EuroHawk: Bisschen Dokumentation scheint nötig

EuroHawk beim Hersteller, 2009 - Northrop Grumman Pressefoto

Das Debakel um das gestoppte Projekt EuroHawk, die Riesendrohne der Bundeswehr, ist natürlich in diesen Tagen ein mediales Top-Thema. Da kann man schon mal den Überblick verlieren, welche Fakten schon bekannt und veröffentlicht wurden, was wirklich neu ist und was tatsächlich ein Aufreger (oder eben nur ein scheinbarer) bei dieser Beschaffung ist. Ein wenig Dokumentation scheint nötig.

Zum Beispiel beim Kabinettsbeschluss vom 8. Mai dieses Jahres. Da beschloss die Bundesregierung den Bericht zum Stand der Neuausrichtung der Bundeswehr, über den noch am gleichen Tag sowohl die Bundesregierung als auch das Verteidigungsministerium berichteten, der hier zum Download bereitsteht und hier bei Augen geradeaus! zu heftigen Diskussionen führte. Und in der Tat, da taucht der EuroHawk auf, genau ein Mal, nämlich in der Liste der Strukturrelevanten Hauptwaffensysteme, auf S. 24:

 

Was es bedeutet, dass der Verteidigungsminister dem Kabinett eine Woche vor Stopp des Projekts diese Liste vorgelegt hat, ist in der Tat eine politische Frage. Allerdings kann man kaum, wie die Kollegen der Tagesschau, das als bislang geheim gehaltene Neuigkeit verkaufen: Und es werden neue Informationen bekannt: Laut ARD-Hauptstadtstudio legte er dem Kabinett noch am 8. Mai einen Bericht vor, in dem von einem – so wörtlich – strukturrelevanten Hauptwaffensystem“ die Rede war.

Nun gut. Man kann ja nicht alles im Blick haben, was schon zum Thema EuroHawk geschrieben wurde. Damit das ein bisschen einfacher wird, hier noch ein bisschen weitere Informationen zu den bereits bekannten Fakten:

Den Zeitablauf des Projekts EuroHawk haben die Kollegen vom US-Fachblatt Defense Industry Daily zusammengestellt –  vom November 2003 bis zum Stopp im Mai 2013:

RQ-4 EURO HAWK UAV: Death by Certification

Der Brandbrief des Bundesrechungshofs zu dem Projekt vom Sommer 2012 wird hier ausführlich zitiert:

Breitseite vom Bundesrechnungshof gegen Geheimniskrämerei im Ministerium

Zu den Kosten, die nach Dezember 2011 anfielen, also nach Bekanntwerden der Probleme im BMVg (nach deren eigenen Angaben):

Auch nach Zweifel an Zulassung kostete EuroHawk 100 Mio. Euro

Ein Papier von einer Tagung der internationalen Luftfahrtorganisation ICAO im November 2012 müsste man auch mal richtig auswerten – die Kenner wissen bestimmt, wer Deutschland bei so einer ICAO-Konferenz vertritt (das Verkehrsministerium?). Da steht als Fazit:

The central conclusion from our national safety case that allowed the integration of the Euro Hawk into Class C airspace is that – due to the general provision of ATC separation within this airspace – the lack of an additional detect-and-avoid capability was deemed acceptable.

 GERMAN ACTIVITIES RELATED TO REMOTELY PILOTED AIRCRAFT SYSTEMS (RPAS)

Die Luftwaffe hat im September 2011 ein längeres Stück zum EuroHawk und zu anderen Drohnen der Bundeswehr veröffentlicht, unter dem Titel Der EuroHawk ist da – eine Bestandsaufnahme. Bei diesen Webseiten weiß man nie, wie lange sie Bestand haben, deshalb unter dem Screenshot der Worlaut zur Dokumentation:


Der Euro Hawk ist da – eine Bestandsaufnahme
Manching, 21.07.2011.

