Der blutige Info-Krieg: Konzertierte Taliban-Attacken in Afghanistan

Unter militärischen Gesichtspunkten, das dürfte keine Frage sein, war der heutige Angriff der Taliban in der Hauptstadt Kabul und anderen Orten Afghanistans kein allzu schwerwiegendes Problem. Schwer bewaffnete Aufständische verschanzten sich an symbolisch wichtigen Stellen Kabuls und verwickelten die Sicherheitskräfte in stundenlange Feuergefechte oder griffen ISAF-Basen in anderen Provinzen an. Die Auswirkungen dieser Gefechte blieben örtlich begrenzt, auch wenn die Auseinandersetzungen in der Hauptstadt am Abend nach mehr als acht  Stunden immer noch andauerten. Die Zahl der Opfer blieb, gemessen an anderen Auseinandersetzungen in diesem Kampf, vergleichsweise gering – neben (laut afghanischem Innenministerium) mindestens 16 getöteten Insurgents gab es 14 verwundete Polizisten und neun verletzte Zivilisten (wobei diese Zahl immer noch steigen kann).

Die koordinierte Anschlagserie sollte allerdings, das ist offensichtlich, keinen taktischen Erfolg erreichen – aber eine Botschaft transportieren: Die Aufständischen schlagen zu, wann und wo sie wollen, und auch schwer bewaffnet im Herzen der schwer gesicherten Hauptstadt. Um so peinlicher achteten die internationalen ISAF-Truppen darauf, ihrerseits mit einer Botschaft zu kontern: Auf die Anschläge reagierten afghanische Sicherheitskräfte, und nur afghanische Sicherheitskräfte. ISAF blieb im Hintergrund präsent und stand nach eigenen Angaben zur Hilfe bereit, wurde aber gar nicht gebraucht.

In den Worten des ISAF-Sprechers, des deutschen Brigadegenerals Carsten Jacobson: Die Taliban wollten zeigen, wie weit sie kommen, und die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihnen gezeigt, wo die Grenzen sind.

Wie die heutigen Angriffe in der afghanischen Öffentlichkeit wahrgenommen und bewertet werden – das wird die eigentlich spannende Frage nach diesem Tag der Gewalt sein. Werden die Afghanen eher der Ansicht zuneigen, dass die Taliban nach Belieben im Land agieren können? Oder doch zu dem Eindruck kommen, dass ihre eigenen Sicherheitskräfte, Armee und Polizei, die Lage auch ohne die ISAF im Griff haben?

Da spielt vielleicht auch eine Rolle, dass Parlamentsabgeordnete zusammen mit ihren Leibwächtern zur Waffe griffen und auf die Aufständischen feuerten. Dass ein paar ausländische Botschaften im Kreuzfeuer lagen, ist da eher nebensächlich – dass ein paar Granaten auf dem Gelände der deutschen Vertretung landeten, die ganz offensichtlich nicht Ziel der Attacke war, ist nur in Deutschland eine Überschrift wert. (Durch Explosionen in der näheren Umgebung hat es auch kleinere Sachschäden auf dem Gelände der deutschen Botschaft gegeben. Zum Glück wurde dabei niemand verletzt. Derzeit befinden sich die Mitarbeiter der Botschaft an einem sicheren Ort.)

Bedenklicher ist da schon, dass die Taliban so nah an die verschiedenen Botschaftsgelände in der vermeintlich besonders gesicherten Zone herankamen.

Die Deutschen, übrigens, hatten heute offensichtlich auch an einem anderen Ort ziemliches Glück: Ganz am Rand heißt es in Berichten, in Kundus seien 15 potentielle Angreifer  festgenommen worden:

Another 15 would-be attackers were arrested in Kunduz province plotting similar strikes, said Lal Mohammad Ahmadzai, a spokesman for the chief of police for north and northeast Afghanistan.

Die hätten sich vermutlich am deutschen PRT in Kundus versucht.