Koordinierte Taliban-Angriffe in Afghanistan
Das ist eine Geschichte, die sich derzeit entwickelt: Seit etwa 14 Uhr afghanischer Ortszeit (11.30 MESZ) gibt es in der afghanischen Hauptstadt Kabul und in anderen Orten in Afghanistan eine Serie von angeblich koordinierten Angriffen der Aufständischen gegen ausländische Botschaften und ISAF, aber auch gegen das afghanische Parlament und Ministerien. Noch ist alles im Fluss, ich versuche die einlaufenden Meldungen zu sammeln:
Die hiermit verbundene Botschaft der INS ist wohl:
Seht her das Land rutscht immer mehr ins Chaos – und wir geben den Takt vor.
Die Perzeption von ISAF ist zumindest nach außen eine andere: INS nicht in der Lage eine Frühjahrsoffensive durchzuführen.
Die Macht der Bilder ist hier wohl stärker.
Kann gar nicht sein. Vor wenigen Tagen hat ISAF noch gesagt das dieses Jahr von einer Frühjahrsoffensive der Taliban nichts zu sehen gibt:
No sign of spring offensive by Taliban, NATO says
[Ach, die Zitate und die rechtlichen Probleme… Habe das mal gekürzt, zumal der Link da steht. T.W.]
http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-17719956
Afghanische Parlamentarier und ihre Leibwache liefern sich Feuergefechte mit den Eindringlingen….
Andere Länder andere Sitten. Wenn es nicht so eine dramatische Lage wäre, wäre es lustig.
http://www.aljazeera.com/news/asia/2012/04/201241593838792459.html
http://www.reuters.com/article/2012/04/15/us-afghanistan-attack-idUSBRE83E05620120415
@chickenhawk
Wir duplizieren gerade die Berichterstattung? ;-)
(Den Reuters-Bericht und zuvor schon die jeweiligen Twitter-Meldungen füge ich laufend oben in den Eintrag ein…)
Ich bin in Kabul, in einem anderen Teil der Stadt wo weit und breit nichts von Angriffen zu sehen ist. Der Angriff hier ist offenbar auf Wazir Akbar Khan, das Botschaftsviertel, und die genannten weiteren Orte (Parlament, Sherpur) beschränkt.
Habe auch noch nichts von Verletzten/Toten gehört.
‚Tschuldigung. Habe mich da ein wenig mitreißen lassen. ;-)
Ich bin mal gespannt, wie die ISAF und insbesondere die BW reagieren. Wahrscheinlich wird man sich kultursensibel in die eigenen Festungen zurückziehen, sich bei den Aufständischen für jegliche Unannehmlichkeiten entschuldigen und um Verzeihung bitten, falls man irgendwelche islamischen Sitten und Gebräuche verletzt haben könnte. Denn schließlich sind wir ja Ungläubige und die Aufständischen die einzig wahren Gläubigen, die Ungläubige zertreten dürfen, wann immer ihnen danach ist.
Wurde bei den Gefechten schon ein Koran beschädigt? Ganz schlimm … Schließlich handelt es sich gerade ganz bestimmt nicht um einen Bandenkrieg um die Macht ab 2014, bei dem einige Parteien das religiös-sakrale Element geschickt einsetzen, sondern um verletzte Ehre wahrer Gläubiger … wers glaubt!
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man ja drüber lachen. Denn eine solche Aktion war ja überhaupt nicht absehbar bei der Nachrichtenlage der letzten Wochen, ganz bestimmt nicht …
@chickenhawk
Kein Problem ;-)
(Ich mach jetzt Sonntagsnachmittagskaffeetrinken, passen Sie so lange auf? Interessant ist ja die Frage, ob die Festnahme von 15 potentiellen Selbstmordattentätern in Khanabad bei Kundus eine ähnliche Aktion in Kundus verhindert hat…)
@ Sun Tzu | 15. April 2012 – 15:06
Lt. ISAF regeln das die Afghanen wohl im wesentlichen selbst:
http://blogs.aljazeera.net/liveblog/Afghanistan
@ chickenhawk | 15. April 2012 – 15:21
Deckt sich ja mit meiner etwas sarkastischen Darstellung. ;-)
So setzen sich dann die Parteien mit „natürlicher Stärke“ durch und all jene Afghanen, die sich auf so etwas wie ein staatliches Gewaltmonopol, versprochen und garantiert durch die ISAF, verlassen haben, scheiden mangels Überlebenschance aus dem Stammes- und Banden„dialog“ aus. Auch eine Form der „Stabilisierung“: Der Stärkste und Gewalttätigste hat das Sagen, die Schwächeren halten die Klappe und unterwerfen sich oder scheiden aus dem Leben.