Mit dem Non-Stop-Überführungsflug des Euro Hawks wird der Bundeswehr ein Waffensystem in Aussicht gestellt, das nicht nur neue militärische Fähigkeiten ermöglicht, sondern gleich mehrfach für Aufsehen sorgt: Das erste UAS in Deutschland, im deutschen Luftraum. Am 20. Juli gegen Mittag auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien gestartet, ist der Euro Hawk am 21.07.2011 gegen 10:08 Uhr morgens in Manching sicher gelandet.

Wenn gleich mehrere Anlässe für eine Berichterstattung anliegen, so ist es nur konsequent, dass – betreffend der unbemannten fliegenden Systeme (UAS) und ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten – im mehrdeutigen Sinne „Aufklärungsbedarf“ besteht.
UAV, UAS und RPA – der Versuch einer Annäherung
Die Luftwaffe benutzt mittlerweile den Begriff „UAV“ immer weniger, da er in einer Bandbreite zwischen Drohne und Satellitenaufklärung auch für Fesselballone wie bewaffnete unbemannte Luftfahrzeuge (Lfz) steht, welche die Luftwaffe selbst nicht unterhält. Die Bezeichnung UAV definiert auch nicht, dass es sich bei den betreffenden Luftfahrzeugen in der Regel um ein Gesamtsystem handelt: Luftfahrzeug und Bodengeräte werden aber häufig „als ein Paket“, ein Ganzes aus Technik, Organisation sowie Kräfteansatz für Personal angeboten. Genau das umschreibt das Gesamt-System mit dem Kürzel „Unmanned Aircraft System“ UAS, weswegen sich die Luftwaffe entschieden hat, das Kürzel „Unmanned Aircraft Vehicle“ UAV möglichst nicht zu verwenden, sondern UAS für das Gesamtsystem (Unmanned Aircraft System) oder RPA (Remotly Piloted Aircraft), wenn nur das unbemannte, ferngesteuerte Luftfahrzeug gemeint ist. Im Focus steht hier der Einsatz des „Remotly Piloted Aircraft“ RPAHeron 1 und des „Remotly Piloted Aircraft RPA Euro Hawk bei der Luftwaffe.
Allein unterwegs – wirklich allein?
Das „Remotly Piloted Aircraft“ ist zwar kein bemanntes Luftfahrzeug, aber dennoch wird es von einem Piloten gesteuert, der dazu eigens eine Militärluftfahrzeugführerberechtigung erwerben muss. Nur sitzt dieser Luftfahrzeugführer nicht im Cockpit, sondern unter Umständen hundert bis tausende Kilometer entfernt an einer Steuerkonsole, mit welcher er das Luftfahrzeug genauso sicher führen kann wie der Pilot im Cockpit eines Kampfflugzeuges oder einer zivilen Passagiermaschine: Technik und Möglichkeiten sind im Prinzip die gleichen, da der Pilot des Remotly Piloted Aircraft über eine nicht störbare Internetverbindung die gleichen Instrumentendaten vor sich hat wie der Pilot im Cockpit eines Jets. Die Überführung und der erfolgreiche Einsatz der Zwischenlösung Heron 1 über Afghanistan zeigen, dass eigentlich kein Grund zur Besorgnis besteht: Absprachen müssen zuvor getroffen werden, so dass die jeweilige regionale Flugsicherung immer im Bilde ist, dass das neue Luftfahrzeug auf ihrem Monitor nicht bemannt ist. Und wenn diesbezügliche Vereinbarungen der Flugsicherheit auch beim US-amerikanischen „Global Hawk“ oder „Predator“ funktionieren, dann sollte dies auch für die deutschen UAS im Luftraum über Europa und nach/über Afghanistan keine Außergewöhnlichkeit, sondern lediglich ein Novum darstellen. Die Luftwaffe hat zur Feststellung der Auswirkungen der Integration des Euro Hawks in die bestehende Luftraumstruktur und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Flugsicherung, den zuständigen Ministerien sowie der Industrie eine DIN- und EU-verordnungskonforme Sicherheitsbewertung erstellt: Die Nutzung des Euro Hawk im deutschen wie europäischen Luftraum ist insbesondere durch die genaue Risikoanalyse und die erarbeitete Sicherheitskonzeption genauso sicher wie bei einem bemannten Luftfahrzeug.
