Deutschland verdoppelt Export von Kleinwaffen – aber wohin?

Der Begriff Kleinwaffen ist ein Euphemismus. Mit diesen Handfeuerwaffen, vor allem (Sturm)Gewehren, werden nach den meisten Übersichten vor allem der Vereinten Nationen in Konflikten weltweit die meisten Menschen getötet – mehr jedenfalls als mit den gefährlicher erscheinenden großen Waffensystemen wie Artilleriegeschützen oder Kampfflugzeugen. Und Gewehre aus deutscher Produktion tauchen bisweilen dort auf, wo sie nicht vermutet werden und offiziell gar nicht sein dürften – siehe obigen Screenshot von einem Bericht der Tagesschau aus Libyen im August 2011.

Deshalb lässt aufhorchen, was das Bundeswirtschaftsministerium dem Linkspartei-Abgeordneten Jan van Aken auf eine schriftliche Frage an die Bundesregierung mitteilte (zuerst darüber berichtet hatte die Süddeutsche Zeitung, Link aus bekannten Gründen nicht):

Nach vorläufiger Auswertung wurden im Jahr 2012 Genehmigungen für Ausfuhren von Kleinwaffen und Kleinwaffenteilen aus Deutschland im Gesamtwert von 76,15 Mio. Euro und für Ausfuhren von Kleinwaffenmunition aus Deutschland im Gesamtwert von 18,04 Mio. Euro erteilt.

Das ist deutlich mehr als die 37,90 Millionen Euro, die die Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Kleinwaffen laut Rüstungsexportbericht 2011 in jenem Jahr ausmachten. Der kleine Schönheitsfehler in der Antwort an den Abgeordneten: an welche Länder der Export genehmigt wurde, mochte das Wirtschaftsministerium (noch) nicht mitteilen. Eine vollständige Auswertung wird im Rahmen des Rüstungsexportberichts 2012 erfolgen, schrieb Staatssekretärin Anne Ruth Herkes. Und der Rüstungsexportbericht 2012 kommt irgendwann gegen Ende des Jahres 2013.

Ob die Steigerung der Kleinwaffen-Exportgenehmigungen vielleicht einfach nur mehr Lieferungen an NATO-Partnerländer bedeutet oder aber eine Aufrüstung doch etwas problematischer Staaten, muss deshalb vorerst offen bleiben. Immerhin waren im Rüstungsexportbericht für 2011 als wichtigste Empfängerländer von Militärgütern zwei recht unproblematische Länder genannt: Die Niederlande und die USA.

Die Staaten des Nahen Ostens, auf die die Anfrage van Akens in erster Linie abzielte, waren nach den Angaben des Wirtschaftsministeriums jedenfalls nicht für die Steigerung verantwortlich: In diese Region wurden 2012 Kleinwaffen-Exporte im Gesamtwert von 12,42 Millionen Euro genehmigt, größte Empfänger waren Saudi-Arabien (6,5 Mio.), Irak (2,79 Mio.) und die Vereinigten Arabischen Emirate (1,98 Mio.). Nach der Übersicht, die der Abgeordnete auf seiner Webseite veröffentlichte, waren es im Jahr zuvor Ausfuhrgenehmigungen in den Nahen Osten im Wert von 13,05 Millionen Euro – mit Saudi-Arabien ebenfalls als größtem Empfängerland (9,35 Mio.).

Immerhin scheint die Bundesregierung inzwischen bereit, auf konkrete Fragen aus dem Parlament auch (teilweise) konkrete Antworten zu liefern: Vor den Antworten auf die Fragen van Akens hatte das Wirtschaftsministerium Anfang Mai auf Fragen der Grünen-Abgeordneten Katja Keul die Genehmigung des Exports von Kampf- und Schützenpanzern an Indonesien bestätigt. Aber sehr wortgetreu antwortet die Bundesregierung auch nur auf die Fragen – und van Aken hatte zwar nach den gesamten Genehmigungen für den Export von Kleinwaffen, -teile und -munition gefragt. Aber nicht die Aufschlüsselung der Empfängerländer verlangt.

Nachtrag: Suchen hilft. Das neue M27-Gewehr der U.S. Marines wird von Heckler&Koch geliefert – und möglicherweise ist der Vertrag mit dem angeblichen Volumen von 23,6 Millionen US-Dollar in den Genehmigungen des Jahres 2012 enthalten.

