Karzai beschwört eigene Stärke Afghanistans

Angesichts des bevorstehenden Abzugs der internationalen (Kampf)Truppen aus Afghanistan hat Präsident Hamid Karzai bei einer Rede vor dem Offiziersnachwuchs des Landes heute die eigene Stärke der afghanischen Sicherheitskräfte beschworen – und zugleich angekündigt, dass sie künftig keine Luftschläge mehr bei ISAF anfordern dürften. Die Rede selbst ist bislang nicht veröffentlicht, aber dpa berichtet in ihrem englischen Dienst:

„We are the owners of this soil, Americans aren’t,“ Karzai said in a speech to young Afghan military officers in Kabul.
„Fortunately they are leaving soon,“ he added, referring to the foreign deployment against al-Qaeda and Taliban forces that started soon after the September 11 attacks of 2001.

Das könnte man als erwartbare Rhetorik ansehen – und schlicht als politische Notwendigkeit eines Staatsoberhaupts, sich von den Folgen der Operationen der internationalen Truppen zu distanzieren. Vor allem, wenn dabei Zivilisten zu Schaden kommen. Karzai geht aber offensichtlich noch einen Schritt weiter:

Afghan security forces will be banned from calling for NATO air strikes in residential areas to help in their operations, President Hamid Karzai said on Saturday, three days after 10 civilians died in such a strike in the country’s east. (…)
Addressing a conference at Kabul’s National Military Academy, Karzai expressed his anger about the strike and said he would issue a decree on Sunday preventing any resort to such measures by his forces.
„Tomorrow, I will issue an decree stating that under no conditions can Afghan forces request foreign air strikes on Afghan homes or Afghan villages during operations,“ Karzai told more than 1,000 officers, commandos and students.

berichtet Reuters von der selben Rede.

Wenn der Präsident diese Ankündigung wahr macht, dürfte das die Lage am Hindukusch recht grundlegend verändern: In immer mehr Regionen haben die afghanische Armee oder Polizei bereits die so genannte Sicherheitsverantwortung übernommen. Allerdings fehlt ihnen die (technische) Feuerkraft der ISAF-Truppen. Wenn sie künftig nicht mehr auf deren Luftunterstützung bauen können, wird das auf der einen Seite – vielleicht – die so genannten Kollateralschäden verringern, aber auch den Erfolg ihrer Operationen.

Keine Frage: Luftschläge amerikanischer, britischer, niederländischer Kampfjets waren von Anbeginn des Afghanistan-Einsatzes ein Problem, wenn dabei Unbeteiligte getötet oder verletzt wurden. Aber ob die rein bodengebundenen Aktionen der afghanischen Sicherheitskräfte tatsächlich dazu führen, dass weniger Zivilisten ins Gewehr- oder Mörserfeuer geraten, scheint mir noch nicht ausgemacht.

Nachtrag: Eine interessante Analyse im Afghanistan Analysts Network bringt das auf den Punkt:

Even bearing in mind just how frightening and disruptive, hostile planes and attack helicopters in the sky are for many Afghan rural populations, withdrawing them may not necessarily lead to easier lives. In at least one province, we are seeing the impact of the end to air support. As AAN reported last week and in November 2012, the departure of the Norwegian PRT from Faryab in September and the loss of NATO air support has reduced the ANSF’s ability to conduct operations against insurgents. The result has been a Taleban resurgence with more IEDs, more assassinations and more suicide bombings – and many more dead Afghan civilians.

(Archivbild: Karzai beim afghanischen Unabhängigkeitstag 2011 – U.S. Air Force photo by Master Sgt. Michael O’Connor via ISAF Media auf Flickr unter CC-BY-Lizenz)