Nukleare Teilhabe forever?

Es war nur vordergründig eine Überraschung, was die DuMont-Zeitungen Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau heute meldeten (Links gibt es aus den bekannten Gründen nicht): Die US-Atomwaffen in Deutschland werden doch nicht so schnell abgezogen, wie es das Auswärtige Amt und vor allem Außenminister Guido Westerwelle (FDP) gerne hätten und anstreben. Berlin habe sich damit einverstanden erklärt, dass die Waffen im Land bleiben und sogar mit Milliardenaufwand modernisiert werden, heißt es in dem Bericht unter Berufung auf Erklärungen des NATO-Gipfels Ende Mai in Chicago.

Ein wenig verblüffend ist schon, dass eine vier Monate alte Erklärung jetzt das Zeug zu neuen Nachrichten hat. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, ob die damalige Bereitschaft der Bundesregierung, einem Verbleib der Atomwaffen zuzustimmen, tatsächlich bedeutet, dass sich die schwarz-gelbe Bundesregierung von einem ihrer wichtigsten außenpolitischen Ziele verabschiedet hat. (Meine unmaßgebliche Meinung: natürlich kann eine Bundesregierung, egal welcher Zusammensetzung, von den USA den sofortigen Abzug ihrer Nuklearwaffen von deutschem Boden verlangen. Und gleich den Austritt aus der NATO erklären.)

Die Bundesregierung bestreitet natürlich, auch das ist wenig verwunderlich, dass sie nicht mehr diesen Abzug anstrebt. Praktisch gesehen ist für Deutschland die Frage interessant, welche Aufwendungen sie für ein Festhalten (oder Weiterbetreiben, je nach Sichtweise) der nuklearen Teilhabe langfristig leisten muss. Zum Beispiel, was den Erhalt der Tornado-Flotte angeht – denn nur diese Kampfjets sind für den Einsatz der Spezialwaffen vorgesehen; der Eurofighter eben nicht.

(Nachtrag: Dank eines Leserhinweises ist jetzt auch mir klar, wo die Story offensichtlich herkommt – aus einem Beitrag in der Zeitschrift Internationale Politik – die sollte ich auch regelmäßiger lesen. Und die Kollegin von DuMont hätte ihre Quelle vielleicht angeben sollen:

Weitgehend unbeachtet von der Politik und den Medien verabschiedete die NATO bei ihrem Gipfel im Mai 2012 ein Dokument mit dem Titel „Deterrence and Defense Posture Review“. Hinter diesem typischen Produkt Brüsseler Verhandlungsdiplomatie – nur für Experten verständlich – verbirgt sich die zumindest vorläufige Lösung im Streit um die amerikanischen Atomwaffen in Europa.)

Aus der heutigen Bundespressekonferenz dazu, mit Aussagen des stellvertretenden AA-Sprechers Martin Schäfer und des stellvertretenden Sprechers des Verteidigungsministeriums, Kapitän zur See Christian Dienst:

FRAGE: Eine Frage an das Auswärtige Amt. Nachdem heute die „Frankfurter Rundschau“ die Modernisierung der amerikanischen Atomwaffen in der Eifel aufgegriffen hat, die wohl auf einen Beschluss des NATO-Gipfels zurückgeht, hätte ich gerne von Ihnen gewusst, ob die von Bundesaußenminister Westerwelle angekündigte Abrüstungspolitik damit konterkariert und aufgegeben wird.

DR. SCHÄFER: Zunächst einmal würde ich gerne sagen, dass die Bundesregierung die Wertungen zurückweist, die in der heutigen Berichterstattung, auf die Sie Bezug nehmen, enthalten sind. Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung und natürlich auch der für diese Politik Außenminister Westerwelle sich unverändert für Fortschritte beim Abbau der substrategischen Atomwaffen in Deutschland und beim Abzug dieser Waffen aus Deutschland einsetzen. Damit setzt die Bundesregierung nur das um, was 2009 im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist.

Niemand in der Bundesregierung auch nicht der Bundesaußenminister hat sich das als eine leichte Aufgabe vorgestellt. Im Gegenteil. Abrüstung und Rüstungskontrolle ist das geduldige Bohren von ganz dicken Brettern. Das tut die Bundesregierung. Bei diesem Bohren von ganz dicken Brettern ist die Bundesregierung in den letzten Jahren ihrem Ziel in der NATO ein gutes Stück vorangekommen.