Nachtrag 2: Weil’s sich wieder mal so nett liest… die Bundespressekonferenz dazu:

Frage: Ich habe eine Frage an das Bundeswirtschaftsministerium. Ich weiß nicht, ob Herr Seibert das ansonsten auch beantworten will. Es scheint ausweislich einer Anfrage der Linken mit 76 Millionen Euro einen neuen Höchststand zu geben, was den Export von Kleinwaffen angeht. Wie ist das zu erklären? Wie passt das in die Analyse der Bundesregierung im jüngsten Rüstungsexportbericht? Darin ist ja die Rede von einer hohen Terrorismusrelevanz, die von diesen Kleinwaffen ausgehe, und von einer wesentlichen Quelle illegaler Transfers. Wie ist das zu begründen?

Dr. Hoch: Ich kann Ihnen dazu sagen, dass diese Zahlen ja permanenten Schwankungen unterliegen. Wenn wir beispielsweise das Jahr 2002 herausgreifen, dann sehen wir, dass der Wert damals ähnlich wie der im Jahr 2012 war.

Im Übrigen wissen Sie ja, dass wir die Auflistungen im jährlichen Rüstungsexportbericht auch detailliert abbilden.

Insofern kann ich, wie gesagt, eben nur auf diese Schwankungen verweisen und Ihnen den Rüstungsexportbericht jedes Jahr zur Lektüre ans Herz legen. Dann können Sie auch sehen, wie sich die einzelnen Zahlen länderspezifisch aufteilen.

Zusatzfrage: Wie ist denn diese Schwankung zu begründen? Danach hatte ich ja gefragt.

Dr. Hoch: Das sind permanente Schwankungen. Ich kann Ihnen jetzt im Detail keine Einzelbegründung nennen. Ich hatte ja, wie gesagt, zum Vergleich eine Zahl aus dem Jahr 2002 herausgegriffen, die ähnlich ist. Insofern sehen Sie eben im Verlauf der Entwicklung ein Auf und Ab.

Frage: Frau Hoch, können Sie denn schon insoweit über den Rüstungsexportbericht berichten, als Sie sagen könnten, dass es im Jahr 2012 vielleicht eine besonders hohe Gesamtsumme in Bezug auf ein Land gegeben hat?

Dr. Hoch: Dafür kann ich Sie nur auf den Rüstungsexportbericht verweisen, der ja im Herbst für das Jahr 2012 vorgelegt werden wird. Die voraussichtlichen oder vorläufigen Zahlen werden Sie in Kürze sicherlich auch der besagten Anfrage entnehmen können, die in Kürze, denke ich, auch im Internet abrufbar sein wird.

Frage: Frau Hoch, fühlt sich denn der Vizekanzler in seinem Kampf gegen die terroristische Gefahr bestätigt, die durch diese Schwankung von Kleinwaffen ausgeht?

Dr. Hoch: Ich denke, das Bundeswirtschaftsministerium ist für diese Frage nicht der richtige Adressat. Insofern würde ich einfach – –

Zusatzfrage: Wer genehmigt denn die Ausfuhr von diesen Waffen?

Dr. Hoch: Grundsätzlich der Bundessicherheitsrat.

Zusatzfrage: Wer sitzt denn im Bundessicherheitsrat?

Dr. Hoch: Das ist ein Gremium der Bundesregierung. Insofern ist es auch nicht an mir, hier die Details zu nennen. Ich kann Sie, wie gesagt, nur auf den Rüstungsexportbericht und seine Details verweisen, die dort jedes Jahr transparent aufgeführt werden.

Zusatzfrage: Die Details haben wir ja jetzt bereits. Es geht um eine politische Beurteilung. Wenn der Vizekanzler die Gefahr, die durch Kleinwaffen ausgeht, gemeinsam mit dem früheren Vizekanzler und FDP-Politiker Guido Westerwelle betont, dann war meine Frage, ob er sich angesichts dieser Schwankung, die Sie gerade erwähnt haben und die bereits öffentlich dokumentiert ist, in seinem Kampf dagegen bestätigt sieht oder nicht. Das hat ja nichts mit den internen Verhandlungen des Bundessicherheitsrats zu tun.

