Berufliche Unsicherheit und noch immer Munitionsmangel

Wenn der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, am heutigen Vormittag seinen Tätigkeitsbericht vorlegt, sind viele der von ihm beklagten Mängel Dauerbrenner – bis hin zum Fehl an Übungs- und Gefechtsmunition. Hier schon mal die (vorab mit Sperrfrist 10.30 Uhr) veröffentlichte Mitteilung dazu:

Der vorliegende Bericht ist der 53. in der Reihe der Jahresberichte der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Er versteht sich als Teil einer kontinuierlichen Unterrichtung des Deutschen Bundestages, insbesondere des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses. Angesichts der gravierenden Veränderungen der Bundeswehr durch die eingeleitete Neuausrichtung richtet der Bericht den Blick auch nach vorne und spricht Herausforderungen an, die sich aus der Aussetzung der Wehrpflicht, der Verkleinerung der Streitkräfte und der Standortentscheidung ergeben.
Innere Lage der Streitkräfte
Die innere Lage der Streitkräfte ist grundsätzlich stabil. Ungeachtet dessen stößt man bei Soldatinnen und Soldaten fast aller Dienstgradgruppen in weiten Teilen auf eine schlechte Stimmung und eine tiefgreifende Verunsicherung, die vor dem Hintergrund der Neuausrichtung insbesondere mit der Ungewissheit über die eigene Zukunft zu tun hat. Dennoch ist noch immer eine hohe Leistungsbereitschaft und Motivation zu spüren.
Besonderes Augenmerk galt auch im vergangenen Jahr dem Thema Rechtsextremismus. Vorfälle dieser Art müssen von der Truppe als „Besonderes Vorkommnis“ (BV) gemeldet werden. Mit 63 gemeldeten BV war ihre Zahl im Berichtsjahr erneut rückläufig. Alle Vorgänge wurden nach hiesigen Erkenntnissen von der Truppe eingehend untersucht und geahndet. Bei den abschließend geklärten Fällen handelt es sich ausschließlich um sogenannte„Propagandadelikte“.
Einsparungen zulasten der Soldatinnen und Soldaten
Schwerpunkte des Berichts sind neben den allgemeinen Bedingungen des Dienstes in den Streitkräften die Einsätze und die damit verbundenen Fragen der Ausbildung und Ausrüstung, die Nachwuchsgewinnung, der Sanitätsdienst und die Versorgung Verwundeter, Traumatisierter und Hinterbliebener. Alle diese Bereiche berühren Fragen der Vereinbarkeit von Dienst und Familie und der Attraktivität des Dienstes. Die im Bericht aufgelisteten Defizite machen abermals deutlich, dass die Bundeswehr – zumindest nach Einschätzung großer Teile der Truppe – seit Jahren strukturell unterfinanziert ist und Einsparungen erfahrungsgemäß zulasten der Soldatinnen und Soldaten gehen.
Mit der Neuausrichtung ist auch das Standortkonzept überarbeitet worden. Die Chance, langfristig durch eine regionale Zusammenfassung von Verbänden und Schulen lange Anfahrtswege und Abwesenheiten von der Familie zu reduzieren, wurde dabei leider vertan. Deshalb bleibt es bei der sehr hohen Quote an Pendlern in der Bundeswehr. Etwa 70 Prozent der Soldatinnen und Soldaten pendeln mittlerweile zwischen ihrem Wohn- und Dienstort, viele von ihnen über mehrere hundert Kilometer. Dies bringt erhebliche Belastungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen mit sich. Eine Folge dieser häufigen Abwesenheit von zu Hause sind zum Teil extrem hohe Trennungs- und Scheidungsraten – in einzelnen Bereichen liegen diese bei bis zu 80 Prozent. Zunehmend fällt es vielen Soldatinnen und Soldaten aufgrund der häufigen und langen Abwesenheit schwer, überhaupt ein soziales Umfeld aufzubauen. Das ist eine Entwicklung, die das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform gefährdet. Zur Verbesserung der Situation der Pendler sollen nach dem neuen Standortkonzept freiwerdende Liegenschaften als Pendlerunterkünfte genutzt werden. Bisher fehlen dafür aber Haushaltsmittel. Die für Baumaßnahmen im Haushalt vorgesehenen 785 Mio. Euro sind bereits anderweitig verplant, neue Baumaßnahmen können daher zunächst nicht in Angriff genommen werden.