Ich würde Ihnen bzw. denjenigen, die den Artikel gelesen, vielleicht auch denjenigen, die den Artikel geschrieben haben, gerne anempfehlen, sich einfach einmal die Gipfeldokumente der NATO, auf die in dem Artikel Bezug genommen wird, in Gänze zu Gemüte zu führen und zu lesen. Dann wird man erkennen, dass es in diesen Dokumenten ganz viele Punkte gibt, die ich gleich gerne aufzähle, die sich im Übrigen in fast identischer Wortwahl im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wiederfinden. Das letztlich belegt doch nur, dass wir bei diesen Fragen der Rüstungskontrolle und Abrüstung ein gutes Stück vorangekommen sind.

Es handelt sich dabei um Dokumente der NATO, die ganz technische Beschreibungen haben. Auf Englisch heißt das „Deterrence and Defence Posture Review“. Das ist gar nicht so einfach zu übersetzen. Wir sagen dazu auf Deutsch: eine umfassende Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs der NATO. Das ist in der Tat ein Dokument, das am 20. und 21. Mai dieses Jahres vom NATO-Gipfel in Chicago verabschiedet worden ist. Ich will auf die Schnelle ein paar Punkte herausgreifen, aus denen Sie ermessen mögen, dass wir jedenfalls aus unserer Sicht, aus Sicht der Bundesregierung durchaus ein Stück vorangekommen sind.

Erstens. Die NATO bekennt sich genauso wie die Bundesregierung auch in diesem Dokument ausdrücklich zu dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen. Sie erklärt das Schaffen von Voraussetzungen für eine Reduzierung substrategischer Atomwaffen um diese geht es auch in diesem Artikel explizit zu ihrem politischen Ziel.

Zweitens. Die NATO ist bereit im Übrigen auch auf deutsches Drängen , sich in den Abrüstungsverhandlungen mit Russland auch dem Ziel einer Reduzierung der Zahl der taktischen Atomwaffen in Europa zuzuwenden.

Drittens. Die NATO nimmt ganz konkrete institutionelle Veränderungen vor, um das Ziel der Rüstungskontrolle und Abrüstung aktiv weiter zu verfolgen. Im Mai wurde beschlossen, dass es bei der NATO in Brüssel einen permanenten Ausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle geben soll.

Viertens. Die NATO bekennt sich wiederum in diesem Dokument dazu, dass die Sicherheit der Allianz auf dem niedrigstmöglichen Streitkräfteniveau zu gewährleisten sei.

Wer sich diesem Dokument zuwendet, dass es seit mehreren Monaten unter anderem auf Website des Auswärtigen Amtes zugänglich ist, wird sehen, dass in dieser „Posture Review“ ein ganzer Abschnitt ungefähr zehn Absätze ausdrücklich und ausschließlich dem Thema „Abrüstung und Rüstungskontrolle“ gewidmet ist. Um es zusammenzufassen: Die NATO erkennt ausdrücklich den Beitrag von Abrüstung und Rüstungskontrolle zur kollektiven Sicherheit an.

Es gibt noch mehr dazu zu sagen. Aber ich denke, das reicht zunächst einmal, um Ihnen deutlich zu machen, dass wir da spreche ich ausdrücklich für den Bundesaußenminister mit den Fortschritten, die wir erreicht haben, nicht hundertprozentig zufrieden sind. Wir hätten uns gewünscht, dass wir da weiter vorankommen. Gleichwohl sind wir auf dem Weg zur Erreichung des Ziels ein gutes Stück vorangekommen.

ZUSATZFRAGE: Herr Schäfer, würden Sie sagen, dass es ein gewisser Widerspruch ist, dass man einerseits das Ziel anstrebt, taktische Atomwaffen aus Deutschland zu entfernen und dann eine Modernisierung dieser Atomwaffen sieht?

Zweitens eine Lernfrage. Muss die Bundesregierung dieser Modernisierung eigentlich formell zustimmen?

DR. SCHÄFER: Das Wort, das Sie im Zusammenhang mit den taktischen Atomwaffen gewählt haben, nämlich dass der „Modernisierung“, kann ich so nicht bestätigen. Aus unserer Sicht und auch aus Sicht der Amerikaner handelt es sich dabei um eine Verlängerung der Nutzungsdauer, die auch dem Ziel dient, die Sicherheit dieser Waffen zu erhöhen. Die Waffen sind das ist kein Geheimnis, aber ich bin sicher, dass der Kollege aus dem Verteidigungsministerium gerne auch ergänzen kann solche, die in den Händen unserer amerikanischen Partner liegen. Deshalb geht es darum, dass wir auch in Gesprächen in der NATO und in Gesprächen mit unseren amerikanischen Bündnispartnern weiter an dem Ziel festhalten.

