Zum Nachlesen: Kampfdrohne für die Bundeswehr

Zum Thema (Kampf)Drohnen hatte ich hier auf einen Bericht in loyal verwiesen, dem Magazin des Reservistenverbandes. Da die Geschichte bislang nicht online zu lesen war, bin ich den Kollegen dankbar, die mir das Einstellen ihres Berichts für die Leser von Augen geradeaus! gestattet haben:

loyal 01/2012

Der Assassine

Lautlos, punktgenau und tödlich agieren Spezialkräfte seit Jahrhunderten. Die Bundeswehr erwägt, Kampfdrohnen mit dieser Aufgabe zu befassen. In Bremen laufen Versuche mit einem sich selbst zerstörenden Automaten

Von Lorenz Hemicker

Um die mittelalterliche Sekte der Assassinen ranken sich Legenden und Mythen. Noch heute bieten die lautlosen und tödlichen Elitekämpfer aus dem Orient reichlich Inspiration für Filme und Computerspiele. Der Wahrheit entspricht wohl, dass sie bedeutende Gegner, nur mit einem Dolch bewaffnet, ausschalteten und dabei häufig den eigenen Tod in Kauf nahmen. Für Elitesoldaten westlicher Staaten sind derartige Himmelfahrtkommandos heutzutage undenkbar. Vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen im Afghanistaneinsatz erwägt das Verteidigungsministerium allerdings, die Taktik der Assassine künftig zu kopieren, um in asymmetrischen Konflikten hochwertige Ziele ohne Gefahr für die eigene Truppe anzugreifen. Für das Heer wird eine Waffe entwickelt, die unter dem sperrigen Projektnamen „Wirksystem zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen“, kurz: „Wabep“, firmiert. Dieser „Dolch“ könnte das Heer in die Lage versetzen, auf bis zu 150 Kilometer Entfernung quasi aus dem Nichts heraus Fahrzeuge und Zielpersonen zu eliminieren.

Bremen, im Dezember: Eine knappe Viertelstunde vom Marktplatz der Hansestadt entfernt ragen die grauen Bürogebäude und Hallen der Firma Rheinmetall in den verregneten Himmel. Davor stehen einige Bundeswehrlastkraftwagen. Vor drei Monaten hat das Rüstungsunternehmen das Wabep-System erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Nun wollen die Unternehmensvertreter zeigen, was Wabep leisten kann.

Es ist der zweite Anlauf von Rheinmetall, ein Kampfdrohnensystem für die Bundeswehr zu entwickeln. 1997 erhielt die Firma vom Verteidigungsministerium den Entwicklungsauftrag für ein Rüstungsvorhaben namens „Taifun“, das in der Bundeswehr seit 1988 Konturen angenommen hatte. Die Kampfdrohne sollte sich, tief hinter den feindlichen Linien, wie ein Kamikaze auf Panzerverbände, Gefechtsstände und am Boden befindliche Hubschrauber des Warschauer Pakts stürzen. Doch das Produkt von Rheinmetall stellte das Verteidigungsministerium nicht zufrieden. So sollte die Drohne etwa automatisch Ziele erkennen und bekämpfen können. Eine Forderung, die bis heute technologische Fiktion geblieben ist. Nach zwölf Jahren Entwicklungszeit konstatierte das Verteidigungsministerium, die technischen und finanziellen Risiken des Projekts seien nicht beherrschbar. 2007 wurde das Rüstungsvorhaben offiziell eingestellt. Bald darauf monierte der Bundesrechnungshof die hohen Kosten für den Fehlschlag. „Die Bundeswehr“, heißt es im Jahresbericht 2009, habe „beim Abbruch eines Vorhabens zur Entwicklung von Kampfdrohnen unnötige Ausgaben von 168 Millionen Euro verursacht.“

Heute fehlt der Bundeswehr für die Entwicklung einer eigenen Kampfdrohne das Geld. Nach wie vor erwägt die Luftwaffe zwar, das US-amerikanische „Predator“-System zu beschaffen. Parallel dazu baut jedoch Rheinmetall an einer Kombilösung für das Heer, die aus der Verschmelzung zweier bereits vorhandener Systeme besteht. Wabep ist letztlich eine Synthese aus dem deutschen „Kleinfluggerät Zielortung“ (KZO) und der israelischen Kampfdrohne „Harpy Optronics“ (Harop).