Dr. Hoch: Sie wissen, dass die Bundesregierung eine verantwortungsbewusste Rüstungsexportpolitik verfolgt. Die strengen und restriktiven Regeln der Rüstungsexportkontrolle entsprechen denen, die auch jede Vorgängerregierung zugrunde gelegt hat. Insofern bleibt es dabei: Es ist eine verantwortungsbewusste Rüstungsexportpolitik, die durch den jährlichen Rüstungsexportbericht transparent gemacht wird.

Zusatz: Aber die Sie nicht erklären können.

Dr. Hoch: Im Rüstungsexportbericht werden Sie die nötigen Informationen und Bewertungen auch vorfinden.

Frage: Handelt es sich nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums beim Irak um ein Krisengebiet?

Dr. Hoch: Ich kann, wie gesagt, keine Einzelbewertung zu Ländern vornehmen. Ich möchte Sie auf den Rüstungsexportbericht verweisen. Das ist ein Bericht der Bundesregierung. Da werden Sie die nötigen Bewertungen auch vorfinden.

Frage: Dann kann doch bestimmt das Auswärtige Amt sagen, ob der Irak aus Sicht des Auswärtigen Amtes in dem Sinne ein Krisengebiet ist, wie es die Exportrichtlinien der Bundesregierung vorsehen.

Schäfer: Ich glaube, dass wir uns hier gemeinsam über etwas unterhalten, bei dem wir alle gemeinsam wegen der Regeln über die Entscheidungen des Bundessicherheitsrats nicht über die Informationslage verfügen, die es sinnvoll macht, darüber vernünftig zu reden. Das muss man einmal festhalten. Es kommt doch darauf an, an wen und in welche Länder diese Genehmigungen tatsächlich gegangen sind.

Ich habe hier einen Auszug aus dem 2012 veröffentlichten Rüstungsexportbericht vorliegen. Daran sieht man, dass das, was die Kollegin aus dem Bundeswirtschaftsministerium gerade gesagt hat, absolut zutreffend ist, dass es sich um eine sehr volatile Veränderung der Zahlen der Genehmigungen über den Export von Kleinwaffen handelt. Die Zahlen von 2002 sind bereits genannt worden. Das sind immerhin nach Kaufkraft und unter Einrechnung der Inflation mehr als die Zahlen, die heute bekannt geworden sind. Zwischendurch gab es eine Reduzierung der Zahlen auf weit unter die Hälfte der Zahlen von 2002. Die Zahlen gehen rauf und runter. Aber das vernünftig zu interpretieren, ist mir gar nicht möglich – ich fürchte, das ist auch Ihnen gar nicht möglich -, weil die Informationen über die Länder, in die diese Waffen gehen sollen und deren Export genehmigt worden ist, uns hier gemeinsam nicht vorliegen.

Zusatzfrage: Herr Schäfer, Entschuldigung, wenn ich noch einmal nachhake. Das war gar nicht die Frage. Die Frage war, ob das Auswärtige Amt den Irak als Krisengebiet ansieht oder nicht.

Schäfer: Ich habe mir erlaubt, auf Ihre Frage zunächst etwas anderes zu sagen. Ich hoffe, dass Sie mir das nicht übel nehmen.

Zusatz: Nein.

Schäfer: Auf die Frage kann ich antworten, dass in der Tat die Lage im gesamten Nahen und Mittleren Osten – und dazu gehört auch der Irak – in vielerlei Hinsicht wegen der Syrien-Krise, wegen des Nahost-Friedensprozesses und auch wegen anderer Themen, mit denen wir uns und mit denen sich die internationale Gemeinschaft beschäftigen, keine einfache ist.

Frage: Dann brauche ich eine Aufklärung. Es wird immer wieder gerne auch von Regierungsseite auf den Rüstungskontrollbericht verwiesen, den Sie alle sicherlich kennen und lesen. Wenn ich diesen lese, erhalte ich zwar eine Information darüber, welche Waffen wohin geliefert worden sind, aber eine Erklärung dafür, warum man sich dazu entschieden hat, entnehme ich diesem Dokument auch nicht. Es ist eine reine Auflistung in unterschiedlichen Waffengruppen.