Ich wiederhole und bekräftige: Es geht um das Bohren von dicken Brettern. Abrüstung und Rüstungskontrolle ist nichts, was sich auf die Schnelle im Wege eines Zeitungsartikels oder einer pfiffigen, schlagkräftigen Meinung lösen ließe, sondern das sind Arbeiten und politische Verhandlungen, die sich über viele Jahre erstrecken.

VORS.: Herr Dienst, möchten Sie das ergänzen?

DIENST: Ich kann das insoweit ergänzen, als dass ich noch einmal den Abholpunkt, den Dr. Schäfer gemacht hat, betone, nämlich dass es hier darum geht, dass das nukleare Dispositiv, das die NATO insgesamt hält egal wo , sicher und effektiv gehalten werden muss, solange die NATO eine nukleare Allianz ist. Das ist Punkt 11 aus dem eben von Dr. Schäfer angesprochen „Nuclear Posture Review“, auf den heute auch schon in der Berichterstattung in der „Frankfurter Rundschau“ Bezug genommen worden ist. Demzufolge sind die Amerikaner gehalten, ihre Atomwaffen in der Nutzung zu verlängern, solange sie eben im Dispositiv bleiben.

Hier darf ich nun weiter aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD zitieren das ist die Bundestagsdrucksache 17/8843 :

„Das von den USA beabsichtigte „Lebensdauer-verlängerungsprogramm“ („Life Extension Program“ – LEP) dient dazu, die Sicherheit und Zuverlässigkeit aller von diesem Programm erfassten Nuklearwaffen auch weiterhin auf höchstem Niveau sicherzustellen und damit die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung zu gewährleisten.“

Ich zitiere weiter:

„Die USA haben in ihrer „Nuclear Posture Review“

das ist also ein Review, den die USA für sich selbst anstellen, nicht zu verwechseln mit der hier eben angesprochenen Überprüfung

festgelegt, dass mit der geplanten Lebensdauerverlängerung keine neuen Einsatzzwecke oder -fähigkeiten geschaffen werden.“

Vergleichen Sie das bitte mit dem Beitrag in der „Frankfurter Rundschau“. Ich zitiere weiter:

„Das LEP ist eine nationale Entscheidung der USA und unabhängig von der Frage der Ausgestaltung der nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO zu sehen.“

Letzter Passus, den ich zitiere:

„Die USA haben in der „Nuclear Posture Review“ explizit darauf verwiesen, dass ein LEP zukünftigen Entscheidungen innerhalb der NATO zur nuklearen Abschreckung und zur nuklearen Teilhabe nicht vorgreift.“

Mehr gibt es dazu aus meiner Sicht nicht zu sagen.

ZUSATZFRAGE: Herr Dienst, können Sie denn die Zahl von 250 Millionen Euro bestätigen, die in dem Artikel genannt werden, mit denen bis zum Jahre 2024 die Einsatzfähigkeit der Tornados aufrechterhalten werden soll? Sind die in direktem Zusammenhang mit den Atomwaffen zu sehen?

DIENST: Es ist so, dass das Waffensystem Tornado, das auch ich betone: auch die Rolle hat, als nuklearwaffenfähiges Trägersystem zu fungieren daneben gibt es noch die Rollen Luft-Boden-Einsätze, Aufklärung, das Niederhalten von gegnerischer Luftverteidigung und die Seekriegführung aus der Luft; all diese Rolle sind in dem Aufgabenportfolio des Systems Tornado , nach jetziger Planung über das Jahr 2025 hinaus in der Bundeswehr in Nutzung zu halten sein wird egal, mit wie vielen der gerade beschriebenen Rollen. Dafür müssen logischerweise finanzielle Mittel aufgewendet werden. Es ist eben bei allen Systemen der Standard, dass man sie am Leben erhält; das geht Ihnen mit Ihrem Auto ja nicht anders. Die Zahl 250 Millionen Euro lässt sich aus keiner der uns verfügbaren Unterlagen herleiten.