Wenn die Wehrbereichsverwaltung gratuliert

Das Ringen um die Neuregelung der Versorgung für im Einsatz verwundete Soldaten, sperriger Titel Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, geht in die letzte Runde. Vor der abschließenden Parlamentsberatung voraussichtlich Ende Oktober hatte der Verteidigungsausschuss des Bundestages heute zur öffentlichen Anhörung geladen. Und dabei ging es zwar großenteils um die Defizite, die der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf gegenüber der ursprünglichen Forderung der Bundestagsabgeordneten hat, wie eine Beweislastumkehr bei einem Post-Traumatischen Belastungssysmptom (PTBS) und der Senkung der Erwerbsminderung von 50 auf 30 Prozent als Voraussetzung für die Weiterbeschäftigung von Zeitsoldaten und Reservisten. Aber auch, und das war die interessante Erkenntnis dieser Anhörung, um ganz große nicht-gesetzliche Schwierigkeiten: Viele (mitunter auch existentielle) Probleme, denen sich verwundete Soldaten gegenüber sehen, haben nicht in erster Linie mit den Gesetzesregelungen zu tun – sondern mit dem Vorgehen der Verwaltung. Oder, noch schlimmer, mehrerer nebeneinander agierender Behörden.

(Zur Erinnerung: Fast komplett fraktionsübergreifend hatte der Bundestag im Oktober 2010 einen Antrag – Bundestagsdrucksache 17/2433 – beschlossen, in dem Verbesserungen für die Verwundeten verlangt werden. Das Bundeskabinett hatte am 31. August dieses Jahres dazu einen Gesetzentwurf – Bundestagsdrucksache 17/714 – gebilligt, der etliches davon aufgreift, anderes aber nicht. Insbesondere die Senkung der Weiterbeschäftigungsgrenze von 50 auf 30 Prozent Erwerbsminderungsfähigkeit war am Widerspruch des Innenressorts vorerst gescheitert. Allerdings sind die meisten Fraktionen auf dem Weg, trotz des Widerstands der Innenpolitiker in ihren Reihen das Gesetz an dieser Stelle nachzubessern.)

Die Verteidigungspolitiker der meisten Fraktionen dürften sich heute mit den Sachverständigen in deren Kritikpunkten einig gewesen sein – und deren Argumentation folgen, warum die Senkung des Grades der Schädigungsfolgen (dieser Begriff hat offensichtlich die alte Minderung der Erwerbsfähigkeit abgelöst) und die Beweiserleichterung bei der Geltendmachung einer Wehrdienstbeschädigung sinnvoll sind. Auch das Gegenargument, Soldaten würden damit besser gestellt als andere Beamten, lässt sich ja mit dem Hinweis kontern, dass Soldaten anders als normale Beamte in ihrem besonderen Verhältnis zum Staat bewusst in Situationen mit Gefahr für Leib und Leben geschickt werden.

Doch Nachbesserungsbedarf gibt es ganz offensichtlich weit unterhalb der Gesetzesschwelle. So berichtete Oberst Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, von den Erfahrungen seines Verbandes mit dem Schicksal von Hauptfeldwebel Boris Schmuda. Der war 2007 bei einem Sprengstoffanschlag in Afghanistan schwer verwundet worden. Seitdem trägt er zwei Hörgeräte, auf jedem Ohr eines und leidet unter den PTBS-Folgen dieses Anschlags, von anderen Verwundungen zu schweigen. Dennoch, erzählte Kirsch, wurde der Hauptfeldwebel von den Sachverständigen auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent festgesetzt. Die zuständige Werhbereichsverwaltung hat ihm zur Genesung gratuliert.

Das ist eine bürokratische Mühle, sagt Andereas Timmermann-Levanas vom Bund Deutscher Veteranen und selbst PTBS-Geschädigter. Nach einer Verwundung im Einsatz gehe es schon damit los, dass die Akten eines Falles zwischen der zuständigen Wehrbereichsverwaltung und den medizinischen Gutachtern im Sanitätsamt der bundeswehr hin- und her geschickt würden – und es habe auch einen Fall gegeben, wo ein Sozialgericht zwei Mal bei der Wehrverwaltung um eine Stellungnahme bat, die aber nicht kam: die Akten seien gerade beim Sanitätsamt, außerdem gehe der Sachbearbeiter demnächst in Urlaub.