Damit wären wir wieder bei genau dem gesellschaftlichen Entscheidungsfindungsmechanismus, der am Hindukusch seit Jahrhunderten gilt.
Wofür noch mal war ISAF angetreten? Man hätte es also tatsächlich besser bei OEF belassen, seine sicherheitspolitischen Interessen vertreten (Terroristen jagen etc.) und diesen ganzen missionarischen Nation- Building Ansatz mit Petersberg etc. gleich gelassen. Mich würden jetzt mal Statements der Politiker interessieren, die unsere Jungs ursprünglich zum Mädchenschulen bauen dorthin geschickt haben.
Da ISAF ganz wesentlich eine deutsche (interessanterweise primär rot/grüne) Idee war, stellt sich die Frage: Sind wir als Nation vielleicht noch etwas zu klein und zu dumm, um auf der internationalen sicherheitspolitischen Bühne mitzuspielen? Sollten wir vielleicht in Zukunft mal wieder etwas kleinere außenpolitische Brötchen backen und vielleicht auf die hören, die sowas schon etwas länger machen?
In Pakistan befreiten Taliban Hunderte von Insassen eines Gefängnisses in Bannu, Khyber Pakhtunkhwa:
http://www.guardian.co.uk/uk/feedarticle/10195945
@ Sun Tzu
Zitat: „Da ISAF ganz wesentlich eine deutsche (interessanterweise primär rot/grüne) Idee war, stellt sich die Frage: Sind wir als Nation vielleicht noch etwas zu klein und zu dumm, um auf der internationalen sicherheitspolitischen Bühne mitzuspielen? Sollten wir vielleicht in Zukunft mal wieder etwas kleinere außenpolitische Brötchen backen und vielleicht auf die hören, die sowas schon etwas länger machen?“
Eine interessante Fragestellung werfen Sie da auf !
Ich möchte sie um zwei, drei Fragen ergänzen.
Will Deutschland eigentlich Soldaten in ihrem originären Aufgabenbereich, also zum Kämpfen und Besiegen, d.h. zum Vernichten des Gegners einsetzen ?
Sind in Deutschland der Einsatz von Soldaten einfach nur Diplomatie mit anderen Mitteln ? Bis 1990 ging es mit Scheckbuchdiplomatie („Desert Storm“), heute eben Soldateneinsatz ohne Kampfauftrag zum Zwecke der Bündnissolidarität.
Wo sind eigentlich die ganzen rot/grünen Weltverbesserer, Politiker, die uns in dieses Abenteuer reingeritten haben ? Wo ist ein Fischer, Tom König usw. mit ihren Demokratie-, Staatenaufbau, nation buildung usw. Aussagen, mit denen sie der deutschen Öffentlichkeit diesen Einsatz schmackhaft machen wollten ?
Zumindestens sind die besagten Herren heute in gut dotierten Posten versorgt, ansonsten herrscht Funkstille. Mit dem Abgang von Nachtwei, haben sich die Grünen aus der Verteidigungs- und Sicherheitspolitk Deutschlands verabschiedet. D.h. eine kleine Korrektur sei noch angebracht. Meines Wissens haben sich die grünen MdB am lautesten echauviert, als der damalige Bundespräsident Köhler zu dem Afghanistaneinsatz einen Satz aus dem 3 Jahre zuvor verabschiedeten Weißbuch zitiert hat.
Schaumschläger und Versorgungsdienstposten, sonst ist nichts übrig geblieben von der damaligen Staatsführung.
Lt. Press TV aus dem Iran ein US Soldat KIA:
http://www.presstv.ir/detail/236371.html
@Sun Tzu + Georg:
Abseits der Verantwortung von Rot-Grün stellt sich doch mit Blick nach vorne die Frage:
Was lernen wir aus dem nation-building-Versuch in AFG?
Wenn ich die aktuellen Diskussionen in der NATO (comprehensive approach) und die Neuausrichtung der Bw anschaue, dann habe ich große Zweifel, dass man wirklich was daraus gelernt hat.
In den USA hingegen ist die „COIN vs. CT“-Debatte weitgehend abgeschlossen – man kann nur hoffen, dass diese Debatte bei uns vor der nächsten Reform/ Neuausrichtung/ Transformation zumindest ernsthaft begonnen hat. Bisher hatten wir ja noch nicht mal eine ernste Auseinandersetzung über COIN.
