Patriot-Einsatz „Active Fence“: Der NATO-Partner zeigt sich wenig verbündet

Bei ihren Besuchen beim deutschen Patriot-Flugabwehrkontingent in der Türkei, dem NATO-Einsatz Active Fence, sparten Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto oben) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière nicht mit warmen Worten, was die Unterstützung und Kooperation in der NATO mit dem Bündnispartner angeht. Die Realität sieht nicht ganz so erfreulich aus: Nach einem Truppenbesuch lieferte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, eine sieben Seite umfassende Mängelliste bei den Abgeordneten des Verteidigungsausschusses ab. Quintessenz seines Katalogs: Die Zusammenarbeit mit den türkischen Streitkräften ist, wie es der Wehrbeauftragte zurückhaltend ausdrückt, problembehaftet. Man könnte auch sagen: Die Türken verhalten sich eher destruktiv.

Die Mängel und teilweise Schikanen, die das Leben der deutschen Soldaten in der türkischen Stadt Kahramanmaras schwierig gestalten, sind heute von verschiedenen Medien bereits geschildert worden – von Schimmel in den Unterkünften bis zu unhaltbar verdreckten Sanitäreinrichtungen und Versorgungsproblemen, aber auch im Umgang türkischer Offiziere mit deutschen Soldaten. Unter anderem ist das bei Spiegel Online nachzulesen. Neben diesen, sagen wir zurückhaltend, Einsatzerschwernissen gibt es in der Mängelliste des Wehrbeauftragten aber auch einige Punkte, die belegen, dass die türkischen Streitkräfte systematisch versuchen, den Einsatz des deutschen Kontingents zu behindern.

Das wird vor allem an den Beschwerden deutlich, die den Umgang der Türken mit den Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts betreffen:

Angehörige der Feldjägertruppe schilderten ihre Situation als unbefriedigend. Zur Zeit habe man keine dem NATO-Statut entsprechenden Befugnisse und keine ihrer Qualifikation entsprechenden Aufgaben. Sie dürften keine Waffen tragen. Sie stellten sich die Frage, ob sie ihre Kameraden im Ernstfall mit den Fäusten verteidigen sollen. Mit TUR sei keine Absprache getroffen worden, welche Befugnisse die Feldjäger außerhalb der Kaserne wahrnehmen dürfen, obwohl eine solche Absprache nach dem NATO-Truppenstatut vorgesehen sei. Die Bemühungen des Rechtsberater Stabsoffiziers, mit den türkischen Sicherheitsbehörden ins Gesprächs zu kommen, wurden dort nicht angenommen.

Grundsätzlich sind die türkischen Behörden – unklar ist dabei, ob das nur von den Streitkräften ausgeht – bestrebt, deutsche Soldaten und Militärfahrzeuge im Straßenbild zu verhindern. So dürfen die Bundeswehrangehörigen die Kaserne, wo die Patriot-Systeme stationiert sind, grundsätzlich nicht in Uniform verlassen – und schon gar nicht ihre Fahrzeuge benutzen.  Aus diesem Grund stünden viele DEU Fahrzeuge unausgelastet in der Kaserne und es müssten zivile Fahrzeuge von TUR Autoverleihern angemietet werden, um den Transportbedarf des Kontingents zu decken, bekam der Wehrbeauftragte zu hören. Diese Einschränkung gilt auch für dienstliche Fahrten:

Eine besonders gravierende Begebenheit ist dem Rechtsberater Stabsoffizier und zwei Angehörigen des Feldjägertrupps widerfahren. Nach deren Eintreffen im Einsatzland haben diese die Kaserne in Incirlik nach Kahramanmaras verlassen wollen. Hieran seien sie durch die Wache gehindert worden, weil sie keine Zivilkleidung trugen. Anschließend habe man ihnen eröffnet, dass Fahrten zwischen Kahramanmaras und Incirlik 48 Stunden im Vorhinein angemeldet werden müssten. Die drei Soldaten seien letzten Endes über mehr als zwei Tage lang durch TUR am Verlassen der Kaserne gehindert worden.