HALE und MALE
Räumlich zwischen Satelliten einerseits und Drohnen andererseits liegen die „echten“ UAS, die „High Altitude, Long-Endurance“ (HALE) und „Medium Altitude, Long-Endurance“ (MALE). Zur Abgrenzung und im Gegensatz zur Drohne benötigen diese eine reguläre Start- und Landebahn, da es sich hier tatsächlich um „Luft-Fahrzeuge“ handelt, die eine gewisse Distanz benötigen, um mit Hilfe ihres mechanischen Antriebs die Schwerkraft zu überwinden. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Drohnen zeitlich und räumlich deutlich begrenzter ist als derjenige eines UAS. Das Akronym MALE steht für „Medium Altitude, Long-Endurance“ und bezeichnet eine bestimmte Klasse von UAS, die in mittlerer Flughöhe operieren und dabei etwa 24 Stunden kontinuierliche Flugdauer (teilweise auch mehr) erreichen, während die nächst größere Klasse der HALE UAS („High Altitude, Long-Endurance“) in einer deutlich größeren Flughöhe (16 bis 20 Kilometer und mehr) ihren Dienst verrichten und dabei eine noch größere Reichweite vorweisen können – sogar länger fliegen, als alle zivilen Luftfahrzeuge, wenn es zum Vergleich kommt. Wenn man den Herstellerangaben der Firma Northrop Grumman Glauben schenken darf, dann hat bereits der Erprobungsträger (Full Scale Demonstrator / FSK) des Euro Hawks Einsätze mit über 30 Stunden Flugdauer geleistet – wohlgemerkt bereits im Erprobungsstadium!
Der Euro Hawk
Der Euro Hawk – in seiner Funktion als HALE UAS für die Luftwaffe – hat dabei einen strategischen, weiträumig angelegten Einsatzzweck: Er ist der Träger des sogenannten „Systems der Signalerfassenden Luftgestützten Weiträumigen Überwachung und Aufklärung – kurz: „SLWÜA“ – und damit eine Plattform aller elektromagnetisch erfassbaren Daten in einem zugewiesenen Aufklärungsraum. Plakativ ausgedrückt: Der Euro Hawk ist das „Ohr der Truppe“, weil er sich auf jede, noch so kleine Funk-Nachricht entlang seiner programmierten Flugroute aufschalten kann. Der Pilot/Operateur kann aber auch jederzeit die Flugroute ändern, sollte das aufgenommene Signal aus dem Bereich Fernmelde- und Elektronischer Aufklärung von militärischem Interesse sein. Falls der Kontakt zum HALE abbrechen sollte, kehrt das Luftfahrzeug entlang einer vorprogrammierten Flugroute automatisch zurück. Da der Euro Hawk mit Hinblick auf seine Ausmaße die Größe einer Boeing 737 erreicht, ist es auch schon aus Gründen der Flugsicherheit geboten, eine diesbezügliche Sicherung eingebaut zu haben: Immerhin hat die fliegende Aufklärungsplattform betankt fast 8 Tonnen Treibstoff an Bord – die sie auch braucht, um einen Aufklärungsauftrag mit einer Reichweite von fast 23.000 Kilometern auszuführen.
SLWÜA und SAATEG