Die Ursprünge von KZO reichen drei Jahrzehnte zurück. 1980 wurden die taktischen Forderungen für die ursprünglich als reines Artilleriebeobachtungssystem entworfene Drohne formuliert. Bis zur Übergabe des ersten Seriensystems an die Bundeswehr vergingen 25 Jahre. Seit Juli 2009 starten KZO aus dem Feldlager Kundus zu Aufklärungseinsätzen über Nordafghanistan, um in einem Radius von bis zu 100 Kilometern feindliche Ziele zu entdecken, zu identifizieren und zu lokalisieren. Während des Flugs werden die Wärmebild- und künftig auch TV-Bildaufnahmen der allwetterfähigen Drohne über eine direkte Funkverbindung in Echtzeit mit der Bodenkontrollstation ausgetauscht. Nach spätestens fünfeinhalb Flugstunden kehrt KZO per Fallschirm auf die Erde zurück.

Während beim KZO eine unfallfreie Landung angestrebt wird (was häufig misslingt), ist sie bei „Harop“ gar nicht vorgesehen. „Harop“ wendet die Taktik der Assassinen an. Sobald das Fluggerät aus dem mobilen Raketenkanister schießt und die Flügel ausklappt, sind seine Stunden gezählt. 360 Minuten verbleiben, um die Drohne ins Ziel zu lenken – oder abstürzen zu lassen. Weil „Harop“ stundenlang in der Luft verweilen kann, wird er in Fachkreisen als „loiterfähige“ Munition bezeichnet. „Loitern“ steht für „herumlungern“. Wie KZO ist auch die nur 2,50 Meter lange und drei Meter breite Kampfdrohne bereits etabliert. Mit bis zu zehn Kilogramm Sprengstoff beladen, stürzt sie sich quasi aus dem Nichts auf ihr Ziel. Dazu kann sie auf knapp 4000 Meter Höhe steigen, um dann vertikal mit bis zu 200 Metern pro Sekunde dem Boden entgegen zu rasen. Alternativ kann „Harop“ auch diagonal und horizontal anfliegen. Das Fluggeräusch gleicht dem eines Rasenmähers. Für den Feind, heißt es bei Rheinmetall, sei es frühestens zwei Sekunden vor dem Einschlag zu hören – zu spät, um sich in Sicherheit bringen zu können. Solange die Datenverbindung besteht, kann der Operateur den Anflug über eine Infrarotkamera live verfolgen, kontrollieren und den Angriff gegebenenfalls abbrechen.

Je weiter „Harop“ jedoch von der Bodenkontrollstation entfernt und je gebirgiger die Umgebung ist, desto früher reißt der Kontakt zur Drohne ab. Mehr als eine halbe Minute, so ein Systementwickler, könnten zwischen dem letzten Befehl der Bodenkontrollstation und dem Einschlag vergehen. Ein blindes Zeitfenster, das Rheinmetall mit Wabep schließen will, indem KZO die Funkverbindung mit „Harop“ bis zum Einschlag aufrechterhält und damit die Bilder der Drohnensensoren vom Angriff fortlaufend an die Bodenkontrollstation überträgt. Wie das in der Praxis konkret gelingen soll, demonstrieren die Vertreter der Firma Rheinmetall an diesem Tag im Systemdemonstrationsraum der Bremer Firmenniederlassung. Auf einer langen Tischreihe sind die Konsolen von KZO und „Harop“ aufgebaut. Auf den Lagebildschirmen des Bedienerpults leuchtet ein altbekanntes Szenario. In Kalter-Krieg-Manier bewegt sich auf die fränkische Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber von Osten eine Panzerkolonne zu. Über dem Gebiet kreisen ein KZO und mehrere „Harops“. Die Simulation, sagen die Rheinmetall-Vertreter entschuldigend, sei der sicherheitspolitischen Realität nicht ganz angepasst. Auf eine neue Lagekarte sei jedoch der Kosten wegen verzichtet worden und die „Harop“ gingen erst in die Luft, wenn ein klar identifiziertes Ziel ausgemacht w√§re.

Derweil schaltet ein Mitarbeiter an der „Harop“- und an der KZO-Bodenkontrollstation jeweils eine Drohne auf den vordersten Panzer auf und leitet den Angriff ein. Auf den Monitoren der Bodenkontrollsysteme läuft der Countdown: zwei Minuten bis zum Einschlag. Während „Harop“ mit dem Zielanflug beginnt, hält das KZO den Führungspanzer aus einer anderen Perspektive im Visier. Im scharfen Einsatz könnte das KZO während der Zielanflugphase dem „Harop“ nicht nur als zusätzlicher Beobachter, sondern auch als Relaisstation dienen. Damit soll bei Wabep sichergestellt werden, dass der Kontakt zur „Harop“-Drohne bis zuletzt mit Sicherheit gehalten werden kann.