Die bürokratischen Schikanen und der lässige Umgang mit Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts zeigen sich auch im Umgang der Türkei mit der Feldpost, wie der Wehrbeauftragte erfuhr:

Der TUR Zoll verzögere zudem den Transport an der TUR-BUL Grenze um weitere zwei bis drei Tage. TUR fordere selbst für Briefpostsendungen ein NATO-Formular, das üblicherweise nur für Paketsendungen auszufüllen sei. Internationale Zoll- und Postrechtliche Vereinbarungen würden seitens TUR nicht eingehalten. Ein Soldat berichtete, dass er kürzlich ein Paket erst nach viereinhalb Wochen empfangen habe. Es sei außerdem vorgekommen, dass der TUR Zoll mit der Transall C 160 eingeflogene (Brief-) Post an der Airbase in Incirlik habe kontrollieren und Päckchen öffnen wollen.

Der Vollständigkeit halber muss allerdings auch erwähnt werden, dass die deutsche Planung nicht optimal gelaufen zu sein scheint. So beklagten Soldaten des Transportbataillons 465 aus Ellwangen, dass viele von ihnen nach dem Afghanistan-Einsatz erst ein halbes Jahr wieder zu Hause waren, als sie in die Türkei geschickt wurden – aber dort gar nicht gebraucht würden: Die Gruppe fahre mit Klein-Kfz Mahlzeiten vom Hotel zur Kaserne. Eine Transportgruppe sei gar nicht erforderlich.

Neben den, pardon, zugeschissenen Klos (da fehlt unter anderem, aber nicht nur, die Wasserspülung) zeigt sich ein viel grundsätzlicheres Problem: Die Türkei hat zwar die NATO um Unterstützung gebeten – auf politischer Ebene. Auf der Ebene darunter, also bei den Streitkräften, scheint diese Unterstützung nicht gewollt. Das merken übrigens nicht nur die Soldaten, sondern auch der deutsche Steuerzahler. Eine längere Unterbringung in Hotels ist ein Hauptgrund für die erwartete Kostensteigerung um knapp fünf Millionen Euro. Denn in der Gazi-Kaserne sieht es übel aus: Bei der Begehung des in Renovierung befindlichen Bestandsgebäudes zeigte sich, dass in manchen Stuben Schimmel an den Wänden nicht beseitigt, sondern nur übertüncht worden war.

Nachtrag: Auf die Auseinandersetzung zwischen dem türkischen General und den Feldjägern wollte ich hier eigentlich nicht eingehen, weil die anderswo schon ausreichend beschrieben wird. Da es in den Kommentaren aber eine Rolle spielt, hier noch aus dem Mängelkatalog des Wehrbeauftragten der entsprechende Passus:

Auf der Fahrt in der Delegationskolonne durch die Gazi-Kaserne regelte eine DEU Soldatin der Feldjägertruppe das Zulaufen der DEU/TUR/NLD Ministerfahrzeuge an die vorgesehene Position in der Kolonne. Zu diesem Zweck signalisierte Sie dem sich nähernden Fahrzeug eines TUR Generals abzustoppen, um den Ministerfahrzeugen das Einscheren zu ermöglichen. Der TUR General stieg daraufhin aus seinem Fahrzeug und schubste die DEU Soldatin sowie weitere zur Hilfe geeilte DEU Soldaten beiseite. Die Soldatin klagte danach über Prellungen.

Nachtrag 2: Ich habe mal den niederländischen Journalisten- und Bloggerkollegen Hans de Vreij gefragt, ob die Niederländer ähnliches erleben. Bislang ist davon nichts bekannt, allerdings: Die niederländischen Einheiten sind auf der Luftwaffenbasis Incirlik stationiert, de facto auf einer amerikanischen Basis, was manche, äh, Infrastrukturprobleme von vorherein löst. Und bislang haben die Soldaten die Basis wohl nicht verlassen (müssen/dürfen).

Die USA hatten in der Stationierungsphase über Probleme mit der türkischen Bürokratie geklagt: US Patriot deployment in Turkey mired in bureaucratic red tape

(Foto: Bundeswehr/PIZ AF TUR via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)