Damit wir hier nicht spekulieren, was Herr Schäfer ja zu Recht kritisiert: Wo und wann erhalten wir denn einmal eine Erläuterung und Erklärung, warum gewisse Waffen dahin exportiert worden sind, wohin sie exportiert worden sind?

Schäfer: Ich würden Sie für den Außenminister gerne auf das Interview verweisen, das er dem „Spiegel“ in der letzten Woche gegeben hat. Sie werden am Ende des Interviews auf eine entsprechende Frage Ihrer Kollegen vom „Spiegel“ seine Antwort vorfinden.

Die lautet mit meinen Worten wie folgt: Die Debatte in den letzten Jahren hat in der Tat gezeigt, dass es hier Informationsdefizite gibt, die angepackt werden müssen. Er schlägt dafür Zweierlei vor: erstens zu erwägen – und im Parlament vielleicht zu überlegen -, ob etwas Ähnliches wie ein parlamentarisches Kontrollgremium, das es bereits für die Nachrichtendienstlichen gibt, geschaffen werden könnte, um dem Deutschen Bundestrag vertrauliche Informationen über entsprechende Entscheidungen der Bundesregierung in Sachen Rüstungsexporte zugänglich zu machen. Er hat ferner gesagt, dass es aus seiner Sicht angezeigt wäre, dass die Bundesregierung diese Rüstungsexportbericht so zügig veröffentlicht, wie es irgend geht, um auf diese Art und Weise den Abstand zwischen den tatsächlichen Genehmigungsentscheidungen und dem Bericht darüber für die Öffentlichkeit möglichst kurz zu halten.

Frage: Ich weiß nicht, wer von Ihnen meine Frage beantworten kann. Wir haben ja nur die Informationen, die uns jetzt vorliegen. Das sind die Anfrage und der jüngste Rüstungsexportbericht. In diesem Rüstungsexportbericht steht auch, dass die Problematik dieser Kleinwaffen ist, dass sie billig illegal beschafft werden können und zu einer gewaltsamen Eskalation von Konflikten führen beziehungsweise dazu beitragen. Es ist von einer „hohen Terrorismusrelevanz“ die Rede. Wie passt das zusammen? Wenn ich diesen Rüstungsexportbericht richtig lese, ist es der höchste Stand des Exports von Kleinwaffen.

Dr. Hoch: Jede Entscheidung ist eine Einzelfallentscheidung. Sie kennen die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern. Sie kennen auch den gemeinsamen Standpunkt des Rates der EU. Insofern sind das die Grundlagen, die herangezogen werden. Es ist in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung, die getroffen wird.

Frage: Herr Seibert, schließt sich denn die Bundeskanzlerin den Forderungen des Außenministers, die eben von Herrn Schäfer zitiert wurden, an? Heißt das also, dass vielleicht noch in dieser Legislaturperiode ein Vorstoß der gesamten Bundesregierung kommt, diesen Rüstungsexportbericht schneller und transparenter vorzulegen? Das könnte man ja auch vonseiten der Bundesregierung angehen und nicht auf das Parlament warten.

StS Seibert: Das ist eine Diskussion, die jetzt begonnen hat und die sicherlich wert ist, geführt zu werden.

Frage: Herr Seibert, können Sie uns sagen, ob Sie mit dem Maß an Auskunftsfähigkeit, dass die Bundesregierung gerade in dieser Frage auf eine immerhin parlamentarische Anfrage gezeigt hat, zufrieden sind oder ob Sie das für verbesserungsbedürftig halten?

StS Seibert: Das Maß der Auskunftsfähigkeit ist das gleiche Maß der Auskunftsfähigkeit, das Vorgängerregierungen auf Jahrzehnte in dieser Frage gehabt haben. Die Regeln im Umgang mit Entscheidungen des Bundessicherheitsrats sind Regeln, die seit Jahrzehnten gelten und von denen man durchaus sagen kann, dass sie den Bundesregierungen und auch damit der Bundesrepublik nicht schlecht gedient haben.

Wenn sich jetzt andere Umstände einstellen, wenn eine neue Informationskultur herrscht, dann muss man überlegen, wie man damit umgeht. Deswegen gibt es Vorschläge. Wie gesagt: Das sind Gedanken, die wert sind, dass man sie sich macht.

(Screenshot ARD-Tagesschau 20 Uhr 25.08.2011)