Modell Irak für Afghanistan – alles muss raus?


U.S. Marines bei der Gepäckverladung (U.S. Marine Corps photo by Cpl. Alejandro Pena via ISAFmedia auf Flickr unter CC-BY-Lizenz)

Die Spanne, die in den USA für ein Verbleiben der Truppen nach dem Ende der ISAF-Mission 2014 diskutiert wird, ist gewaltig. Nachdem von militärischer Seite zwischen 15.000 und 20.000 amerikanische Soldaten vorgeschlagen wurden, ist seit vergangener Nacht eine ganz neue Version in der Debatte: Der Komplettabzug. Ein Sicherheitsberater von Präsident Barack Obama schloss bei einem Briefing für Reporter nicht aus, dass nach 2014 kein US-Soldat am Hindukusch bleibt, wie unter anderem Reuters berichtet:

The Obama administration does not rule out a complete withdrawal of U.S. troops from Afghanistan after 2014, the White House said on Tuesday, just days before President Barack Obama is due to meet Afghan President Hamid Karzai.
The comments by U.S. Deputy National Security Adviser Ben Rhodes were the clearest signal yet that, despite initial recommendations by the top military commander in Afghanistan to keep as many as 15,000 troops in the country, Obama could opt to remove everyone, as happened in Iraq in 2011.

AP berichtet ähnlich.

Nun ist das möglicherweise, wie auch in den Agenturberichten erwähnt wird, eine Drohgebärde gegenüber den Afghanen, um amerikanische Interessen in einem Abkommen über den Status der ausländischen Soldaten auch nach 2014 durchzusetzen. Denn mit ISAF endet auch das Military-Technical Agreement (MTA) von 2001, das unter anderem Immunität gegenüber der afghanischen Rechtssprechung vorsieht – eine Regelung, die die Regierung in Kabul gerne durch eine eigene rechtliche Hoheit auch gegenüber den ausländischen Truppen ersetzt sehen möchte.

Darauf werden sich die USA (wie auch andere Nationen) kaum einlassen – welcher westliche Staat will schon seine Soldaten einem islamischen Rechtssystem unterstellen. Im Irak hatte das Scheitern eines entsprechenden Abkommens zum Totalabzug der Amerikaner geführt.

Auch wenn ein solcher Totalabzug angesichts der US-Interessen am Hindukusch vorerst recht unwahrscheinlich erscheint: Die US-Regierung droht zumindest damit, diese Extremlösung auch durchziehen zu können. Ein solcher Schritt hätte natürlich erhebliche Auswirkungen auf alle anderen Staaten, die derzeit in der ISAF-Mission engagiert sind.

Zum einen könnten auch sie nicht auf ein Abkommen mit Afghanistan hoffen, dass ihren Soldaten die rechtliche Immunität garantiert und eine Strafverfolgung in ihrer eigenen nationalen Hoheit hält. Zum anderen wären, ganz praktisch, die anderen Truppensteller ohne Unterstützung der USA am Hindukusch deutlich eingeschränkter handlungsfähig. Die (auch deutschen) Planungen für die Zeit nach 2014 macht das nicht einfacher.

Nachtrag: Die Null-Option aus Washington war natürlich heute auch Thema in der Bundespressekonferenz – nach Ansicht von Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt ist das aber rein hypothetisch, sagten AA-Sprecher Andreas Peschke und Verteidigungssprecher Stefan Paris:

Frage: Herr Paris und Herr Peschke, wie bewerten Sie die Ankündigung oder die Überlegungen aus Washington, eventuell nach 2014 komplett das Militär aus Afghanistan abzuziehen? Würde das nicht sämtliche deutschen Planungen über den Haufen werfen?

