SPD-Chef will den Marschbefehl aus Europa

Dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ein ehemaliger Zeitsoldat ist, wird in der Öffentlichkeit genau so gerne übersehen wie sein langes Festhalten an der Wehrpflicht, auch gegen eine Mehrheitsmeinung in der eigenen Partei. Zu verteidigungs- und sicherheitspolitischen Fragen äußert sich Gabriel allerdings relativ selten, deshalb wird vermutlich manche – auch unter Sozialdemokraten – seine Rede überraschen, die er heute bei den Petersberger Gesprächen gehalten hat. Ich empfehle diese Rede dringend zum Nachlesen (auch im Hinblick auf den Ausgang der Bundestagswahl 2013) – und ich bin sehr gespannt, ob die SPD tatsächlich mehrheitlich eine solche Haltung einnimmt: eine stärkere europäische Verteidigungszusammenarbeit auch, und das ist das entscheidende, auf Kosten der nationalstaatlichen Souveränität.

Gabriel im Wortlaut:

Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit, zusammen mit den anderen demokratischen Parteien des deutschen Bundestages ein starkes Signal an unsere europäischen Partner auszusenden:

„Deutschland ist bereit, auch unter Änderung seines Grundgesetzes, für die Realisierung einer handlungsfähigen gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit verbunden des Fernziels einer Europäischen Armee einzutreten.“

In welcher Form dies geschehen kann, muss Gegenstand einer breit geführten Debatte sein. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass wir dieses Ziel als Verpflichtung in das Grundgesetz aufnehmen.

Soldaten des Jägerbataillons 291, Teil der deutsch-französischen Brigade (Foto: Bruno Biasutto/defense.gouv.fr)

Wie die anderen Parteien setzt auch Gabriel an den Sparzwängen in den Verteidigungshaushalten an, die inzwischen – wenn auch auf hohem Niveau – selbst die USA erreicht haben. Und wie die anderen Parteien zieht er daraus die Konsequenz, dass auf europäischer Ebene dringend eine Arbeitsteilung her muss, um Mehrfachausgaben zurückzuführen. Pooling&Sharing oder Gent-Initiative heißen die Buzzwords, die immer wieder fallen.

Natürlich erwähnt auch der SPD-Chef diese Initiativen:

Pooling & Sharing, die Spezialisierung militärischer Fähigkeiten unter Partnern, gemeinsame Ausbildung und die bessere Abstimmung von Rüstungsprojekten sind gute Ansätze, die es konsequent auszubauen und weiter voranzutreiben gilt. Hier gibt es noch viel Potenzial. Die von Deutschland und Schweden auf den Weg gebrachte so genannte Gent-Initiative setzt genau an dieser Stelle an.

Was wir brauchen, sind ebenso intelligente wie auch mutige Projekte und Initiativen.
Das von Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden bestückte Europäische Lufttransportkommando ist eine Initiative mit deutlichen Synergien bei strategischen Fähigkeiten. Es könnte Vorbild für weitere Projekte sein.

Wir sollten aber auch eine seriöse Diskussion über Spezialisierung von militärischen Fähigkeiten zulassen. Viele unserer EU-Partner haben sehr pragmatische und vernünftige Vorstellungen, in was sie gut sind und was sie verstärkt leisten können. Im Gegenzug würden sie auf andere Fähigkeiten verzichten wollen.

Die deutsch-französische Brigade, das Eurokorps, das deutsch-niederländische Korps und das multilaterale Korps Nordost sind weitere Beispiele bereits bestehender wegweisender Projekte militärischer Zusammenarbeit.
Die Integration bleibt meist auf Stäbe und unterstützende Einheiten beschränkt. Hier müssen wir ansetzen und die Verzahnung der Strukturen weiterentwickeln.

Alles richtig. Aber der Knackpunkt ist ein anderer, und er zeigt sich an dem wegweisenden Projekt deutsch-französische Brigade: Wann ist die denn jemals als Brigade in den Einsatz gegangen? Teile dieser Brigade wurden im vergangenen Jahr nach Afghanistan geschickt – allerdings die deutschen Soldaten, unter deutschem Kommando. Als deutsch-französische Einheit ist das bislang nicht passiert.

Denn da sei auf deutscher Seite der Bundestag vor: dass eine gemeinsame Einheit aus verschiedenen europäischen Ländern in den Einsatz geht, ohne dass die Abgeordneten für den deutschen Anteil ein recht detailliertes Mandat vorgegeben hätten. Oder dass die Bundeswehr für internationale Einsätze Spezialisten vorhält, die dann aber nicht entsendet, weil Deutschland bei einem Einsatz aller anderen Nationen eben nicht mitmacht. So ähnlich passierte es doch vor Jahresfrist beim Thema Libyen – im NATO-Rat billigte die Bundesrepublik zwar diese Mission, beteiligte sich aber nicht und zog im Gegenteil umgehend die Marineeinheiten vor Ort aus der Embargoüberwachung ab.

Das darf, sagt Gabriel, nicht mehr vorkommen:

Wenn es aber darum geht, die von mir eingangs erwähnte drohende Marginalisierung der europäischen Staaten auf der internationalen Bühne zu verhindern, reichen die soeben geschilderten Maßnahmen bei weitem nicht aus.
Hier ist zuallererst die Politik gefordert, einen glaubwürdigen politischen Impuls hin zu einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu geben. Das ist die Herausforderung der Stunde, der sich die Politiker in allen europäischen Hauptstädten gemeinsam stellen müssen, auch in Berlin.

Für Deutschland bedeutet dies zunächst verloren gegangenes Vertrauen in unsere Bündnissolidarität zurückzugewinnen. Törichte Alleingänge, wie in der Libyenkrise, dürfen wir uns in Zukunft nicht leisten.

Wenn wir uns im Jahr 2050 in einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wiederfinden wollen, müssen wir bereit sein, unsere sicherheits- und verteidigungspolitischen Ziele abzustimmen. Auch wenn es schwer fällt, müssen wir bereit sein, wie schon zuvor in anderen Politikbereich, auch im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich Schritt für Schritt Souveränität abzugeben.

Da ist es, das Reizwort: Souveränität abgeben. Wer sich an das Bonmot erinnert (ich weiß gerade nicht mehr, wer es geprägt hat): Europa gibt 50 Prozent der Verteidigungsausgaben der USA aus und erzielt damit zehn Prozent der Ergebnisse, dem ist klar, dass angesichts knapper – und schrumpfender – Verteidigungshaushalte nur der Weg der Zusammenarbeit funktioniert, auch unter Aufgabe eigener Fähigkeiten, in Arbeitsteilung mit europäischen Verbündeten.

Ich bin gespannt, ob Gabriel für diesen Ansatz auch nur in den eigenen Reihen eine Mehrheit findet, und dann darüber hinaus. Denn Souveränität auf diesem Feld abzugeben heißt auch, die Entscheidung für den grundsätzlichen Marschbefehl abzugeben. Und gegebenenfalls deutsche Soldaten für Europa loszuschicken, selbst wenn es dafür im eigenen Land keine politische Mehrheit gibt.