Auch wenn die Zahl der Bewerber für den freiwilligen Dienst in den Streitkräften nach Angaben des Ministeriums derzeit noch ausreichend ist, die allgemeinen Rahmenbedingungen für den Dienst sind es nicht. Nach wie vor gibt es beispielsweise erhebliche Beförderungsstaus wegen fehlender Planstellen. Allein durch das angekündigte Reformbegleitgesetz werden diese Rahmenbedingungen bei weitem nicht ausreichend verbessert.
Sorgen bereitet weiterhin der Sanitätsdienst. Trotz Verbesserung der Nachwuchsgewinnung ist die Personallage nach wie vor unbefriedigend. Ohne Rückgriff auf private Ärzte und Einrichtungen könnten die freie Heilfürsorge und die Versorgung im Einsatz nicht gewährleistet werden. Das aber ist der Kernauftrag des Sanitätsdienstes.
Verbesserte Versorgung, aber Verfahren zu lang und kompliziert
Deutlich verbessert hat sich im Berichtsjahr die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten. Mit dem Einsatzversorgungsverbesserungsgesetz hat der Gesetzgeber die Absicherung im Falle von Verwundung, Traumatisierung und Tod erheblich erweitert. Das haben die Soldatinnen und Soldaten mit großer Zustimmung und Genugtuung zur Kenntnis genommen. Massive Probleme gibt es allerdings bei der Geltendmachung von Ansprüchen. Die Verwaltungsverfahren bei Versorgungsfällen sind zu kompliziert, sie dauern zu lange und es müssen zu viele Stellen beteiligt werden. Hier ist dringend Abhilfe nötig. Die Betreuung und Versorgung Verwundeter und Traumatisierter muss zentralisiert werden und vom Dienstherrn aktiv und umfassend wahrgenommen werden. Ein Problem sind dabei die immer noch unzureichenden Behandlungskapazitäten, weil es zu wenig Psychologen und Psychiater in der Bundeswehr gibt. Die Zahl der Traumatisierten steigt dagegen nach wie vor an und hat im vergangenen Jahr mit 922 einen Höchststand erreicht.
Mehr geschützte Fahrzeuge, weniger Flugstunden, Munitionsmangel in der Ausbildung
Der Dienst in den Streitkräften wurde im Berichtsjahr einmal mehr von den Auslandseinsätzen bestimmt. Mit der Umsetzung des Partnering-Konzeptes in Afghanistan hat sich die Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten verändert, geringer geworden ist sie nicht: Im vergangenen Jahr verloren sieben Soldaten im Einsatz ihr Leben, 63 Soldaten wurden verwundet, zum Teil schwer. Darunter waren 19 Soldaten, die bei den Zwischenfällen an der kosovarisch-serbischen Grenze verwundet wurden.
Angesichts der mit dem Einsatz verbundenen Risiken haben die Soldatinnen und Soldaten Anspruch auf die bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung. Dies war im vergangenen Jahr unter anderem aufgrund von Mängeln in der Ausbildung leider nicht immer gewährleistet.
Während in Afghanistan im vergangenen Jahr deutlich mehr geschützte Fahrzeuge in den Einsatz gebracht und auch die Bewaffnung verbessert werden konnte, hat sich die Situation beim Lufttransport nochmals verschlechtert. Statt acht standen in Afghanistan nur noch sechs Hubschrauber des Typs CH-53 zur Verfügung. Die Zahl der Hubschrauberflugstunden im Einsatz musste von 1.600 auf 1.200 reduziert werden. Die Bergung von Verwundeten und die Luftnahunterstützung kann überhaupt nur durch die Verbündeten sichergestellt werden. Alarmierend war im Berichtsjahr ein in der Ausbildung aufgetretenes Fehl an Handfeuerwaffen und Übungs- sowie Gefechtsmunition für diese Waffen. Trotz „Poolbildung“ und „Engpassmanagement“ kam es zu nicht unerheblichen Einschränkungen der allgemeinen sowie der einsatzvorbereitenden Schießausbildung.