Im Sanitätsamt wiederum, schilderte Timmermann-Levanas aus seiner Kenntnis zahlreicher Fälle, gebe es einfach zu wenige Gutachter, so dass Aufträge an externe, zivile Gutachter vergeben würden: Dann kann es sein, dass eine Anästhesistin auf zehn Seiten Papier begründet, warum eine frühkindliche Schädigung nichts mit dem Einsatz zu tun hat – und ein im Einsatz psychisch geschädigter Soldat leer ausgeht. Obendrauf kommt dann noch – bei ausgeschiedenen Soldaten – die Zuständigkeit der Versorgungsämter in den Ländern, die wiederum recht unterschiedlich arbeiten. Ein Soldat, der sich um Anerkennung seiner Schädigung während des Kosovo-Einsatzes 1999 bemühte, habe erst vor kurzem seine Versorgungsleistungen zuerkannt bekommen – weil er in ein anderes Bundesland umgezogen ist. Ich könnte Ihnen unzählige Beispiele nennen, sagte der frühere Offizier den Abgeordneten. Und nannte dann schnell noch den Fall eines Soldaten, der 2003 als Fahrer in dem von Aufständischen angesprengten Bus in Kabul saß – und noch immer keine endgültige Entscheidung über seine Versorgungsleistungen auf Grund psychischer Spätschäden hat. Dafür aber einen Pfändungsüberweisungsbeschluss des Finanzamtes über 5.000 Euro, weil er während seiner psychiatrischen Behandlung die ganzen Steuertermine versäumte.

Für die Begutachtung gerade der psychischen Schäden seien in der Bundeswehr praktisch keine Kriterien festgelegt, beklagte auch Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (und warum der Oberstarzt ohne Angabe seines militärischen Rangs, dafür als Dr. med. und Einzelsachverständiger in der Anhörungsliste genannt wurde, wäre auch noch mal eine gesonderte Betrachtung wert). So habe zwar die Polizei für ihre PTBS-Fälle Richtlinien für die Einordnung in Schädigungs-Kategorien festgelegt – aber nach seiner Erfahrung würden die Soldaten oft im Vergleich niedriger eingestuft. Das könnte mit einer Verwaltungsverordnung geregelt werden – da sehe ich das Hauptproblem. Im Unterschied zu zivilen Opfern zum Beispiel von schweren Unfällen neigten übrigens Soldaten, sagt der Bundeswehr-Mediziner, in der Regel dazu, ihr Problem herunterzuspielen. Weil eine psychische Belastung nicht zum Soldaten-Image passe: Da gibt es wenig Simulation.

Das bürokratische Regelwerk, so ein Fazit der Verbände und Sachverständigen, bringt verwundete Soldaten oft in eine finanzielle Notlage. Denn Anspruch auf Zahlungen haben sie erst, wenn ihre Schädigung als Folge des Einsatzes nicht nur bewertet, sondern auch abschließend festgestellt ist.

Unterm Strich: Eine gesetzliche Neuregelung ist offensichtlich nötig und inzwischen auch absehbar. Auf eine Verbesserung können die Betroffenen allerdings nur hoffen, wenn auch die entsprechenden Verwaltungsvorschriften angepasst und die Bürokratie zu ihren Lasten entschärft wird. Dabei, auch das machten die Sachverständigen in der Anhörung klar, geht es nicht um große Summen, sondern um Einzelfälle mit einer – im Vergleich zum Verteidigungshaushalt – geringen Summe. Oder, wie es der Hamburger Anwalt Arnd Steinmeyer ausdrückte, der verwundete Soldaten vertritt: Wenn die Bundeswehr 16 Millionen Euro für Personalwerbung ausgeben könne, sollte sie auch das Geld für die Versorgung der Verwundeten und die Entschädigung der Hinterbliebenen finden. Das ist deutlich mehr wert als Radiowerbung.

 Nachtrag: Das kommt gerade vom ARD-Haupststadtstudio:

Das Bundesverteidigungsministerium hat im Streit um die bessere Versorgung von Soldaten, die im Auslandseinsatz verwundet worden sind, Zugeständnisse signalisiert. Der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey, CDU, betonte im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio, dass die strittige Regelung des jetzigen Gesetzentwurfes zum Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz vor allem auf verfassungsrechtlichen Bedenken von Innen- und Justizministerium beruhe. „Das heißt aber nicht, dass die Abgeordneten nicht frei sind, das anders zu entscheiden und wenn es eine Verbesserung der Situation für die Soldaten dadurch geben sollte, wären wir die letzten im Verteidigungsministerium, die dagegen wären“, sagte Kossendey. Bislang sieht die Regelung vor, dass Soldaten, die im Einsatz so stark verwundet worden sind, dass sie zu 50 Prozent in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind, einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung haben. Parlamentarier aus Union, SPD, FDP und Grünen halten diese Grenze für zu hoch und fordern eine Absenkung auf 30 Prozent.