Lt. afghanischem Innenministerium nutzten die Insurgenten bei den Anschlägen außerhalb Kabuls Burkas zur Tarnung:
https://twitter.com/svbel/status/191534507390808064
@ Georg | 15. April 2012 – 16:07
Ich will die Fragestellung mal noch einen Schritt erweitern.
Gibt es möglicherweise in der deutschen Gesellschaft ein gewisses Hasardeurwesen, das die Neigung hat, sich in eine (austauschbare) Ideologie hineinzusteigern, dann die Welt am deutschen Wesen genesen wollen, loszurennen, die Lücke zwischen Theorie und Praxis nie zu schließen, um anschließend grandios zu scheitern?
Vor über hundert Jahren ging man in die Welt/Kolonien, um „arme dumme Negerkinder auf den rechten Weg zu geleiten“, nachdem das vollkommen gescheitert war, wollte man alles „nicht völkisch reine“ vorsorglich ermorden, um die Welt zu retten und flog glücklicherweise auch damit vor die Wand. Heute nun heißt das Steckenpferd der Hasardeure dann Genderpolitik, Klimaschutz, Menschenrechte etc. bis hin zum „Responsibility to Protect“, für das man nun die einigermaßen stabile Weltordnung seit dem zweiten Weltkrieg in Frage stellt und sich ein Interventionsrecht in beliebigen Drittstaaten zugesteht, wenn diese nicht so mit ihrem Volk umgehen, wie wir das für richtig halten. In Ländern wie Afghanistan, wo wir konkrete Sicherheitsverantwortung übernommen haben, sind wir dann aber nicht bereit, die notwendigen Ressourcen einzusetzen und unseren Maßstab der Dinge durchzusetzen. Da es zwischen losrennen und scheitern immer eine Zeitverzögerung gibt, machen sich die Leit-Hasardeure in der Zwischenzeit aus dem Staub und setzen sich Richtung „lupenreiner Demokraten“ ab.
Ich fürchte, so zündet man die Welt an. Unseren sicherheitspolitischen Interessen dient das nicht.
Spekulieren wir mal, wie das in Afghanistan weiter geht. 2015 kommen die Taliban wieder an die Macht, ehemalige ISAF-Sympathisanten fliehen und bekommen bei uns Asyl. Anschließend finden diese Menschen in signifikanter Anzahl aufgrund kultureller Unterschiede kaum gesellschaftlichen Anschluss, sind von Deutschland enttäuscht, werden von Salafisten angeworben, radikalisieren sich … und schups importieren wir uns einen religiös kulturellen Konflikt und legen die Saat für einen deutschen Bürgerkrieg 2035.
Video dazu: http://www.youtube.com/watch?v=IpNDaer2-ts&feature=player_embedded
Trügt mein Eindruck oder ist der Anteil von älteren Semestern bei den afghanischen Sicherheitskräfte doch ziemlich hoch?
Wie zu erwarten war behauptet ISAF jetzt das der heutige noch anhaltende Angriff der Taliban auf mehrere Städte zeigt das wir gewonnen haben.
Kein Wort darüber das man nicht die leiseste Ahnung hatte das der Angriff kommen würde.
Was ist im ISAF Headquarter eigentlich im Wasser? Lysergsäurediethylamid?
Uli Gack hat im Interview im ZDF gesagt, dass der Angriff recht schwach ist im Vergleich zum Vorjahr.
Die anfänglichen Angriffe gegen NATO-Einrichtungen seien von den NATO-Kräften wohl beantwortet worden, danach hätten die Afghanen übernommen und den Feind zurückgedrängt.
@ b | 15. April 2012 – 18:44
Irgendwie übersetze ich das anders…
„Jeder Angriff sollte eine Nachricht darstellen: Die legitimierte Regierung und die afghanische Unabhängigkeit sind ein Risiko/stellen ein Risiko dar.
Die ANSF-Antwort selbst beweist, dass es aberwitzig ist (so etwas zu behaupten).“
Da steht nix von gewonnen.
ArmyTimes zu dem ganzen
Der Tenor ist auf jeden Fall, dass sich die afghanischen Sicherheitskräfte wacker schlugen.
@ Sun Tzu
Zitat: „Spekulieren wir mal, wie das in Afghanistan weiter geht.“
Wir haben ja eine „Blaupause“ wie diese Stabilisierungsoperationen weitergehen und zwar durch den Balkankonflikt aus den 90er Jahren hier in Südosteuropa.