Peschke: Ich kann gerne anfangen. – Die ganz kurze Antwort auf Ihre Frage lautet, ehrlich gesagt: Gar nicht. Denn was da geäußert wurde, sind ja Optionen fern jeder Realisierung. Wir und auch die Amerikaner wissen, dass, was auch immer nach 2014 geplant wird, der Gegenstand der internationalen Beratungen sowohl mit der afghanischen Regierung als auch innerhalb der zuständigen Organisationen und Gremien ist. Das ist ein großes Thema, das in der Nato jetzt zu besprechen sein wird. Da ist der Stand unverändert.

Es gibt eine große Übereinstimmung innerhalb der Nato- und der ISAF-Partner, Afghanistan auch nach Abzug der internationalen Kampftruppen zu Ende 2014 nicht allein zu lassen. Das betrifft im militärischen Ausbildungsbereich insbesondere das anvisierte Engagement im Rahmen der Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Streitkräfte. Dazu gab es bereits finanzielle Vorüberlegungen und dazu gab es bereits strukturelle Vorüberlegungen – strukturelle Vorüberlegungen im Sinne davon, dass man eine internationale Mission aufsetzt, die sich um die weitere Ausbildung und Ertüchtigung der afghanischen Streitkräfte kümmert.

Das ist bis hierher der Stand. Weitere Konkretisierungen und Unterlegungen im Sinne von Zahlen oder Mitteln gibt es derzeit nicht. Das ist genau das, worüber jetzt innerhalb der Nato und innerhalb von ISAF mit den internationalen Partnern zu sprechen sein wird. Dieser Stand, den ich geschildert habe, also dass es diese grundsätzlichen Überlegungen gibt, dass es den Plan gibt, und dass es auch das gemeinsame Bekenntnis der Staatengemeinschaft gibt, Afghanistan auch nach 2014 zu begleiten, wird von unseren amerikanischen Partnern mitgetragen. Das wurde von amerikanischen Vertretern bei internationalen Sitzungen – öffentlichen und nichtöffentlichen – auch geäußert, und das ist das, was für uns zählt.

Paris: Ich kann das absolut nur unterstreichen. Wir sollten einfach auf die Beschlusslagen gucken, die es dazu auch gibt. Ich nenne noch einmal den Nato-Gipfel in Chicago, auf dem sehr, sehr klar der Weg gezeigt worden ist, was nach 2014 passieren wird. Es gab danach die Sitzungen in Tokio, wo es um Gelder ging. Es gibt regelmäßige Sitzungen in Brüssel – einschließlich der Amerikaner -, die sich mit diesem Thema befassen.

Ein Punkt ist ganz entscheidend wichtig: Man fängt bei militärischen Planungen nicht mit der Zahl an. Deshalb sollten Sie bei diesen Zahlenspielen, die sich jetzt seit drei, vier, fünf Tagen wieder durch das eine oder andere Blatt nahezu schon quälen, Abstand nehmen. Bei der militärischen Planung kommt es vielmehr darauf an, welche notwendigen Fähigkeiten man braucht, um den Auftrag zu erfüllen. Erst wenn man das entschieden hat, kann man ableiten, welche Zahlen man dafür braucht. Wenn man es anders herum macht, dann ist das unlogisch und dann ist das falsch. Dementsprechend habe ich das auch nicht weiter zu kommentieren. Der Weg ist beschrieben, und er wird konsequent so fortgegangen, wie er seit seinem Ursprung in Chicago begonnen wurde.

Zusatzfrage: Sie sagen, es gehe darum, den Auftrag zu erfüllen. Ließe sich der Auftrag erfüllen, wenn die Amerikaner diese Option ziehen würden? Ginge es ohne die USA?

Paris: Diese Frage ist mir nach dem, was ich gerade gesagt habe, zu hypothetisch, und setzt wieder voraus, mit der Zahl anzufangen. Ich fange aber nicht mit der Zahl an, sondern ich fange mit dem Auftrag an; ich fange damit an, was die notwendigen Fähigkeiten sind. Daraus leitet sich dann eine Zahl ab. Da spielen in diesem Moment eine optionale Äußerung aus den USA oder sonstige Zahlenspiele überhaupt keine Rolle. Die sind im Moment nicht von Relevanz.