Mehr Angriffe, weniger Kaperungen – und mehr Gewalt

Der vierteljährliche Bericht des internationalen Piracy Reporting Centre wartet mit einer schlechten und einer guten Nachricht auf: In den ersten neun Monaten dieses Jahres gab es 352 Piratenangriffe auf Handelsschiffe, so viel wie noch nie in den ersten drei Quartalen eines Jahres. Und für mehr als die Hälfte, 56 Prozent, waren Seeräuber aus Somalia verantwortlich. Aber: zugleich ging, insbesondere vor Somalia, die Zahl der erfolgreichen Kaperungen zurück. In lediglich zwölf Prozent der Versuche erreichten die Piraten zwischen Januar und September dieses Jahres ihr Ziel – im vergangenen Jahr hatte ihre Erfolgsquote 28 Prozent betragen.

Die rückläufigen Erfolge der somalischen Piraten führen die Beobachter in Kuala Lumpur nicht zuletzt auf die massive Präsenz von Seestreitkräften am Horn von Afrika zurück. Aber auch darauf, dass die Reedereien sich inzwischen mehr an die Vorschläge zur Prävention halten – und zum Beispiel eine so genannte Zitadelle eingerichtet haben, einen sicheren Raum, in den sich die Mannschaft bei einem Angriff zurückziehen kann. Dabei allerdings sollten die Seeleute nicht nur die Maschine eines gekaperten Frachters aus der Zitadelle stillegen können. Sondern auch Kommunikationsmittel für den Kontakt mit der Außenwelt haben, selbst dann, wenn die Piraten die Antennen zerstören oder Kabel durchschneiden. Sonst bleibt für den Notruf nämlich nur noch die Flaschenpost.

Jenseits dieser allgemeinen Fakten, die heute auch in fast allen Medien auftauchten, lohnt ein Blick in das Zahlenwerk des vierteljährlichen Berichts. Ein paar Funde:

Der Gebrauch von Schusswaffen hat erheblich zugenommen. Setzten Piraten noch 2007 in 51 Fällen Schusswaffen ein, im ganzen vergangenen Jahr in 137 Fällen, waren es in diesem – noch nicht beendeten – Jahr schon 202 Fälle, und unter keine Angabe könnten sich noch ein paar mehr verbergen. Setzt man den Waffengebrauch in Beziehung zum Ort von Angriff oder Kaperung, wird noch klarer, wo das Problem liegt: Schusswaffengebrauch durch Piraten gab es in diesem Jahr 107 mal vor Somalia, 30 mal im Roten Meer, 29 mal im Golf von Aden und einmal vor Oman. 167 von 202 Fällen – fast ein Schusswaffenmonopol somalischer Piraten.

Die hohe Zahl der Angriffe, die immer noch zu hohe Zahl von Kaperungen und die Gewalt haben natürlich auch zur Folge, dass in den Seegebieten rund um Somalia die Gefahr für einen Seemann am größten ist, zur Geisel zu werden. Von den 619 offiziell gezählten Gefangenen der Piraten gerieten fast 400 am Horn von Afrika in Seeräuberhand.

Die Deutschen führen als Rekordhalter die Liste der angegriffenen Schiffe an – nicht nach Flagge, sondern nach Reederei sortiert. Das ist wenig überraschend, weil deutsche Unternehmen die größte Container- und die drittgrößte Handelsflotte weltweit betreiben. Von allen weltweit zwischen Januar und September angegriffenen Schiffen gehörten 48 einer deutschen Firma, auf Platz zwei folgen mit 47 victim ships Griechenland und Singapur. (Bei den Flaggenstaaten sieht es wieder ganz anders aus, da liegen Panama und Liberia mit Abstand vorn.)

Und, natürlich, gibt es auch in der Piraterie neue Trends. Der aktuellste: die Gefahr vor der westafrikanischen Küste nimmt zu. In diesem Jahr gab es 19 Angriffe und acht Kaperungen von Tankern (darunter einer einer Hamburger Reederei), bislang allerdings mit einem wesentlichen Unterschied zur Gewalt vor Somalia: Die Seeräuber verholen das Schiff an einen anderen Ankerplatz und rauben Schiff und Besatzung aus. Geiseln nehmen sie – noch – nicht.