Ein MALE UAS wie die Zwischenlösung Heron 1 dagegen dient aufgrund der nicht ganz so hohen Flughöhe und der nicht strategisch ausgelegten Reichweite in erster Linie als taktische Plattform, die in der Nähe eines vorgegebenen Einsatzraumes aufsteigt, um Stunden lang über diesem seine Kreise zu ziehen. Das RPA erfüllt damit eine sehr wichtige Aufgabe für die Truppe: So hat der Heron 1 schon über 27 Stunden am Stück feindliche Truppenbewegungen über dem Einsatzkorridor bildlich verfolgen können, ist quasi das „Auge der Truppe im Einsatz“. Das UAS besteht in diesem Fall aus drei Luftfahrzeugen nebst Bodensegmenten und hat im Einsatzland bereits knapp 5000 Flugstunden erfolgreich absolviert. Die bezeichnete Leistung dieses Einsatzverfahren unter der Abkürzung „SAATEG“ (System zur abbildenden Aufklärung in der Tiefe des Einsatzgebietes) kommt direkt dem Schutz unserer Soldaten in Afghanistan zu Gute und hat daher zur Zeit auch hohe Priorität. Allerdings könnte diese abbildende Aufklärung auch beispielsweise der US-amerikanische Global Hawk leisten, der in seiner technischen Ausführung Pate für den Euro Hawk („System der Signalerfassenden Luftgestützten Weiträumigen Überwachung und Aufklärung“ SLWÜA) stand. Im Rahmen einer „nationalen Beistellung“ wird die Luftwaffe langfristig noch vier weitere UAS für die abbildende Aufklärung im Rahmen der internationalen „Alliance Ground Surveillance“ AGS Core für die NATO beschaffen – derzeitiger Planungsstand.
Diversifizierter Nachrichtengewinn – heute wie morgen
Während der Euro Hawk langfristig von der Luftwaffe übernommen wird – neben den bewährten Aufklärungstornados -, ist eine Entscheidung zur Übernahme eines MALE-Systems noch offen. Zwar ist der Heron 1 bereits im Einsatz, doch konkret wurde er von der Firma Rheinmetall Defence nur ausgeliehen (daher „Zwischenlösung“), um einen Sofortbedarf zum Schutz der Soldaten im Einsatz schnellstmöglich zu decken. Die Videos des RPA Heron 1, das in mehreren Kilometern Höhe nahezu lautlos seine Kreise zieht, werden von Soldaten aus dem Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“ (AG 51 „I“) ausgewertet. Die Ära Euro Hawk ist derweil auch längst angelaufen: Sowohl Techniker, als auch Bediener des Euro Hawks, Piloten wie Payloadoperateure, sind seitens AG 51 „I“ ausgebildet. Wenn die Erprobung des Euro Hawks in der WTD 61 in Manching abgeschlossen wird, findet der Euro Hawk ab Frühsommer 2012 beim AG 51 „I“ in Jagel sein bereits „fertiges Nest vor“, da die entsprechenden Hallen für das Aufklärungssystem schon aufgezogen wurden.
Fazit

Mit der Beschaffung der HALE- und MALE-Systeme hat sich die Luftwaffe gut für die Zukunft aufgestellt. Das daraus resultierende Fähigkeitsspektrum erweitert sich auf neue operative Möglichkeiten im Einsatz: Der weitgehende Schutz der Soldaten durch flächendeckende und zeitnahe Information ermöglicht es, neue Strategien im Kampf zu erproben. Auch die strategisch ausgerichtete Nachrichtengewinnung der Bundeswehr wird von den neuen Möglichkeiten der Fernmelde- und elektronischen Aufklärung profitieren. Als Dienstleister für die gesamte Bundeswehr kann die Luftwaffe dann für den jeweiligen Bedarf in der Aufklärung und Nachrichtengewinnung auf verschiedenartige Aufklärungssysteme zurückgreifen, deren Leistungsfähigkeit bereits nach wenigen Monaten in der Erprobung (Euro Hawk auf der Edwards Air Force Base), respektive im Einsatz (Heron 1, US Global Hawk) offenkundig ist.

Stand vom: 21.09.11 | Autor: Norbert Thomas