Im Einsatz kostenlos Telefon und Internet? Ab 2015, vielleicht.

Kundus am 1. Weihnachtstag 2011: Amerikanische Soldaten telefonieren nach Hause (Photo by U.S. Army Staff Sgt. Christopher Klutts, 170th IBCT Public Affairs via flickr unter CC-BY-NC-SA Lizenz)

Aus dem Einsatz, vor allem aus Afghanistan, sollten Soldatinnen und Soldaten kostenlos nach Hause telefonieren und über das Internet, ebenso kostenlos, mit ihren Familien und Freunden Kontakt halten können. Das hat jedenfalls der Bundestag mit Stimmen aus fast allen Fraktionen im März beschlossen und das Verteidigungsministerium gebeten, dafür mal zeitnah ein Konzept vorzulegen.

Inzwischen ist klar: So schnell wird das nix. Jedenfalls nicht vor 2015 werden die Soldaten im Einsatz in den Genuss dieser kostenlosen Betreuungskommunikation kommen. Warum das so ist, hat das Ministerium dem Verteidigungsausschuss in gewundenen, mit juristischen Begriffen gespickten Sätzen erklärt. Kurz gefasst: Das europäische Vergaberecht lässt erst mal nicht zu, dass der Soldat aus dem Einsatz kostenlos skypt, telefoniert, via Internet chattet.

Etwas detaillierter aus dem minsteriellen Schreiben an den Ausschuss:

Der vollständigen Kostenfreistellung der privaten Nutzung von Telekommunikationsdienstleistungen für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz steht das Vergaberecht, weniger vertragsrechtliche Aspekte entgegen.
(…) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits in einer seiner früheren Entscheidungen aus dem Jahr 2000 – zuletzt bestätigt in der sogenannten ‚Pressetext-Entscheidung‘ vom 19. Juni 2008 (EuGH Urteil, C 45/06) – den Grundsatz erarbeitet, dass Änderungen eines öffentlichen Auftrages während seiner Geltungsdauer in der Regel als Neuvergabe des Auftrags anzusehen und damit ausschreibungspflichtig sind.
(…)
Das Ausschreibungsverfahren, aus dem die derzeitige Rahmenvereinbarung mit der Astrium GmbH hervorging, sah vor, das den Bundeswehrangehörigen im Einsatz nicht die freie Nutzung der Kommunikationseinrichtungen ermöglicht werden sollte, sondern vielmehr eine Grundversorung der Kommunikation mit der Heimat (30 Minuten Telefonie/Woche). Alles was darüber hinausgeht, sollte von den Bundeswehrangehörigen im Einsatz selbst getragen werden. Ein wie auch immer gestalteter kostenfreier Zugriff der Nutzer auf alle, wie auch auf einzelne Kommunikationsdienstleistungen stellt also insoweit einen Paradigmenwechsel im Vergleich zu der ehemaligen Ausschreibung dar. (…)
Die dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages vorliegende Studie der Astrium GmbH vom 12. Februar 2012 gibt Hinweise darauf, dass das Nutzerverhalten maßgeblich vom Budget der Bundeswehrangehörigen gesteuert ist, so dass eine Kostenfreiheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer extensiven Ausdehnung der Nutzung führen wird. Da sich hierdurch die Einnahmen des Anbieters erhöhen werden, stellt eine kostenfreie Nutzung der Kommunikationsmittel eine wesentliche Änderung der ehemaligen Auschreibungsbedingungen dar, die nach den obigen Grundsätzen des EuGH eine Neuausschreibungspflicht begründen würde.

Die vom Bundestag geforderte kostenlose Nutzung sei deshalb als Grundlage der Leistungsbeschreibungen im Rahmen einer Neuausschreibung der Betreuungskommunikation mit dem Folgevertrag für 2015 zu betrachten.

In menschenverständlicher Sprache: Wenn Internet und Telefon sie nichts mehr kosten, werden die Soldaten mehr Telefon und Internet benutzen. Dann verdient der Anbieter mehr. Aber dass er mehr verdient, war ja nicht Grundlage der damaligen Ausschreibung. Also muss neu ausgeschrieben werden, und das geht erst für die Zeit nach 2015. Bis dahin dürfen die Soldaten kein kostenloses Internet bekommen.

Klingt doch logisch. Und reiht sich ein in etliche frühere Argumentationsmuster, wenn es um die Betreuung von Bundeswehrsoldaten im Einsatz geht:

Recht früh in der Kosovo-Mission, so geht die eine Geschichte, stellte ein großes deutsches Telekommunikationsunternehmen deutschen Soldaten dort unten kostenlose Telefonleitungen in die Heimat zur Verfügung, im Stabsgebäude in Prizren. Das rief jedoch die bekannte Abteilung ES (Ermittlungen in Sonderfällen) auf den Plan, die mit diesem kostenlosen Angebot eine Benachteiligung anderer Telekommunikationsanbieter befürchtete. Das Problem wurde dann recht pragmatisch so gelöst, dass die Soldaten zwar dafür bezahlen mussten, das Geld aber gespendet wurde.

Lustig auch eine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe: Bei meinem ersten Besuch im Kosovo als Focus-Korrespondent 1999 rief der damalige Generalmajor Friedrich Riechmann, damals nationaler Befehlshaber, die angereisten deutschen Journalisten auf: Fragen Sie doch mal Ihre Verlage, ob die nicht Zeitungs- und Zeitschriftenabos für unsere Soldaten hier spenden können.

Natürlich habe ich gefragt, und der Focus war damals bereit, ein halbes Jahr lang mehrere hundert Exemplare kostenlos an einem Bundeswehr-Fliegerhorst in Deutschland anzuliefern – nur in den Kosovo hätte die Truppe die Hefte noch selbst transportieren müssen. Das war allerdings dem Ministerium, offensichtlich auch den Herren bei ES, zu heikel. Deshalb fragten sie (hinter dem Rücken der Focus-Leute) beim Spiegel, ob die das nicht auch machen wollten. Damit nicht jemand bevorzugt würde. Der Spiegel war auch dazu bereit – und dann scheiterte das alles doch noch an grundsätzlichen Bedenken aus dem Verteidigungsministerium. Riechmann hatte bei seinem Wunsch wohl die beamteten Bedenkenträger vergessen.

Aus dem Grund überrascht mich die Argumentation, warum deutsche Soldaten vorerst kein kostenloses Internet haben dürfen, nicht wirklich. Immerhin scheint diesmal nicht ES, sondern nur ein Vergaberechtler Einspruch erhoben zu haben. Aber ab 2015 wird’s dann vielleicht was – pünktlich zum Abzug der (meisten) Kampftruppen vom Hindukusch.