1. In Bosnien-Herzegowina wurde eine faktische Dreiteilung der territorialen Einflusszonen erstellt. Zwei Teile, die Bosniaken und die Kroaten arbeiten einigermaßen zusammen in der Regierung, die bosnischen Serben arbeiten „heim ins Reich“ gegen die anderen zwei Teile.
2. Im Kosovo haben wir der organisierten Kriminalität einen eigenen Staat geschaffen. Das es in dem von Serben bewohnten Nordzipfel des Staates noch Ärger gibt, liegt an dem Geburtsfehler des Staates nach der Nato-Intervention. Eine ethnische Trennung der Siedlungsgebiete (keine ethnische Säuberung, sondern eine kontrollierte Umsiedlung !) wäre die zielführendere Lösung gewesen. Ansonsten haben wir im Kosovo einen lupenreinen „OK“-Staat (Organisierte Kriminalität) geschaffen. Die albanische Mafia ist eine der gefürchesten kriminellen Vereinigungen in Deutschland.
Was bedeutet dies nun meiner Meinung nach für die zukünftige Entwicklung in AFG ?
Ich denke, in der Kombination der beiden beschriebenen Phänomene sehen wir die zukünftige Entwicklung in AFG. Einen „Narco-Staat“ haben wir bereits geschaffen. Laut Citha Maass von der Stiftung Wissenschaft und Politik sind die ca. 20 – 30 Drogenbarone der obersten Führungsebene von niemanden mehr angreifbar. Sie werden ihr Interessensgebiet nach Abzug der Nato-Truppen aufteilen.
Eine ethnische Aufteilung von AFG nach Abzug der Nato-Truppen ist ebenfalls sehr wahrscheinlich. Der Stabilitätsfaktor ANA und ANP wird wahrscheinlich nach ethnischen Gesichtspunkten zerfallen, weil eine innere Loyalität und Legitimität zu der Regierung Karzai bei der Mehrzahl der Soldaten nicht vorhanden sein wird. Sie fühlen sich letztendlich ihrem Stamm verpflichtet. Also wird es im Norden eine Regierung der Usbeken und der Tadschiken geben. In der Mitte und im Westen wird die schiitischen Hazara und im Süden und Osten werden die sunnitischen Paschtunen dominieren. Bei den Paschtunen muss noch geklärt werden, ob eine vom Westen unterstützte Regierung die Vorherrschaft übernimmt oder die von Pakistan und Saudi Arabien, Quatar usw. unterstützten sunnitischen Taliban, die ideologisch sehr nach der Saudiarabischen Staatsreligion, dem Wahabismus ausgerichtet sind.
In der Vergangenheit haben die Taliban bewiesen, dass sie aufgrund ihres ideologischen Unterbaus die erfolgreicheren Kämpfer sind, als die gemäßigteren restlichen Paschtunen.
Ich denke es wird eine Frage der Zeit sein, wann eine vom Westen unterstützte Regierung sich den Taliban zuwendet, zunächst zum Kooperieren und um anschließend von den Taliban neutralisiert zu werden. Erste Anzeichen sind bei dem ums Überleben (wörtlich !) kämpfenden Präsidenten Karzai bereits zu sehen.
@someone – „in peril“ in diesem Zusammenhang bedeutet „in großer Gefahr“
(„in peril of death“ = „in Lebensgefahr“)
Uli Gack meint das der Angriff recht schwach war im Vergleich zum Vorjahr. Er übersieht dabei das auf Seiten der Taliban dieses Mal anscheinend deutlich mehr Personal beteiligt war und zudem koordiniert in mehreren Städten zugeschlagen wurde. Ist das wirklich schwächer?
Das man diesesmal nicht den taktische Position im Hochhausrohbau bekommen hat die den vorherigen Angriff so erfolgreich machte ist halt Pech für die Taliban.
Im übrigen wird jetzt, nach neun Stunden, in Kabul immer noch gekämpft. Da ist es vielleicht etwas früh das entgültig zu beurteilen.
Das die Zentralregierung tatsächlich in großer Gefahr ist beweist nach meiner Ansicht der heutige Angriff. Und das ISAF behaupted das Afghanistan ein „legitime government“ habe ist nach Karzais offensichtlichen Wahlfälschungen eine Halluzination die aber ausdrücken soll das ISAF das Einsatzziel erreicht hat.