Kabul & RC North: Rundblick Afghanistan

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Was so aktuell in Afghanistan passiert, lohnt einen Rundblick am Sonntag: Die Loya Jirga, die Große Ratsversammlung, hat das Sicherheitsabkommen mit den USA gebilligt (wenn auch mit ein paar Auflagen) – aber Präsident Hamid Karzai lässt weiterhin offen, wie schnell er dieses Bilateral Security Agreement auch unterzeichnen will. Aus dem Norden des Landes gibt es gemischte Nachrichten: Vor ein paar Tagen hat der (deutsche) Regionalkommandeur Nord die Sicherheitslage gelobt; heute kommt die Meldung, dass ein früherer Mitarbeiter der Bundeswehr in Kundus vermutlich von Aufständischen getötet wurde.

Die Beratungen der Loya Jirga in Kabul über das Sicherheitsabkommen liefen dann doch glatter als geplant – und entgegen den Erwartungen davor spielte die von den USA geforderte Immunität ihrer Truppen bei einer weiteren Stationierung am Hindukusch offensichtlich nicht die große Rolle. Dafür das Verlangen der Afghanen, dass die amerikanischen Truppen nicht mehr ohne afghanische Zustimmung (und Begleitung?) in afghanische Häuser eindringen. Am Ende billigte die Ratsversammlung das Dokument. Und dennoch bleibt unklar, wann und wie es in Kraft treten kann. Aus dem Bericht des afghanischen Senders TOLO News:

Afghan tribal elites concluded a four-day Loya Jirga on Sunday, endorsing the Bilateral Security Agreement (BSA) with the United States, which allows a residual US troops to remain in Afghanistan beyond 2014.
A unanimous majority of 2,500-member Jirga called on President Hamid Karzai to sign the document by the end of this year. But, the Afghan president laid out three pre-conditions before signing the security pact: transparent elections in April 2014, no raids on Afghan homes and a breakthrough in talks with the Taliban.

Eine detaillierte Live-Berichterstattung über die Loya Jirga gab es auf dem Twitter-Account Loya Jirga 2013Aber auch nach mehrmaligem Lesen bleibt für mich die Frage offen: Beabsichtigt Karzai tatsächlich, das formale Inkraftsetzen dieses Abkommens bis ins kommende Frühjahr zu verschieben? Und was bedeutet das für andere Nationen wie Deutschland, die ebenfalls bilaterale Abkommen mit Afghanistan schließen wollen und müssen, wenn es nach dem Auslaufen der ISAF-Mission Ende 2014 eine Fortsetzung ausländischer Truppenpräsenz geben soll?

( Die Stimme Russlands hat übrigens die schärfste Übersetzung für Loya Jirga gefunden: Seniorenkonvent.)

(Nachtrag: Das Afghanistan Analysts Network zum letzten Tag der Loya Jirga: A Yes, a Maybe and a Threat of Migration: The BSA loya jirga’s last day)

Aus Nordafghanistam kam unterdessen eine schlechte Nachricht, zuerst von der ARD:

Im nordafghanischen Kundus ist ein ehemaliger Mitarbeiter der Bundeswehr ermordet worden. Die Täter hatten den jungen Mann offenbar am Freitag entführt. Nach Informationen des ARD-Studios Südasien wurde der Leichnam des Mannes am Wochenende gefunden. Die Polizei in Kundus bestätigte den Vorfall.
Ob die Taliban hinter der Tat stecken, ist noch unklar. Anscheinend hatte der junge Mann allerdings einen Drohbrief und Anrufe der Extremisten erhalten, in denen sie ihm mit dem Tod gedroht hatten.

Der Mann soll laut ARD auf der Liste derjenigen gestanden haben, denen die Bundesregierung eine Ausreise nach Deutschland angeboten hatte. Korrespondent Gabor Halasz hat die Informationen auf seinem Twitter-Account noch ergänzt:

Der Übersetzer hatte zuvor einen Drohbrief der Taliban erhalten. Er war einer der 180 Ortskräfte, denen die Ausreise angeboten worden war.
Sorge wächst jeden Tag, sagen andere Ex-BW-Übersetzer in Kundus. Auf Liste der Deutschen zu stehen, heißt nicht, schnell ausreisen zu dürfen.
Ein anderer Übersetzer aus Kundus schreibt mir: Ich bin so traurig. Was nützt die Liste der Deutschen, wenn die Ausreise so lange dauert.

 

Die Deutsche Presse-Agentur (Link nur über Zeitungswebseiten; aus bekannten Gründen hier nicht) gab den Namen des Getöteten mit Dschawad Wafa an und zitierte einen anderen früheren Bundeswehr-Übersetzer in Kundus mit den Worten: Wafa wurde wegen seiner Zusammenarbeit mit dem deutschen Militär mehrfach in Telefonanrufen von Unbekannten mit dem Tode bedroht. Sie warfen ihm Spionage vor. Er ging davon aus, dass die, die ihn bedrohten, Taliban waren, auch wenn sie das nicht kategorisch sagten.

Der deutsche Regionalkommandeur im Norden, Jörg Vollmer, hatte vor ein paar Tagen eine grundsätzlich positive Bilanz der Sicherheitslage gezogen:

 (Foto: Loya Jirga – Foto von Martin Jäger, deutscher Botschafter in Afghanistan, via Twitter)