Harop ist über dem Panzer angekommen – 30 Sekunden bis zum Aufschlag. Die Drohne kippt vertikal nach unten, der Tank gewinnt auf dem Monitor der „Harop“-Kontrollstation, auf den die Kamerabilder projiziert werden, rasch an Größe. Als die Drohne den Panzer trifft, erlischt auf demMonitor des „Harop“-Bedienpults das Bild.

Auf dem Schirm der KZO-Kontrollstation nebenan quillt eine animierte Pixelqualmwolke aus dem zerstörten Panzer. In der Praxis, sagt der Projektleiter, könne „Harop“ zwar keinen Kampfpanzer zerstören, wohl aber Gefechtsstände, Häuser und natürlich handelsübliche Personenwagen.

Die Sprengkraft von „Harop“ lässt sich in einem Werbevideo des Herstellers Israel Aerospace Industries (IAI) betrachten. Darin stürzt sich die Kampfdrohne auf ein fahrendes Schnellboot. Das Ziel, eine rund vier mal vier Meter große Zielplattform am Heck, zerschlägt das Geschoss mit voller Wucht und verursacht dabei eine gewaltige Wasserfontäne. Die Vertreter des israelischen Partners in Bremen versichern, die Drohne sei bei diesem Angriff nicht einmal mit einer Sprengladung bestückt gewesen. Ihre kinetische Energie hat ausgereicht, um die Zielplattform zu zerstören. Das lässt die Zerstörungskraft einer mit Sprengstoff beladenen „Harop“ erahnen.

Doch das Werbevideo kann die Zweifel an Wabep nicht vollständig ausräumen. So lässt sich– wie bei anderen „intelligenten“ Waffensystemen auch – etwa die Zielgenauigkeit nicht hundertprozentig garantieren. Chirurgische Präzisionsschläge, wie sie von der Rüstungsindustrie gern versprochen und von den Militärs gefordert werden, sind mit ferngesteuerten Waffensystemen keineswegs garantiert. Hinzu kommt: Der massenhafte Einsatz von Kamikazedrohnen ist aus Kostengründen unrealistisch. Der „Harop“-Stückpreis liegt bei mehreren Hunderttausend Euro, weshalb sein Einsatz nur in Missionen von strategischer Bedeutung infrage käme. Dabei könnte es sich um Entlastungsangriffe handeln, in denen Truppen nicht anderweitig unterstützt werden können, um gezielte Angriffe auf Bombenwerkstätten oder Anführer von Aufständischen.

Die Begeisterung über das System hält sich im politischen Berlin ohnehin in Grenzen. Ein abschließendes Urteil, heißt es aus mehreren Bundestagsfraktionen, habe man sich weder über Kampfdrohnen im Allgemeinen noch über Wabep im Besonderen gebildet. Wo eine Haltung eingenommen wird, fällt sie eher kritisch aus. „Man muss mir erstmal erklären, wozu die Bundeswehr Kamikazedrohnen braucht“, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour. „Für mich ist klar, dass man damit in den Bereich der gezielten Tötungen einsteigen würde.“ Skeptisch äußert sich auch Dr. Marcel Dickow, Rüstungsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP). „Ich glaube nicht, dass die Bundeswehr Kampfdrohnen zur gezielten Tötung einsetzen wird“, sagt er. Die Forderung nach einer Kampfdrohne sei zwar militärisch folgerichtig, die gezielte Tötung einzelner Personen aber politisch umstritten – und rechtlich äußerst heikel.“Außerdem“, , äußert Dickow, „ist das System heute technisch überholt, insbesondere die Aufklärungskomponente KZO.“

Rheinmetall sieht das anders. „Wabep zählt zu den wichtigsten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr, da es künftig eines der Hauptwaffensysteme des Heeres sein soll“, sagt Firmensprecher Oliver Hoffmann und betont, dass nur Wabep bis zuletzt zwei elektronische Augen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Ziel richten könne. Die Bundeswehr selbst wollte sich zu den Stärken und Schwächen des Systems nicht äußern. Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung teilte lediglich mit, dass es zunächst die endgültige Entscheidung des Verteidigungsministeriums über die Fortsetzung des Projektes abwarte.

Derweil wird der Assassine andernorts geradezu euphorisch gefeiert. Im Frühjahr 2010 stellten die indischen Streitkräfte anlässlich der Einführung des „Harop“ ein Video im Internetportal Youtube ein. Der Beitrag trägt einen denkwürdigen Titel. Er lautet: „Indiens erster Selbstmordbomber enthüllt.“