einführung von Teilzeit- und Telearbeit, Kinderbetreung an Standorten etc. – hat gute Vorarbeiten geleistet. Das Problem der Versetzungen haben wir Parlamentarier schon vor drei Jahren erörtert; der Ministerin dankbar, dass sie das aufgegriffen hat. „Ich würde mich freuen, wenn noch weitere Themen aufgegriffen würden“, die wir in einer Arbeitsgruppe damals behandelt haben.
„Auftrag der Bundeswehr ist die Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes im Bündnis“, Attraktivität und Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist kein Selbstzweck. Im Koalitionsvertrag steht Beratung über Kampfdrohnen – die Debatte muss zu einer klaren Entscheidung führen: Dürfen wir unseren Soldaten das Mehr an Sicherheit verweigern?
Aber die entscheidenden Schlachten werden im Haushaltsausschuss geschlagen, wenn es um die Finanzierung geht.

Nach dieser ersten Debattenrunde beende ich mein Liveblogging von dieser Diskussion im Parlament. Wenn das Bundestags-Protokoll der Debatte vorliegt, verlinke ich es hier.